Texte zur Oktoberrevolution

Aufruf des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten vom 27. Februar (12. März) 1917
Genossen, Proletarier, Werktätige aller Länder!

Wir, die im Petrograder Rat der Arbeiter­und Soldaten - Deputierten vereinigten russischen Arbeiter und Soldaten senden Euch einen flammen­den Gruß und benachrichtigen Euch von einem großen Ereignis: Die russische Demokratie hat die althergebrachte Zarentyrannei in den Staub gestürzt und tritt in Eure Mitte als vollberechtigtes Mitglied und als drohende Kraft im Kampf um unsere gemeinsame Befreiung. Unser Sieg ist ein großer Sieg der Weltfreiheit und der Weltdemo­kratie. Die Hauptstütze der Weltreaktion, der „Gendarm Europas", ist nicht mehr. Mag ihm die Erde auf seinem Grabe schwer sein wie Granit! Es lebe die Freiheit! Es lebe die internationale Solidarität des Proletariats und sein Kampf um den Endsieg!

Unser Werk ist noch nicht vollendet. Die Schat­ten des alten Regimes sind noch nicht zerstreut, — viele Feinde sammeln ihre Kräfte gegen die rus­sische Revolution. Aber doch sind unsere Errungen­schaften ungeheuer groß. Die Völker Rußlands werden ihren Willen durch die konstituierende Ver­sammlung zum Ausdruck bringen, die in kürzester Zeit auf Grund des allgemeinen direkten gleichen und geheimen Wahlrechts zusammentreten wird. Schon jetzt kann man mit Bestimmtheit sagen, daß in Rußland die demokratische Republik triumphiert. Das russische Volk besitzt volle politische Frei­heit, es kann jetzt sein Machtwort in der inneren Selbstbestimmung des Landes und in dessen aus­wärtiger Politik sprechen. Indem wir uns an alle, von diesem furchtbaren Krieg dezimierten und zu­grunde gerichteten Völker wenden, erklären wir, daß die Zeit des Entscheidungskampfes gegen die räuberischen Gelüste der Regierungen aller Länder gekommen ist; für die Völker ist die Zeit ge­kommen, die Frage des Krieges und des Friedens in die eigenen Hände zu nehmen.

Im Bewußtsein ihrer revolutionären Kraft erklärt die russische Demokratie, daß sie mit allen Mitteln gegen die räuberische Politik der eigenen herr­schenden Klassen ankämpfen wird, und ruft die Völker Europas zu einer gemeinsamen, entschlosse­nen Aktion für die Sache der Freiheit auf.

Wir wenden uns an unsere proletarischen Brüder im deutsch-österreichischen Bund und insbesondere an das deutsche Proletariat. Vom ersten Tage des Krieges an wollte man Euch glauben machen, daß Ihr, wenn Ihr die Waffen gegen Rußland erhebt, die europäische Kultur gegen den asiatischen Despotismus verteidigt. Viele von Euch erblicken hierin die Rechtfertigung der Unterstützung, die Ihr dem Kriege gewährt habt. Jetzt ist auch diese Rechtfertigung aus der Welt geschafft: das demo­kratische Rußland kann die Freiheit, die Zivili­sation nicht mehr bedrohen.

Wir werden unsere Freiheit gegen alle reaktio­nären Eingriffe von außen und von innen standhaft zu verteidigen wissen. Die russische Revolution wird vor den Bajonetten der Eroberer nicht zurück­weichen und wird sich von keinerlei militärischer Gewalt erdrücken lassen.

Wir fordern Euch auf, Eure halbabsolutistische Regierung zu stürzen, wie das russische Volk die Zarentyrannei abgeschüttelt hat. Weigert Euch, als Werkzeug des Raubes und der Gewalt in den Hän­den von Königen, Gutsbesitzern und Bankiers zu dienen, und wir werden mit vereinten Kräften das fürchterliche Gemetzel beenden, das die Mensch­heit schändet und die großen Tage der Geburt der russischen Freiheit verfinstert.Werktätige aller Länder! Wir strecken Euch unsere brüderliche Hand über einen Berg von Leichen unserer Brüder, über einen Strom un­schuldigen Blutes und Tränen, über rauchende Trümmer von Städten und Dörfern, über zerstörte Schätze der Kultur entgegen und rufen Euch auf zur Wiederherstellung und Befestigung der inter­nationalen Einheit, denn darin liegt das Pfand zu­künftiger Siege und der vollständigen Befreiung der Menschheit.

Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!

Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten.

 

Editorische Hinweise

W.Astrov, A. Slepkow, J. Thomas
Illustrierte Geschichte
der russischen Revolution

Neuer Deutscher Verlag
Willi Münzenberg
Berlin 1928

S. 139f