Texte zur Oktoberrevolution

Über die Schaffung einer revolutionären volkssozialistischen Armee


29.12.1917

Kameraden!

Es naht der entscheidende Moment. Nach dem Abschlüsse des Waffenstillstandes sind wir in Friedensverhandlungen eingetreten. Euch ist die erste Antwort der Deutschen bekannt geworden. Die Räuber der deutschen Bourgeoisie, von denen ein jeder mit Freuden bereit war, uns zu zer­fleischen, waren gezwungen, sich vor dem Willen der vom Kriege erschöpften Völker zu beugen und anzuerkennen, daß der Friede auf der Grundlage der gleichen Rechte aller Völker geschlossen wer­den müsse, daß alle besetzten Gebiete zurück­gegeben werden müßten, daß es keine Kontribu­tionen geben solle und daß die Unabhängigkeit der Völker, die sie während des Krieges verloren haben, wieder hergestellt werden müsse. Also antworte­ten die Deutschen, und mit vollem Rechte feierte die russische Revolution ihren Sieg. Der lang­ersehnte Frieden, und ein ehrenvoller Frieden, ein demokratischer Frieden, ein Frieden für alle Völ­ker, sollte den russischen revolutionären Armeen der Lohn sein für ihre Leiden und Mühen. Jedoch der Kelch der Leiden ist noch nicht geleert.

 

Kameraden! Die Deutschen haben ihre Antwort davon abhängig gemacht, daß alle kriegführenden Völker und Regierungen dieselben Bedingungen eines demokratischen Friedens anerkennen. Aber die bürgerlichen Regierungen Europas schweigen, und dementsprechend ändert sich die Sprache der Deutschen gegenüber Rußland. Die Sache des Friedens ist in Gefahr. Die Deutschen reden in be­stimmter Weise von Annexionen und Okkupa­tionen im Falle eines Separatfriedens mit Ruß­land. Sie berufen sich dabei auch auf die Ukrai­nische Rada. Sie sagen, wenn der russische Höchst­kommandierende nicht alle Fronten zu dirigieren vermag, wenn die Möglichkeit nicht ausgeschlossen sei, daß an den südlichen Fronten der Krieg fort­dauere, dann seien sie, die Deutschen, nicht mehr mit den früheren Bedingungen einverstanden. Die Rada sprengt den Frieden. Unter diesen Um­ständen laufen wir Gefahr, das Opfer der räube­rischen Gelüste der deutschen Bourgeoisie zu werden. Die russische Sowjetrepublik ist auf allen Seiten von Feinden umgeben. Die amerikanischen und französischen Kapitalisten geben den Kaledins Geld zur Bewaffnung. Die deutsche Bourgeoisie ist bereit, mit ihnen ein Bündnis zu schließen, um die russische Revolution zu ersticken. Im Innern des Landes haben sich, unter dem Vorwande der Verteidigung der Unabhängigkeit der Ukrainer, die Helfershelfer Kaledins aus der Zentrairada im Verein mit fahnenflüchtigen Offizieren, dem An­führer Stscherbatschow und den Henkern der rumä­nischen Regierung, die an der rumänischen Front dieselben Soldaten füsilieren, welche für sie ihr Blut vergossen haben, — alle diese haben sich ver­bündet gegen die Sowjets und die Regierung der Volkskommissare.

Kameraden!

Unter solchen Umständen erhebt sich vor den Arbeitern und Bauern Rußlands die Frage der Verteidigung aller Errungenschaften der Revolution und eines heiligen Krieges gegen alle Feinde: eines heiligen, revolutionären Krieges gegen die russische, deutsche, anglo-französische Bourgeoisie. Mit uns werden sie im Falle ihres Sieges keine Umstände machen. Mit Blut werden sie die ganze Erde begießen für die Augenblicke des Triumphes der Volksmacht, die sie zu erleiden hatten. Sie werden mit Schrecken und mit Hin­richtungen antworten, vor denen die Hinrichtungen der zaristischen Trabanten verblassen werden, denn es gibt keine wildere Bestie und keinen grausameren Henker, als die Bourgeoisie, wenn sie am Volke Rache nimmt für die Augenblicke seines Triumphes. Ein heiliger, revolutionärer Krieg an der Front und hinter der Front steht möglicherweise vor Euch als drohende Notwendigkeit. Unter diesen Umständen erwächst dem Volke die Aufgabe: eine bewaffnete Macht zur Gegenwehr zu schaffen.

Kameraden!

Die Armee ist müde, die Armee ist erschöpft. Die alte Armee, die Armee von ehe­dem, ist einer solchen Aufgabe nicht gewachsen. Dazu muß eine neue Armee geschaffen werden, eine Armee des bewaffneten Volkes, deren Anfänge die Rote Garde der Arbeiter darstellte. Zur Schaffung einer solchen Armee rufe ich alle herbei, denen die Freiheit teuer ist. Es muß allerorts eine revo­lutionäre sozialistische Volksgarde geschaffen wer­den, an der Front und hinter der Front. Der Ein­tritt in diese Garde muß allen wahren Ver­fechtern der Freiheit und der Revolution frei­gestellt werden auf Empfehlung der Regiments­und Kompaniekomitees. In ganzen Regimentern und einzeln, in Kompanien und Bataillonen möge man sich einschreiben und herantreten zur For­mierung von Truppenabteilungen einer solchen revolutionären Garde an bestimmten Punkten hinter der Front. Es werden entsprechende Punkte für solche Formationen angegeben werden überall im Rücken der Front, in allen Reserveteilen. Alle, nicht allein die Soldaten der Reserveteile, werden unter die Waffen gerufen werden. Jeder, der in die Reihen dieser volkssozialistischen Arbeiter­und Bauern-Garde aufgenommen worden ist, muß wissen, daß er in die Reihen von Kämpfern ein­tritt, deren Pflicht es ist, im Kampfe zu leben und zu sterben. Die materielle Lage dieser Teile wird besonders bestimmt werden. Die strengste Dis­ziplin muß in diesen Teilen herrschen. Ein revo­lutionäres Gericht von Soldaten muß mit mächtigen Banden alle Kämpfer der sozialistischen Garde ver­einigen und die Verletzung der allgemeinen Dis­ziplin bestrafen.

Kameraden!

Mit Hoffnung und Vertrauen schauen auf uns die Völker des Westens. In Italien und Spanien, in Deutschland und Frankreich, in Öster­reich und Schweden warten in Ungeduld die er­schöpften Völker auf den Ruf zum Kampf gegen ihre Bourgeoisie, und gegen das revolutionäre Rußland werden ihre Regimenter nicht marschieren. Laßt Euch alle einschreiben in die Reihen der Volksgarde der Verteidiger der Freiheit. Schafft eine neue mächtige Kraft, eine Schutzwehr für die Revolution und den Sozialismus. Der Rat der Volkskommissare hat bereits den Grund und Bo­den dem Volke übergeben. Die Regierung der Ar­beiter und Bauern hat bereits beschlossen, die Banken zum Staatseigentum zu machen. Nunmehr sollen auch die Fabriken und Industriebetriebe zum Eigentum des ganzen Volkes gemacht werden, und desto stärker muß die Bereitschaft sein, die begonnene Sache zu verteidigen. Ihr Hungrigen, Frierenden, Nackten, Barfüßigen, die ihr von allen Seiten von Feinden umgeben seid, — zeigt, welch eine unerschöpfliche Quelle von Kraft noch das revolutionäre Proletariat und das ärmste Bauern­tum in sich birgt.

Bei den Eintragungen in diese Regimenter soll kein Zwang stattfinden. Wer es nicht kann, wer nicht die Kraft in sich fühlt, in den Kampf zu treten, der mag nicht gehen. Wir brauchen eine revolutionäre Armee von Kämpfern, und nicht eine Armee von solchen, die nur an ihr Heim denken. An der Front soll vorläufig, bis zur Heranziehung der im Rücken formierten Bataillone, nur die Ein­tragung zur Formierung stattfinden. Die Einge­tragenen werden nachher zur rechten Zeit hinter die Front gebracht werden. Ich ermahne alle zum Durchhalten und zur Anstrengung der letzten Kräfte.

Kameraden und Brüder — Ukrainer!

Ich kann nicht glauben, daß Ihr nicht ebenfalls dem Rufe zur Verteidigung der Sache der Freiheit folgen werdet. Ich glaube zuversichtlich, daß Hand in Hand mit uns, mit den anderen Völkern, mit den Arbeitern und Bauern Rußlands, auch Ihr ein­treten werdet in die Reihen der Kämpfer.

Im ganzen Gebiete hinter der Front werden alle gerufen, in denen das Herz eines Revolutionärs schlägt. Die Kameraden in den Schützengräben werden Unterstützung und Verstärkung erhalten, dann werden wir keine Macht der Bourgeoisie­armeen zu fürchten haben. Die volkssozialistische Garde, die die sozialistische Regierung verteidigt, muß den Sieg davontragen!

Der Höchstkommandierende: Krylenko.

(Veröffentl. in Nr. 43 der Ztg. der Arbeiter- und Bauern-Reg. vom 29. Dez. 1917/11. Jan. 1918.)


Quelle:
Illustrierte Geschichte der russischen Revolution, Berlin 1928,  S.492f