Kameraden!
Es naht der entscheidende Moment. Nach dem
Abschlüsse des Waffenstillstandes sind wir in
Friedensverhandlungen eingetreten. Euch ist die
erste Antwort der Deutschen bekannt geworden.
Die Räuber der deutschen Bourgeoisie, von denen
ein jeder mit Freuden bereit war, uns zu
zerfleischen, waren gezwungen, sich vor dem
Willen der vom Kriege erschöpften Völker zu
beugen und anzuerkennen, daß der Friede auf der
Grundlage der gleichen Rechte aller Völker
geschlossen werden müsse, daß alle besetzten
Gebiete zurückgegeben werden müßten, daß es
keine Kontributionen geben solle und daß die
Unabhängigkeit der Völker, die sie während des
Krieges verloren haben, wieder hergestellt
werden müsse. Also antworteten die Deutschen,
und mit vollem Rechte feierte die russische
Revolution ihren Sieg. Der langersehnte
Frieden, und ein ehrenvoller Frieden, ein
demokratischer Frieden, ein Frieden für alle
Völker, sollte den russischen revolutionären
Armeen der Lohn sein für ihre Leiden und Mühen.
Jedoch der Kelch der Leiden ist noch nicht
geleert.
Kameraden! Die Deutschen haben ihre Antwort
davon abhängig gemacht, daß alle kriegführenden
Völker und Regierungen dieselben Bedingungen
eines demokratischen Friedens anerkennen. Aber
die bürgerlichen Regierungen Europas schweigen,
und dementsprechend ändert sich die Sprache der
Deutschen gegenüber Rußland. Die Sache des
Friedens ist in Gefahr. Die Deutschen reden in
bestimmter Weise von Annexionen und
Okkupationen im Falle eines Separatfriedens
mit Rußland. Sie berufen sich dabei auch auf
die Ukrainische Rada. Sie sagen, wenn der
russische Höchstkommandierende nicht alle
Fronten zu dirigieren vermag, wenn die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen sei, daß an
den südlichen Fronten der Krieg fortdauere,
dann seien sie, die Deutschen, nicht mehr mit
den früheren Bedingungen einverstanden. Die
Rada sprengt den Frieden. Unter diesen
Umständen laufen wir Gefahr, das Opfer der
räuberischen Gelüste der deutschen Bourgeoisie
zu werden. Die russische Sowjetrepublik ist auf
allen Seiten von Feinden umgeben. Die
amerikanischen und französischen Kapitalisten
geben den Kaledins Geld zur Bewaffnung. Die
deutsche Bourgeoisie ist bereit, mit ihnen ein
Bündnis zu schließen, um die russische
Revolution zu ersticken. Im Innern des Landes
haben sich, unter dem Vorwande der Verteidigung
der Unabhängigkeit der Ukrainer, die
Helfershelfer Kaledins aus der Zentrairada im
Verein mit fahnenflüchtigen Offizieren, dem
Anführer Stscherbatschow und den Henkern der
rumänischen Regierung, die an der rumänischen
Front dieselben Soldaten füsilieren, welche für
sie ihr Blut vergossen haben, — alle diese
haben sich verbündet gegen die Sowjets und die
Regierung der Volkskommissare.
Kameraden!
Unter solchen Umständen erhebt sich vor den
Arbeitern und Bauern Rußlands die Frage der
Verteidigung aller Errungenschaften der
Revolution und eines heiligen Krieges gegen
alle Feinde: eines heiligen, revolutionären
Krieges gegen die russische, deutsche,
anglo-französische Bourgeoisie. Mit uns werden
sie im Falle ihres Sieges keine Umstände
machen. Mit Blut werden sie die ganze Erde
begießen für die Augenblicke des Triumphes der
Volksmacht, die sie zu erleiden hatten. Sie
werden mit Schrecken und mit Hinrichtungen
antworten, vor denen die Hinrichtungen der
zaristischen Trabanten verblassen werden, denn
es gibt keine wildere Bestie und keinen
grausameren Henker, als die Bourgeoisie, wenn
sie am Volke Rache nimmt für die Augenblicke
seines Triumphes. Ein heiliger, revolutionärer
Krieg an der Front und
hinter der Front steht möglicherweise vor Euch
als drohende Notwendigkeit. Unter diesen
Umständen erwächst dem Volke die Aufgabe: eine
bewaffnete Macht zur Gegenwehr zu schaffen.
Kameraden!
Die Armee ist
müde, die Armee ist erschöpft. Die alte Armee,
die Armee von ehedem, ist einer solchen
Aufgabe nicht gewachsen. Dazu muß eine neue
Armee geschaffen werden, eine Armee des
bewaffneten Volkes, deren Anfänge die Rote
Garde der Arbeiter darstellte. Zur Schaffung
einer solchen Armee rufe ich alle herbei, denen
die Freiheit teuer ist. Es muß allerorts eine
revolutionäre sozialistische Volksgarde
geschaffen werden, an der Front und hinter der
Front. Der Eintritt in diese Garde muß allen
wahren Verfechtern der Freiheit und der
Revolution freigestellt werden auf Empfehlung
der Regimentsund Kompaniekomitees. In ganzen
Regimentern und einzeln, in Kompanien und
Bataillonen möge man sich einschreiben und
herantreten zur Formierung von
Truppenabteilungen einer solchen revolutionären
Garde an bestimmten Punkten hinter der Front.
Es werden entsprechende Punkte für solche
Formationen angegeben werden überall im Rücken
der Front, in allen Reserveteilen. Alle, nicht
allein die Soldaten der Reserveteile, werden
unter die Waffen gerufen werden. Jeder, der in
die Reihen dieser volkssozialistischen
Arbeiterund Bauern-Garde aufgenommen worden
ist, muß wissen, daß er in die Reihen von
Kämpfern eintritt, deren Pflicht es ist, im
Kampfe zu leben und zu sterben. Die materielle
Lage dieser Teile wird besonders bestimmt
werden. Die strengste Disziplin muß in diesen
Teilen herrschen. Ein revolutionäres Gericht
von Soldaten muß mit mächtigen Banden alle
Kämpfer der sozialistischen Garde vereinigen
und die Verletzung der allgemeinen Disziplin
bestrafen.
Kameraden!
Mit Hoffnung und
Vertrauen schauen auf uns die Völker des
Westens. In Italien und Spanien, in Deutschland
und Frankreich, in Österreich und Schweden
warten in Ungeduld die erschöpften Völker auf
den Ruf zum Kampf gegen ihre Bourgeoisie, und
gegen das revolutionäre Rußland werden ihre
Regimenter nicht marschieren. Laßt Euch alle
einschreiben in die Reihen der Volksgarde der
Verteidiger der Freiheit. Schafft eine neue
mächtige Kraft, eine Schutzwehr für die
Revolution und den Sozialismus. Der Rat der
Volkskommissare hat bereits den Grund und
Boden dem Volke übergeben. Die Regierung der
Arbeiter und Bauern hat bereits beschlossen,
die Banken zum Staatseigentum zu machen.
Nunmehr sollen auch die Fabriken und
Industriebetriebe zum Eigentum des ganzen
Volkes gemacht werden, und desto stärker muß
die Bereitschaft sein, die begonnene Sache zu
verteidigen. Ihr Hungrigen, Frierenden,
Nackten, Barfüßigen, die ihr von allen Seiten
von Feinden umgeben seid, — zeigt, welch eine
unerschöpfliche Quelle von Kraft noch das
revolutionäre Proletariat und das ärmste
Bauerntum in sich birgt.
Bei den
Eintragungen in diese Regimenter soll kein
Zwang stattfinden. Wer es nicht kann, wer nicht
die Kraft in sich fühlt, in den Kampf zu
treten, der mag nicht gehen. Wir brauchen eine
revolutionäre Armee von Kämpfern, und nicht
eine Armee von solchen, die nur an ihr Heim
denken. An der Front soll vorläufig, bis zur
Heranziehung der im Rücken formierten
Bataillone, nur die Eintragung zur Formierung
stattfinden. Die Eingetragenen werden nachher
zur rechten Zeit hinter die Front gebracht
werden. Ich ermahne alle zum Durchhalten und
zur Anstrengung der letzten Kräfte.
Kameraden und
Brüder — Ukrainer!
Ich kann nicht
glauben, daß Ihr nicht ebenfalls dem Rufe zur
Verteidigung der Sache der Freiheit folgen
werdet. Ich glaube zuversichtlich, daß Hand in
Hand mit uns, mit den anderen Völkern, mit den
Arbeitern und Bauern Rußlands, auch Ihr
eintreten werdet in die Reihen der Kämpfer.
Im ganzen Gebiete
hinter der Front werden alle gerufen, in denen
das Herz eines Revolutionärs schlägt. Die
Kameraden in den Schützengräben werden
Unterstützung und Verstärkung erhalten, dann
werden wir keine Macht der Bourgeoisiearmeen
zu fürchten haben. Die volkssozialistische
Garde, die die sozialistische Regierung
verteidigt, muß den Sieg davontragen!
Der
Höchstkommandierende: Krylenko.
(Veröffentl. in
Nr. 43 der Ztg. der Arbeiter- und Bauern-Reg.
vom 29. Dez. 1917/11. Jan. 1918.)
Quelle:
Illustrierte
Geschichte der russischen Revolution, Berlin
1928, S.492f |