Die Oktoberrevolution der Arbeiter und Bauern
begann unter der Fahne der allgemeinen
Befreiung. Befreit werden die Bauern von
der Gewalt der Gutsbesitzer, denn das
grundherrliche Eigentum am Grund und Boden ist
abgeschafft. Befreit werden die Soldaten und
Matrosen von der Gewalt der selbstherrlichen
Generale, denn die Generale werden fortan aus
Wahlen hervorgehen und absetzbar sein. Befreit
werden die Arbeiter von den Launen und der
Willkür der Kapitalisten, denn fortan ist die
Kontrolle der Arbeiter über die Betriebe und
Fabriken festgesetzt. Alles Lebendige und
Lebensfähige wird von den verhaßten Fesseln
befreit. Zu befreien bleiben nur noch die
Völkerschaften Rußlands, die Knechtung und
Willkür gelitten haben und noch leiden, zu
deren Entsklavung daher unverzüglich
geschritten werden muß, deren Befreiung
entschieden und unwiderruflich durchgeführt
werden muß.
In der Epoche des
Zarismus wurden die Völker Rußlands
systematisch gegeneinander gehetzt. Das
Ergebnis dieser Politik ist bekannt: Metzeleien
und Pogrome einerseits, Sklaverei der Völker
andererseits. Für diese
schändliche Politik der Verhetzung ist und darf
keine Wiederkehr mehr sein. Sie muß fortan
durch eine Politik der freiwilligen und
ehrlichen Vereinigung der Völker Rußlands
ersetzt werden.
In der Epoche des
Imperialismus, nach der Februar-Revolution, als
die Gewalt in die Hände der kadettischen
Bourgeoisie übergegangen war, hat die
unverhüllte Politik der Verhetzung der Politik
des feigen Mißtrauens gegen die Völker Rußlands
den Platz eingeräumt, einer Politik der
Händelsucht und Provokationen, die sich hinter
Worterklärungen über „Freiheit" und
„Gleichheit" der Völker Rußlands versteckte.
Die Ergebnisse dieser Politik sind bekannt:
Verstärkung der nationalen Feindschaft,
Untergrabung des gegenseitigen Vertrauens.
Dieser unwürdigen
Politik der Lüge und des Mißtrauens, der
Händelsucht und Provokation muß ein Ende
gemacht werden. Sie muß fortan durch eine
offene und ehrliche Politik ersetzt werden, die
zum vollen, gegenseitigen Vertrauen der Völker
Rußlands führt.
Nur in dem
Ergebnis eines solchen Vertrauens kann eine
ehrliche und dauerhafte Vereinigung der Völker
Rußlands sich gestalten.
Nur durch das
Ergebnis einer solchen Vereinigung können die
Arbeiter und Bauern der Völker Rußlands zu
einer revolutionären Kraft zusammengeschweißt
werden, die fähig ist, allen Anschlägen der
imperialistisch-annexionistischen Bourgeoisie
standzuhalten.
Der Sowjetkongreß
im Juni dieses Jahres hat das Recht der Völker
Rußlands auf freie Selbstbestimmung verkündet.
Der zweite
Sowjetkongreß im Oktober dieses Jahres hat
dieses unverrückbare Recht der Völker Rußlands
entschiedener und bestimmter bestätigt.
In Erfüllung des
Willens dieser Kongresse hat der Rat der
Volkskommissare beschlossen, seiner
Tätigkeit in der Nationalitätenfrage
Rußlands folgende Grundsätze zugrunde zu legen:
1) Gleichheit und Souveränität der
Völker Rußlands.
2) Das freie Selbstbestimmungsrecht der
Völker Rußlands, einschließlich des Rechts auf
Absonderung und Bildung eines selbständigen
Staates.
3) Aufhebung aller und jeder nationalen
und national-religiösen Vorrechte und
Beschränkungen.
4) Freie Entwicklung der
Minderheitsnationalitäten und Völkergruppen,
die in Rußland leben.
Die daraus
folgenden Dekrete werden unverzüglich nach
Konstituierung einer Kommission für das
Nationalitätenwesen ausgearbeitet werden.
Den 2./15. November
1917.
(Veröffentl. in Nr. 4 der Ztg. der Arbeiter-
und Bauern-Reg. vom 3./16. Nov. 1917.)
Quelle:
Illustrierte
Geschichte der russischen Revolution, Berlin
1928, S.477f |