Bericht vom 09. Januar 2019
Und ein
Rückblick auf das Jahresende 2018 mit Schwerpunkt auf
gewerkschaftlichen Positionen zum Thema.
Neues Jahr, neue Ruhe? So hatte
die französische Regierung sich dies erhofft. Seit
den letzten Demonstrationen der „Gelben Westen“ am
22. und 29. Dezember 18 hatte es zunächst tatsächlich
so ausgehen, als befinde sich die Protestbewegung,
die ganz Frankreich einige Wochen lang gebannt
verfolgt hatte, möglicherweise am Abflauen. Zur
Sylvesternacht hatten Aufrufe kursiert, in gelbe
Westen gekleidet auf die Feiermeile auf den Pariser
Champs-Elysées zu kommen und dort – unter den
Kameraobjektiven aus dem In-und Ausland – lautstark
„Macron, Rücktritt!“ zu fordern.
Letztendlich schlossen sich dieser Aufforderung
jedoch nur rund 200 Menschen an; so viele kamen
jedenfalls mitsamt gelbem Kleidungsstück durch die
Absperrungen und Polizeikontrollen. Zwischen 250.000
Feiernden gingen sie nahezu vollständig unter.
Doch am darauffolgenden Samstag
war sie wieder da, die Protestbewegung. Laut
Regierungsangaben, deren Zahlen einmal mehr
untertrieben sein könnten, demonstrierten an diesem
05. Januar landesweit erneut 50.000 Menschen im
Zeichen der Proteste, deutlich mehr als an den
letzten vorausgehenden Aktionstagen. Die Pariser
Demonstration mit rund 5.000 Menschen war dabei,
sofern man es an mehr oder mehr bekannten Gesichtern,
aber auch mitgeführten Aufklebern – erstmals gab es
vereinheitlichte Slogans wie „Gleichheit“
und „Revolte“ – ablesen konnte, relativ
stark durch die linke Komponente der heterogenen
Protestbewegung geprägt.
An ihrem Rande kam es zu einigen
spektakulären Zwischenfällen.
Am späten Nachmittag des 05. Januar befand sich der
amtierende Regierungssprecher und „Minister für
Beziehungen zum Parlament“ – dies entspräche in
Deutschland ungefähr einem Kanzleramtsminister -,
Benjamin Griveaux, auf der Flucht. Fünfzehn bis
zwanzig „Gelbwesten“ hatten es geschafft, bis zu
seinem Ministerium zu gelangen, nachdem Polizeikräfte
wohl von dort abgezogen und andernorts eingesetzt
worden waren. Dort klingelten sie an der Tür, ihnen
wurde nicht geöffnet – doch dann holte einer der
Beteiligten von einer nahe gelegenen Baustelle ein
gabelstaplerähnliches Baufahrzeug heran und drückte
selbige Tür ein. Der Minister ließ
es nicht auf eine Diskussion ankommen, sondern zog es
vor, sich zu verdrücken und es die Medien wissen zu
lassen.
Diese Aktion dürfte kaum von
längerer Hand vorbereitet worden sein, zumal auf den
Bildern sichtbar zu erkennen ist, dass die Mehrzahl
der Beteiligten sich keine Mühe gegeben hatte, etwa
ihre Gesichter zu verhüllen oder unkenntlich zu
machen. Vielmehr dürfte die sich bietende Gelegenheit
spontan den Auslöser gegeben haben. Aber zweifellos
löste dieser Vorfall Regierungskreisen eine
erhebliche Verunsicherung aus. Seitdem kündigte
Premierminister Edouard Philippe an, durch einen
Gesetzentwurf solle die bloße
Teilnahme an unangemeldeten Demonstrationen – viele
der Demonstrationen der „Gelbwesten“ wurden in den
sozialen Medien angekündigt, jedoch nicht polizeilich
angemeldet – zum Straftatbestand werden.
Ein Rückblick
Ein Symbol ging zuvor seit Wochen
um die Welt: Das Tragen von gelben Warnjacken bei
sozial oder ökonomisch motivierten Protesten wurde im
Spätherbst 2018 nahezu weltweit beobachtet. Ob am 04.
Dezember im irakischen Basra, bei Protesten für eine
bessere Wasser- und Energieversorgung, ob am 18.
Dezember im israelischen Tel Aviv bei einer
Demonstration gegen Preissteigerungen, ob
zwischenzeitlich in Brüssel und weiteren belgischen
Städten oder beim Protest gegen eine als
„Sklavengesetz“ bezeichnete Arbeitsrechtsnovelle in
Ungarn – überall waren die gelben Jacken in
Neonfarben präsent.
Erstmals vorgeschlagen wurde diese
Bekleidung als Protestform ab Ende Oktober 2018 in
Frankreich, wo es ab dem 17. November zu
Verkehrsblockaden an Mautstellen, auf
Autobahnzubringern und auf Kreiseln, aber auch zu
wiederholten Straßendemonstrationen sowie zu
Krawallen unter anderem im Pariser Zentrum kam. Immer
Samstags ging die heterogen zusammengesetzte
Protestbewegung auf die Straßen und öffentlichen
Plätze, ab dem 17. November wurde so nacheinander zum
„Akt Eins“, „Akt Zwei“… aufgerufen. Bei
Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurde „Akt Neun“ für
den Samstag, 12. Januar mit Spannung erwartet,
nachdem „Akt Acht“ am 05. Januar zum für Viele
unerwarteten Erfolg geworden war.
Doch worum ging und geht es? Den
Anlass zu Unmut und Protest bot eine ursprünglich für
den Jahreswechsel angekündigte, inzwischen
(jedenfalls für 2019) stornierte,
Spritsteuer-Erhöhung. Diesel sollte um sechs und
Benzin um drei Cent pro Liter stärker besteuert
werden, und die Treibstoffsteuer sollte bis 2023
schrittweise weiter ansteigen. Offiziell wurde dies
mit dem offiziell zum Regierungsprogramm gehörenden
„ökologischen Umbau“ (transition écologique)
- vor allem mit der Förderung der
Elektromobilität, die so ökologisch freilich nicht
ist, denkt man an die Fabrikation und spätere
Entsorgung der erforderlichen Batterien – begründet.
Real waren von eingeplanten vier Milliarden Euro
jedoch weniger als eine Milliarde für solche
Maßnahmen eingeplant, der Rest schlicht zum
Ausgleichen des Staatshaushalts. Denn die Regierung
unter Emmanuel Macron betreibt seit ihrem Antritt im
Mai 2017 einen systematischen Abbau direkter,
einkommensprogressiver Steuern sowie von
Sozialabgaben in Unternehmen, die durch einen Anstieg
von nicht einkommensprogressiven Kopfsteuern (wie der
„Allgemeinen Sozialabgabe“ CSG, derzeit rund neun
Prozent des steuerpflichtigen Einkommens, worunter
auch Renten fallen) und Verbrauchssteuern kompensiert
werden. Als nicht einkommensprogressive Konsumsteuer
gilt die Spritsteuer, wie andere unabhängig von den
Einkünften erhobene Abgaben, als im Kern sozial
ungerecht.
Dagegen richtete sich ein
doppelter Protest, insofern, als er aus zwei ziemlich
unterschiedlichen Milieus kam und noch kommt.
Einerseits meldete sich ein generell
steuerfeindlicher, in der Tradition des
„Steuerrebellen“ Pierre Poujade – dessen Partei UDCA
(„Union zur Verteidigung der Geschäftsleute und
Handwerker“) erlebte 1956 ihren Höhenflug,
ein gewisser Jean-Marie Le Pen zog damals als einer
ihrer Abgeordneter in die Nationalversammlung ein –
stehender mittelständischer Protest zu Wort.
Auf der anderen Seite wies die
beginnende Protestbewegung eine stärker „sozial“
geprägte Komponente auf, die stärker auf höhere
Einkommen und mehr „Steuergerechtigkeit“, statt auf
die generelle Infragestellung von Besteuerung,
abzielt.
Dieser Doppelcharakter drückt sich
darin aus, wie sich unterschiedliche Teile der
französischen Wählerschaft zu dem Protest stell(t)en.
In einer Umfrage, die am 30. November 18 publiziert
wurde, zeigte dieser sich am stärksten in zwei
unterschiedlichen Wahlgruppen verankert: Deutliche
Unterstützung zeigten auf der einen Seite 68 Prozent
der Wählerschaft des rechtsextremen
Rassemblement national (RN, „Nationale
Sammlung“, ehemals Front national). Auf der
anderen Seite äußerten
45 Prozent derer des Linkssozialdemokraten und
Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon zu diesem
Zeitpunkt ihre Unterstützung. Dabei war
„Unterstützung“ die stärkste mögliche Form der
Zustimmung. (Gemeinsam mit den schwächeren positiven
Haltungen „Solidarität“ und „Verständnis“
repräsentierten die positiven Antworten zur Bewegung
insgesamt über siebzig Prozent der Befragten.)
Aus diesem faktischen politischen Crossover-Phänomen
resultierte auch die anfänglich sehr erhebliche
Skepsis der französischen Gewerkschaften. Doch im
Laufe der Wochen trat dabei eine Änderung ein. So
schlossen sich an der Basis zahlreiche Kreisverbände
der CGT dem Protest faktisch an, während ihr
Dachverband zu eigenen Protesttagen unabhängig von
den „Gelben Westen“ – und ohne ausdrücklichen Bezug
auf diese - mobilisierte. Der „Aktionstag“ der CGT am
14. Dezember wurde jedoch nur in geringem Ausmaß
befolgt, laut Angaben des Innenministeriums
demonstrierten frankreichweit 15.000 Menschen aus
diesem Anlass, der Dachverband CGT sprach von doppelt
so viel. So sieht mit Sicherheit kein Erfolg aus,
gemessen an früheren gewerkschaftlichen
Protestanlässen und der jeweiligen Beteiligung daran.
Am 08. Dezember rief der
linksalternative gewerkschaftliche Zusammenschluss
Solidaires unterdessen erstmals
explizit zum Protestieren in Verbindung mit der
„Gelbwesten“-Bewegung auf. Gewerkschaftliche und
linke Kräfte versuchten, die Bewegung vor allem in
Richtung Sozialprotest und
Steuergerechtigkeitsforderungen zu orientieren und
auch ökologische Belange durchaus zu berücksichtigen.
Insofern trat ab Anfang Dezember auch eine gewisse
Linksverschiebung innerhalb des Protestspektrums ein.
In Städten wie Rennes, Nantes und
Toulouse klinkten Gewerkschaftsstrukturen sich schon
relativ frühzeitig, also im Laufe des November 18,
aktiv in die Protestbewegung ein. Dadurch wandelte
die Protestbewegung in Teilbereichen ihren Charakter,
je nach örtlicher Zusammensetzung.
Bis zum Schluss wies die
Protestbewegung jedoch beide Facetten auf. An
militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie
Ausschreitungen, wie sie am stärksten am 01. und 08.
Dezember im Zentrum von Paris stattfanden,
beteiligten sich sowohl militante und
außerparlamentarische rechtsextremen Gruppen - etwa
der Bastion Social, so lautet
der neue Name des GUD oder Groupe Union Défense,
einer seit 1969 existierenden stiefelfaschistischen
Gruppierung - als auch insurrektionalistische und
andere anarchistische Strömungen. Beide arbeiteten
keineswegs zusammen, sondern wurden parallel
zueinander ohne jegliche
Absprache oder Koordination aktiv.
Hinzu kamen Gelegenheitsrandale und Plünderungen –
die am 03. und 10. Dezember den Richtern vorgeführten
Festgenommenen waren meist sozial prekär lebende
junge Männer aus kleinen Provinzstädten und Dörfern,
die zum ersten Mal im Leben an einer größeren
Demonstration teilnahmen, sich vom Aktionsfieber
anstecken ließen und dann erwischt wurden.
Erstveröffentlicht in
der Monatszeitung Analyse & Kritik (ak) im Januar
2019
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