Bericht vom 07. Februar 2019
Nicht mehr als ein paar
Steinwurfweiten trennte die beiden Lager, die
Abgeordneten „drinnen“ und die Demonstrierenden
wenige Hundert Meter außerhalb der französischen
Nationalversammlung, als deren Protestzug am Dienstag
Nachmittag auf der anderen Seite der Seine eintraf.
Nur eine Brücke trennte den riesigen
Place
de la Concorde, auf der die Demonstration sich
auflöste, vom gegenüberliegenden Parlamentsgebäude.
Damit auch niemand auf dumme Ideen
komme, waren starke Polizeikräfte in Flussnähe, aber
auch auf der westlichen Seite des Platzes
stationiert. Dort geht es in Richtung Champs-Elysées,
und auf der Pariser Prachtavenue ist es für
gewöhnlich grundsätzlich verboten, zu demonstrieren,
doch seit November 18 hatte die Protestbewegung der
„Gelben Westen“ dieses offizielle Tabu mehrfach
durchbrochen. Als am Spätnachmittag gräuliche Wolken
über den
Place
de la Concorde
aufstiegen, konnte man erst an die Merguez-Stände
denken, an denen üblicherweise am Rande von
Demonstrationen die gleichnamigen nordafrikanischen
Würstchen gegrillt werden. Doch es waren
Tränengasschwaden. Ein Durchbruch in Richtung
Champs-Elysées – so manchen juckte es in den Füßen –
war nicht gestattet, und wurde mit allen Mitteln
unterbunden.
„Drinnen“
verhandelten unterdessen die Abgeordneten über die
Novelle zur Verschärfung des
Demonstrationsstrafrechts, die eine der Antworten der
amtierenden Regierung auf die „Gelbe Westen“ und
andere Proteste der letzten Wochen darstellt. Mit ihr
sollen die Teilnehmenden an unangemeldeten
Demonstrationen, nicht länger nur ihre
OrganisatorInnen, mit empfindlichen Strafen geahndet
werden können. Ein solches Gesetz gab es bereits
einmal, zwischen 1970 und 1981, als staatliche
Antwort auf die wilden Siebziger Jahre. In breiten
Kreisen, unter Intellektuellen und Medienschaffenden
war es damals als repressiver Exzess kritisiert
worden. Die sozialdemokratische Linke schaffte dieses
Gesetz, als Loi anti-casseurs (ungefähr
„Anti-Chaoten-Gesetz“) bezeichnet, beim
Regierungswechsel 1981 ersatzlos ab. Nun soll es
dorthin zurückgehen. Immerhin fünfzig Abgeordnete der
derzeitigen Regierungspartei LREM Emmanuel Macrons
enthielten sich jedoch der Stimme, auch in ihren
Kreisen wird zunehmend Kritik an dem Vorhaben laut.
Auf
der nördlichen Seite der Seine fand zugleich eine
relative Stärkedemonstration der Protestbewegung
statt. Laut Angaben der CGT gingen am Dienstag rund
300.000 Menschen frankreichweit auf die Straße, um
gegen die Regierungspolitik unter Präsident Macron
und Premierminister Edouard Philippe zu protestieren.
Dies entspricht einer erheblichen Steigerung der
Teilnehmer/innen/zahlen gegenüber den Protesttagen
der „Gelbwesten“ an den Samstagen zuvor mit jeweils
mehreren Zehntausenden Menschen. Das Vorliegen von
mehreren parallelen Aufrufen zum Protest, seitens der
CGT einerseits und von Vertretern der
"Gelbwesten"-Protestbewegung wie Eric Drouet, aber
auch den Exponenten von unterschiedlichen
Linkskräften wie Jean-Luc Mélenchon und Olivier
Besancenot auf der anderen Seite hatten dafür
gesorgt, dass die unterschiedlichen Protestfronten
sich gegenseitig verstärken.
Das französische Innenministerium
seinerseits sprach am Abend on 137.000
Demonstrierenden.
Allerdings hinkt bislang die Auswirkung des Protests,
was die Beteiligung an Streiks und
Arbeitsniederlegungen betrifft, dahinter zurück. In
der Hauptstadt Paris blieb der öffentliche Nahverkehr
weitestgehend unbeeinträchtigt; in anderen Städten
wie dem ostfranzösischen Grenoble hingegen war der
Personennahverkehr infolge von Arbeitsniederlegungen
verlangsamt. Hingegen schlossen auch in Paris manche
Postämter, in denen je ein Teil des Personals die
Arbeit niederlegte, ihre Türen am Spätnachmittag
früher als vorgesehen. In einigen Schulen fiel der
Unterricht aus, manche Zugverbindungen auf
Fernstrecken entfielen. In Le Havre oder am Flughafen
von Nantes fanden Blockaden statt, an denen
Gewerkschaftsaktive und Anhänger/innen der "Gelbe
Westen"-Protestbewegung gemeinsam teilnahmen. In der
Nacht vom Montag zum Dienstag hatten mehrere Hundert
Protestierende aus den Reihen von CGT und "Gelben
Westen" die Großmarkthallen in Rungis, südlich von
Paris, zeitweilig blockiert.
Eine Weiterführung von
Arbeitsniederlegungen am folgenden Tag unterblieb
fast überall. Jedoch wurde am Mittwoch
Vormittag publik, dass mehrere Schulen im Raum Paris
(Rodin, Duruy, Dorian und Paul Valéry innerhalb der
Hauptstadt und je eine Schule in den Trabantenstädten
Noisy-le-Sec, Montreuil, Vitry-sur-Seine und
Mitry-Mory) ihren Ausstand fortführten. Dort wird
gegen die unzulängliche Mittelausstattung im
Bildungswesen und die, durch ein Gesetz vom März 2018
neu eingeführte, Einschränkung des Hochschulzugangs
für Abiturient/inn/en durch die Auswahl - oft
intransparenter - zusätzlicher Auswahlverfahren
mittels des Verfahrens Parcoursup
protestiert.
Erstveröffentlicht in der Tageszeitung Neues
Deutschland (ND) vom 07. Februar 2019
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