B. Schmid: "Gelbwesten-Chronik"

„Gelbwesten“ vor möglicherweise entscheidendem Wochenende

Bericht vom 15. März 2019

Ob der Protest in „Gelben Westen“ weitergeht (und eventuell weitere Früchte trägt, über das bisher Erreiche hinaus) oder nicht, wird sich möglicherweise an diesem Wochenende entscheiden. A propos „bisher Erreichtes“: Zu den realen Zugeständnissen seitens der Regierenden, welche diese Protestbewegung bislang erringen respektive abringen konnte, zählt ein Teil der Ankündigungen von Präsident Emmanuel Macron vom 10. Dezember 18. Besteht ein Teil der damals getätigten Ankündigungen auch überwiegend aus angewärmter Luft, so bildet doch die zum selben Zeitpunkt besiegelte Entscheidung, dass künftig Renter/innen unterhalb von 2.000 Euro Monatseinkommen – oder 3.000 Euro monatlicher Einkünfte für ein Paar – nicht mehr (wie zuvor) mit der faktischen Kopfsteuer unter dem Titel CSG („Allgemeiner Sozialbeitrag“) belästigt werden, ein handfestes Zugeständnis.

Ein weiteres kündigt sich nun an: Renten & Pensionen sollen künftig einen automatischen Inflationsausgleich erfahren, also automatisch an die Preiserhöhung (nach oben) angepasst werden. Kurz vor dem Ausgang des grand débat national oder der „großen nationalen Debatte“, welche Präsident Macron am 15. Januar 19 in Reaktion auf den „Gelbwesten“-Protest eröffnete, hat nun dessen Regierungspartei LREM zu Anfang dieser Woche diese Forderung auf ihre Fahne geschrieben (vgl. https://actu.orange.fr ). Am heutigen Freitag, den 15. März d.J. verkündete der amtierende Premierminister Edouard Philippe zum letzten Tag dieses grand débat national seine Bereitschaft, als Regierungschef diesen Vorschlag in Betracht zu ziehen. (Vgl. https://actu.orange.fr/france ) Unabhängig von manchen Wahnvorstellungen in Teilen oder an den Rändern der Protestbewegung, etwa betreffend die angebliche Macht der Freimaurer – wir berichteten ausführlicher am Mittwoch, den 13.03.19 – hat dieselbe Bewegung also auf materieller Ebene doch zumindest ein paar Sachen erreicht.

A propos grand débat national: Er geht, wie erwähnt, am heutigen Freitag zu Ende. Just deswegen ruft die „Gelbwesten“‘-Protestbewegung auch just für den morgigen Samstag, den 16. März 19 – um den Abschluss dieses Abschnitts ihrerseits und auf ihre Weise zu markieren – zur, am Mittwoch bereits bei uns erwähnten, „frankreichweiten Mobilmachung“ zu einem Zentralprotest in Paris auf. Selbiger steht unter dem Motto „Ultimatum an Macron“. Hoffen wir, dass dem auch ein real halbwegs nennenswertes Kräfteverhältnis entsprechen wird, und nicht nur eine markig-verbalradikale Ankündigung, wie es sie in der Vergangenheit bereits gegeben hat (etwa betreffend einen „unbefristeten Generalstreik“ ab dem 05. Februar 19, von welchem man in der Realität nichts vernommen hat).

Tatsächlich scheint im Hinblick auf den morgigen Samstag, den 16.03.19 die Anreise einer Reihe von Protestbeteiligten aus dem übrigen Frankreich zu einer Zentralmobilisierung in Paris zu erfolgen. Mehrfach zensierte unterdessen Facebook in den vergangenen anderthalb Wochen Seiten („zu politisch“, zu einseitig & blabla), die private Beherbergungsmöglichkeiten / Unterkünfte für Teilnehmer/innen vermitteln sollten. - Am gestrigen Donnerstag Abend fand eine ziemlich gut besuchte Mobilisierungsveranstaltung zum Samstag im Pariser Gewerkschaftshaus, u.a. mit dem linken (und pro-autonome Anwandlungen aufweisenden) Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Lordon; der Saal platzte zeitweilig aus den Nähten. Die Veranstaltung stand unter dem Motto fin du débat, début du débarras (ungefähr: „Ende der Debatte, Beginn des Ausmistens / Loswerdens“).

Anders, als wir noch am Mittwoch (vgl. unseren Beitrag vom 13.03.19) befürchteten, scheint es am morgigen Samstag unterdessen tatsächlich ein Mindestmaß an „Konvergenz“ – also an Zusammengehen oder Zusammenfließen – der drei unterschiedlichen, für diesen Tag geplanten Manifestationen zu geben. Jedenfalls sollen laut neuesten Meldungen aus den „sozialen Medien“ nunmehr doch mindestens die Demonstration gegen Polizeigewalt und jene für Klimaschutz, beide wurden seit mehreren Monaten (und zunächst unabhängig von den „Gelbwesten“) geplant, an bzw. auf der Pariser place de la République zusammenkommen. „Gelbe Westen“ werden ohnehin irgendwie überall anzutreffen sein.

Sicherlich wünschen nicht alle beteiligten Kräften ein Zusammengehen bei sämtlichen Anliegen. Zu der Klimaschutzdemonstration – zu einem Thema, zu welchem derzeit auch in Frankreich eine Jugend- und Schüler/innen/bewegung Auftrieb erhält – ruft seit Mitte dieser Woche etwa auch die CFDT auf, also der aus Sicht der Bourgeoisie und im Jargon ihrer Medien „moderate“ größere Gewerkschaftsverband. (Vgl. http://www.lefigaro.fr ) Von ihrer Seite her ist sicherlich keine inhaltliche oder sonstige Radikalisierung zu erwarten..

Unter den „Gelben Westen“ kursiert unterdessen bereits ein weiterer Aufruf für den kommenden Dienstag, den 19. März d.J. unter dem Motto „Unsere Wut/Unser Zorn ist nicht nur samstags“, in Anspielung darauf, dass Demonstrationstage der „Gelben Westen“ bislang ausschließlich an Sams-, und (nur) bisweilen auch an Sonntagen stattfanden. So fiel von „Akt Eins“ (am 17.11.18) bis zum „Akt 17“ am vorigen Samstag (09.03.19) noch ein jeder auf einen Sonnabend. Dem Vernehmen nach überlegen derzeit der „Gelbwesten“-Prominente Eric Drouet (ein 35jähriger Draufgänger, ursprünglich eher rechtslastig, doch aufgrund seines mehr oder minder unerschrockenen Auftretens – und der kursierenden Behauptung, er seit 2017 Mélenchon-Wähler gewesen – inzwischen auch in Teilen der Linken durchaus beliebt), aber auch das „Komitee Gerechtigkeit fürAdama (Traoré)“ (vgl. unseren Beitrag von vorgestern, 13.03.19), zu Aktionen am kommenden Dienstag aufzurufen.

An ebenjenem Dienstag, den 19. März 19 wird auf Aufruf mehrerer Gewerkschaftsverbände – CGT, FO und Union syndicale Solidaires – hin ein landesweiter Streik in unterschiedlichen Sektoren stattfinden (der in vielen Aufrufen gewählte Titel „Generalstreik“ ist sicherlich ziemlich ambitioniert für das, was wohl real stattfinden dürfte): vgl. bspw. http://www.cestlagreve.fr

Also, falls aus diesem Anlass eine stärkere „Konvergenz“ mit den Gewerkschaften und eine teilweise Einigung der Protestkräfte (wie auch bereits bei den Demonstrationen vom 05. Februar 19) stattfinden könnte, wäre immerhin etwas Wichtiges gewonnen. Und Innenminister Christophe Castaner könnte bzw. wird sich vielleicht künftig seine Sprüche sparen, wonach es aus seiner Sicht egal sei, wenn an den Wochenende 40.000 oder 50.000 Leute mit gelben Westen demonstrieren, entspreche dies doch auch nur der Hälfte eines gefüllten Stadions beim Rugbymatch (vgl. https://rmcsport.bfmtv.com/ oder https://www.nicematin.com/ )…