AGIT 883, Nr. 28 21. August 1969 S. 5,
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Kiff und Revolution
Die berliner "Hascher" haben sich
gegen die Angriffe, denen sie sich in letzter Zeit permanent
ausgesetzt sehen, gewehrt, mit Recht so scheint es. Die Gründe,
welche für die öffentliche Missbilligung durch gewisse
Repräsentanten der Linken angeführt wurden, sind schlicht infantil
zu nennen.
Wer die bürgerliche Presse oder die
sogenannte "liberale Öffentlichkeit", die es in Wahrheit gar nicht
gibt, kennt, müsste eigentlich wissen, daß es den Scheiß-Spießern,
zumal "freiheitlichen Berlinern", egal ist, ob man nun sinnvoll
begründen kann, warum ein Bullenauto etc. demoliert wurde, oder
nicht. Wer dabei auf den Segen gewisser progressiver Publikationen
hofft, ist in der Tat ein größerer Scheinrevolutionär als die
Haschrebellen.
Etwas anderes wäre es gewesen,
rationale, konstruktive Kritik, wie sie für Antiautoritäre
eigentlich selbstverständlich sein müsste, an den Aktionen der
"Hascher" anzusetzen. Es ist unzweifelhaft klar, wo gekifft wird, wo
Flower-Power praktiziert wird, da wird Marx' "Kapital" und Guevaras
"Guerilla-Theorie und Methode" wohl kaum gelesen, und es ist
ebenfalls analysiert worden, daß die Radikalität der Hascher und der
Angehörigen hippieähnlicher Subkulturen meist über einen
unverbindlichen Pazifismus, der durchaus bürgerliche Elemente in
sich hat, nicht hinauskommt. Ähnlich wie bei den Rockern wird der
Protest dadurch ziemlich unreflektiert.
Die Anlehnung des Konsums und der
spätkapitalistischen Klassengesellschaft allein macht noch keine
Revolutionäre, der Konsum von Rauschgift als Gruppenideologie ist
aus bereits erwähnten Gründen effektiv abzulehnen. Gleichfalls wird
die sexuelle Befreiung, wenn sie zur Promiskuität tendiert, ohne
permanente selbstkritische Reflexion der emanzipierten Partner zum
gleichen perversen Zerrbild der Partner wie die "normale"
bürgerliche Ehe.
Die größte Gefahr für die Bewegung
der Haschrebellen besteht allerdings nach wie vor in der allgemeinen
Resignation. Das "in den Fugen der Macht nisten", "in den Lücken
leben", bedeutet konkret nichts anderes, als die Integration in eine
Gesellschaft, die zwar zu recht als katastrophal abgelehnt wird,
aber dann noch als unabänderlich und gegeben hingenommen wird.
Natürlich ist diese Sklavenmoral nichts weiter als Selbstbetrug,
potentielle Revolutionäre werden so zu Konformisten, ob sie es
wollen oder nicht.
Die einzige reale Alternative dazu
ist die Politisierung aller Lebensbereiche. In den USA wurde dieser
Schritt bereits erfolgreich vollzogen. Aus Hippies wurden Yippies,
aus Pazifisten und Romantikern wurden radikale Revolutionäre, aus
Träumern eines utopischen Paradieses wurden Kämpfer für eine neue,
bessere Welt.
Mit sozialistischen Grüßen
Werner Olles
Red.
Anmerkung:
Werner Olles ist heute Stammautor der "Jungen Freiheit" und dort
u. a. zuständig für Betrachtungen über die "68er"
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