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High sein, frei sein, Terror muss dabei sein!!

Notwendige Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte

EXTRA-DIENST, Nr. 25/III vom 26.3.1969 S. 7, OCR-Scan by red. trend

DOKUMENTATION: ZUR INNEREN SITUATION IN ISRAEL

Der von Deutschen befohlene und von Deutschen ausgeführte Massenmord am jüdischen Volk während des NS-Regimes, die Solidarisierung der antifaschistischen Linken mit den Opfern von damals, verstell häufig den Blick auf die israelische Realität. Es gibt keine umfassende linke Analyse des israelischarabischen Konflikts. Es fehlen allerdings auch Informationen. Was aus Israel an Informationen kommt, ist weitgehend gefiltert und manipuliert. Auch Israel-Besucher haben es schwer, ungefilterte und unmanipulierte Informationen zu sammeln. Es informieren fast ausschließlich Regierung, Militär, die sozialdemokratische Staatspartei Mapai und die Einheitsgewerkschaft Histadrut. EXTRA-Dienst dokumentiert deshalb zur Information einige Abschnitte aus dem letzten Bericht des ZK der israelischen Kommunistischen Partei. Die Passagen befassen sich mit der wirtschaftlichen Lage des Landes, mit der Situation der arabischen Minderheit und mit Ansätzen zu neuen Organisationsformen außerhalb der traditionellen Arbeiterbewegung.

Die ökonomische Situation

Für die Entwicklung der Israelischen Wirtschaft zwischen den beiden Parteitagen sind die zunehmende Abhängigkeit vom Kapital ausländischer Monopole, die Militarisierung der Wirtschaft und des Staatshaushalts, die Fortsetzung der Konzentration und Zentralisierung des Kapitals, vor allem der ausländischen Unternehmen, charakteristisch. Die Juni-Aggression und die fortwährende Okkupation des Territoriums unserer Nachbarländer haben die Militarisierung der Wirtschaft und des Staatshaushalts ungeheuer verstärkt.

Allein die Ausgaben für den Juni-Feldzug überstiegen, laut Minister Pinhas Sapir, 3,5 Milliarden israelische Pfund. Im Zeitraum von kurz vor Beginn des Krieges bis nach seiner Beendigung sind die Rüstungsausgaben rapide gestiegen. Betrugen ipi Staatshaushalt für 1967/68 die veranschlagten Ausgaben für die Rüstung 1,8 Mrd. isr. Pfund, so erreichten sie im Budget für 1968/69 (einschließlich eines Zusatzhaushalts) 2,7 Milliarden israelische Pfund. Im kommenden Haushaltsplan für 1969/70 werden diese Ausgaben bereits dann, wenn dieses Budget vorgeschlagen wird, 3,1 Milliarden israelische Pfund erreichen und noch weiter steigen.

Die wachsenden Rüstungsausgaben führten auch zu einer Steigerung der Produktion für militärische Zwecke. Die Aufträge an Unternehmen des zivilen Sektors stiegen im Jahre 1968 um das Dreifache. Dadurch werden der Charakter der israelischen Wirtschaft verzerrt und materielle sowie menschliche Ressourcen in zunehmendem Maße der Rüstungsproduktion zugeführt. Der Staat Israel hat sich'in einen Militärstaat verwandelt, aber nicht nur deshalb, weil seine Söhne drei Jahre lang zur Armee eingezogen werden und viele Monate als Reservisten dienen müssen, weil seine Töchter zweieinhalb Jahre lang obligatorischen Militärdienst leisten, sondern auch deshalb, weil ein ständig wachsender Teil seiner Arbeiter und Techniker in der Produktion für militärische Zwecke eingesetzt wird. Es ist nunmehr eine Situation entstanden, in der die Regierung nahezu nichts mehr besitzt, was sie den ausländischen Millionären verkaufen könnte. Der größere Teil der staatlichen Unternehmen und Gesellschaften ist bereits ganz oder teilweise in die Hände ausländischer Kapitalisten übergegangen. Während der letzten Monate hat die Regierung die Versicherungsgesellschaft „Yuvol" und die Investitionsgesellschaft „Meniv" an ausländische Firmen verschleudert. Jetzt steht der Verkauf der Elektrizitätsgesellschaft und der staatlichen Ländereien auf der Tagesordnung.

Nach dem Juni-Krieg wurden die Privilegien für ausländische Kapitalisten in unwahrscheinlicher Weise erweitert. Die staatlichen Subventionen und Kredite für ausländische Unternehmer betragen heute 80 Prozent des Wertes aller Investitionen. Der größte Teil der Kapitalanlagen in unserem Lande befindet sich in amerikanischem Besitz. Wie Dr. Forder, Präsident der Nationalbank, erklärte, investierte das USA-Privatkapital während der vergangenen 20 Jahre 1 Milliarde Dollar in unser Land. Kein Wunder also, daß ein großer Teil der Banken, der Investitionsgesellschaften, der Industriebetriebe und der Hotels amerikanischen Kapitalisten gehört. Im Gegensatz zur Politik des Lohnstopps, die seit zwei Jahren von den Führern der Histadrut und den Unternehmern verfolgt wird, gab es bei den Unternehmerprofiten keinerlei Einschränkungen. Laut Angaben des Amtes für Industrielle Planung beim Ministerium für Handel und Industrie stiegen die Profite der Industriellen im Jahr nach dem Juni-Krieg (Juli 1967 bis Juni 1968) auf 650 Millionen israelische Pfund und mehr. In Ihrer Ausgabe vom 10. September 1968 stellt die Tageszeitung .AI Hamishmar" fest, daß es sich bei dieser Profitrate .um eine der höchsten, wenn nicht gar um die höchste In der Geschichte Israels" handelt.

Eine der Hauptursachen für diese ungeheure Profitexplosion Ist In der höheren Arbeitsproduktivität zu sehen: Sie stieg 1968 um 9 Prozent pro Arbeitsstunde. Doch trotz dieser Steigerung der Arbeitsproduktivität und dieser Hochkonjunktur der Profite bekamen die Arbeiter keinen höheren Lohn. Im Gegenteil, ihre durchschnittlichen Reallöhne wurden vielmehr um 1 Prozent gesenkt. In einer besonders schwierigen Situation befinden' sich die seit einigen Jahren notleidenden Familien. Die mittellose Bevölkerung in Israel umfaßte (laut amtlichen Angaben) im Jahre 1966 rund 300000 Menschen; das waren 11 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die notleidenden Familien haben einen Lebensstandard, der weit unter dem Existenzminimum liegt.

Die Lage der arabischen Arbeiter

Selbst amtliche Angaben besagen, daß Im Jahre 1967 18 Prozent der arabischen Arbeitskräfte keine Beschäftigung fanden. Dagegen waren von den jüdischen Arbeitern nur 10 Prozent arbeitslos. Die höhere Zahl der Arbeitslosen unter den arabischen Arbeitern ist darauf zurückzuführen, daß die Bauindustrie, die einen großen Teil der arabischen Arbeitskräfte absorbierte, unter der Wirtschaftskrise besonders zu leiden hatte.

Die schwierige Lage der arabischen Bevölkerung ist das Ergebnis einer Politik, die nur darauf gerichtet ist, die Betroffenen zu unterdrücken und sie von ihrem Land zu vertreiben. Seit Gründung des Staates Israel wurden den arabischen Fellachen 700000 Dunam (arabisches Flächenmaß, etwa 0,4 ha —die Red.) Boden geraubt. Die arabischen Dorfbewohner sahen sich deshalb gezwungen, auf Wanderschaft zu gehen und in den jüdischen Städten und ländlichen Siedlungen nach Arbeit zu suchen. Bei Ausbruch der Wirtschaftskrise kehrten die arabischen Arbeiter in ihre • Dörfer zurück, konnten dort aber nicht Fuß fassen, weil der Boden ihrer Familien zum größten Teil enteignet worden war. Recht instruktiv ist die Tatsache, daß 20 Jahre nach Gründung des Staates Israel In der jüdischen Landwirtschaft 50 Prozent, in der arabischen Landwirtschaft hingegen nur 5 Prozent des bebauten Landes mit künstlichen Bewässerungssystemen ausgestattet sind.

Merkmale des Klassenkampfes

Charakteristische Merkmale des in den letzten Jahren in Israel geführten Klassenkampfes sind:

1. Die Streikaktionen werden nicht nur in den Betrieben geführt, sondern auch auf regionaler Ebene (z. B. Im Don-Gebiet) oder sogar im Landesmaßstab.

2. Die Führung der Kämpfe lag in den Händen echter Vertreter der Arbeiterklasse, in den Händen von Arbeiter- und Aktionskomitees.

3. Die Kämpfe wurden nicht allein von ökonomischen Forderungen wie Zahlung des Lebenshaltungszuschusses, Lohnerhöhungen usw. bestimmt. Sie trugen auch politischen Charakter, weil sie gegen die Beschäftigungs-, Lohn- und Antistreikpolitik der Regierung gerichtet waren. Das kam insbesondere bei den Streiks im Landesmaßstab zum Ausdruck.

4. An den Kämpfen, die sich über das ganze Land erstreckten, beteiligten sich auch Landarbeiter. So wurde die Einheit von Arbeitern in Stadt und Land geschmiedet.

5. Die wachsende Arbeitslosigkeit und die weitere Verelendung gaben Anlaß zu gemeinsamen Kämpfen von jüdischen und arabischen Arbeitern. Die Arbeiter von Nazareth und anderen arabischen Städten und Dörfern nahmen an dem das ganze Land umspannenden Streik vom Juni 1966 sowie an der Demonstration der Arbeiterkomitees vor dem Parlamentsgebäude im Januar 1967 teil.