Rote Pressekorrespondenz Nr. 38 vom 7.11.1969 S. 11f und Nr. 39 vom
14.11.1969, S.9f
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DER
IMPERIALISMUS UND DER NAHOST-KONFLIKT
Als historische Grundlage und Vorbereitung einer Analyse der
Ursachen und Ziele der im Libanon ausgebrochenen Kämpfe , die in der
nächsten Ausgabe der RPK veröffentlicht werden soll, drucken wir das
Referat des Palästina-Komitees ab, das
anläßlich des 52. Jahrestags der Balfour-Deklaration angefertigt
wurde.
2. NOVEMBER 1969 - 52 JAHRE BALFOUR-DEKLARATION
ANALYSE DER BALFOURDEKLARATION IM KONTEXT IMPERIALISTISCHER
INTERESSEN
In dem Flugblatt, das das Palästina-Komitee in den letzten Tagen
verteilt hat, werden die hinter der Balfourdeklaration stehenden
wesentlichen Motive dahingehend gesehen, daß Großbritannien
(GB) die nützliche Funktion eines zionistischen Staates in
Palästina sowohl in dem dadurch geschaffenen Bollwerk gegen
die britische Interessen gefährdende
arabische nationalistische Befreiungsbewegung als auch gegen das
britische Interessen in Ägypten und am Suezkanal gefährdende
französische Vordringen.
Dieses Referat und die heutige Sitzung
sollen diese hinter der Balfourdeklaration stehenden britischen
Interessen in einen größeren Zusammenhang stellen, nämlich in den
Zusammenhang, wie sich imperialistische Interessen nicht nur GBs,
sondern auch Frankreichs und Deutschlands im arabischen Raum des
osmanischen Reiches in der damaligen Zeit manifestiert und
durchgesetzt haben. Diese imperialistischen Interessen waren
vorrangig Interessen am Kapitalexport sowie an der Sicherung von
Rohstoffquellen und Handelswegen. Während des ersten Weltkrieges
fanden diese Interessen ihren vertragsmäßigen Niederschlag in den
geheimen Teilungsabkommen, durch die die imperialistischen Mächte
das osmanische Reich unter sich aufteilten. Innerhalb all dieser
Interessen ist die Balfourdeklaration nur ein kleiner Baustein. Um
diesen Baustein einordnen zu können, gilt es, das gesamte Gebäude zu
betrachten. Zu Beginn soll kurz darauf eingegangen werden, wie es
auf einer bestimmten Stufe für den Kapitalismus notwendig wird,
Kapital zu exportieren. Es scheint uns, daß nur so die Interessen
der imperialistischen Mächte im osmanischen Reich, wie sie in dem
konkretisierenden Teil dargelegt werden, richtig einzuordnen sind.
Mit fortschreitender kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung und
der in ihr liegenden Kapitalakkumulation erreicht die organische
Zusammensetzung des Kapitals ein Stadium, in dem die Prc fitrate des
Kapitalisten tendenziell fällt (vgl. insbesondere K. Marx, Das
Kapital, Bd. III, Teil I). Die unter den Kapitalisten auf diesem
Stadium geführten Absprachen führen zur Einschränkung der
Investitionen und damit zu einem Kapitalüberschuß (1), für den die
Kapitalisten rentablere Investitionsfelder suchen als ihnen ihre
eigenen Länder zu bieten vermögen. "Der Kapitalismus (ist nämlich)",
so sagt Lenin in seiner Schrift Imperialismus als höchstes Stadium
des Kapitalismus x "überreich geworden". (2) Zwecks
Steigerung der Profite exportieren die Kapitalisten auf dieser Stufe
des Kapitalismus ihren Kapitalüberschuß in rückständige Länder, wo
die organische Zusammensetzung des Kapitals noch äußerst gering und
die Arbeitskräfte noch billig sind (3). Nach Mandel setzt dieser
Kapitalexport etwa im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein,
ursächlich und zeitlich zusammenfallend mit dem Übergang vom
Konkurrenzkapitalismus zum Monopolkapitalismus (4). Der
Kapitalexport bringt aufgrund der dahinter stehenden essentiellen
Interessen der Kapitalisten einen verschärften Kampf um die
territoriale Aufteilung der Welt zwecks ökonomischer Betätigung mit
sich (5). Bei dieser territorialen Aufteilung der Welt geht es in
erster Linie um die Sicherung der unerläßlichen Rohstoffquellen und
zwar mit de . Ziel, zwecks Ausschaltung jeglicher Konkurrenz
möglichst alle Rohstoffquellen fest in einer Hand zu haben. Hierbei
sind nicht nur die bereits entdeckten Rohstoffquellen, sondern auch
die durch das Einsetzen der Technik noch zu
erschließenden Rohstoffquelle von
Bedeutung. Deshalb ist die Erweiterung des Wirtschaftsgebietes, ja
des Gebietes schlechthin.für den Monopolkapitalismus von großem
Interesse. (6)
Imperialismus, somit definiert als Politik wirtschaftlicher
Expansion des Monopolkapitalismus, manifestiert sich nicht nur in
den kolonialen Ländern, sondern auch in den halbkolonialen, d. h.
formal politisch unabhängigen Ländern, die aber durch miteinander
rivalisierende imperialistische Mächte in ökonomische Einflußzonen
aufgeteilt waren, wie z. B. Liberia, Abessinien, Afghanistan,
Persien, China und die Türkei z. Z, des osmanischen Reiches.
Die Ausdehnung des Kapitalismus auf die rückständigen Teile der
Welt liegt in der Grundtendenz der kapitalistischen
Produktionsweise, da nämlich die ständige Ausweitung ihrer Basis
unabdingbare Voraussetzung für die Realisierung und Kapitalisierung
des Mehrwertes ist (7). Die Einbeziehung der Wirtschaften der
rückständigen Länder in den internationalen Kapitalismus hat zur
Folge, daß die traditionellen Wirtschaftsformen dieser Länder
aufgelöst und zerstört werden und daß die eingeführte
kapitalistische Produktionsweise in diesen kolonialen und
halbkolonialen Ländern nicht die Funktion hat, die eigene
wirtschaftliche und industrielle Entwicklung voranzutreiben, sondern
die, durch Rohstoffproduktion die Wirtschaft der entwickelten
kapitalistischen Länder zu ergänzen. Nur zwecks dieser Funktion wird
die Wirtschaft der kolonialen Länder und halbkolonialen Länder
ausgebaut (8). Die Folgen für die Menschen dieser Länder sehen wir
heute in der Dritten Welt.
Im arabischen Teil des osmanischen Reiches
stießen zu Ende des 19. Jahrhunderts und mit Beginn des 2O.
Jahrhunderts GB, Frankreich und Deutschland in ihren
imperialistischen Interessen zusammen. Hierbei lag das vorrangige
Interesse Deutschlands und Frankreichs im Kapitalexport (8 %
und 15 % ihres Kapitalexportes in fremde Länder. In absoluten
Zahlen: 1,5 Milliarden Goldfrank und 6, 6 Milliarden Goldfrank),
während das Interesse GBs am arabischen Raum in der Sicherung seines
Handelsweges vom Mittelmeer nach Indien lag, der gerade durch das
ökonomische Vordringen Frankreichs und Deutschlands gefährdet wurde.
Der Kapitalexport GBs in dieses Gebiet lag bei nur l, 8 % (= 2
Milliarden Goldfrank) seines gesamten Kapitalexportes (fast die
Hälfte des britischen Kapitalexportes ging in das britische Empire,
je 2O % in die USA und nach Lateinamerika)(9,1O).
Die Verschuldung des osmanischen Reiches an die imperialistischen
Mächte kurz vor Ausbruch des Krieges verteilte sich zu etwa 6O
°]o auf Frankreich, 25 % auf Deutschland, 14 % auf GB,
Holland und Belgien (11).
Auch im osmanischen Bereich betrieben die imperialistischen
Mächte den Kapitalexport auf doppelte Art und Weise: erstens in der
Form von Investitionsdarlehen an die
Regierungen von Istambul und zweitens in der Form der Gründung von
Tochtergesellschaften im arabischen Raum, d. h. in Kapitalanlagen in
Industriebetrieben. Kapitalexport in Form von Krediten war zugleich
an die Bedingung geknüpft, daß die türkische Regierung einen Teil
des Kredits für den Kauf von Gütern in dem Gläubigerland verwendete.
Hierbei handelte es sich meistens um den Kauf von Waffen und
Schiffen. So wurde der Kapitalexport der imperialistischen Mächte
zum Mittel, den Warenexport zu fördern, d.h. die Konjunktur und
Wirtschaft der imperialistischen M^cht selbst anzukurbeln. Bei
Deutschland z. B. war es bei dieser Form des Kapitalexportes ganz
deutlich, daß die Regierung bei der Vergabe von Krediten weniger an
dem Zinssatz als an dem steigenden Export deutscher Waren
interessiert war (12). Bei den mit der Vergabe von Krediten
gekoppelten Waffenkäufen kam es sogar zeitweilig zu
Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und der türkischen
Regierung, da der weitreichende Kauf deutscher Waffen durch die
türkische Regierung die Interessen der französischen Waffenindustrie
gefährdete (13). Durch die andere Form des Kapitalexports hatten die
imperialistischen Mächte ähnliche Vorteile: bei der Gründung von
Industrieanlagen im arabischen Raum wurden die notwendigen
Investitionsgüter und bestimmte Konsumgüter aus dem Mutterland
selbst bezogen. Darüber hinaus konnte die jeweilige Macht an Ort und
Stelle die billigen Rohstoffquellen und Arbeitskräfte ausbeuten
(14). - Ein wichtiges Interesse der imperialistischen Mächte bestand
darin, durch den Bau von Eisenbahnlinien Verbindungswege für ihre
schon bestehenden oder geplanten Industrieanlagen herzustellen. Die
gleiche Bedeutung hatte der Ausbau von Häfen. Der Bau einer
Eisenbahn konnte auch die Funktion haben, den Handel einer anderen
Macht in dem Gebiet kontrollieren und gegebenenfalls boykottieren zu
können. Beide Momente haben sicherlich bei dem deutschen Interesse
an dem Bau der Bagdadbahn eine Rolle gespielt, auf die später noch
.zurückzukommen sein wird. Bei den für den Bau einer Eisenbahnlinie
und Häfen notwendigen Konzessionsverhandlungen mit der türkischen
Regierung sicherte sich die jeweilige Macht nicht nur die
finanziellen Operationen, und damit das spätere Kontrollrecht,
sondern auch die notwendigen Materiallieferungen aus ihren eigenen
Wirtschaften.
Bei dem Bau von Eisenbahnlinien, bei dem insbesondere Deutschland
zur Ausweitung seines wirtschaftlichen
Einflußgebietes seit Ende des 19. Jahrhunderts aktiv war, stieß
diese in den arabischen Raum eindringende Macht mit den beiden
imperialistischen Mächten Frankreich und GB, die durch ihre
ökonomischen Aktivitäten sich diesen Raum bereits zu Einflußzonen
gemacht hatten, zusammen. Seit dem Bau des Suezkanals hatten durch
diese neue Verbindung nach Indien die Dardanellenstraße und
Konstantinopel für GB ihre traditionelle Bedeutung verloren und es
lag nun nicht mehr im vorrangigen Interesse von GB, diesen Teil des
türkischen Reiches vor dem russischen Vordringen zu verteidigen. (Im
Abkommen von Konstantinopel 1915 überläßt GB die Meerengen und
Nordanatolien dem russischen Zarenreich.) Es kam jetzt den Briten
darauf an, den Ländergürtel zwischen Ägypten und Indien, nämlich
Mesopotamien mit dem Euphrat- und Tigrisgebiet und insbesondere den
persischen Golf in ihren Einflußbereich einzubeziehen und auf keinen
Fall unter die Kontrolle einer anderen Macht fallen zu lassen. In
diesem Zusammenhang erhielt PALÄSTINA als wichtiges Durchgangsgebiet
auf dem Weg vom Mittelmeer nach Indien seine entscheidende
Bedeutung. GB plante eine Eisenbahn von Akko zum persischen Golf zu
legen. Auch sei hier schon auf die navale Bedeutung des Hafens von
Akko durch seine Lage in einer natürlichen Bucht hingewiesen (14). -
Zu Beginn dieses Jahrhunderts hatte Deutschland von der türkischen
Regierung die Konzession zum Bau der Bagdadbahn erhalten, die
Hamburg, Berlin und Wien über Istambul mit Bagdad und dem persischen
Golf verbinden sollte. Dieser Bau implizierte ebenso Pläne für die
Exploitation von Rohmaterialien, wie Baumwolle und Öl in
Nordmesopotamien. Durch dieses Vordringen wirtschaftlichen
Einflusses und besonders durch das Projekt, die Bagdadbahn bis zum
persischen Golf, dem wichtigenstrategischen Punkt für den britischen
Handelsweg nach Indien, zu legen, sah GB seine Interessen so
gefährdet (15), daß es wegen dieser Konzession zu starken
Auseinandersetzungen und diplomatischen Vorsprachen mit der
türkischen Regierung kam, auf die hier nicht näher eingegangen zu
werden braucht. Die deutschen Interessen an Kapitalinvestitionen
in Syrien und Bemühungen, den Damaskus-Haifa Abschnitt der
Hedjaz-Bahn unter ihre Kontrolle zu bekommen und die voraussehbare
Forderung Deutschlands für eine Konzession für den Hafen von Haifa
bedeuteten für Frankreich eine Gefährdung seiner Interessen in
Syrien und Palastina (16). Erstens hatte Frankreich durch seine
jahrzehntelangen großen Kapitalinvestitionen in Syrien dort
materielle Interessen zu verteidigen und konnte eine deutsche
Konkurrenz nicht hinnehmen, und zweitens
hatte ein französisches Konsortium zur gleichen Zeit wertvolle Pläne
für den Bau von Eisenbahnlinien und Häfen in Syrien und Palästina
und bemühte sich um Konzessionen bei der türkischen Regierung (17).
Durch diesen Ausbau französischer Interessen in Palästina sah GB
wiederum seinen Handelsweg vom Mittelmeer nach Indien gefährdet Hier
sei noch einmal auf die strategische Bedeutung Palästinas für GB und
auf das Interesse GBs an dem natürlichen Hafen von Akko, der direkt
neben Haifa liegt, und auf den geplanten Bau der Eisenbahnlinie von
Akko zum persischen Golf erinnert Die Erfahrungen des ersten
Weltkrieges zeigten GB, daß es aus noch einem weiteren Grund den
Franzosen Palästina als Einflußgebiet nicht überlassen konnte: lange
Zeit hatte G B geglaubt, daß der Suez-Kanal durch die Sinai-Wüste
hinreichend vor einer Bedrohung geschützt sei. 1915 hatte eine gut
ausgerüstete türkische Armeeeinheit die Wüste durchquert und war bis
zur Nähe des Suezkanals gelangt. 1916 hatte Sir Archibald Murray
ebenfalls den Sinai durchquert und während des Vormarsches eine
Eisenbahn linie und Pipeline gelegt Der Suezkanal
war von diesem Zeitpunkt an leicht zu bedrohen und die Macht, vor
deren Bedrohung sich GB in seinen Interessen am meisten schützen
mußte, war zweifellos Frankreich (18). S o erhielt Palästina
innerhalb der britischen imperialistischen Interessen eine zweite
Bedeutung: es mußte unter britischer Kontrolle bleiben, um den
Suezkanal vor dem Vordringen des französischen Einflusses
abzuschirmen. In diesem gesamten Kontext wird es deutlich, daß die
Balfour-Deklaration ihren wesentlichen Ursprung in der
britisch-französischen Rivalität in Palästina hat Darüber hinaus Ist
sie als Mittel und Ausdruck britischer imperialistischer
Interessenpolitik im Zusammenhang zu sehen mit den beiden wichtigen
geheimen Teilungsabkommen, die 1916 unter deutlich britischem
Drängen geschlossen wurden, nämlich das britische Abkommen mit dem
Sherif von Mekka und das Sykes-Picot-Abkommen. Die beiden Abkommen
schließen sich einander vollkommen aus und stehen in Bezug zu
Palästina mit der Balfourdeklaration ebenfalls in Widerspruch.
Die GEHEIMABKOMMEN: Abkommen mit dem Sherif Husseini
von Mekka und zwischen Sykes und Picot
(beide Frühjahr 1916)
GB entschied schon im frühen Kriegsstadium, sich den arabischen
Nationalismus zunutze zu machen. Das Versprechen eines unabhängigen
Staates an die Araber erfolgte aus dem taktischen Interesse, sich
die arabische militärische Unterstützung gegen die Türken zu sichern
und dadurch die bedrängte Situation auf der Sinai-Halbinsel zu
erleichtern (19). Das langfristige Ziel GBs war es, daß der neue
arabische Staat als Ersatz für das osmanische Reich die
traditionelle Rolle einer friedliebenden Moslemmacht übernehmen und
dadurch als Bollwerk für die Verteidigung des britischen Weges nach
Indien fungieren sollte (20). Die
Verhandlungen GBs mit dem Sherif Husseini von Mekka führten zu der
Verpflichtung GBs, einen arabischen Staat oder eine arabische
Staatenföderation anzuerkennen, der sich auf das Gebiet etwa der
heutigen Staaten Iraks, Jordaniens und dem größten Teil Syriens
(außer den Gebieten westlich der Linie von Damaskus-Aleppo)
erstrecken sollte. Die Araber hatten das Gebiet von Palästina
ebenfalls in das versprochene Gebiet miteinbezogen, da es von GB
nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden war. Über diese Frage
entwickelte sich nach dem ersten Weltkrieg eine heftige Kontroverse
zwischen GB und den arabischen Führern, in der GB den Standpunkt
vertrat, daß sie Palästina als nicht innerhalb des Versprechens
befindlich betrachtet habe. (Die Einzelheiten dieser Kontroverse
sind in diesem unmittelbaren Zusammenhang nicht von Bedeutung.) (21)
Wichtig ist jedoch, das Sykes-Picot Abkommen zu betrachten, das das
britische Versprechen an die Araber wieder vollkommen ins Gegenteil
verwandelte. Das Sykes-Picot Abkommen beinhaltete eine völlige
Aufteilung des osmanischen Reiches in 3 Interessensphären.
Ostanatolien und die Meeresstraße wurden dem russischen Zarenreich
zugesprochen. Syrien, Südanatolien und Teile des Irak sollte
Frankreichs Einflußgebiet sein und das Gebiet, das sich zwischen Südsyrien
bis zum Irak und vom persischen Golf bis Aquaba und Gaza erstreckt,
sollte der britischen Sphäre zufallen. Außerdem sollten in Palästina
die Häfen Akko und Haifa ebenfalls unter britischer Kontrolle stehen
(22). Im Gegensatz zu dem Versprechen, einen unabhängigen arabischen
Staat zu garantieren, sollten Syrien und Irak praktisch unter
europäischer Mandatsherrschaft gestellt werden. Das französische und
britische Gebiet sollte in jeweils 2 Teile geteilt werden mit
unterschiedlicher Verwaltungs- und Regierungsform. Frankreichs
Einflußgebiet war durch die Zone "A" und durch die ."blaue Zone"
eingeteilt, das Gebiet GBs durch die Zone "B" und die "rote Zone".
In der blauen und roten Zone sollten Frankreich und GB eigene
Verwaltungen einrichten und auch sonst völlige Handlungsfreiheit
genießen. In der Zone "A" und "B" sollte eine Verwaltung unter
arabischer Souveränität errichtet und von der jeweiligen Macht, die
mit besonderen wirtschaftlichen Vorrechten ausgestattet war,
garantiert werden (23) (Beiliegende Karte zum Verständnis
erforderlich. Karte aus: George Antonius, The Arab Awakening, pp.
248-249) Die imperialistischen Interessen, die hinter diesem
Abkommen standen, zeigen sich deutlich, wenn die verschiedenen Zonen
näher analysiert werden: Syrien und der Irak zusammengenommen
bildeten ein Rechteck mit Landgrenzen im Norden, Süden und Osten,
während der Westen einen Ausgang zum Meer bot Die in diesem gesamten
Gebiet lebenden Menschen bildeten arabisch sprechende
Gemeinschaften, die unterschiedliche gesellschaftliche und
kulturelle Entwicklungsstadien erreicht hatten. Diejenigen, die in
den östlichen und westlichen Gebieten lebten (d. h. im
Küstenstreifen und im unteren Euphrat- und Tigrisbecken), waren
intellektuell und in ihrem politischen Bewußtsein entwickelter «ft
die, die hauptsächlich als Nomaden in den inneren Regionen wohnten.
Trotz dieser sozialen und intellektuellen Unterschiede war die
Bevölkerung in dem gesamten Gebiet weitgehend homogen. Das
Sykes-Picot Abkommen teilte .dieses arabische Rechteck in eine so
spezifische Art und Weise auf, daß die Einheitlichkeit zerstört
wurde. Darüber hinaus stellte es - und das sicherlich ganz bewußt -
die politisch reifere Bevölkerung Syriens und des Iraks unter
direkte auslälndische Verwaltung, während die
Inlandregionen unabhängige arabische Staaten
bilden sollten. Die "Rote Zone" z, B. j 'die Bagdad und Basra
einschloß, - diese beiden Zentren politischer Aktivitäten - sollte
unter völlige Mandatsherrschaft gestellt werden und nicht einmal die
kleinste Form der Selbstverwaltung genießen. Die Zone "B" dagegen,
die zum größten Teil aus Steppengebiet bestand mit einer Bevölkerung
ohne jegliche politische Erfahrungen, sollte einen unabhängigen
Status erhalten (24). "Es war", so schreibt G. Antonios, der
Verfasser des grundlegenden Werkes Ober das Aufkommen und die
Geschichte der arabischen nationalen Bewegung ("The Arab Awakenlng"),
"all stecke man die Erwachsenen In die Schule und schicke die
Schüler der ersten Klasse in die Welt hinaus". (25) Der von dem in
dem Abkommen zwischen McMahon und Hussein
I. von Mekka versprochene unabhängige arabische Staat war auf
ein Wüstengebiet mit einer politisch völlig unerfahrenen
Bevölkerung, des fruchtbaren Euphrat und Tigrisbeckens, seiner
wichtigsten Rohstoffe beraubt, ohne Zugang zum Meer, reduziert
worden (26). Für das Palästina-Gebiet
war in dem Sykes-Picot Abkommen eine
internationale Regelung vorgesehen. Hierbei muß man im Hintergrund
den bei den Verhandlungen seitens Frankreichs deutlich zum Ausdruck
gebrachten Anspruch auf das Palästinagebiet und das ebenso deutliche
Widersetzen der britischen Seite, aus all den bereits aufgeführten
Gründen, Palästina auf keinen Fall in französisches Einflußgebiet
fallen zu lassen, sehen (27). Der Kompromiß bezüglich der
internationalen Regelung des Status von Palästina gründete sich auf
den "Schutz der Heiligen Stätten" (28) und war zweifellos zunächst
ein Erfolg für die britische Seite. Ein Jahr später bereits sollte
GB sich durch die Balfour-Deklaration ein Instrument sichern, um
nach dem Krieg seinen Anspruch auf das Palästinagebiet gegenüber
Frankreich legitimieren zu können. Hierbei kamen den britischen
Interessen die zionistischen Bestrebungen zunutzet die zionitische
Bewegung, die sich 1897 in Basel konstituierte, hatte als ersten
Programm* punkt die Schaffung einer völkerrechtlich anerkannten
Helmstätte für die Juden aufgestellt« Diese völkerrechtliche
Anerkennung sollte die Grundlage schaffen für die Erlangung eines
Territoriums, auf dem die Juden einen eigenen Staat aufbauen
könnten. Auf dem zionistischen Kongreß von 1904
beschlossen die Zionisten, ihre Anstrengungen von nun an nur noch
auf Palästina zu richten. Bis zu diesem Kongreß war die territoriale
Frage nicht endgültig geklärt. Es gab einen starken Flügel sog. "Territorialisten",
denen es gleichgültig war, wo der jüdische Staat liegen sollte. Bis
zum 1. Weltkrieg versuchten die Zionisten, diese völkerrechtliche
Anerkennung bei dem Sultan des osmanischen Reiches und bei dem
deutschen Kaiser zu erlangen. Erst mit dem Ausbruch des ersten
Weltkrieges verlegten die Zionisten ihre Bemühungen auf GB, da sie
erkannt hatten, daß nach Beendigung des Krieges die arabischen
Provinzen des «manischen Reiches zu einem großen Teil britisches
Einflußgebiet werden würden. Da, wie bereits
dargelegt, die Briten Palästina unbedingt zu ihrem Einflußgebiet
machen wollten und da Frankreich genau dieselben Interessen hegte,
erkannten die Briten in den Bestrebungen der Zionisten eine günstige
Gelegenheit, sich dieser Bestrebungen für Ihre eigenen Interessen zu
bedienen. - Nach über zwei Jahren Verhandlungen zwischen Zionisten
und dem britischen Colonlal Office und Außenministerium erlangten
die Zionisten am 2. November 1917 die gewünschte Unterstützung GBs
für die Errichtung einer jüdischen Heimstätte
in Palästina nach Beendigung des Krieges. Dieses Versprechen
ermöglichte es den Briten, ihren Anspruch auf Palästina den
Franzosen gegenüber in den Nachkriegsjahren
endgültig durchzusetzen. Im Jahre 1922 wurden auf der
Konferenz von San Remo die Einflußsphären Frankreichs und GBs
endgültig festgelegt. Syrien und Libanon wurden französisches
Mandatsgebiet, ganz Palästina einschließlich Trans Jordanien und dem
Irak britisches Mandatsgebiet. Die Beschlüsse von San Remo wurden in
den Bestimmungen des Völkerbundes aufgenommen und erhielten somit
eine völkerrechtliche Grundlage. Zu bemerken ist nur noch, daß die
Balfour-Deklaration In diese Bestimmungen mit aufgenommen wurde.
Dies bedeutete den ersten großen Internationalen Anerkennungssieg
der zionistischen Bestrebungen und, wie sich vor allem während des
ersten Weltkrieges herausstellen sollte, ein nicht geringer Erfolg
für den britischen Imperialismus. Für die nächsten 3 Jahrzehnte (bis
1948) sollten die Beschlüsse die juristische Grundlage bieten
für die Entwicklung In Palästina (29).
ZUSAMMENFASSENDE THESEN:
1. Mit dem Untergang des osmanischen Reiches wurden die
arabischen Provinzen von den imperialistischen Mächten aufgrund
ihrer ökonomischen Interessen in diesem Raum durch einfaches
Kouponschneiden willkürlich in irgendwelche ökonomische, politische,
ethnische und geographische Gebilde umgewandelt. Die bis dahin
weitgehend bestehende ökonomische und politische Einheit wurde
zerschlagen.
2. Die heutigen Grenzen der Staaten im Nahen Osten sind noch
immer das Ergebnis der damaligen Imperialistischen
Interessenpolitik. Bis heute verhindern die weiterhin bestehenden
Imperialistischen Interessen die Aufhebung dieser willkürlich
geschaffenen Grenzen und damit die ökonomische und politische
Einigung der arabischen Welt im Nahen Osten. Daher Ist eine Einigung
der arabischen Welt nur möglich, durch einen konsequenten
anti-imperialistischen Kampf mit der Zielsetzung, einen
sozialistischen Nahen Osten aufzubauen.
3. Der zionistische Staat Israel ist nur entstanden dank der
Unterstützung und der Interessen des britischen Imperialismus.
Dieser Staat hat sich seit 1948 in seiner Verbindung mit dem
Imperialismus als das stärkste Bollwerk gegen die
Einheitsbestrebungen in der arabischen Welt
erwiesen. Wenn auch der israelische Staat eine eigene Politik mit
eigenen Interessen verfolgt, so ist er,' objektiv gesehen, von
Anfang an bis heute ein Handlanger des Imperialismus im arabischen
Raum. Nur wenn die jüdischen Massen in Israel den Zusammenhang von
Imperialismus und Zionismus erkennen werden, wird sich ihnen eine
historische Alternative aufzeigen: nämlich mit den arabischen Massen
gemeinsam den anti-imperialistischen Kampf aufzunehmen und einen
sozialistischen Nahen Osten mit Selbstbestimmungsrecht für alle
nationalen Minderheiten aufzubauen.
BIBLIOGRAPHIE
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2. Josef Cohn, ENGLAND UND PALÄSTINA (Berlin.
1931)
3. Jean Ducruet, LES CAPITAUX EUROPEENS AU PROCHE ORIENT (Paris,
1964)
4. Lukasz Hirszowicz, THE THIRD REICH AND THE
ARAB EAST (1966)
5. Lenczoski, THE MIDDLE EAST IN WORLD
AFFAIRS (1956)
6. Lenin, IMPERIALISMUS ALS HÖCHSTES
STADIUM DES KAPITALISMUS, Ausgewählte Werke, Bd. I, (Berlin,
1965)
7. Ernest Mandel, MARXISTISCHE
WIRTSCHAFTSLEHRE (Frankfurt, 1968)
8. Stein. THE BALFOUR DECLARATION (London, I9öi)
9. Nathan Weinstock, LE SIONSME CONTRE ISRAEL
(Paris, 1969)
10. Christopher Syke«, CROSS ROADS TO ISRAEL (London, 1965)
ANMERKUNGEN
(1) Vgl E. Mandel, Marxistische
Wirtschaftslehre (Frankfurt, 1968, p. 460)
(2) Lening. Ausgewählte Werke, Bd. I, (Berlin, 1965) p. 816
(3) Vgl Lenin, a.a.O., p. 816, Mandel, a.a.O., p. 460
(4) Vgl Mandel, a.a.O., p. 460, 461
(5) Vgl Lenin, a.a.O., p. 829
(6) Vgl Lenin, a.a.O., p. 834
(7) Vgl Mandel, a.a.O., p. 464
(8) Vgl Mandel, a.a.O., pp. 474-475
(9) Zum Vergleich der Zahlen Vgl Jean Cucruet, les capitaux
europeens au Proche Orient (Paris, 1964) pp. 6—7
(10) Von den 1,8 % des britischen Kapitalexportes gingen
allein l, 2 % nach Ägypten, wo GB seit den 7oger Jahren des
19. Jahrhundert verstärkt wirtschaftlich eingedrungen ist. (1/4 des
bebau-baren Bodens waren britische Baumwollplantagen ' Lenin, a. a.
O., p. 834) Ab 1882 in Ägypten eine Revolte ausbrach gegen
ausländischen Einfluß, sah GB seine Interessen so gefährdet, daß es
zur militärischen Intervention griff und Ägypten besetzte.
Vgl Lenczoski, The Middle East in World Affairs, (1956) p. 22
(11) Vgl Ducruet, a.a.O., p. 113
(12) Vgl Ducruet, «.«.O., p. 115
(13) Vgl a.a.O., p. HO
(14) Vgl Lenin, «.».O., p. 818, Mandel, a.a.O., pp. 462-403
(14 a) Vgl Josef Cohn, England und Palästina
(Berlin, 1931) pp. 41-44, sowie George Antonius, The Arab Awakening
(New York. 1965) p. 246 und Stein, a.a.O., p. 54
(15) Vgl L. Hirszowicz, The Third Reich and the Middle East (1966),
p. 3 sowie Cohn, a.a.O., p. 43 und Ducruet, a.a.O., pp. 211—212
(16) Vgl Stein, a.a.O., pp. 49-5O
(17) Vgl Stein, a.a.O., pp. 49-5O
(18) Vgl Antonius, a. a. O., pp. 246 und 262, sowie Cohn, a.a.O., p.
44
(19) Vgl Cohn, a.a.O., pp. 61-62. sowie Lenczoski, a.a.O., "p. 44
(20) Vgl Lenczoski, ebenda
(21) Vgl Antonius, a.a.O., p. 177-18o
(22) Vgl Antonius, a.a.O., p. 246
(23) Vgl Antonius, ebenda
(24) Vgl G. Antonius, a.a.O., pp. 248-249
(25) Vgl G. Antonius, a.a.O., p. 249
(26) Vgl Ducruet, a.a.O.. p. 227
(27) Vgl Antonius, a.a.O., p. 246
(28) Vgl Antonius, a.a.O., p. 245
(29) Vgl Christopher Sykes, Cross Roads to Israel, (London, 1965),
Part One.
Palästina-Komitee
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