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Notwendige Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte

Rote Pressekorrespondenz Nr. 38 vom 7.11.1969 S. 11f und Nr. 39 vom 14.11.1969, S.9f

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DER IMPERIALISMUS UND DER NAHOST-KONFLIKT

Als historische Grundlage und Vorbereitung einer Analyse der Ursachen und Ziele der im Libanon ausgebrochenen Kämpfe , die in der nächsten Ausgabe der RPK veröffentlicht werden soll, drucken wir das Referat des Palästina-Komitees ab, das anläßlich des 52. Jahrestags der Balfour-Deklaration angefertigt wurde.

2. NOVEMBER 1969 - 52 JAHRE BALFOUR-DEKLARATION
ANALYSE DER BALFOURDEKLARATION IM KONTEXT IMPERIALISTISCHER INTERESSEN

In dem Flugblatt, das das Palästina-Komitee in den letzten Tagen verteilt hat, werden die hinter der Balfourdeklaration stehenden wesentlichen Motive dahingehend gesehen, daß Großbritannien (GB) die nützliche Funktion eines zionistischen Staates in Palästina sowohl in dem dadurch geschaffenen Bollwerk gegen die britische Interessen gefährdende arabische nationalistische Befreiungsbewegung als auch gegen das britische Interessen in Ägypten und am Suezkanal gefährdende französische Vordringen.

Dieses Referat und die heutige Sitzung sollen diese hinter der Balfourdeklaration stehenden britischen Interessen in einen größeren Zusammenhang stellen, nämlich in den Zusammenhang, wie sich imperialistische Interessen nicht nur GBs, sondern auch Frankreichs und Deutschlands im arabischen Raum des osmanischen Reiches in der damaligen Zeit manifestiert und durchgesetzt haben. Diese imperialistischen Interessen waren vorrangig Interessen am Kapitalexport sowie an der Sicherung von Rohstoffquellen und Handelswegen. Während des ersten Weltkrieges fanden diese Interessen ihren vertragsmäßigen Niederschlag in den geheimen Teilungsabkommen, durch die die imperialistischen Mächte das osmanische Reich unter sich aufteilten. Innerhalb all dieser Interessen ist die Balfourdeklaration nur ein kleiner Baustein. Um diesen Baustein einordnen zu können, gilt es, das gesamte Gebäude zu betrachten. Zu Beginn soll kurz darauf eingegangen werden, wie es auf einer bestimmten Stufe für den Kapitalismus notwendig wird, Kapital zu exportieren. Es scheint uns, daß nur so die Interessen der imperialistischen Mächte im osmanischen Reich, wie sie in dem konkretisierenden Teil dargelegt werden, richtig einzuordnen sind.

Mit fortschreitender kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung und der in ihr liegenden Kapitalakkumulation erreicht die organische Zusammensetzung des Kapitals ein Stadium, in dem die Prc fitrate des Kapitalisten tendenziell fällt (vgl. insbesondere K. Marx, Das Kapital, Bd. III, Teil I). Die unter den Kapitalisten auf diesem Stadium geführten Absprachen führen zur Einschränkung der Investitionen und damit zu einem Kapitalüberschuß (1), für den die Kapitalisten rentablere Investitionsfelder suchen als ihnen ihre eigenen Länder zu bieten vermögen. "Der Kapitalismus (ist nämlich)", so sagt Lenin in seiner Schrift Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus x "überreich geworden". (2)  Zwecks Steigerung der Profite exportieren die Kapitalisten auf dieser Stufe des Kapitalismus ihren Kapitalüberschuß in rückständige Länder, wo die organische Zusammensetzung des Kapitals noch äußerst gering und die Arbeitskräfte noch billig sind (3). Nach Mandel setzt dieser Kapitalexport etwa im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein, ursächlich und zeitlich zusammenfallend mit dem Übergang vom Konkurrenzkapitalismus zum Monopolkapitalismus (4). Der Kapitalexport bringt aufgrund der dahinter stehenden essentiellen Interessen der Kapitalisten einen verschärften Kampf um die territoriale Aufteilung der Welt zwecks ökonomischer Betätigung mit sich (5). Bei dieser territorialen Aufteilung der Welt geht es in erster Linie um die Sicherung der unerläßlichen Rohstoffquellen und zwar mit de . Ziel, zwecks Ausschaltung jeglicher Konkurrenz möglichst alle Rohstoffquellen fest in einer Hand zu haben. Hierbei sind nicht nur die bereits entdeckten Rohstoffquellen, sondern auch die durch das Einsetzen der Technik noch zu erschließenden Rohstoffquelle  von Bedeutung. Deshalb ist die Erweiterung des Wirtschaftsgebietes, ja des Gebietes schlechthin.für den Monopolkapitalismus von großem Interesse. (6)

Imperialismus, somit definiert als Politik wirtschaftlicher Expansion des Monopolkapitalismus, manifestiert sich nicht nur in den kolonialen Ländern, sondern auch in den halbkolonialen, d. h. formal politisch unabhängigen Ländern, die aber durch miteinander rivalisierende imperialistische Mächte in ökonomische Einflußzonen aufgeteilt waren, wie z. B. Liberia, Abessinien, Afghanistan, Persien, China und die Türkei z. Z, des osmanischen Reiches.

Die Ausdehnung des Kapitalismus auf die rückständigen Teile der Welt liegt in der Grundtendenz der kapitalistischen Produktionsweise, da nämlich die ständige Ausweitung ihrer Basis unabdingbare Voraussetzung für die Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwertes ist (7). Die Einbeziehung der Wirtschaften der rückständigen Länder in den internationalen Kapitalismus hat zur Folge, daß die traditionellen Wirtschaftsformen dieser Länder aufgelöst und zerstört werden und daß die eingeführte kapitalistische Produktionsweise in diesen kolonialen und halbkolonialen Ländern nicht die Funktion hat, die eigene wirtschaftliche und industrielle Entwicklung voranzutreiben, sondern die, durch Rohstoffproduktion die Wirtschaft der entwickelten kapitalistischen Länder zu ergänzen. Nur zwecks dieser Funktion wird die Wirtschaft der kolonialen Länder und halbkolonialen Länder ausgebaut (8). Die Folgen für die Menschen dieser Länder sehen wir heute in der Dritten Welt.

Im arabischen Teil des osmanischen Reiches stießen zu Ende des 19. Jahrhunderts und mit Beginn des 2O. Jahrhunderts GB, Frankreich und Deutschland in ihren imperialistischen Interessen zusammen. Hierbei lag das vorrangige Interesse Deutschlands und Frankreichs im Kapitalexport (8 % und 15 % ihres Kapitalexportes in fremde Länder. In absoluten Zahlen: 1,5 Milliarden Goldfrank und 6, 6 Milliarden Goldfrank), während das Interesse GBs am arabischen Raum in der Sicherung seines Handelsweges vom Mittelmeer nach Indien lag, der gerade durch das ökonomische Vordringen Frankreichs und Deutschlands gefährdet wurde. Der Kapitalexport GBs in dieses Gebiet lag bei nur l, 8 % (= 2 Milliarden Goldfrank) seines gesamten Kapitalexportes (fast die Hälfte des britischen Kapitalexportes ging in das britische Empire, je 2O % in die USA und nach Lateinamerika)(9,1O).

Die Verschuldung des osmanischen Reiches an die imperialistischen Mächte kurz vor Ausbruch des Krieges verteilte sich zu etwa 6O °]o auf Frankreich, 25 % auf Deutschland, 14 % auf GB, Holland und Belgien (11).

Auch im osmanischen Bereich betrieben die imperialistischen Mächte den Kapitalexport auf doppelte Art und Weise: erstens in der Form von Investitionsdarlehen an die Regierungen von Istambul und zweitens in der Form der Gründung von Tochtergesellschaften im arabischen Raum, d. h. in Kapitalanlagen in Industriebetrieben. Kapitalexport in Form von Krediten war zugleich an die Bedingung geknüpft, daß die türkische Regierung einen Teil des Kredits für den Kauf von Gütern in dem Gläubigerland verwendete. Hierbei handelte es sich meistens um den Kauf von Waffen und Schiffen. So wurde der Kapitalexport der imperialistischen Mächte zum Mittel, den Warenexport zu fördern, d.h. die Konjunktur und Wirtschaft der imperialistischen M^cht selbst anzukurbeln. Bei Deutschland z. B. war es bei dieser Form des Kapitalexportes ganz deutlich, daß die Regierung bei der Vergabe von Krediten weniger an dem Zinssatz als an dem steigenden Export deutscher Waren interessiert war (12). Bei den mit der Vergabe von Krediten gekoppelten Waffenkäufen kam es sogar zeitweilig zu Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und der türkischen Regierung, da der weitreichende Kauf deutscher Waffen durch die türkische Regierung die Interessen der französischen Waffenindustrie gefährdete (13). Durch die andere Form des Kapitalexports hatten die imperialistischen Mächte ähnliche Vorteile: bei der Gründung von Industrieanlagen im arabischen Raum wurden die notwendigen Investitionsgüter und bestimmte Konsumgüter aus dem Mutterland selbst bezogen. Darüber hinaus konnte die jeweilige Macht an Ort und Stelle die billigen Rohstoffquellen und Arbeitskräfte ausbeuten (14). - Ein wichtiges Interesse der imperialistischen Mächte bestand darin, durch den Bau von Eisenbahnlinien Verbindungswege für ihre schon bestehenden oder geplanten Industrieanlagen herzustellen. Die gleiche Bedeutung hatte der Ausbau von Häfen. Der Bau einer Eisenbahn konnte auch die Funktion haben, den Handel einer anderen Macht in dem Gebiet kontrollieren und gegebenenfalls boykottieren zu können. Beide Momente haben sicherlich bei dem deutschen Interesse an dem Bau der Bagdadbahn eine Rolle gespielt, auf die später noch .zurückzukommen sein wird. Bei den für den Bau einer Eisenbahnlinie und Häfen notwendigen Konzessionsverhandlungen mit der türkischen Regierung sicherte sich die jeweilige Macht nicht nur die finanziellen Operationen, und damit das spätere Kontrollrecht, sondern auch die notwendigen Materiallieferungen aus ihren eigenen Wirtschaften.

Bei dem Bau von Eisenbahnlinien, bei dem insbesondere Deutschland zur Ausweitung seines wirtschaftlichen Einflußgebietes seit Ende des 19. Jahrhunderts aktiv war, stieß diese in den arabischen Raum eindringende Macht mit den beiden imperialistischen Mächten Frankreich und GB, die durch ihre ökonomischen Aktivitäten sich diesen Raum bereits zu Einflußzonen gemacht hatten, zusammen. Seit dem Bau des Suezkanals hatten durch diese neue  Verbindung nach Indien die Dardanellenstraße und Konstantinopel für GB ihre traditionelle Bedeutung verloren und es lag nun nicht mehr im vorrangigen Interesse von GB, diesen Teil des türkischen Reiches vor dem russischen Vordringen zu verteidigen. (Im Abkommen von Konstantinopel 1915 überläßt GB die Meerengen und Nordanatolien dem russischen Zarenreich.) Es kam jetzt den Briten darauf an, den Ländergürtel zwischen Ägypten und Indien, nämlich Mesopotamien mit dem Euphrat- und Tigrisgebiet und insbesondere den persischen Golf in ihren Einflußbereich einzubeziehen und auf keinen Fall unter die Kontrolle einer anderen Macht fallen zu lassen. In diesem Zusammenhang erhielt PALÄSTINA als wichtiges Durchgangsgebiet auf dem Weg vom Mittelmeer nach Indien seine entscheidende Bedeutung. GB plante eine Eisenbahn von Akko zum persischen Golf zu legen. Auch sei hier schon auf die navale Bedeutung des Hafens von Akko durch seine Lage in einer natürlichen Bucht hingewiesen (14). - Zu Beginn dieses Jahrhunderts hatte Deutschland von der türkischen Regierung die Konzession zum Bau der Bagdadbahn erhalten, die Hamburg, Berlin und Wien über Istambul mit Bagdad und dem persischen Golf verbinden sollte. Dieser Bau implizierte ebenso Pläne für die Exploitation von Rohmaterialien, wie Baumwolle und Öl in Nordmesopotamien. Durch dieses Vordringen wirtschaftlichen Einflusses und besonders durch das Projekt, die Bagdadbahn bis zum persischen Golf, dem wichtigenstrategischen Punkt für den britischen Handelsweg nach Indien, zu legen, sah GB seine Interessen so gefährdet (15), daß es wegen dieser Konzession zu starken Auseinandersetzungen und diplomatischen Vorsprachen mit der türkischen Regierung kam, auf die hier nicht näher eingegangen zu werden braucht.

Die deutschen Interessen an Kapitalinvestitionen in Syrien und Bemühungen, den Damaskus-Haifa Abschnitt der Hedjaz-Bahn unter ihre Kontrolle zu bekommen und die voraussehbare Forderung Deutschlands für eine Konzession für den Hafen von Haifa bedeuteten für Frankreich eine Gefährdung seiner Interessen in Syrien und Palastina (16). Erstens hatte Frankreich durch seine jahrzehntelangen großen Kapitalinvestitionen in Syrien dort materielle Interessen zu verteidigen und konnte eine deutsche Konkurrenz nicht hinnehmen, und zweitens hatte ein französisches Konsortium zur gleichen Zeit wertvolle Pläne für den Bau von Eisenbahnlinien und Häfen in Syrien und Palästina und bemühte sich um Konzessionen bei der türkischen Regierung (17). Durch diesen Ausbau französischer Interessen in Palästina sah GB wiederum seinen Handelsweg vom Mittelmeer nach Indien gefährdet Hier sei noch einmal auf die strategische Bedeutung Palästinas für GB und auf das Interesse GBs an dem natürlichen Hafen von Akko, der direkt neben Haifa liegt, und auf den geplanten Bau der Eisenbahnlinie von Akko zum persischen Golf erinnert Die Erfahrungen des ersten Weltkrieges zeigten GB, daß es aus noch einem weiteren Grund den Franzosen Palästina als Einflußgebiet nicht überlassen konnte: lange Zeit hatte G B geglaubt, daß der Suez-Kanal durch die Sinai-Wüste hinreichend vor einer Bedrohung geschützt sei. 1915 hatte eine gut ausgerüstete türkische Armeeeinheit die Wüste durchquert und war bis zur Nähe des Suezkanals gelangt. 1916 hatte Sir Archibald Murray ebenfalls den Sinai durchquert und während des Vormarsches eine Eisenbahn linie und Pipeline gelegt Der Suezkanal war von diesem Zeitpunkt an leicht zu bedrohen und die Macht, vor deren Bedrohung sich GB in seinen Interessen am meisten schützen mußte, war zweifellos Frankreich (18). S o erhielt Palästina innerhalb der britischen imperialistischen Interessen eine zweite Bedeutung: es mußte unter britischer Kontrolle bleiben, um den Suezkanal vor dem Vordringen des französischen Einflusses abzuschirmen. In diesem gesamten Kontext wird es deutlich, daß die Balfour-Deklaration ihren wesentlichen Ursprung in der britisch-französischen Rivalität in Palästina hat Darüber hinaus Ist sie als Mittel und Ausdruck britischer imperialistischer Interessenpolitik im Zusammenhang zu sehen mit den beiden wichtigen geheimen Teilungsabkommen, die 1916 unter deutlich britischem Drängen geschlossen wurden, nämlich das britische Abkommen mit dem Sherif von Mekka und das Sykes-Picot-Abkommen. Die beiden Abkommen schließen sich einander vollkommen aus und stehen in Bezug zu Palästina mit der Balfourdeklaration ebenfalls in Widerspruch.

Die GEHEIMABKOMMEN: Abkommen mit dem Sherif Husseini von Mekka und zwischen Sykes und Picot (beide Frühjahr 1916)

GB entschied schon im frühen Kriegsstadium, sich den arabischen Nationalismus zunutze zu machen. Das Versprechen eines unabhängigen Staates an die Araber erfolgte aus dem taktischen Interesse, sich die arabische militärische Unterstützung gegen die Türken zu sichern und dadurch die bedrängte Situation auf der Sinai-Halbinsel zu erleichtern (19). Das langfristige Ziel GBs war es, daß der neue arabische Staat als Ersatz für das osmanische Reich die traditionelle Rolle einer friedliebenden Moslemmacht übernehmen und dadurch als Bollwerk für die Verteidigung des britischen Weges nach Indien fungieren sollte (20). Die Verhandlungen GBs mit dem Sherif Husseini von Mekka führten zu der Verpflichtung GBs, einen arabischen Staat oder eine arabische Staatenföderation anzuerkennen, der sich auf das Gebiet etwa der heutigen Staaten Iraks, Jordaniens und dem größten Teil Syriens (außer den Gebieten westlich der Linie von Damaskus-Aleppo) erstrecken sollte. Die Araber hatten das Gebiet von Palästina ebenfalls in das versprochene Gebiet miteinbezogen, da es von GB nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden war. Über diese Frage entwickelte sich nach dem ersten Weltkrieg eine heftige Kontroverse zwischen GB und den arabischen Führern, in der GB den Standpunkt vertrat, daß sie Palästina als nicht innerhalb des Versprechens befindlich betrachtet habe. (Die Einzelheiten dieser Kontroverse sind in diesem unmittelbaren Zusammenhang nicht von Bedeutung.) (21) Wichtig ist jedoch, das Sykes-Picot Abkommen zu betrachten, das das britische Versprechen an die Araber wieder vollkommen ins Gegenteil verwandelte. Das Sykes-Picot Abkommen beinhaltete eine völlige Aufteilung des osmanischen Reiches in 3 Interessensphären. Ostanatolien und die Meeresstraße wurden dem russischen Zarenreich zugesprochen. Syrien, Südanatolien und Teile des Irak sollte Frankreichs Einflußgebiet sein und das Gebiet, das sich zwischen Südsyrien bis zum Irak und vom persischen Golf bis Aquaba und Gaza erstreckt, sollte der britischen Sphäre zufallen. Außerdem sollten in Palästina die Häfen Akko und Haifa ebenfalls unter britischer Kontrolle stehen (22). Im Gegensatz zu dem Versprechen, einen unabhängigen arabischen Staat zu garantieren, sollten Syrien und Irak praktisch unter europäischer Mandatsherrschaft gestellt werden. Das französische und britische Gebiet sollte in jeweils 2 Teile geteilt werden mit unterschiedlicher Verwaltungs- und Regierungsform. Frankreichs Einflußgebiet war durch die Zone "A" und durch die ."blaue Zone" eingeteilt, das Gebiet GBs durch die Zone "B" und die "rote Zone". In der blauen und roten Zone sollten Frankreich und GB eigene Verwaltungen einrichten und auch sonst völlige Handlungsfreiheit genießen. In der Zone "A" und "B" sollte eine Verwaltung unter arabischer Souveränität errichtet und von der jeweiligen Macht, die mit besonderen wirtschaftlichen Vorrechten ausgestattet war, garantiert werden (23) (Beiliegende Karte zum Verständnis erforderlich. Karte aus: George Antonius, The Arab Awakening, pp. 248-249) Die imperialistischen Interessen, die hinter diesem Abkommen standen, zeigen sich deutlich, wenn die verschiedenen Zonen näher analysiert werden: Syrien und der Irak zusammengenommen bildeten ein Rechteck mit Landgrenzen im Norden, Süden und Osten, während der Westen einen Ausgang zum Meer bot Die in diesem gesamten Gebiet lebenden Menschen bildeten arabisch sprechende Gemeinschaften, die unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungsstadien erreicht hatten. Diejenigen, die in den östlichen und westlichen Gebieten lebten (d. h. im Küstenstreifen und im unteren Euphrat- und Tigrisbecken), waren intellektuell und in ihrem politischen Bewußtsein entwickelter «ft die, die hauptsächlich als Nomaden in den inneren Regionen wohnten. Trotz dieser sozialen und intellektuellen Unterschiede war die Bevölkerung in dem gesamten Gebiet weitgehend homogen. Das Sykes-Picot Abkommen teilte .dieses arabische Rechteck in eine so spezifische Art und Weise auf, daß die Einheitlichkeit zerstört wurde. Darüber hinaus stellte es - und das sicherlich ganz bewußt - die politisch reifere Bevölkerung Syriens und des Iraks unter direkte auslndische Verwaltung, während die Inlandregionen unabhängige arabische Staaten bilden sollten. Die "Rote Zone" z, B. j 'die Bagdad und Basra einschloß, - diese beiden Zentren politischer Aktivitäten - sollte unter völlige Mandatsherrschaft gestellt werden und nicht einmal die kleinste Form der Selbstverwaltung genießen. Die Zone "B" dagegen, die zum größten Teil aus Steppengebiet bestand mit einer Bevölkerung ohne jegliche politische Erfahrungen, sollte einen unabhängigen Status erhalten (24). "Es war", so schreibt G. Antonios, der Verfasser des grundlegenden Werkes Ober das Aufkommen und die Geschichte der arabischen nationalen Bewegung ("The Arab Awakenlng"), "all stecke man die Erwachsenen In die Schule und schicke die Schüler der ersten Klasse in die Welt hinaus". (25) Der von dem in dem Abkommen zwischen McMahon und Hussein I. von Mekka versprochene unabhängige arabische Staat war auf ein Wüstengebiet mit einer politisch völlig unerfahrenen Bevölkerung, des fruchtbaren Euphrat und Tigrisbeckens, seiner wichtigsten Rohstoffe beraubt, ohne Zugang zum Meer, reduziert worden (26). Für das Palästina-Gebiet war in dem Sykes-Picot Abkommen eine internationale Regelung vorgesehen. Hierbei muß man im Hintergrund den bei den Verhandlungen seitens Frankreichs deutlich zum Ausdruck gebrachten Anspruch auf das Palästinagebiet und das ebenso deutliche Widersetzen der britischen Seite, aus all den bereits aufgeführten Gründen, Palästina auf keinen Fall in französisches Einflußgebiet fallen zu lassen, sehen (27). Der Kompromiß bezüglich der internationalen Regelung des Status von Palästina gründete sich auf den "Schutz der Heiligen Stätten" (28) und war zweifellos zunächst ein Erfolg für die britische Seite. Ein Jahr später bereits sollte GB sich durch die Balfour-Deklaration ein Instrument sichern, um nach dem Krieg seinen Anspruch auf das Palästinagebiet gegenüber Frankreich legitimieren zu können. Hierbei kamen den britischen Interessen die zionistischen Bestrebungen zunutzet die zionitische Bewegung, die sich 1897 in Basel konstituierte, hatte als ersten Programm* punkt die Schaffung einer völkerrechtlich anerkannten Helmstätte für die Juden aufgestellt« Diese völkerrechtliche Anerkennung sollte die Grundlage schaffen für die Erlangung eines Territoriums, auf dem die Juden einen eigenen Staat aufbauen könnten. Auf dem zionistischen Kongreß von 1904 beschlossen die Zionisten, ihre Anstrengungen von nun an nur noch auf Palästina zu richten. Bis zu diesem Kongreß war die territoriale Frage nicht endgültig geklärt. Es gab einen starken Flügel sog. "Territorialisten", denen es gleichgültig war, wo der jüdische Staat liegen sollte. Bis zum 1. Weltkrieg versuchten die Zionisten, diese völkerrechtliche Anerkennung bei dem Sultan des osmanischen Reiches und bei dem deutschen Kaiser zu erlangen. Erst mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges verlegten die Zionisten ihre Bemühungen auf GB, da sie erkannt hatten, daß nach Beendigung des Krieges die arabischen Provinzen des «manischen Reiches zu einem großen Teil britisches Einflußgebiet werden würden. Da, wie bereits dargelegt, die Briten Palästina unbedingt zu ihrem Einflußgebiet machen wollten und da Frankreich genau dieselben Interessen hegte, erkannten die Briten in den Bestrebungen der Zionisten eine günstige Gelegenheit, sich dieser Bestrebungen für Ihre eigenen Interessen zu bedienen. - Nach über zwei Jahren Verhandlungen zwischen Zionisten und dem britischen Colonlal Office und Außenministerium erlangten die Zionisten am 2. November 1917 die gewünschte Unterstützung GBs für die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina nach Beendigung des Krieges. Dieses Versprechen ermöglichte es den Briten, ihren Anspruch auf Palästina den Franzosen gegenüber in den Nachkriegsjahren endgültig durchzusetzen. Im Jahre 1922 wurden auf der Konferenz von San Remo die Einflußsphären Frankreichs und GBs endgültig festgelegt. Syrien und Libanon wurden französisches Mandatsgebiet, ganz Palästina einschließlich Trans Jordanien und dem Irak britisches Mandatsgebiet. Die Beschlüsse von San Remo wurden in den Bestimmungen des Völkerbundes aufgenommen und erhielten somit eine völkerrechtliche Grundlage. Zu bemerken ist nur noch, daß die Balfour-Deklaration In diese Bestimmungen mit aufgenommen wurde. Dies bedeutete den ersten großen Internationalen Anerkennungssieg der zionistischen Bestrebungen und, wie sich vor allem während des ersten Weltkrieges herausstellen sollte, ein nicht geringer Erfolg für den britischen Imperialismus. Für die nächsten 3 Jahrzehnte (bis 1948) sollten die Beschlüsse die juristische Grundlage bieten für die Entwicklung In Palästina (29).

ZUSAMMENFASSENDE THESEN:

1. Mit dem Untergang des osmanischen Reiches wurden die arabischen Provinzen von den imperialistischen Mächten aufgrund ihrer ökonomischen Interessen in diesem Raum durch einfaches Kouponschneiden willkürlich in irgendwelche ökonomische, politische, ethnische und geographische Gebilde umgewandelt. Die bis dahin weitgehend bestehende ökonomische und politische Einheit wurde zerschlagen.

2. Die heutigen Grenzen der Staaten im Nahen Osten sind noch immer das Ergebnis der damaligen Imperialistischen Interessenpolitik. Bis heute verhindern die weiterhin bestehenden Imperialistischen Interessen die Aufhebung dieser willkürlich geschaffenen Grenzen und damit die ökonomische und politische Einigung der arabischen Welt im Nahen Osten. Daher Ist eine Einigung der arabischen Welt nur möglich, durch einen konsequenten anti-imperialistischen Kampf mit der Zielsetzung, einen sozialistischen Nahen Osten aufzubauen.

3. Der zionistische Staat Israel ist nur entstanden dank der Unterstützung und der Interessen des britischen Imperialismus. Dieser Staat hat sich seit 1948 in seiner Verbindung mit dem Imperialismus als das stärkste Bollwerk gegen die Einheitsbestrebungen in der arabischen Welt erwiesen. Wenn auch der israelische Staat eine eigene Politik mit eigenen Interessen verfolgt, so ist er,' objektiv gesehen, von Anfang an bis heute ein Handlanger des Imperialismus im arabischen Raum. Nur wenn die jüdischen Massen in Israel den Zusammenhang von Imperialismus und Zionismus erkennen werden, wird sich ihnen eine historische Alternative aufzeigen: nämlich mit den arabischen Massen gemeinsam den anti-imperialistischen Kampf aufzunehmen und einen sozialistischen Nahen Osten mit Selbstbestimmungsrecht für alle nationalen Minderheiten aufzubauen.

BIBLIOGRAPHIE

1. George Antonius, THE ARAB AWAKENING (New York, 1965)
2. Josef Cohn, ENGLAND UND PALÄSTINA (Berlin. 1931)
3. Jean Ducruet, LES CAPITAUX EUROPEENS AU PROCHE ORIENT (Paris, 1964)
4. Lukasz Hirszowicz, THE THIRD REICH AND THE ARAB EAST (1966)
5. Lenczoski, THE MIDDLE EAST IN WORLD AFFAIRS (1956)
6. Lenin, IMPERIALISMUS ALS HÖCHSTES STADIUM DES KAPITALISMUS, Ausgewählte Werke, Bd. I, (Berlin, 1965)
7. Ernest Mandel, MARXISTISCHE WIRTSCHAFTSLEHRE (Frankfurt, 1968)
8. Stein. THE BALFOUR DECLARATION (London, I9öi)
9. Nathan Weinstock, LE SIONSME CONTRE ISRAEL (Paris, 1969)
10. Christopher Syke«, CROSS ROADS TO ISRAEL (London, 1965)

ANMERKUNGEN

(1) Vgl E. Mandel, Marxistische Wirtschaftslehre (Frankfurt, 1968, p. 460)
(2) Lening. Ausgewählte Werke, Bd. I, (Berlin, 1965) p. 816
(3) Vgl Lenin, a.a.O., p. 816, Mandel, a.a.O., p. 460
(4) Vgl Mandel, a.a.O., p. 460, 461
(5) Vgl Lenin, a.a.O., p. 829
(6) Vgl Lenin, a.a.O., p. 834
(7) Vgl Mandel, a.a.O., p. 464
(8) Vgl Mandel, a.a.O., pp. 474-475
(9) Zum Vergleich der Zahlen Vgl Jean Cucruet, les capitaux europeens au Proche Orient (Paris, 1964) pp. 6—7
(10) Von den 1,8 % des britischen Kapitalexportes gingen allein l, 2 % nach Ägypten, wo GB seit den 7oger Jahren des 19. Jahrhundert verstärkt wirtschaftlich eingedrungen ist. (1/4 des bebau-baren Bodens waren britische Baumwollplantagen ' Lenin, a. a. O., p. 834) Ab 1882 in Ägypten eine Revolte ausbrach gegen ausländischen Einfluß, sah GB seine Interessen so gefährdet, daß es zur militärischen Intervention griff und Ägypten besetzte. Vgl Lenczoski, The Middle East in World Affairs, (1956) p. 22
(11) Vgl Ducruet, a.a.O., p. 113
(12) Vgl Ducruet, «.«.O., p. 115
(13) Vgl a.a.O., p. HO
(14) Vgl Lenin, «.».O., p. 818, Mandel, a.a.O., pp. 462-403
(14 a) Vgl Josef Cohn, England und Palästina (Berlin, 1931) pp. 41-44, sowie George Antonius, The Arab Awakening (New York. 1965) p. 246 und Stein, a.a.O., p. 54
(15) Vgl L. Hirszowicz, The Third Reich and the Middle East (1966), p. 3 sowie Cohn, a.a.O., p. 43 und Ducruet, a.a.O., pp. 211—212
(16) Vgl Stein, a.a.O., pp. 49-5O
(17) Vgl Stein, a.a.O., pp. 49-5O
(18) Vgl Antonius, a. a. O., pp. 246 und 262, sowie Cohn, a.a.O., p. 44
(19) Vgl Cohn, a.a.O., pp. 61-62. sowie Lenczoski, a.a.O., "p. 44
(20) Vgl Lenczoski, ebenda
(21) Vgl Antonius, a.a.O., p. 177-18o
(22) Vgl Antonius, a.a.O., p. 246
(23) Vgl Antonius, ebenda
(24) Vgl G. Antonius, a.a.O., pp. 248-249
(25) Vgl G. Antonius, a.a.O., p. 249
(26) Vgl Ducruet, a.a.O.. p. 227
(27) Vgl Antonius, a.a.O., p. 246
(28) Vgl Antonius, a.a.O., p. 245
(29) Vgl Christopher Sykes, Cross Roads to Israel, (London, 1965), Part One.

Palästina-Komitee