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High sein, frei sein, Terror muss dabei sein!!

Notwendige Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte

Sander, Hartmut, Christian Ulrich
Subkultur Berlin - Selbstdarstellung,
Text-, Ton-, Bildkommentare. Esoterik der Kommunen, Rocker, subversive Gruppen, Darmstadt 1969. S. 180f
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Die Epigoräer
Wielandkommune, Terrorgruppe Wielandstraße

Ob sie einen Beitrag machen wollten fürs Buch, hab ich zuerst den Schlotterer gefragt. Das war vor ein paar Tagen in einer Gemeinschaftszelle in der Friesenstraße nach der Zündelaktion im FU-Kuratorium und den Steinwürfen auf die Persische Vertretung in der Bleibtreustraße. Ich hatte von den Sachen keine Ahnung und rutschte nur „zufällig" da hinein, weil ich einen Polizisten „Idiot" genannt hatte, als er mir keine Antwort geben konnte, warum er hinter ein paar Leuten her war; das hatte ich vom Balkonfenster beobachtet. Wir mußten es uns 3—4 Stunden bequem machen. Decken bekamen wir auch.

Ich fragte den Schlotterer, ob sie — die Wielandleute — Lust hätten, an dem Buch mitzumachen; sie könnten in ihrem „Beitrag" machen, was sie wollten.

Er meinte, daß er da nur „Gast" sei, nicht so richtig zugehöre. Als ich raus kam gegen 2 Uhr morgens, traf ich die Wielandleute draußen, die Schlotterer was zu essen brachten, was vom Wienerwald. Wir fuhren ins Psychodelic. Dort warf Georg einen Knaller. Dann gingen wir wieder hinaus. Dann gingen wir in die Meisengeige, die Molly jetzt verpachtet hat. Dort haben wir jeder ein halbes Bier getrunken.

Ingrid hat mich gefragt, ob wir immer noch so Haschsachen machen. Wir rauchen noch, meinte ich. (Die Wielandleute hatten 3 Hascher rausgeschmissen. Darüber waren sie mit uns zusammengekracht, eine abgebrochene Diskussion in Unfrieden; den Siepmann hatten sie rausgeschmissen, er würde aus dem Koksen „eine Ideologie machen", außerdem hätten sie ihnen alles weggefressen und das Fressen sogar versteckt).

Ich habe ihnen von dem Buchprojekt erzählt und sie waren einverstanden. Nicht zuletzt wegen der Kohlen. Wir waren schon alle draußen, nur den Günter Langer haben sie erwischt, und der hat denen auch noch für uns alle mitbezahlt. Meinen Anteil habe ich ihm deswegen nicht gegeben, weil er halt so blöd war, statt zu sagen, er hätte nichts mit uns zu tun.

Zwei Tage später hörte ich, als Ulrich und ich in der Wielandstraße waren, daß sie zusammen mit Gebbert einen Bildroman machen wollten. Diese Idee hatten die Potser damals schon. Dann haben wir dem Georg noch erklärt, wie er das Farbwerk der RKL einstellt, die wir ihnen geliehen haben.
Gestern war ich wieder bei Wielands. Da wollten sie nicht mehr. Wir kamen, um ein paar Fotos zu machen.

Schlotterer meinte, sie hätten sich inzwischen was ausgedacht, wie man den Schröder reinlegen könnte. Sie würden halt das Geld nehmen und nichts abliefern.

Ich sagte, daß ich das Geld schon habe (500,— DM Vorschuß) und der Rest bei Manuskriptablieferung erst fällig wird. Da müßte er mich schon reinlegen. Das wollte er nicht.

Das Gespräch fand im Flur statt. Ich schlug vor, es doch weniger geschäftsmäßig im Berliner Zimmer zu besprechen. Im Berliner Zimmer kamen noch Baumi, der Reifenstecher (BZ Faksimile) und Georg und die dicke Ingrid (früher KI) dazu. Heike mit der Kamera und Barbara meine Frau.

Schlotterers Tochter (3 J.) spielt mit einem Traktor mit Schwungrad. Sie läßt ihn übers Sofa sausen. Schlotterer läßt den Traktor zu mir sausen. Auch über das Parkett.

Schlotterer meint, es sei halt Scheiße, in einem kapitalistischen Verlag zu veröffentlichen, weil der Verleger sein Geschäftchen macht und der politische Effekt flöten geht. Georg hakt da ein, daß durch den ganzen Vermittlungsapparat Vertrieb, Aufmachung etc. so ein Buch per se zur Ware wird und damit eben entschärft, irrelevant. (Darüber steht auch was von Göschel irgendwo in diesem Buch). Mein naiver Einwand (mit Hasch und so wollte ich nicht kommen), daß der Text, Aufmachung durch uns bestimmt würde, sticht nicht. Schlotterer: „Höchstens den Schröder umlegen".

Meine Argumentation weiter: Kann es nicht auch am „Stoff" liegen, daß etwas zur „Ware" wird? Ist es nicht so, daß bislang unsere politische Praxis ..abstrakt" war und „Aufklärung" mit abstrakten Geschichten notwendig abstrakt verstanden wird, nämlich konsequenzlos, man weiß Bescheid? Es gibt einen „linken" Literaturmarkt: die Praxis der Linken vielleicht auch nicht so „widersprüchlich", so revolutionär dann? Wenn man das, was wir immer so abstrakt rauswürgen, mit konfrontieren, was konkret so bei uns zu sehen ist, wies „bei uns aussieht", nämlich akkurat das gleiche wie in der 8 Zimmerwohnung eine Etage höher, dann wäre solch ein Buch nicht mehr „idealistische Aufklärung", sondern hätts eine konkrete Funktion: Die Tabuisierung unserer „Privatsphäre" aufzuheben. Das natürlich nicht übers Buch. Aber ich könnte mir vorstellen, daß sich einige Leute die Hände reiben würden und sagen: „Das haben wir ja immer gesagt". Und wenn wir ihnen erklären wollen, was denn bei „uns" so besser ist, nur abstraktes, langweiliges, ödes Zeug quatschen. Wir hätten uns in der Knesebeckstraße 8 Stunden mit einem Polizisten unterhalten (Wachtmeister Böhm, der bei Grabbe zur Abendschule geht und sehr gewieft und belesen ist) „inhaltlich". Wer sich 8 Stunden mit einem Polizisten unterhalten kann, ist selber einer. Schlotterer blättert im „Abend". Eine Nachricht über einen noch glimpflich verlaufenen Unfall mit einem Funkwagen. „Sehr dufte, schon wieder ein Bulle krepiert."

Georg zieht sich ein Unterhemd über seinen Pullover, dann Jörg und dann ich. Bei mir geht es schlechter, weil ich einen Mantel anhabe. Schlotterers Tochter (mir fällt nicht der Name ein) stört unser Gespräch oder Schlotterer, oder unser Gespräch, Gespräch.

Ich zieh sie mit der Kiste, in der sie sitzt aus dem Zimmer. Das macht noch mehr Spaß. Deshalb setze ich mich in die Kiste. Günter kippt sie ein bißchen an. Ich steige wieder raus und Schlotterer läßt den Traktor wieder übers Sofa und den Fries der Holzwandverkleidung sausen.

Er fänds schon gut, den SDS „Autoritäten" eins auszuwischen, Papiermützen aufzusetzen, Gang, Semler, Rabehl; aber das seien auch dufte Genossen und es wäre falsch, sie in so einem Buch zu „denunzieren", weil ihnen das nicht hilft, sie seien ja auch arm dran. Ich meine, daß das natürlich nicht alles sein kann, daß wir mit ihnen reden müßten. Ich führe als Beispiel meine Schwester an. Aber die vom „System" geliehene „Prominenz" kann man auch nur da kaputt machen.

Ich käme mir wie ein Verlags-Vertreter vor, sage ich. Ich ihm auch, sagt Jörg und lenkt dann aber wieder ein. „Ich finde, das Gespräch wird langweilig, wollt ihr nun was-machen oder nicht und können wir fotografieren. Wenn ihr nichts macht, sind wir nicht traurig, dann gibt es mehr Prozente für uns. Vielleicht drei Seiten über die Scheiße in kapitalistischen Verlagen zu veröffentlichen, meint Schlotterer.

Ich weise auf die Bakuninnachdrucke, die sie noch zusammenlegen müssen, auf dem Tisch, daß das doch noch miesere Aufklärungsmache ist. Ich würde das halt inzwischen mit Schröder eleganter machen. Wir verdienen damit unsere Piepen, meint Georg. Außerdem sei das auch selbstgemacht und nicht so korrumpierte, entfremdete Arbeit wie in einer Druckerei etc. Das murmelt er fast, weil er auch nicht so recht daran glaubt.

Dann druckt doch „Mein Kampf" nach, schlage ich vor (und greife da Bernds Kramers Terror Vorschlag auf), damit verdient ihr mehr Geld als mit Bakunin. Baumi findet den Vorschlag gut. Georg und Schlotterer sind ein bißchen düpiert.

Wir machen uns davon. Auf dem großen Tisch liegt ein Leuchtfarben-bändchen Underground-Poems, das ich 1966 verlegt habe und jetzt wenig verändert bei Melzer erschienen ist als Fuck You. Ich nehme es in die Hand, sage daß das ja mein Buch sei, ob es etwas „bewirkt" hätte bei ihnen und ob ich es zerreißen darf. Heftiger Protest. Ich zeige mich verwundert. Damit haben wir doch Spaß, meint Baumi. Barbara blättert in Vostells Rowohlt-Happening Buch.