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High sein, frei sein, Terror muss dabei sein!!

Notwendige Ergänzungen zur Textsammlung Aufruhr & Revolte


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Editorische Vorbemerkung zur Erklärung des Palästina-Komitees-Frankfurt vom 22.11.1969 zum Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Westberlin

Die Erklärung erschien im SC-Info vom 22.11.1969 auf den Seiten 11 und 12.
Siehe die hier faksimilierten Ausrisse.

Lesehinweise

Die Veröffentlichung dieses Textes entbehrt nicht einer gewissen Brisanz. Denn der Oberchronist in Sachen Studentenbewegung auf dem Felde der staatsbürgerkundlichen Unterweisung, Wolfgang Kraushaar, veröffentlichte in seinem sonst eher denunziatorisch daherkommenden "Bombenbuch" (S.78, Fußnote 102) nur Auszüge aus dieser Erklärung, um dadurch den Eindruck zu vermitteln, dass es sich dabei um eine der  "heftigen Reaktion in den Reihen der außerparlamentarischen Linken" gehandelt habe, die inhaltlich dem Antizionismus der Westberliner Tupamaros entgegen gesetzt war. Die von Kraushaar zitieren Textstellen haben wir kursiv farbig markiert..

Marko Martin hatte in der Welt vom 9.11.2004 also bereits vor der Herausgabe des "Bombenbuches" mit Bezugnahme auf diese Erklärung darauf hingewiesen, dass es zwischen Kunzelmann und Co. in Westberlin und dem Frankfurter Komitee ideologisch keinerlei Unterschiede gab. Und er hebt fragend hervor: "Nicht, daß der SDS dem damals nicht widersprochen hätte. Doch mit welcher Argumentation!"

Sollten hier nur Spuren verwischt werden, um eigenes Tun nicht ruchbar werden zu lassen?

Martin Kloke schreibt im Übrigen dazu: "Kein Geringerer als Wolfgang Kraushaar war in dieser Zeit (von 1968 bis 1970) Mitglied des Frankfurter SDS und danach (1974/75) AStA-Vorsitzender. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob sein hilfloser Versuch, „Grenzmarkierungen“ zu ziehen, um den SDS im Besonderen und die APO als Ganzes vor dem Verdacht des Antisemitismus in Schutz zu nehmen, nicht auch persönlichen Motiven geschuldet ist."

ERKLÄRUNG ZUM BOMBENATTENTAT AUF DAS JÜDISCHE GEMEINDEHAUS IN BERLIN

Die Kolonisation Palästinas war zu Beginn kein Produkt des Zionismus, sondern des französischen und später des britischen Imperialismus. In der Anfangsphase ging die Auseinandersetzung um die "jüdische Arbeit", d.h. um die Frage, ob arabische Arbeiter ausgebeutet werden oder jüdische. Siegreich in dieser Auseinandersetzung war der Zionismus, der die Vorherrschaft der "jüdischen Arbeit" gegen die Ausbeuter arabischer Arbeitskraft - und damit die Grundlage für die Vertreibung der Araber - mit Terror durchsetzte. Der Zionismus sah die mögliche Aufhebung des Intesemitismus nicht in revolutionären Prozessen in jenen Ländern, in denen Juden lebten, sondern in der Schaffung eines starken zionistischen Staates nach dem Muster der europäischen bürgerlichen Demokratien.

Ausgangspunkt war die Akzeptierung des Rassismus als unveränderlicher Teil einer fiktiven menschlichen Natur, die Konsequenz die nationalistisdie Verbiegung des Problems zur postulierten Notwendigkeit einer Heimstatt aller Juden, zum rassistischen zionistischen Staat. Die endgültige Etablierung dieses Staates konnte allerdings erst auf dem Hintergrund der Erfahrung des Faschismus (der Erhöhung der Zahl der Einwanderer und der politischen Scheinlegitimierung eines Judenstaates) erfolgen.

Der Kapitalismus und Imperialismus durchziehende Rassismus, der hier seinen Ausdruck in der ideologischen Rechtfertigung der Ausbeutung als Entwicklungshilfe und in der Heranziehung von Arbeitern aus der europäischen Peripherie als depraviertesten Teil des Proletariats findet, ist in anderer Weise Grundpfeilter des zioninistischen Staates. Dieser nämlich lebt von dem Schein, daß jeder Angriff auf diesen Staat identisch sei mit Antisemitismus und so eine Fortsetzung der Verfolgung, die die Juden aus den verschiedensten Gründen in den Ländern erfuhren, aus denen sie flohen. Dieser Kurzschluß ist nur möglich, weil Israel selber ein rassistischer Staat ist, und er scheint richtig, solange keine relevanten Gruppen in Israel selbst ihren Rassismus überwinden. Die spezifische Schwierigkeit der palästinensischen Revolution liegt in der Tatsache, daß der Rassismus integrierender Teil eines Staates mit einer sehr viel entwickelteren sozialen Struktur als die Strukturen der umliegenden Länder ist und daß dadurch die materiellen Vermittlungsebenen der palästinensischen und arabischen Emanzipationsinteressen zu den Interessen der Klassen in Israel im gegenwärtigen Entwicklungsstadium nicht angebbar sind. Zwar sagt Abu lyad, Mitglied des ZK der Al-Fatah: "Wenn wir als Ziel unseres Kampfes das Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem fortschrittlichen Palästina - nach der Zerschlagung des Zionismus - erklären, dann bedeutet das, daß wir auf der Seite eines jeden verfolgten und unterdrückten Juden stehen, daß wir bereit sind, ihm ein Gewehr in die Hand zu geben und gemeinsam mit ihm zu kämpfen." Außer auf der intellektuellen Ebene, die den Zionismus als Rassismus und als Ideologie durchschauen kann, ist die Interessenidentität von Teilen der israelischen Bevölkerung und den palästinensischen Revolutionären jedoch noch nicht bestimmt und dementsprechend sind bislang fast ausschließlich Intellektuelle in der Lage, antizionistische Positionen innerhalb Israels zu vertreten.

Die Juden in der Diaspora können Terroraktionen wie jene gegen das Gemeindehaus in Berlin nur begreifen auf dem Hintergrund ihrer Verfolgung und Vernichtung als Juden. Gewiß sind die jüdischen Gemeinden auch Zentren der Finanzierung des zionistischen Staates, für den ein immenser Kapitalfluß notwendig ist. Dennoch ist die Identifizierung jüdischer Institutionen mit zionistischen Basen selber eine rassistische, die den rassistischen Staat stärkt und nicht schwächt. Diese Identifikation wird bewußt von den Propagandisten des Zionismus aufgebaut, nicht nur um jede Kritik am Staate Israel als antisemitisch denunzieren zu können, sondern auch um die durch die Barbarei des Faschismus erzeugten Schuldgefühle, die in der BRD in einen positiven Rassismus in Gestalt des Philosemitismus umgeschlagen sind, in eine emotionale pro-israelische Stimmung umzukehren. Wer diesen Zusammenhang nicht durch Aktionen und Aufklärung durchbricht, fällt der palästinensischen Revolution in den Rücken, die den kleinbürgerlichen Rassismus eines Shukeiry längst liquidiert hat. Solche Aktionen liegen im Interesse der Konterrevolution, da sie der zionistischen Projektion des eigenen Rassismus auf die palästinensische Widerstandsbewegung und damit auch auf uns, die mit dieser Bewegung solidarisch sind, Vorschub leisten. In der derzeitigen Phase kommt es in der BRD auf Aktionen bei konkreten zionistischen Propagandaveranstaltungen und auf ein Aufbrechen der Scheinidentifikation von physischer Existenz der Juden mit der Existenz eines zionistischen Staates an.

Das Bombenattentat, die Parolen an Mahnmalen der Opfer des Faschismus und deren Begründung stellen objektiv eine Provokation dar. Innerhalb der Bewegung müssen wir solche Aktionen bekämpfen, wenn bei uns der Internationalismus nicht in einem geschichtslosen Moralismus enden soll. Die notwendige Kritik falscher Ansichten innerhalb der Bewegung und daraus folgender Aktionen, die wir nicht billigen, ist keine Rechtfertigung vor der bürgerlichen Fresse, die aus Meinungsverschiedenheiten Kapital für ihre antisozialistischen Diffamierungskampagnen schlagen will. Wenn diese Aktion zu einem Gegenstand der Klassenjustiz werden sollte, dann müssen wir verdeutlichen, daß politische Fehler, auch wenn sie der Bewegung schweren Schaden zufügen,
nichts an unserer prinzipiellen Solidarität gegenüber der Klassenjustiz zu verändern vermögen.

Palästina-Komitee Frankfurt

Burkhard Bluem
Detlev Claussen
Daniel Cohn-Bendit
Ronny Loewy
Heiner Roetz