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Nr. 03-04
Notausgabe 4. März 2004
9. Jahrgang online

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Auszug aus Becklasher*
trend Editorial 01-04 von Karl Müller

...Der dritte Bereich wird sich ab dieser Ausgabe verstärkt mit der Konzipierung, Ausarbeitung und propagandistischen Vermassung des Anti-Islamismus als einer neuen kapitalistischen Krisenideologie in den westlichen kapitalistischen Metropolen befassen(3). Inwieweit diese Krisenideologie als rassistisches Konstrukt dem Antisemitismus strukturell den Rang abläuft oder ob im Alltagsdenken - speziell bei der deutschsprachigen Bevölkerung -  nur ein vorübergehender Platzwechsel zwischen beiden stattfindet, wird zu untersuchen sein. 

Wir können nicht verhehlen, dass ein Ereignis jüngeren Datums uns gleichsam mit der Nase auf diese Entwicklungen im Überbau der bürgerlichen Gesellschaft gestoßen hat. Gemäß der seit dem 11. September 2001 pausenlos erhobenen Forderung nach "Verwestlichung der ganzen Welt" (US-Philosoph Richard Rorty) haben Leute, die sich selber zur Linken zählen, im Dezember 2003 die Becklash-Kampagne ins Leben gerufen, wofür sie das Partisan.net zur virtuellen Unterstützung benutzen, obwohl die politischen Ziele ihrer Kampagne denen des Partisan.net diametral entgegen stehen.

Der Paß ist der edelste Teil
von einem Menschen.
Er kommt auch nicht auf so einfache Weise
zustande wie ein Mensch.
Ein Mensch kann überall zustande
kommen, auf die leichtsinnigste Art
und ohne gescheiten Grund,
aber ein Paß niemals. Dafür wird er
auch anerkannt, wenn er gut ist,
während ein Mensch
noch so gut sein kann
und doch nicht anerkannt wird. 
aus: Berthold Brecht - Flüchtlingsgespräche

Es ist bestürzend und widerwärtig zugleich, dass sogenannte Linke ihr politisches Know How und ihre informellen Netzwerke nutzen, um eine Kampagne anzuschieben, die nicht nur die Verschärfung des rassistischen "Ausländer"gesetzes verlangt, sondern auch noch explizit das völkische Staatsbürgerschaftsrecht der BRD zum Bezugspunkt macht. Sie entblöden sich nicht, den Artikel 3, Absatz 2 GG zum Gegenstand eines Migrationsrevers machen zu wollen, womit Migrantinnen bei Strafe der Ausweisung verzichten, für ihre Rechte als Frauen selbstständig zu kämpfen. Dieses Recht sollen jene Frauen statt dessen an einen Staat abtreten, dessen politische Struktur und Funktion gerade darin besteht, Ausgrenzung, Besonderung, Entrechtung, Unterdrückung und Ausbeutung, wie sie für Kapital & Patriarchat unabdingbar sind, zu sichern und zu garantieren. Bekanntlich ist in der BRD nicht einmal die Diskriminierung wegen des Geschlechts als Asylgrund anerkannt. Solche Migantinnen erhalten daher nicht einmal die Mindestleistungen aus der Sozialhilfe.   

Weil die "Becklasher" sich selber zu staatsfixierten Sprachrohren der Entrechteten und Erniedrigten befördern, delegitimieren sie nicht nur deren Widerstand, sondern konstruieren kulturalistisch entlang einer vermeindlichen nationalen Leitkultur  "homogene Einheiten von Menschen" (Jael Bueno). Damit wird gleichsam die "andere" Identität von MigrantInnen mittels einer binären Logik, die nur das "Eigene" und das "Fremde" als Identität stiftend anerkennt, ignoriert und öffentlich ausgelöscht. An dieser Stelle könnten sich die "Becklasher" eigentlich die Hand mit denen reichen, die schlicht und einfach "Ausländer raus" skandieren.

Die "Becklasher" gerieren sich nicht nur als die besseren Stichwortgeber des Staates, sondern wollen ihn auch ganz grundgesetzlich in die Pflicht nehmen. Sie wiederentdecken dazu die FDGO. Mit diesem "höheren Wesen" rechtfertigte die Adenauer-Regierung während des Kalten Krieges das KPD-Verbot. Gerade die spätere SPD/FDP-Berufsverbotepolitik der 70er Jahre, deren Opfer einige der "Becklasher" gewesen sein könnten, bediente sich erneut dieses Totschlagarguments aus dem Arsenal des Antikommunismus.

Der Antikommunismus war eine äußerst plausible Angelegenheit. Er ließ sich medial leicht anhand erfundener oder provozierter Ereignisse umfassend bebildern. Hinzu kamen in der Bevölkerung persönliche Erlebnisse, die die Richtigkeit der message sozusagen aus sich heraus bewiesen. Kurzum: Der Feind war der Feind, was immer er auch tat. 

Was 1989 passierte ist bekannt. Im Osten gingen endlich die Lichter aus und die Kerzen an. Die DDR löste sich auf und ihre Bevölkerung  kehrte qua Beitritt heim ins Reich und mit ihr das Problem, dass der äußere Feind - empirisch betrachtet - nicht mehr existierte. Auch seine Parteigänger im Inneren schworen fast alle ab und konvertierten ("Wir sind das Volk").

Die faschistischen Gewalttaten, seit Beginn der 90er Jahre begangen in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und in anderen Orten der BRD, markieren die Suche nach einem neuen zeitgemäßen Feindbild. Mitte der 90er Jahre schienen die ehemaligen Ostblockstaaten das empirische Material dafür zu liefern. Es ward die Rede von der "Russen-Mafia", der die BRD seit dem Mauerfall quasi schutzlos ausgeliefert sei. Doch auch die Versuche, jenes Konstrukt mittels eines Antisemitismus light attraktiver zu machen, gelang nicht. Die veränderten Bedingungen in den westlichen kapitalistischen Metropolen verlangten ein umfassenderes Feindbild. Gebraucht wurde, wie zu Zeiten des Antikommunismus, ein Feind, der für alle westlichen, kapitalistisch-imperialistischen Nationalstaaten als deren äußerer inszeniert werden und zugleich als Drahtzieher eines inneren Feindes gelten konnte.

Durch die Ereignisse des 11. September 2001 begünstigt und ideologisch abgefedert durch Samuel P. Huntingtons "Kampf der Kulturen" konnte vorerst  die Suche nach dem neuen "Feind" abgeschlossen werden.  Der Spiegel half  bei der medialen Vermittlung des neuen Feindbildes kräftig:

 „Um sich zu retten, muss die Kultur des Westens in jedem Fall selbstbewusst kämpfen – gegen die Feinde von Debatte und Kompromiss ...Tumbe Heilsgewissheit ... gibt es freilich nicht nur in Sudan, Algerien und Afghanistan, sondern auch in Deutschland und den USA. Sie darf nicht toleriert werden: nicht an unseren Schulen, nicht in der Öffentlichkeit“ (52/2001, S.63)

Nun haben auch die „Becklasher“ – allesamt Funktionsträger in den ideologischen Staatsapparaten - dieses Ticket gezogen. Weder persönliche Skrupel noch moralische Bedenken hindern sie, sich in diesen "Kampf der Kulturen" einzubringen.  

*) Mit Becklash wird ein Wortspiel betrieben, damit eine Kampagne besser medial gelabelt werden kann, die ausschließlich dazu dient, die Verschärfung der Aufenthaltsbedingungen von MigrantInnen in der BRD durchsetzen bzw. MigrantInnen besser ausweisen zu können. Was den ProtagonistInnen dieser SDS (Saubere Deutsche Staatsbürger) - Kampagne gar nicht auffällt, ist, dass die von ihnen gegebene Erläuterung "backlash (engl.) = Rückwirkung, (heftige) Reaktion" sie politisch exakt einordnet: Sie sind in der Tat heftig reaktionär.

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