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Nr. 03-04
Notausgabe 4. März 2004
9. Jahrgang online

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Editorial trend 02-04
Und sie bewegt sich doch - im Kopf
von Karl Müller

Wir stimmen mit Robert Kurz darin überein, dass die Logik des Antisemitismus als zentrale kapitalistische Krisenideologie fungiert. Allerdings gehen wir davon aus, dass die Logik des Antisemitismus die Logik des Fremdenhasses ist. Ein Hass der sich rassistisch konstruiert, sei es als völkischer Rassismus oder sei es als Kulturalismus - nämlich als Rassismus ohne Rasse.

Daher schließen wir uns Detlev Claussen an, der schreibt: "In der kapitalistischen Gesellschaft dominiert das abstrakt Allgemeine, das Kapital, der Wert. Der Warenfetischismus, das im Tauschakt entstehende verkehrte Bewußtsein, verhindert, daß die Menschen durchschauen, was der Wert eigentlich ist: ein an Dinge gebundenes, vermitteltes Verhältnis von Personen. Der Wert erscheint an den Dingen und ist doch nirgends zu greifen." Dieses Wesenselement der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zwingt die bürgerlichen Monaden ihre gesellschaftliche Verhältnisse, denen sie unterworfen sind, weil sie sie tagtäglich aufs Neue reproduzieren, mit simplen Metaphern zu bebildern, um wenigsten in Ansätzen ein Verständnis von ihrer gesellschaftlichen Totalität zu erlangen. Folgerichtig haben Verschwörungstheorien und Phobien Konjunktur. Sie stiften Legitimation für Abgrenzung und Aussonderung als Herrschaftsmethoden in den imaginierten Gemeinschaften jener Monaden: Volk, Kultur und Nation.

Unsere Linke, die seit 68 ungebrochen eine Bewegungslinke ist, fokussiert zur Zeit wieder - wie sollte es anders sein - auf die Vorherrschaft im öffentlichen Raum. Ganz traditionell geht es um die Dominanz auf der Straße: Gegen Faschisten! Gegen die Nato! Gegen die Globalisierung!  usw. usf. Der Überbau - das falsche Bewußtsein (d.h. das richtige Bewußtsein in den falschen Verhältnissen) - interessiert eigentlich nur wenige. Die Köpfe werden den anderen, den bürgerlichen Medien, dem Politpersonal und ihren Hofschranzen und Kunstmilben überlassen.

Und sie bewegt sich doch - im Kopf. Nach einer entsprechenden Internetrecherche waren wir freudig überrascht, feststellen zu können, dass sich bei unseren Linken die Erkenntnis durchzusetzen scheint, dass reaktionäre Veränderungen im Überbau beobachtet, analysiert und bekämpft werden müssen - gerade auch dann, wenn die Akteure eines rechten Flashbacks aus den eigenen Reihen kommen. In der Rubrik "Kritik des Anti-Islamismus", die unser trend-spezial "Antisemitismus" ergänzt, haben wir die wichtigsten Texte der Linken dazu zusammengestellt. Hier kreisen die Texte - wie sollte es anders sein - thematisch um das "Kopftuchurteil".

Wir nennen deshalb den Anti-Islamismus und den Antisemitismus in einem Atemzug, weil sie eine gemeinsame Argumentationsfigur haben: Der Hass auf das Fremde. Hier werden Vorurteile und Ängste gegen eine als anders imaginierte Kultur geschürt, die dann von der hohen Warte eines so genannten universellen Bürgerrechts ("Geschlechterdemokratie") aus  als niedere und zu bekämpfende dargestellt werden kann. Alles, was jedoch in diesem Zusammenhang gegen Lebensweisen und -ansichten fundamentalistischer Muslime ins Feld geführt wird, um sie auszugrenzen, findet sich auch in orthodox-jüdischen Lebenswelten. Die Texte von Annabel Wahba und Theodor Much stehen dafür als Beispiel. Obwohl den Kampf gegen den Antisemitismus ständig im Munde führend, bedienen diese sauberen deutschen Linken mit ihrer kulturalistisch-rassistischen Hetze nur die Logik der kapitalistische Krisenideologie mit einer anderen Lesart. Dies war mit diesen beiden Texten aufzuzeigen.

Weil Anti-Islamismus und Antisemitismus essentielle Spielarten der kapitalistischen Krisenideologie sind, bedarf es zur Dechiffrierung dieses Zusammenhanges einer umfassenderen Methode als jener, die zur Zeit unter Theorie-Linken Konjunktur hat und sich nur aus den Verkürzungen der Wertkritik und der kritischer Theorie herleitet. Für uns heißt dies Rückbesinnung auf den Marxismus, nicht auf den politischen, sondern auf den theoretischen: auf die materialistische Geschichtsauffassung und die Kritik der Politischen Ökonomie. 

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