Thomas Mann 

Ein Wort zur Leit-Cultur 
(1928)

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Die Anfrage der „Königsberger Hartung'schen Zeitung", wie ich zu dem kühnen vorpreschen des Reichstagsabgeordneten Mey mich stelle, darf ich als Bitte um fachmännischen Rat auffassen. Fach­männisch, weil nun einmal ausgemacht scheint, dass es der Künst­ler sei, der in den Angelegenheit der Kultur orientiert und zu Hause ist.

Ich weiche auch nicht aus, hat mich doch die Aktion - oder soll ich sagen: die Attacke? - des Zentrumsabgeordneten an meine eigenen früheren Versuche gemahnt. Herr Mey hat im Reichstag an die Adresse der Regierung gesagt, „dass Deutschfeindlichkeit in Deutschland niemandem schadet, dass es ganz ungefährlich ist, ja, sogar Ehre bringt, sie zur Schau zu tragen". Sollten mich solche Worte nicht an mich selbst erinnern? Unter dem Stirnrunzeln sogar seiner eigenen gebeutelten Fraktion hat er - wie mir berichtet wor­den ist - mit männlich-eisiger Miene einen Rahmen um das Land gezogen und eine Grenze konstatiert, die Gültigkeit habe, auch wenn alle Grenzen gefallen seien: als Antwort auf Antipatriotismus und deutschen Selbsthass, ja als dessen Rücknahme empfiehlt der Abgeordnete einen Begriff, den er mit stolzer Reizbarkeit in die Welt schleudert: er will eine deutsche Leit-Cultur. Ich kenne den jungen Abgeordneten nicht und auch nicht die Malaisen seiner Partei, die ihn von Kultur sprechen ließen, weil er von Politik schweigen sollte. Der Mann, will mir scheinen, er hört, wenn er das Wort Deutschland hört, Musik, eine feine, verführerische, eine rattenfängerische, wie sie aus dem Hörseiberg erklingen mag. Oder anders gesagt: ich höre ihn, den großen unter den großen Verfüh­rern, ich höre die Musik Richard Wagners in diesem neuen Leit-

Motiv des Zentrums. Ach Gott! Als wenn der Alte nicht selbst schon das Produkt aller möglichen Kultur gewesen sei! Als wenn wir Schriftsteller und Künstler denkbar wären ohne Orient und Ok­zident! Wir sind schlechte Zeugen für die Leit-Cultur des Abge­ordneten Mey. Deutsche Leit-Cultur, daran glaubt unter den Schriftstellern heute nur noch der Geschichtsmorpholog Oswald Spengler. Oh, wie entgehen ihm die Liebeswerke der Welt! Stand die Menschheit nicht erst vor kurzem am Altar der Weltausstel­lung, die das Wirken der Gattung feierte? Damals sagte ich: „Und sperrten wir, meine Herren, unsere nationalen Grenzen nach allen vier Windrichtungen hermetisch; vereinten wir uns unter der Wo­tanseiche unter wilden Verwünschungen zu dem Schwüre, weder im Urtext noch auf deutsch eine Silbe europäischer Literatur noch zu lesen - das Ideal ethnischer Verdummung bliebe ein Wunsch­traum. Wir haben den Feind im Land. Goethe, Lichtenberg, Scho­penhauer; es hilft nichts." Was ist denn „Menschheit"? Kultur herrscht nicht, und wahre Kultur will nicht beherrschen: stets nimmt sie, stets gibt sie - Schuldner sind wir alle. Der Kultur­mensch hat es wahrlich nicht schlecht. Nicht schlecht im Buffalo-Bill-Amerika, im knechtischen St. Petersburg oder opiumge­schwängerten Konstantinopel, und schlecht hat er es auch nicht in Berlin, wo der Abgeordnete Mey seine Reden hält. Vielleicht sollte man so delikate Vorgänge wie die im Reichstage nicht stören, in­dem man davon spricht. Schon schweige ich. Und weil alles durcheinanderredet und jeder auf das erlösende Wort wartet, verberge ich mich hinter der künstlerischen Autorität, mit der man einzig in Deutschland die abstrebenden Lager vereint. Und also zitiere ich als Antwort auf Ihre Umfrage aus den Nachträgen des großen Dichterfürsten und nenne jenes kosmopolitische Cogito ergo sum, an dem ich meine Seele erfrische: „Wo ich bin, ist deutsche Kultur. "

Antwort auf eine Umfrage der „Königsberger Hartung'schen Zeitung" vom 11. November 1928.

Wir erhielten dazu folgende Email:

To: info@trend.partisan.net
Subject:
Thomas Mann und Leit-Cultur

From:
dburchard@web.de (Dirk Burchard)
Date sent:
Wed, 10 Jan 2001 15:55:32 +0100
Organization:
http://netzmeister.ryker.de

Moin aus Hamburg,

zur LeitCultur nach Thomas Mann solltet Ihr in der Ausgabe 1/01
allerdings noch ergänzen, daß das ganze ein Fake war:
http://www.gruene.de/aktuell/Zuwanderung/leit-cultur.htm
....
Gruß
Dirk

Hier nun des "Rätsels-Lösung": Der oben stehende Text ist tatsächlich ein Fake. Er erschien am 11.11. 2000 in der FAZ.