Die EZLN ist keine Plüsch-Guerrilla

von Gaston Kirsche (gruppe demontage)

nebst 2 Anhängen

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Zunächst vergötterte Teddys erleiden manchmal ein hartes Schicksal: Sie werden irgendwann langweilig und in der Ecke vergessen. Ähnliches passierte vielen Befreiungsbewegungen, die jahrelang Objekte deutscher Solidarität waren. Zuerst vergöttert, folgte die Enttäuschung, auf die mit Liebesentzug reagiert wurde. Dabei wurde zumeist ausgeblendet, dass eine Bewegung in den Verliererregionen des kapitalistischen Weltmarktes unter schwierigeren, gewaltförmigeren Bedingungen immer in der Gefahr schwebt, Unterdrückung zu reproduzieren. Oder die Solidarität fossilisierte: von Solidaritätsbewegungen blieben alternative, halbstaatliche Entwicklungshilfeprogramme und ein bisschen Musik übrig. Dabei blieben die gesellschaftlichen Verhältnisse des eigenen Landes weitgehend unbeachtet. Es gab immer auch Ausnahmen, die etwa aus der Mittelamerikasolidarität kommen.

Seit sechs Jahren gibt es in der BRD eine Solidaritätsszene mit der EZLN mit unterschiedlichen Tendenzen, die zum Teil auch die gesellschaftlichen Verhältnisse hierzulande in ihre Analyse und Kritik einbeziehen.

Durch ihre Programmatik und Praxis löste die EZLN internationalistische Debatten aus, wie es sie lange nicht gab. Im Zentrum standen und stehen dabei die Diskussionen um Antistaatlichkeit und die Gleichberechtigung der Bekämpfung der verschiedenen Unterdrückungsverhältnisse.

Die EZLN orientiert auf eine Selbstorganisation von Unterdrückten. Frühere nationale Befreiungsbewegungen orientierten dagegen darauf, als Avantgarde die Macht im Staat zu übernehmen oder sie gleich der nationalen Bourgeoisie zu übergeben. Das Scheitern des Staatssozialismus in Osteuropa wie auch das Ende des Staatsreformismus bei der Sozialdemokratie in Westeuropa und anderswo zeigen, daß eine Revolutionierung von Gesellschaft anders als über einen Staatsapparat von oben erfolgen muß. Jede linke Subkultur und Szene sucht sich im internationalen Rahmen die Bewegungen aus, in denen sie sich selbst am besten spiegeln kann. Das spielt auch bei der Solidarität mit EZLN eine Rolle. Interesse an der zapatistischen EZLN gibt es bei verschiedenen Linken in der BRD. Auch für mich bedeutet die EZLN Hoffnung und Ermutigung - verbunden mit Zweifeln und Kritik.

Sozialrevolutionäre und Feministinnen erkannten bei der EZLN den Versuch, soziale und antipatriarchale Kämpfe nicht mehr hinter die vermeintliche Vorrangigkeit einer auf einen Nationalstaat ausgerichteten „nationalen Befreiung“ zurückzudrängen. Für einen kritisch-solidarischen Bezug auf die EZLN ist die Ablehnung der nationalen Formierung in der BRD wichtig. Auf einem bundesweiten Treffen der Chiapas-Solidaritätsgruppen des Ya-Basta-Netzwerks war es im Mai 98 möglich, den EZLN-Pressesprecher Marcos für seine nationalen Töne zu kritisieren. In der Land & Freiheit erschien in der Nr. 42 vom Mai 99 der Text „Ladehemmung in der Waffe der Kritik“, in dem ein Teil der Redaktion Texte von Marcos einer Kritik unterzog und Zweifel an deren Eignung für die Soliarbeit ausdrückte. Auf diesen wichtigen Anstoss für eine solidarische Debatte wurde in den letzten beiden Ausgaben der Land & Freiheit reagiert: Mit einer entrüsteten, „betroffenen“ Zurückweisung (in Nr. 43), in der mal eben leichthin vom „linksradikalen Ghetto“ geplappert wurde, als ob der Begriff Ghetto nicht für etwas anderes als eine selbstgewählte Szenestruktur steht. Dementsprechend ist der Nationalsozialismus anscheinend bedenkenlos verdrängt, denn „was die AutorInnen hier abhandeln, ist wohl eher ihr Problem mit der deutschen Nation“. Die deutsche Nation mit ihrer Geschichte, der Shoah, ein privates Problem? Der/die anonyme AutorIn offenbart mit dem Eindreschen auf das „hilflose Rumgerotze“ der Kritik nicht nur eine Unfähigkeit zur offenen Debatte, sondern eine Verdrängung von Deutschland, die einem Walser von links Ehre machen würde. Bedauerlich, dass es keine Replik auf diese Diskussionsbeitrag gab.

Statt dessen folgte in der Nr. 44 ein Plädoyer für eine „Verteidigung von nationaler Souveränität“ durch die EZLN. Die Kritik daran wird als von „deutschen Linken“ mit „typisch westeuropäischer Arroganz - oder ist das ein spezifisch deutsches Phänomen“ geoutet, frei nach dem Motto: Wer sich in der BRD mit Antisemitismus und nationalen Phrasen in linken Texten kritisch auseinandersetzt, müsste doch mit dem Vorwurf „deutsch & arrogant“ zu sein, unglaubwürdig gemacht werden können. Dass alle Beteiligten an dieser Debatte in die deutschen Verhältnisse verstrickt sind, lässt sich mit diesem Anwurf nicht verdrängen. Dass Hillmer offensichtlich denkt, wer sich nur genug mit der EZLN und einer „mexikanischen Nation“ identifiziere, hätte mit Deutschland nichts mehr zu tun, offenbart eine in vielen Soliszenen typische Verdrängungsleistung, die nun auch in der EZLN-Soliszene auftaucht. Hillmer schreibt: „Dem ökonomischen und politischen Ausverkauf der mexikanischen Nation an das ausländische (und nicht nur Finanz-) Kapital durch die PRI setzt die EZLN die Verteidigung der nationalen Souveränität ... mit allem was dazu gehört entgegen: Flagge, Hymne und Nationalwappen.“ Das lässt mich schaudern: Zuerst ist in diesem Bild „die mexikanische Nation“ als Opfer ein reales Subjekt. Nur die PRI betreibt „Vaterlandsverrat“ -von Ausbeutung durch mexikanische KapitalistInnen ist keine Rede, auch nicht von der rassistischen Ausgrenzung von Indígenas als Basis der mexikanischen Staatsnation und von Klassen und Unterdrückung in den indigenen Gemeinden sowieso nicht. Warum sollen nationale Symbole, die der Verschleierung von Unterdrückungsverhältnissen dienen, für den Kampf gegen die kapitalistische Umstrukturierung taugen? Hier scheint ein positiver Bezug auf Nation durch, der den widersprüchlichen Umgang der EZLN mit der mexikanischen Staatsnation sehr stark in die nationale Ecke drängt. In dem Buch „Postfordistische Guerrilla“ findet sich eine ganz andere Interpretation des Bezuges auf die mexikanische Staatsnation: Als Einforderung der sozialen BürgerInnenrechte, nicht mehr länger durch die nationale, rassistische Formierung aus dem Staat Mexiko ausgegrenzt zu werden - Mithilfe eines problematischen Bezuges auf Nation.

Die Widersprüchlichkeit der Texte der EZLN findet eine Entsprechung in der Soldaritätsbewegung mit ihr.

Antirassistisch oder für Völker?

Neben einer mexikanischen Nation ist auch oft von indigenen Völkern die Rede. Ob vom "Campesino-indígena-Volk" oder von einem indigenen, ethnisierten Landproletariat und KleinbäuerInnen ausgegangen wird, ist mehr als eine Frage des Sprachstils. Interessant wird es, wenn ein dahinterstehender Bezug auf Vorstellungen von abgrenzbaren „Völkern“ oder „Ethnien“ dem Bezug auf soziale Klassenverhältnisse entgegengestellt wird. Dieser Widerspruch durchzieht die Chiapas-Solidarität und die Projektionen auf das als vermeintlich authentisch-ursprünglich wahrgenommene Indigene an der EZLN. Eine Sichtweise auf die EZLN als Plüsch-Guerrilla à la Winnetou wirkt in die Soligruppen zu Chiapas hinein. Von Projektionen auf die "edlen Wilden" kann die Marcos-Begeisterung nicht ganz frei sein. Teilweise wird die EZLN zu einer Wunschzettel-Guerrilla gemacht, die alles ausfechten soll, was hierzulande derzeit nicht möglich ist.

In Texten aus der Soli-Szene wird häufig ein vereinheitlichendes "wir" beschworen, das Linke in Kreuzberg und dem lakandonischen "Dschungel" vermeintlich in eins setzt. Gerne übersehen wird der antirassistische Kampf: "Die EZLN ist der moderne Ausdruck der Selbstorganisierung und Selbstverteidigung der Indígenas in Chiapas", bemerkte die MigrantInnenzeitung Köxüz bereits 96 hierzu.

Durch die Verwechslung des antirassistischen Kampfes der EZLN gegen Diskriminierung mit der kulturalistischen Konstruktion von Indígena-Identität lebt aber auch in Zeiten des postfordistischen Wandels die Liebe zum „Volk“ wieder auf. Anstatt die Eigenbezeichnung als Indígenas in Mexiko auf sich beruhen zu lassen, erheben Teile der Soliszene Indígena-Sein zur politischen Kategorie. Dadurch verschwinden nicht nur die Klassenwidersprüche innerhalb der indigenen Gruppen, auch die traditionellen patriarchalen Rollenzuschreibungen werden unter der “vorhistorischen” Indígenakultur verschüttet. Als soziale Kategorie wäre in bezug auf Chiapas eher die Bezeichnung Landproletariat oder KleinbäuerInnen angebracht, deren ökonomische Ausbeutung durch rassistische Zuweisungen vertieft wird.

Neoliberalismus

Eine offene Debatte in der Chiapas-Solidarität - wie zeitweise auf dem Chiapas-Strategieseminar Anfang Oktober 99 in Frankfurt - ist ebenso selten wie eine Kritik an der Inflation des Begriffes Neoliberalismus bei den ZapatistInnen. Oder verhallt ungehört: "Wer nämlich mit oben genannten Worten eine Bewegung fast aller, nämlich der nach Brot oder nach Umarmungen Hungernden, gegen eine "Handvoll Mächtige" und ihre "Diktatur des Geldes" beschwört, wird sich schließlich in antisemitischen Bewegungen wiederfinden, die gegen 'die reichen Juden und ihren IWF' agitieren. Diese Argumentation ist z.B. in Osteuropa weit verbreitet, linke Politik muß das berücksichtigen, und auch in Lateinamerika (auch in der mexikanischen Linken bin ich schon auf so etwas gestoßen) gibt es genügend schlummerndes oder aktives antisemitisches Potential." (col: Gegen "den Neoliberalismus" = "für die Menschheit?", in: Swing Nr. 78, Mai 96). Die Verweigerungshaltung, sich mit Antisemitismus auch in der Linken auseinanderzusetzen, findet sich auch in Hillmers Text in der Land & Freiheit Nr. 44: Die Kritik an verkürztem Antikapitalismus bei Marcos, der sich von antisemitischen Stereotypen des heimatlosen Finanzkapitals kaum unterscheidet, wird von Hillmer als „ungeheuerlicher Vorwurf“ abgeblockt, als Behauptung einer „Nähe der Argumentation des Sub zu faschistischen Argumentationsmustern (Finanzkapital = raffendes Kapital)“. Das in der Kritik in der Land & Freiheit Nr. 42 ausdrücklich gesagt wurde, das diese antisemitischen Feindbilder sich „auch immer wieder in der Kapitalismuskritik der Linken“ finden, wollte er nicht wahrhaben. In der BRD als dem Land, in dem die Shoah verbrochen wurde, kann eine Linke nicht sein ohne eine Kritik des Antisemitismus.

Der oben zitierte Text von col. benennt den Sinn der Parole "Gegen den Neoliberalismus" in Mexiko: "...großes Bündnis aller, die sich heute stärker kapitalistisch ausgebeutet fühlen, als vor Beginn der angeblichen 'neoliberalen Regierungsprogramme'. Als solche politische Parole ist sie im Hinblick auf die Situation in Mexiko kritisch zu würdigen, die Übertragbarkeit auf Europa oder andere Weltteile ist äußerst fragwürdig." Diese Erwägung ist in der Soli-Szene kaum bekannt und Viele bewunderten zumindest in der Euphorie nach dem intergalaktischen Treffen 1996 in Chiapas die EZLN kritiklos: "Nichts gegen Enthusiasmus, aber teilweise schien das skandieren von 'EZLN' und 'Viva Zapata' die fehlende Distanz zur zapatistischen Bewegung auszudrücken. Politisch wird eine solche Position vor allem dann gefährlich, wenn sie permanent auf ein vereinheitlichendes "wir" rekurriert, das es gar nicht gibt." Das schrieb Uli Brand in seiner Auswertung des intergalaktischen Treffens (in: blätter des iz3w Nr.216, 9/96).

Auch das zweite intergalaktische Treffen 1997 im spanischen Staat war wohl mehr ein Spektakel als eine Auseinandersetzung, wie Timo Reinfranck und Tobias Ebbrecht berichteten: "Das Fehlen einer klaren politischen Strategie war das eigentliche Dilemma des Encuentros". Unter der Überschrift „Billig in den Urlaub mit Zapata-Reisen“ schilderten sie in der jungle world vom 14.8.97 Beliebigkeiten bis zum Abschlußtreffen: "Diskutiert wurden dies Ergebnisse nicht. Und so blieb dieses Mal das von den Zapatistas propagierte interkontinentale Netz der Widerstände so nebulös wie beim ersten Treffen der Begriff Neoliberalismus. Dennoch wurde eifrig schon für ein drittes Treffen geplant." Aber nicht die ganze Soli-Bewegung hat das Motto 'Hauptsache Treffen und vernetzen'.

Mittlerweile ist die Tendenz nicht mehr zu übersehen, dass sich die Chiapas-Solidarität auf immer mehr Treffen totlaufen könnte. Der hochgesteckte und auf den ersten Blick attraktive Anspruch eines interkontinentalen Widerstandes droht die Solidaritätsbewegung selbst zu erdrücken. Dabei geriet aus dem Sinn, wie randständig und einflußlos radikale Linke in der BRD sind.

Zapatismus übertragbar?

Eine sich intergalaktisch verstehende Solidarität kann hierzulande von zwei sehr verschiedenen Sichtweisen ausgehen: Sie kann versuchen, die Zapatistas zu kopieren und ihre Konzepte möglichst Eins zu Eins übernehmen - entsprechende Tendenzen sehe ich in dem Versuch, die Auseinandersetzung um autonome, selbstverwaltete Landkreise in Chiapas in eine Auseinandersetzung um autonome Freiräume wie etwa selbstverwaltete Wohnprojekte bruchlos zu übertragen. Dementsprechend geht es bei dieser Sichtweise vor allem darum, die eigenen autonomen Projekte und Politikansätze attraktiver zu machen. Das breitere Bevölkerungskreise kaum ansprechbar sind, wird auf mangelnde Attraktivität linker Konzepte zurückgeführt, weniger auf die Rechtsentwicklung.

Solidarität hier verorten

Für eine andere Sichtweise ist es notwendig, sich demgegenüber zuerst mit der gesellschaftlichen Realität in der BRD stärker zu konfrontieren: Linke Ansätze sind in der BRD nicht so in der Defensive, weil sie sich schlecht selbst darstellen, sondern weil es eine breite Zustimmung zu einer nationalen Formierung als ideologischer Gemeinschaft von Deutschen gibt. Der damit einhergehende Chauvinismus und Rassismus ist für einen Großteil der Mehrheitsbevölkerung dieses Landes attraktiv. Die Deregulierungspolitik, der Abbau des Wohlfahrtsstaates zugunsten der Konkurrenz auf dem kapitalistischen Markt erschwert Solidarität und befördert das Streben nach Vorteilen auf Kosten anderer. Dieser moderne Kapitalismus, der als Postfordismus bezeichnet wird, bedeutet in Mexiko wie in der BRD - bei allen Unterschiedlichkeiten - die Umstrukturierung vom Wohlfahrtsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat. Eine linksradikale Solidarität kann an die Zapatistas auf Grundlage dieser Analyse ansetzen: Die Befreiung von Staat, Markt, Patriarchat und dem rassistischen Konzept der mexikanischen Nation ist bei der EZLN gewollt. Die EZLN versucht unter den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen in Chiapas als Armutsregion in Südmexiko den Bruch mit den Unterdrückungsverhältnissen. Ein wesentlicher Teil ist dabei die Debatte darum, wie das Konzept der Machtübernahme durch eines der schrittweisen Zersetzung der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Institutionen ersetzt werden kann, wie dies Josef Esser, Christoph Görg und Joachim Hirsch in der BRD 1994 beispielhaft formulierten: „‘Radikal‘ meint, daß emanzipative Politik, auch wenn sie als schrittweiser und langwieriger Prozeß begriffen wird, von Anfang an auf die Überwindung der herrschenden gesellschaftlichen Formen und ihrer institutionellen Ausprägungen abzielen muß und die praktische Kritik an diesen als ihr Grundprinzip erkennt. Dies setzt in letzter Konsequenz bei den Akteuren einen theoretischen Begriff von den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen voraus, der ohne die Kritik der politischen Ökonomie nicht zu gewinnen ist.“(S. 227 in: „Politik, Institutionen und Staat“).

Bei aller Unterschiedlichkeit der sozialen Lebensweise rund um die Frankfurter Universität und im Hochland von Chiapas sehe ich hier eine Parallele zur EZLN. Eine Befreiungsbewegung, die den Kampf für den Sozialismus nicht nur als Ziel beschwört, um Fehler der Gegenwart zu überspielen, sondern die Fallstricke von Rassismus, Verstaatlichung, Patriarchat und der Unterordnung sozialer Kämpfe zu kappen versucht, ist für mich eine Hoffnung. Nun fehlt bei dem Konzept aus Frankfurt von Esser, Görg und Hirsch die Auseinandersetzung mit dem entscheidenden Problem der Formierung zur Nation „von unten“, aus den sozialen Schichten und Klassen, die nicht zu den staatstragenden Eliten gehören, die den Staat als Rahmen für die kapitalistische Vergesellschaftung „von Oben“ organisieren. Die größte soziale Bewegung in der BRD „von unten“ sind die Neonazis. Ihre schlagkräftige nationale Befreiungsbewegung setzt sich erfolgreich für „national befreite Zonen“ ein, von der schweigenden Mehrheit toleriert. Ein Kampf um Befreiung ist - wie in Chiapas - in der BRD nur möglich, wenn kein Unterdrückungsverhältnis geduldet oder gar akzeptiert wird: Eine antiherrschaftliche Politik ist für mich deshalb immer auch eine antinationale Politik, die dem Wohlstandschauvinismus von unten entgegentritt. In der BRD bedeutet dies, antideutsch zu sein: Eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse ist in der BRD nicht radikal, wenn der eigene soziale Ort, die geschichtliche Prägung dieses Landes nicht mitgedacht werden. Für Solidarität mit der EZLN bedeutet dies, Texte von Sub Marcos, dem CCRI-CG der EZLN oder anderer nicht als Bibelsprüche nachzubeten, sondern auch zu kritisieren, wenn etwa antisemitische Stereotypen benutzt werden. Kritische Solidarität ist mit der EZLN möglich und spannend. Wenn Kritik offen geäußert wird und auch mit der EZLN ausgetauscht, hat Solidarität nach meiner Meinung mehr Zukunft, als wenn zapatistische Konzepte einfach kopiert werden.

Eine Solidaritätsbewegung, in der die gesellschaftlichen und weltweiten Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse einer radikalen Kritik unterzogen werden, kann aus einem solidarischen Bezug heraus die EZLN kritisieren: Die EZLN redet vom Neoliberalismus, um nicht isoliert zu werden, breite Bündnisse zu schliessen - eine Kritik hierdran darf nicht vergessen, dass es im kapitalistischen Weltmarkt Abhängigkeiten gibt: Der Süden Mexikos ist eine randständige, durch Überausbeutung geprägte Region. So ist vieles, was an Texten und Taten aus der EZLN auf meinen Widerspruch stößt, mit der drohenden Gefahr der Isolation des Aufstandes verbunden. Und wenn die EZLN sich eines Tages von sozialen Auseinandersetzungen abwenden würde zugunsten einer Militarisierung der Rebellion, wäre das zwar ein Anlaß für harte Kritik an den Zapatistas, aber trotzdem wäre es weiterhin richtig, gegen die low intensity warfare des mexikanischen Zentralstaates, der chiapanekischen Bourgeoisie und der Kaziken anzugehen. Im Bewußtsein darum, dass in der BRD von sozialen Ungerechtigkeiten profitiert wird, die auch deshalb in Chiapas gewalttätig aufrecht erhalten werden sollen.

Die EZLN ist ein wichtiger Ansatz, in Zeiten eines Postfordismus eine Befreiung von erniedrigenden Ausbeutungsverhältnissen neu zu versuchen. Dabei kann sie nicht fehlerfrei sein. Zu deformierend sind die elenden sozialen Verhältnisse aus denen sie kommt. Die EZLN ist keine Plüsch-Guerrilla und Marcos kein sprechender Teddy.

Gaston Kirsche (gruppe demontage)

Zum Weiterlesen: Im 1998 erschienen Buch „Postfordistische Guerrilla - Vom Mythos nationaler Befreiung“ der gruppe demontage: „Postfordismus - das Beispiel Mexiko“. 22 Seiten über die Entwicklung in Mexiko vom Staatskapitalismus hin zu Deregulierung und Freihandel. Sowie: „Südmexiko: ¿EZLN - soziale Befreiung jenseits von Staat und Nation?“. 34 Seiten über Kaziken, Ausgrenzung, Widerstand und die Programmatik der EZLN.

 

Anhang I

"Theoretische Gralshüter" oder Kritik an der EZLN
Eine Debatte in der Land & Freiheit

Die Zeitschrift Land & Freiheit - Nachrichten zu Chiapas und Mexico!, kurz L & F ist ein Projekt des Bundestreffens der Chiapasgruppen in der BRD. Vor einem Jahr erschien dort eine Kritik aus der Redaktionsgruppe an einigen programmatischen Aussagen der EZLN bzw. ihres Subcomandante Marcos. Der nebenstehenden Text „Die EZLN ist keine Plüschguerrilla“ erschien in der L & F Nr. 45/46 im Rahmen der seit nunmehr sechs Nummern laufenden Debatte. Und die geht weiter: In der Nr. 47 reagierte Johannes Hillmer auf die „Plüschguerrilla“ mit dem Beitrag „Wie weiter mit der Chiapas-Solibewegung“. Zwar gestand er dort zu, dass „Analysen des gegenwärtigen Zustandes des Weltkapitalismus Gefahr laufen (und damit Einfallstore für antisemitische und neofaschistische Ideologien schaffen) ... dieses Finanzkapital als die Quelle allen kapitalistischen Übels darzustellen und damit die Grundlagen der kapitalistischen Mehrwertproduktion unangetastet zu lassen. Daß aber jede theoretische und politische Aktion, die bei diesem Finanzkapital ansetzt, deshalb faschistisch oder antisemitisch ist, ist schlicht und ergreifend Unsinn!“ Leider ist das schon alles von ihm zur Auseinandersetzung mit einem verkürzten Antikapitalismus und hierbei naheliegenden antisermitischen Stereotypen. Wichtiger ist Hillmer, den KritikerInnen der EZLN vermeintliche Fehler nachzuweisen, wenn er etwa zur Le Monde Diplomatique schreibt: „unseren Superkritikern wärmstens zur Lektüre empfohlen, damit sie endlich aus ihrem endlosen Klassenkampfgeseiere herauskommen bzw. ihren theoretischen Sektenstandpunkt überwinden, es ist nie zu spät!!!!“ Wenn er etwas aufmerksamer gelesen hätte, wäre ihm das nicht passiert: Die Kritikerinnen aus der L & F haben bereits zuvor Texte aus der Diplo nachgedruckt, und in der „Postfordistischen Guerrilla“ wird die Diplo - neben u.a. der alaska - als Zeitschrift genannt, auf deren Informationen sich das Buch mit bezieht - allerdings ohne alles zu übernehmen, was in der Diplo steht. Weiterhin behauptet Hillmer: „Dass aber letztlich Kirsche und vorher Teile der Redaktion von L & F (in Nr. 42) die Aussagen des Subcomandante zur gegenwärtigen Lage des Weltkapitalismus aus ihrem historischen und sozioökonomischen Zusammenhang (Mexiko = ein Land der 3. Welt; Taktik der EZLN) reißen und dann in einem Akt der theoretischen Haarspalterei Ähnlichkeiten zu faschistischen Kapitalismustheorien zu entdecken glauben, zeigt nur die Überinterpretation dieser theoretischen Gralshüter.“

Nach diesen Ausführungen Hillmers unter der Zwischenüberschrift „Zur angeblich antisemitischen Kapitalismuskritik der Zapatisten“ folgt noch ein Abschnitt „Was können wir von den Zapatisten lernen“. Hillmer stellt dort klar: „Nimmt man die Differenz zwischen der Politik der EZLN und der hier ernst (eine Leistung, zu der Kirsche nicht in der Lage ist), verbietet sich von vorneherein jeder Gedanke einer 1 zu 1 Übertragung!“ Dann benennt er selbst drei Punkte, um sie als „Anregungen für die BRD zu übernehmen“: A. „Die zukünftige gewaltfreie Gesellschaft wird mit weitgehend gewaltlosen Mitteln angestrebt.“; B. „Das Ziel einer basisdemokratischen Gesellschaft wird in den Aktionen der Gegenwart praktiziert“; C. „Die zukünftige Gesellschaft auf der Grundlage der Toleranz aufgebaut“. Dabei steht seine Betonung von „Toleranz“ im Widerspruch zur Art und Weise, wie er auf Kritik an der EZLN reagiert.

Die Redaktion der L & F antwortete in der Nr. 47 auf Hillmer und andere mit dem Beitrag „Hemmungslose Kritik?“: „Wir denken, dass der Vorwurf des ‚Dogmatismus‘ gegen Gaston Kirsche oder uns nur allzu schnell auf seine Autoren zurückfällt.“ Darin betonten sie, dass es ihnen nicht darum gegangen sei, Marcos oder Teilen der Soliszene eine Affinität zum Nationalsozialismus zu unterstellen. Es ginge vielmehr um kritikwürdige Tendenzen bei der Rezeption von Marcos-Texten in der Soliszene: „Wir halten es aber trotzdem für notwendig, Parallelen von antikapitalistischen Analysen mit antisemitischen Verschwörungstheorien zu benennen und zu problematisieren, zumal gerade die deutsche Geschichte gezeigt hat, wie anfällig auch Linke für diese Muster sein können ... Wir denken, dass nur eine bewusste Auseinandersetzung hiermit die fortwährende Wiederholung vermeiden hilft. Damit richten wir uns an die deutsche Chiapas-Solidarität.“

Abschließend kritisiert die Redaktion der L & F die romantisierende Vorstellung (nicht nur Hillmers), dass die EZLN gewaltfrei sei. Sie erklären das Zurückstellen des bewaffneten Kampfes anders als Hillmer nicht aus einer eigenen ideologischen Wunschvorstellung heraus. Am 1.1. 1994 erhob sich die EZLN ursprünglich militärisch in der Hoffnung, damit einen mexikoweiten bewaffneten Aufstand auszulösen: „Insofern ist unsere Lektion hieraus nicht, die möglichst gewaltlose Strategie als Selbstzweck zu glorifizieren, sondern ein klarer Blick auf die Kräfteverhältnisse und die gesellschaftlichen Bedingungen und: das schnelle Erfassen einer Fehleinschätzung und ein kreativer Umgang damit.“

Ob die Debatte weitergeht? Die nächste L & F ist gerade erschienen, beschäftigt sich aber erstmal mit anderen Themen. Eine kritische Solidarität mit der EZLN, welche auch eine Kritik der Zustände in Deutschland beinhaltet, ist möglich und machbar. Auch dadurch, dass in der L & F kritische Positionen veröffentlicht werden.

Gaston Kirsche

Wer die Debatte komplett nachlesen möchte: Land & Freiheit c/o Café und Buch, Marktstraße 114, 20357 Hamburg. e-Mail: LuF@chiapas.de.

Anhang I

Auszug aus „Postfordistische Guerrilla“:

Verkürzte Kapitalismuskritik: "Heimatlose und schamlose Finanzzentren"

Neoliberalismus und Zivilgesellschaft sind die neuen Modeworte der Soli­szene, nicht zuletzt wegen ihres häufigen Gebrauchs in den Texten des Subcomandante Marcos. Daß diese Begriffe sehr unscharf sind und nach Belieben mit dem je eigenen Inhalten der LeserInnen und ZuhörerInnen gefüllt werden können, ist durchaus kein Zufall. Mit der viel gefeierten lyrischen Qualität der Erklärungen hält sich Marcos viele Türen offen. Auffallend ist, daß andere Comandantes, wenn sie als SprecherInnen der EZLN interviewt werden, was bei der Marcos-Manie der Soliszene in Mexiko-Stadt selten genug vorkommt, genauer und direkter zu den sozialen Kämpfen und Problemen der EZLN Stellung beziehen. Dennoch kritisieren wir gerade die Stellungnahmen des Subcomandante Marcos, weil sie die größte Wirkung erzielen und zumindest in der Wahrnehmung von außen für die gesamte EZLN stehen.

Mitte 1992 verfaßte Marcos für die EZLN den Text »Chiapas: Der Südosten in zwei Winden, einem Sturm und einer Prophezeiung«, in dem er schrieb: »Chiapas verblutet auf tausend Wegen: Öl- und Gaspipelines, Stromleitungen, Eisenbahnwagen, Bankkonten, Last- und Lieferwagen (…). Der Tribut, den der Kapitalismus von Chiapas fordert, findet in der Geschichte keinen Vergleich. 55% der in Mexiko verbrauchten hydroelektrischen Energie stammen aus diesem Bundesstaat (…), doch nur ein Drittel der chiapanekischen Haushalte verfügt über elektrisches Licht (…). Die Eisenbahnlinie folgt (…) nicht den Bedürfnissen der chiapanekischen Bevölkerung, sondern denjenigen der kapitalistischen Plünderung.«

In diesem Text kritisiert die EZLN nicht nur die aktuelle neoliberale Ausformung des Kapitalismus, sondern auch den protektionistischen Kapitalismus des PRI-Staates in den Jahren davor und dessen fordistisches Entwicklungsmodell. Die Inflation der Begriffe Neoliberalismus und Globalisierung in den Texten der EZLN setzt mit der breiten weltweiten Solidarität mit ihnen ab Februar 1994 ein. Es gibt keine Erklärung der Zapatistas dafür, warum sie in mehr als 4 Jahren EZLN-Öffentlichkeitsarbeit meist von Neoliberalismus reden. Ab und an wird aber auch in späteren Erklärungen der Kapitalismus beim Namen genannt. Die Inflation des Begriffes Neoliberalismus als Ersatz für eine Analyse der Klassenverhältnisse wird vor allem von der Soliszene vorangetrieben. Der Begriff Neoliberalismus trifft die kapitalistische Realität in Mexiko, aber nur solange, wie nicht der frühere protektionistische, stärker staatlich gelenkte Kapitalismus der Vergangenheit - des Fordismus - als Alternative propagiert wird.

Sehr selten wird in den Stellungnahmen der EZLN Bezug genommen auf klassenkämpferische Organisationen. Eine Grußadresse an die maoistisch orientierte BusfahrerInnengewerkschaft SUTAUR-100 kam erst nach langem Zögern und vielen Diskussionen zustande - obwohl die SUTAUR auch wegen ihrer Unterstützung der EZLN kriminalisiert wurde. In der Grußadresse wird die Entschlossenheit gewürdigt und die Hoffnung ausgedrückt, daß »diese große revolutionäre Kraft, die die Kraft der Arbeiter darstellt, alle Mexikaner aus dieser langen Nacht erwecken wird«.

Unter der Menge an Papieren fallen einige auf, in denen gefährliche Stereotypen geäußert werden. In ihnen findet sich eine verkürzte Kapitalismuskritik, die der weitverbreiteten Unterscheidung in ehrliches Industrie- und gieriges Finanzkapital folgt. Wenn dem Finanzkapital dann auch noch Heimatlosigkeit vorgeworfen wird, ist es nicht mehr weit bis zum Bild vom kosmopolitischen jüdischen Finanzkapital. Ein solch falscher Anti­kapita­lismus benutzt antisemitische Muster, ohne daß JüdInnen unmittelbar gemeint sind.

»Uns verbrüdert eine Weltordnung, die Nationen und Kulturen zerstört. Der große internationale Kriminelle, das Geld, hat heute einen Namen, der die Unfähigkeit der Macht widerspiegelt, neues zu schaffen. Ein neuer Weltkrieg wird heute erlitten. Es ist ein Krieg gegen alle Völker, gegen die Menschen, die Kultur, die Geschichte. Es ist ein Krieg, der von einer Handvoll heimatloser und schamloser Finanzzentren angeführt wird« (Marcos, Brief an das europäische Treffen der Solidaritätsgruppen in Brescia/Italien.) In einem Artikel über die Begriffe der EZLN geht es nach diesem Zitat kommentarlos weiter, in einem Marcos Sammelband ebenso. In dem vollständigen Brief an das Brescia-Treffen spricht Marcos später von seiner Vorstellung von der Solidaritätsbewegung als »ein Kollektiv, das sich jenseits von Nationalitäten, Sprachen, Kulturen, Rassen und Geschlechtern findet und verbrüdert«. Diese Widersprüchlichkeit in einem Text ist für die Zapatistas durchaus typisch.

Marcos erklärte Ende Juli 1994: »Der Neoliberalismus trifft nicht nur die Ärmsten, sondern verdrängte auch wichtige Sektoren der mexikanischen Unternehmer (…) Die mörderische Gewinnsucht wird in der Sprache der Wirtschaftstheorie ›Neoliberalismus‹ genannt.« (Brief an die ehrlichen mexikanischen Unternehmer). Die Unterscheidung von gewinnsüchtigen gegenüber ehrlichen Unternehmern kann taktisch begründet sein, um mit einem breit angelegten Bündniskonzept der Einkreisung durch das Militär und ihrer Kriegführung niedriger Intensität etwas entgegenzusetzen. Wie in den Abschnitten zur NAFTA im Mexikokapitel dargelegt, profitieren vom Freihandel nur die exportorientierten Fraktionen der Bourgeoisie, während andere Bourgeoisiefraktionen verdrängt werden. Dabei geht es aber weniger um Ehrlichkeit als darum, in der Konkurrenz mit US-Kapital nicht den Kürzeren zu ziehen. Wer Pleite macht, ist deshalb nicht weniger »gewinnsüchtig« oder »mörderisch«.

Auszug aus: gruppe demontage „Postfordistische Guerrilla - Vom Mythos nationaler Befreiung“, Seite 160-162, Quellen dort.