http://www.freilassung.de/erkl/pro151200.htm  
Printversion:  Interim 517 v. 11.1. und 518 v. 25.1.2001

Prozeßbericht
Der Prozeß gegen Tarek Mousli 

im Dezember 2000


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D-10969 Berlin

Vorbemerkung

Im Dezember 2000 stand Tarek Mousli, Kronzeuge im Verfahren gegen angebliche ehemalige Mitglieder der Revolutionären Zellen, selbst vor Gericht. Der Prozeß vor dem Berliner Kammergericht sollte erstens Mouslis eigene Rolle in dem von ihm zu Protokoll gegebenen Geschehen juristisch bewerten, also ihn für seine eigene Tatbeteiligung (mehr oder weniger) bestrafen; zweitens diente der Prozeß dazu, den Boden für Mouslis Belastungsaussagen in den bevorstehenden Prozessen gegen die von ihm Beschuldigten zu bereiten. Bundesanwaltschaft, Gericht und Angeklagter – der faktisch wie ein Zeuge behandelt wurde – hatten an vier Verhandlungstagen Gelegenheit, arbeitsteilig an einem Mosaikbild der RZ zu basteln.

Der folgende Bericht vom Prozeß basiert auf stichpunktartiger Mitschrift und Erinnerungen, kann also nicht für absolute Genauigkeit garantieren. In Anführungszeichen stehende Zitate sind meistens sinngemäß zu verstehen. Es wurde auch nicht streng der zeitliche Ablauf eingehalten, d.h., einzelne Wiederholungen oder spätere Erläuterungen wurden entsprechend eingearbeitet. Die Befragung vor allem des Vorsitzenden Richters wirkte oft unzusammenhängend und sprunghaft, und auch Mousli selbst sprang manchmal von einem Thema zum anderen. Eine grobe Linie wurde aber dennoch weit­gehend eingehalten.

Mit Namen sind nur Prozeßbeteiligte (incl. ZeugInnen) und in RZ-Verfahren Angeklagte/Beschuldigte (und Verstorbene) benannt. Da bei anderen Namen nicht klar war, wer etwas gegen eine Namensnennung hat und wer evtl. nicht, wurde insgesamt darauf verzichtet. Das heißt nicht, daß die Namen nicht "öffentlich bekannt" sind – jedeR im Saal konnte sie mitschreiben!

Das Prozeßumfeld und subjektive Eindrücke sind kursiv vom Protokoll abgesetzt.

Das ganze Protokoll ist ziemlich lang! Dabei ist das Interessanteste am ersten Prozeßtag gesagt worden, danach wiederholt sich vieles, nur wenig ist neu. Plädoyer und Urteilsbegründung am vierten Prozeßtag fassen im wesentlichen nur zusammen, was vorher ausführlich dargelegt wurde. Auch die Zeugenaussagen der BKAler am dritten Prozeßtag sind nicht sensationell.

Der Prozeß

findet statt im Berliner Kammergericht in der Elßholtzstr. in Berlin-Schöneberg.

Das gesamte Prozeßumfeld ist nicht zu vergleichen mit der Situation bei Prozessen im Sicherheitsbereich des AG Tiergarten, wie sie in den 80er Jahren stattfanden. Alles ist viel lockerer, offenbar wird davon ausgegangen, daß es keine akute Gefahr gibt für Kronzeugen, Ankläger und Richter bzw. das BKA die Lage gut im Griff hat.

Das Kammergericht befindet sich an der Rückseite des Kleist-Parks. Es ist ein frei stehender, klassizistischer Bau mit den üblichen repräsentativen Dimensionen (große Türen, weitläufige Eingangshalle, breite Treppen...). Rundherum sind Kameras angebracht. Der Besucher-Eingang liegt auf der dem Park zugewandten Seite des Gebäudes. Leute wie Tarek Mousli und die Bundesanwälte dürfen mit dem Auto von der Straße aus durch ein Garagentor direkt ins Innere des Bauwerkes fahren.

Außer einem (oder auch mal zwei) leeren Mannschaftswagen der Polizei am Besucher-Eingang sind von außen keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen erkennbar. Wer das Gebäude betritt, muß - wie am Flughafen - durch eine Metalldetektor-Schleuse und wird danach zusätzlich mit Pieper abgesucht, die Sachen werden flüchtig und stichprobenartig durchsucht, Taschen müssen abgegeben werden, der Personalausweis wird kopiert und eine Besucherkarte für den Sitzungssaal ausgegeben (ohne diese Karte wird dort niemand reingelassen). Auch hier ist die Stimmung recht gelöst.

An den drei Prozeßtagen sind jeweils etwa dreißig "normale" BesucherInnen anwesend, dazu kommen AnwältInnen der RZ-Beschuldigten und Presseleute, die ganz vorne sitzen dürfen (es sind um die zwanzig Presseleute "akkreditiert", aber es kommen natürlich nicht immer alle). Im Raum verteilt sitzen drei oder vier BKA-Personenschützer, im Eingangsbereich nochmal soviele uniformierte Justizangestellte.

Der Saal ist - für einen Gerichtssaal - erträglich, das heißt, er ist nicht bedrückend groß oder klein, die Stimmen der Beteiligten sind zu verstehen (während sie in Moabit oft hallen oder zu leise sind). Links sitzen erhöht die Bundesanwälte, in der Mitte die fünf Richter nebst einer Schreibkraft, rechts befindet sich ein Panzerglas-Kasten mit Treppe ins Untergeschoß, der aber nicht benutzt wird. Stattdessen wird Tarek Mousli samt Rechtsanwalt Püschel, eskortiert von zwei BKA-Personenschützern, aus den Katakomben über die Treppe hinaufgebracht; die vier setzen sich auf die normalen Plätze vor dem Glaskasten.

Die wohlausgesuchten Teilnehmenden dieses Theaterstückes sind:

Bundesanwalt Monka: Ein ziemlich schnöseliger Schwabe, dem Aussehen nach nicht weit über 40 Jahre alt, ordentliche Spießigkeit ausdampfend und stets im feinen Anzug.

Bundesanwalt Griesbaum: Dem Auftritt nach der Ranghöhere, jedenfalls der Ältere. Ein gemütlicher Easy-Rider-Typ, lange angegraute Haare, Vollbart, lässiges Auftreten, er bevorzugt das legere kleinkarierte Jackett.

Das Kammergericht, 2.Senat: Den Vorsitz führt Herr Eckart Dietrich, dessen vor allem geistige Nähe zur Pensionierung weder zu übersehen noch vor allem zu überhören ist. Ein lustiger Opa, der rote Backen kriegt bei der Aufregung, kurz vor Ende seiner Laufbahn doch noch mal so ein Terrorismus-Verfahren auf den Tisch zu kriegen, eine Materie, von der er ersichtlich keinen Schimmer hat. Strenge liegt ihm fern, das flüssige Vorlesen von Texten ebenso. Drei seiner Beisitzer, von denen zwei wie ausgegraben aussehen, üben sich während der Verhandlung in meditativer Kontemplation oder schlafen offenen Auges. Zu seiner Linken sitzt ein jüngerer Richter, der es noch weiter bringen könnte und bisweilen Zeichen der Aufmerksamkeit gibt; er hat außerdem die Aufgabe, längere Textpassagen zu verlesen, was er durchaus überzeugend macht - der hat seinen Sartre wohl gelesen...

Der Rechtsanwalt: Ausgestopft. Ein leer grinsendes blondes Lockenköpfchen, in dessen Gesicht zu lesen steht: selten soviel Geld für sowenig Arbeit verdient. Er heißt Püschel und ist in Köln tätig.

Die Personenschützer: Jungdynamische Männer und Frauen, im Ohr den Knopf, am Handgelenk baumelnd die Sprechtaste, am Gürtel dezent verborgen das Pistolenholster. Sie mustern das Publikum ohne erkennbare Nervosität und langweilen sich.

Der Hauptdarsteller: Tarek Mousli trägt eine schwarze Kurzhaar-Perücke und eine dezente Hornbrille. Unter dem dunkelgrauen Pullover (wechselweise Anzug, weißes Hemd, Krawatte) zeichnet sich eine leichte Schutzweste ab. Wer ihn von früher kennt, weiß, daß nur plastische Chirurgie dieses markante Gesicht wirklich tarnen könnte. Tarek ist groß und schlank, wie nicht anders zu erwarten von sport­licher Statur, und betont gelassen. Nur wer ihn gut kennt, nimmt in den ersten Stunden eine gewisse Nervosität und Anspannung bei ihm wahr, die sich aber nach und nach legt.

Der 1.Prozeßtag, 6.12.2000

Der erste Eindruck vieler BesucherInnen vom Klima des Prozesses ist Erstaunen, teils fast Enttäuschung über die Lockerheit der Atmosphäre. Die demonstrierte Furchtlosigkeit des Staates gegenüber der radikalen Linken ist ernüchternd. Wenn Tarek seinen Platz betritt oder verläßt, geht er kaum zwei Meter entfernt von den vorderen Bänken vorbei, und nur zwei BKA-Gestalten stehen dazwischen, in diesem Moment allerdings schon in nervöser Gespanntheit.

Zu Beginn nimmt der Vorsitzende Richter die Personalien des Angeklagten auf:

Tarek Mousli, geboren am 19.03.1959 in Beirut/Libanon, deutsche Staatsangehörigkeit, geschieden. Aufenthaltsort ist dem BKA bekannt…

Anfangs gibt es einige erboste Zwischenrufe, und auch während des ganzen ersten Tages gibt es ein paar solche Situationen - immerhin sind im Publikum einige, die Tarek von früher kennen, mit ihm gemeinsame Geschichte haben und/oder von ihm namentlich belastet werden. Der Richter versucht sich in väterlicher Autorität, verweist aber niemand des Saales (in zwei Fällen hätte er es getan, aber die Betreffenden gehen vorher selbst, weil es ihnen reichte, was sie da hörten und sahen).

Bundesanwalt Griesbaum verliest die Anklageschrift.

Dem "selbstständigen Unternehmer" Mousli wird die Mitgliedschaft in den RZ von 1985-1995 vorgeworfen. Der Bundesanwalt erläutert kurz die Entwicklung der RZ seit ihrer ersten Aktion 1973 als "Revolutionäre Zelle", 1976 dann als "Zellen", 1977 erstes Auftreten des feministischen Zweiges, spätestens 1987 "Rote Zora" als eigenständige Gruppe, aber weiterhin gemeinsame Abstimmung und Logistik. Insgesamt seien den RZ mindestens 186 Anschläge zuzuordnen, davon mindestens 40 in Berlin und Umgebung. Die Zelle im "Pott" (Nordrhein-Westfalen) habe sich 1992 aufgelöst und dies öffentlich gesagt, die Berliner Zelle habe sich 1995 de fakto aufgelöst. Illegale würden aber weiterhin unterstützt.

Die Berliner RZ seien als eigenständige (terroristische) Vereinigung zu werten. Er geht dann in die Details der Zeit 1985-1990, die in der folgenden Beweisaufnahme noch einmal behandelt werden, insbesondere was die drei Anschläge angeht, die verhandelt werden: die Schüsse auf Hollenberg und Korbmacher und der Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA), 1986/87.

Strafbar sei all dies gemäß §129a StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung); §§306-308 und 311 Sprengstoffgesetz, alte Fassung (Beteiligung an Sprengstoffanschlag, unerlaubtes Umgehen bzw. Lagern von Sprengstoff).

In der Anfangsphase verliest der Vorsitzende Richter eine Erklärung des Gerichtes. Es habe im Vorfeld des Prozesses ein Gespräch zwischen Bundesanwaltschaft und 2.Strafsenat gegeben. Die Bundesanwaltschaft habe dabei erklärt, daß sie beabsichtige, eine Bewährungsstrafe zu beantragen und dies dem Beschuldigten auch bekannt sei. Das Gericht habe dazu erklärt, daß es üblicherweise "nicht ohne zwingenden Grund über die Strafanträge der Staatsanwaltschaft hinauszugehen" pflege.

Der Vorsitzende Richter fragt Tarek Mousli, ob er sich zu den Vorwürfen in der Sache äußern möchte. Tarek Mouslis Antwort: "Ja. Das stimmt alles."

So sieht also ein abgekarteter Prozeß, ein Schmierentheater aus. Manche BeobachterInnen fragen sich, ob jetzt gleich zu den Plädoyers übergegangen und der Prozeß noch heute abgeschlossen wird…

Der persönliche Lebensweg Tarek Mouslis wird erörtert.

Geburt wie erwähnt am 19.03.59 in Beirut. Seine Mutter sei Deutsche, sein Vater Saudi-Arabier, das Elternhaus "läßt sich als wohlsituiert beschreiben". Tarek Mousli habe drei Halbbrüder und eine Schwester, wobei einer der "Brüder" in Wirklichkeit ein Onkel sei, aber in der Familie wie ein Bruder gelte. Bis 1963 lebten sie in Beirut, dann sei der Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen und Tarek Mousli sei nach Deutschland übergewechselt. Ab 1964 habe er in Düsseldorf bei Pflegeeltern bzw. im Kinderheim gelebt, 1969-78 sei er in diversen Internaten gewesen(während seine Geschwister 1972-76 im Libanon waren). 1974 habe er begonnen, Karate zu trainieren. 1978 habe er in St.Peter-Ording Abitur gemachtund begonnen, in Kiel zu studieren, u.a. auch Informatik. Der Kontakt zur Familie sei unterschiedlich; mit seiner Mutter habe er sich überworfen und jahrelang gar keinen Kontakt zu ihr gehabt, mit dem Onkel-Bruder habe er ein gutes Verhältnis.

In Kiel sei Tarek Mousli bereits politisch engagiert gewesen. 1981 sei er nach Berlin gegangen, einerseits der Liebe wegen, andererseits weil es dort politisch mehr Möglichkeiten gab. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters nach seiner "Liebe zur Linkslastigkeit" erwähnt Tarek Mousli eigene Erfahrungen im libanesischen Bürgerkrieg und das Schicksal seiner Schwester. Er sei bereits während der Zeit im Gymnasium in einem linken Schülerkreis tätig gewesen. In Berlin habe er sich dann in sozialen Bewegungen wie der Hausbesetzungs- und Anti-AKW-Bewegung betätigt. Er habe an der Zeitschrift "radikal" und in dem Satzkollektiv "Gegensatz" mitgearbeitet, wo die Zeitung bis zur Illegalisierung 1984 hergestellt worden sei. Dort habe er Ende 1985 aufgehört und dann zwei Jahre lang einen eigenen Satzbetrieb gehabt. Dann habe er in einem anderen Satzbetrieb und als Programmierer gearbeitet, ab 1994 nur noch als Karate-Trainer. Er sei beteiligt an zwei Karate-Studios ("Snoop" in Prenzlauer Berg, "Pyramide" in Marzahn). Anfang der 80er sei er im "T'ung Dojo" im Mehringhof gewesen (er mokiert sich über den Namen, der übersetzt etwas ganz anderes bedeute, als beabsichtig gewesen sei). Die Frage des Vorsitzenden Richters, ob dieses Dojo als eine "Kaderschmiede für Linke" anzusehen sei, verneint er entschieden. Seit Ende der 80er habe er diverse Funktionen im Berliner Karateverband gehabt, vorübergehend (1993) sei er sogar Präsident gewesen, Funktionärsarbeit liege ihm aber nicht; lieber betätige er sich als Trainer des Landeskaders.

1990 habe er eine US-Amerikanerin geheiratet, weil sie beide sich eine Erleichterung ihrer jeweiligen Einbürgerungspläne nach Deutschland oder USA versprochen hätten. Das habe aber nicht geklappt, so ließen sie sich wieder scheiden. 1992 erhielt Tarek Mousli dann doch die deutsche Staatsbürgerschaft und gab dafür die saudi-arabische auf.

Anfang 1995 sei er zusammengezogen mit Karmen Tollkühn, deren Sohn bei ihm trainierte, in die Wohnung Schönhauser Allee 46a. Das Verhältnis habe sich aber wieder gelöst Ende 1996. Über seine derzeitige Lebensgefährtin wolle er keine Angaben machen.

Der Vorsitzende Richter wundert sich etwas über die zahlreichen angefangenen Studienfächer und bringt Tarek Mousli damit in geringe Verlegenheit. Man machte das eben damals allgemein so, um sich zu orientieren…

Die verschiedenen Wohnorte werden abgehandelt, angefangen beim besetzten "KuKucK" (Kunst- und Kulturcentrum) in Kreuzberg über eine Wohngemeinschaft in der besetzten Oranienstr.45, aus der er "herausexpediert" worden sei, bis zur Schönhauser Allee; folgende Wohnsitze werden ausgeklammert.

Die Beweisaufnahme beginnt mit einer Mischung aus anfangs ungeordneten Fragen des Vorsitzenden Richters und eigenständigen Erzählungen Tarek Mouslis.

Tarek Mousli beschreibt, Anfang der 80er habe er (zuerst in Kiel, dann in Berlin) an illegalen "Freien Radios" wie "Radio Kebap" und "Radio Utopia" mitgearbeitet. Aus dieser Arbeit sei dann eine "Funkgruppe" entstanden, die den Funkverkehr von Polizei und Verfassungsschutz abgehört habe. Weitere Beteiligte seien Lothar und zwei weitere Männer gewesen, die er namentlich nennt. Der Funkverkehr sei fast durchgehend mit technischen Geräten aufgezeichnet und später ausgewertet worden. Durch Abhören der Frequenzen, Gegenobservation und Informationen aus öffentlichen Quellen seien die interessanten Frequenzen gefunden worden. Auch aus dem Polizeiapparat habe es Informationen gegeben, z.B. Einsatzpläne, und es sei auch möglich gewesen, moderne Funkgeräte der Polizei zu beschaffen (ob das tatsächlich geschehen sein soll, bleibt offen). Über eine Person bei der Alternativen Liste seien Informationen aus dem Innenausschuß gekommen. Tarek Mousli legt hierbei Wert darauf, daß es sich um eine ihm unbekannte Einzelperson handele, nicht um die Partei an sich, die ja immerhin jetzt Regierungspartei sei… Es habe damals in der linken Szene einen Bedarf für solche Tätigkeit gegeben, und sie seien nicht die einzigen gewesen, die abhörten. Es sei auch einige Male gelungen, gefährdete Personen vor Observationen zu warnen, u.a. jemand aus dem anti-imperialistischen Spektrum (vom Vorsitzenden Richter fälschlich als RAF-Mitglied angesehen). Ab 1985 habe der VS den Funkverkehr digital verschlüsselt, was letztlich nicht zu knacken gewesen sei, obwohl sie eine Weile "nahe dran" gewesen seien.

Die Funkgruppe habe zuerst in Tarek Mouslis ehemaliger Wohnung am Bethaniendamm in Kreuzberg gearbeitet, ab 1987 in einer konspirativen Wohnung am Oranienplatz.

Der Vorsitzende Richter findet das alles ganz spannend und bemerkt, dieser Einblick in die geheimsten Bereiche der Sicherheitsbehörden würde denen ja wohl gar nicht schmecken. Tarek Mousli süffisant: "Wir waren ganz gut informiert." Die Logistik der Funkgruppe sei in die Berliner RZ-Struktur eingebracht worden und er und Lothar hätten bis zum Ausstieg darin weitergearbeitet, die Gruppe sei aber nicht Bestandteil der RZ geworden, sondern eine eigenständige Struktur geblieben. Aus der im folgenden erwähnten Geldquelle habe die Funkgruppe in den Jahren 1985-91 jährlich rund 10.000,- DM, insgesamt etwa 80.000,- DM, erhalten.

Ein weiterer von den RZ unabhängiger Komplex ist der sogenannte "Koordinierungsausschuß" (der Begriff ist laut Tarek Mousli sein "eigener Duktus" und erst während der Vernehmungen entstanden). Dieser Gruppe ordnet Tarek Mousli als Mitglieder "Siggi" zu sowie drei weitere Personen und eine fünfte mit der Einschränkung, sich da nicht sicher zu sein (er nennt die Namen). Die Gruppe habe über Geld verfügt, das aus der Erbschaft eines szenebekannten Apothekers und der damit verbundenen Stiftung "abgezweigt" worden sei. Er selber kenne den Mann nicht (er nennt seinen Vornamen). Der Koordinierungsausschuß habe nicht nur die Funkgruppe finanziert, sondern auch den RZ regelmäßig Geld gegeben. Jährlich seien ca.100.000-150.000,- DM geflossen; der Betrag sei nach 1987 höher geworden zur Finanzierung der damals Untergetauchten. Die Illegalen hätten pro Person monatlich 1500,- DM erhalten, die Miete sei gesondert finanziert worden. Koordiniert worden sei der Geldfluß von "Siggi".

Der Vorsitzende Richter fragt zur allgemeinen Erheiterung nach einer "Buchhaltung" der Transaktionen. Tarek Mousli sagt, es habe nur eine ungefähre Rechenschaft gegeben in Form loser Zettel, auf denen benötigte Gegenstände o.ä. standen. Der Koordinierungsausschuß habe nicht in die RZ "hineinregiert", es habe auch keine gemeinsamen Diskussionen gegeben. Die Mitglieder der Gruppe hätten aber in der autonomen Szene in theoretischer und praktischer Hinsicht eine führende Rolle innegehabt.

Kurz eingeführt wird der verstorbene Michael "Roger" Wittmann, der 1990 nach einem Autounfall komplett gelähmt war und dessen Pflege Tarek Mousli und andere organisiert hatten. Tarek Mousli sagt, Roger habe 200.000,- DM vor dem Sozialamt versteckt gehabt. Er erwähnt auch, daß es Unstimmigkeiten über Geldangelegenheiten gegeben habe.

Als 1994 "Siggi" ihn wegen eines Wiedereinsteigens in die RZ angesprochen habe, sei es auch um eine Geldspritze gegangen. Tarek Mousli habe daraufhin einen Teil von Rogers Guthaben den RZ als Darlehen vermittelt. Vom Konto einer Tante seien 50.000,- DM transferiert worden, 10.000,- DM in bar seien dazugekommen.

Eine andere Geldquelle der RZ sei die Postsparbuch-Aktion gewesen. Mithilfe gefälschter Postsparbücher seien 1986 (später ergibt sich: Am 25.4.86) rund 500.000,- DM beschafft worden. Woher die dafür verwendeten Blanko-Sparbücher stammten, die in mühseliger Kleinarbeit ausgefüllt worden seien, kann Tarek Mousli nicht beantworten. "Malte" sei als Fälschungsspezialist daran beteiligt gewesen. Das Gelingen der Aktion sei mit Sekt gefeiert worden (den "Judith" besorgt habe). "Judith" sei ein "exaltierter", leicht erregbarer Mensch; sie habe sich überschwenglich gefreut, aber gleich darauf ebenso heftig "Siggi" kritisiert für den von ihm begangenen Fehler bei der Aktion. Dieser Fehler habe zur Feststellung von "Siggi" und einem Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Urkundenfälschung geführt. Er sei sicherheitshalber nach Nicaragua verreist und erst im Februar 1987 zurückgekehrt. Das Rückkehrdatum scheint Tarek Mousli an anderer Stelle früher anders angegeben zu haben, hier scheint ihn die Bundesanwaltschaft zwischenzeitlich korrigiert zu haben. "Siggi" sei später wegen der Sache zu einer niedrigen Strafe verurteilt worden.

1985 sei er, Tarek Mousli, von "Kai" (Gerd Albartus) angesprochen worden auf einen Einstieg in die RZ; parallel dazu habe "Anton" (Axel Haug) Lothar gefragt. Er habe mit Lothar darüber gesprochen und sie seien dann gemeinsam eingestiegen. Er selbst sei als "Daniel", Lothar als "Sebastian" Mitglied geworden. Da er Lothar als seinen besten Freund bezeichnen würde, habe er sich sehr schwer damit getan, ihn letztlich zu belasten.

Die RZ seien eine historische mit einem Erbe versehene Organisation, die sich als militanter Teil der sozialen Bewegungen betrachtet habe. Es habe innerhalb der RZ verschiedene Strömungen und Meinungen gegeben. Ende der 70er Jahre habe ein inhaltlicher Bruch stattgefunden.

In der BRD habe es drei aktive Regionen gegeben: "Nord", "West" bzw. "Pott" (Rhein-Ruhr-Gebiet) und "Süd" (Raum Frankfurt). Dazu komme noch die "Insel" (Berlin) und der "Wald" (die Illegalen). Er habe auch gehört, daß es eine "Denkertruppe" gegeben habe, zu der u.a. zwei Männer aus Köln und Oldenburg gehören sollten (er nennt die Namen).

Die "Süd"-Gruppe habe sich 1983/84 aufgelöst.

Zuordnung von Namen: In Berlin habe es 1984 zwei aktive Gruppen gegeben. Zur einen seien "Jon" (Rudolf Schindler), "Judith" (Sabine Eckle) und "Siggi" (Harald Glöde) zu rechnen, zur anderen "Heiner" (Matthias Borgmann), "Anton" (Axel Haug) und "Toni". Die Identität von "Toni" sei ihm bis heute unbekannt, er habe ihn auch nie gesehen. "Kai" (Gerd Albartus), den er bereits 1984 kennengelernt habe, sei ein Pendler zwischen den Gruppen und zwischen "Insel" und "Pott" gewesen.

Bekannt sei ihm außerdem, daß "Malte" und "Lea" (seine Lebensgefährtin) zur "Nord"-Gruppe gehörten. Beide seien 1987 abgetaucht, ebenso wie "Franka". "Malte" sei ihm durch die Vernehmungen als vermutl. Thomas Kram bekannt geworden. "Malte" habe sich später noch mit "Jon" getroffen (1988/89). Nach 1987 seien alle Decknamen geändert worden; so habe "Jon" vorher "Horst" geheissen, "Luka" früher "Shorty". Die BKA-Aktion 1987 sei ein großer Einbruch in die Struktur gewesen.

"Pieper" sei kein Deckname gewesen, sondern der Spitzname eines früheren Hausmeisters im Mehringhof.

"Drogentod" sei der Spitz-/Deckname eines (namentlich genannten) Mannes, der in verantwortlicher Stellung beim Computersystem der Bundesdruckerei gearbeitet habe und darüber Ausweis-Blankos habe beschaffen können.

Ein anderer (namentlich genannter) Mann habe eine Prägemaschine hergestellt, die gebraucht wurde, um Bilder in Ausweisen auszutauschen, die zuvor von UnterstützerInnen zur Verfügung gestellt worden seien. Mit den Ausweisen seien die Illegalen ausgestattet worden.

Weitere Logistik: "Sebastian" habe eine Tasche mit Sprengstoff, Waffen und Munition in einem Schacht im Mehringhof versteckt. Er habe Tarek Mousli den Schachtdeckel einmal gezeigt. Bei der zweiten Durchsuchung des Mehringhofes im April 2000 sei es ihm aber durch die Kompliziertheit der videogesteuerten Suche nicht möglich gewesen, den Deckel wiederzufinden.

Kommentar eines Zuschauers: "Du kannst ja mal vorbeikommen!"

Die Mitglieder der Zellen hätten legal gelebt und gearbeitet, mit Ausnahme – in Berlin – von "Jon" und "Judith". Es sei nur mit Decknamen kommuniziert worden. Neben "Sebastian" sei ihm nur die Identität von "Siggi" aus der Szene bekannt gewesen. Die Klarnamen von "Jon" und "Judith" habe er erst im Zuge des Ermittlungsverfahrens erfahren. Er habe gewußt, daß sie aus Frankfurt/Main kamen.

Treffen habe es meist in Kneipen außerhalb von Kreuzberg gegeben. Die beiden Berliner Gruppen seien auch gegeneinander abgeschottet gewesen. Neumitglieder hätten nicht viel von den alten Geschichten erfahren.

Es habe übergeordnete Delegiertentreffen gegeben, sogenannte "Miez" oder (später) "Assambleas", aber lediglich ein- bis zweimal jährlich. Delegierte seien diejenigen gewesen, die schon lange dabei, erfahren und einflußreich gewesen seien, aus Berlin im wesentlichen "Jon" und "Judith", von anderswo z.B. "Malte" und "Lea". Auch aus dem "Wald" habe es Beteiligung gegeben, nämlich "Shorty".

Eines der "Miez"-Treffen habe in einem Tagungszentrum irgendwo im Wendland stattgefunden, ein andermal sei eine Fahrradtour angedacht gewesen.

Es habe dabei auch Kontakt zur Roten Zora, den sogenannten "Lolas", gegeben, u.a. von "Judith" und "Lea". Auf einem der Treffen habe es einen großen Krach mit den "Lolas" gegeben.

In den 70er Jahren habe es, so sei ihm erzählt worden, eine logistische Zusammenarbeit mit der RAF gegeben; die RAF sei bei den RZ "KSV" (Kommunistischer Studentenverein) genannt worden. "Judith" habe den Kontakt zur RAF gehabt. 1977/78 habe es einen großen Krach gegeben und danach keine Zusammenarbeit mehr.

Zu palästinensischen Gruppen habe "Kai" Kontakt gehalten. Er sei auch zur Ausbildung im Jemen gewesen.

Tarek Mousli sagt, sein eigenes Wissen über die RZ sei vor dem Einstieg sehr gering gewesen. Er habe einmal in der "radikal" einen Artikel über die RZ und ihre Politik verfaßt, den er im Rückblick als "sehr oberflächlich" ansehen müsse.

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters: So etwas wie eine "Verpflichtungserklärung" habe es nicht gegeben. Die Mitgliedschaft habe auf gemeinsamem politischen Bewußtsein gefußt. JedeR habe jederzeit, auch sofort, aussteigen können. Das sei auch in der Vergangenheit geschehen, wie er gehört habe.

Die RZ hätten sich in den 80ern auf nationale Themen und eigenständige Kampagnen (die Flüchtlingskampagne) verlegt. Es habe aber im "Pott" auch einen antiimperialistischen Flügel gegeben, dem "Kai" auch nahegestanden habe. Es habe Auseinandersetzungen gegeben.

Tarek Mousli erzählt von einem Streit zwischen "Jon" und "Judith" einerseits und "Kai" andererseits, wobei unklar bleibt, ob er selbst Zeuge gewesen sein oder nur davon erzählt bekommen haben will (und weder Vorsitzender Richter noch Bundesanwalt fragen nach – nicht das einzige Mal, daß so etwas vorkommt!). Es sei um den Anschlag auf Herbert Karry 1981 gegangen. "Jon" und "Judith", die gut über Details informiert gewesen seien, hätten den Tod Karrys als Unfall bezeichnet, "Kai" hingegen habe darauf beharrt, es sei Mord gewesen. Hier fragt der Vorsitzende Richter nach, und Tarek Mousli konkretisiert: Wenn "Kai" von "Mord" gesprochen habe, so habe er damit zweifellos die vor­sätzliche Tötung eines Menschen gemeint. "Jon" und "Judith" seien, ebenso wie "Heiner", Hardliner gewesen, die Anschläge auf Menschen für legitim gehalten hätten.

Nun werden die Jahre ab 1986 chronologisch abgearbeitet anhand der RZ-Aktionen aus dieser Zeit.

Anschlag auf Harald Hollenberg, Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Oktober 1986:

Beide Berliner Zellen seien arbeitsteilig vorgegangen. Tarek Mousli habe mit "Sebastian" einen Zeitplan für den Ablauf der Aktion erstellt. "Heiner" aus der anderen Zelle habe den inhaltlichen Hintergrund geliefert und das Fluchtauto steuern sollen, während "Jon" und "Judith" die Aktion durchführen und auf Fahrrädern flüchten sollten. Es habe keine Alternative zu "Jon" als Schützen gegeben, es habe keine Frau geschossen. "Jon" habe vor der Aktion mit Gewehr und Pistole im Wald Schießübungen gemacht und sich schließlich für die Pistole als Einsatzmittel entschieden. Tarek Mousli sagt, er selbst habe sich während der Aktion am S-Bahnhof Zehlendorf aufgehalten und mit einem tragbaren Scanner den Polizeifunk abgehört. Er habe ein Handfunkgerät dabeigehabt – er sei sogar im Besitz einer Amateurfunk-Lizenz -, um notfalls eine Warnung absetzen zu können. Das sei aber nicht nötig gewesen. Ein darüber hinausgehende Funk-Kommunikation sei nicht vorgesehen, aber theoretisch möglich gewesen. Nachdem er über den "Pol-Funk" vom erfolgreichen Abschluß der Aktion gehört habe, sei er zur Arbeit gefahren. Sie hätten sich eine Woche später wieder getroffen.

Die Erklärung der RZ zu dem Anschlag wird verlesen.

Anschlag auf die ZSA (Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber), Februar 1987: Er habe zusammen mit "Sebastian" wochenlang die Örtlichkeit beobachtet und ein "Zeitschema" für den Ablauf der Aktion erstellt. Hinweise zu Details des Objektes seien von "Heiner" gekommen. Die Erklärung sei vorher von "Judith" unter Mitarbeit von "Heiner" verfaßt worden. Den Sprengsatz habe "Jon" gebaut. Ziel des Angriffs sei die zentrale Computeranlage der ZSA gewesen, so hätten "Jon", "Judith" und "Heiner" es gesagt.

An der Aktion seien beide Berliner Zellen beteiligt gewesen. Tarek Mousli selbst habe wieder Absicherung per Funk betrieben. Direkt vor Ort seien "Heiner", "Anton", "Jon" und "Judith" (und "Sebastian"?) gewesen.

Der Vorsitzende Richter gerät hier in leichte Verwirrung. Gleichzeitig mit der Sprengung habe doch eine andere Gruppierung namens Revolutionäre Viren versucht, das Gebäude anzuzünden, das sei wohl gar nicht gelungen? Bundesanwalt Griesbaum winkt desinteressiert ab, Tarek Mousli bequemt sich, dem Vorsitzenden Richter die Sachlage zu erklären. Tatsächlich habe der eigene Anschlag kaum Schaden verursacht, derjenige der Revolutionären Viren hingegen, der später stattfand, ganz erheblichen. Es seien seines Wissens zahlreiche Akten dabei vernichtet worden. Die Revolutionären Viren hätten sich selbst als "Jugendorganisation der RZ" bezeichnet, seien aber nicht Teil der RZ gewesen. Es habe Überlegungen zu einer Verschmelzung gegeben, die aber schließlich nicht weiterverfolgt worden seien, da es personelle Überschneidungen zum "Koordinierungsausschuß" gegeben habe, von dem die "Viren" auch Geld erhalten hätten. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters nennt Tarek Mousli den Namen eines Mannes, der zu den Revolutionären Viren gehört habe und den er zuvor auch schon als eventuelles Mitglied in dem "Koordinierungsausschuß" benannt hatte.

Der Vorsitzende Richter wirft einen müden Blick auf seine dämmernden Beisitzer und ruft zur Mittagspause. Nach einiger Suche durch verwinkelte Gänge treffen sich alle in der Cafeteria wieder: hier beisitzende Richter, dort BKA-Personenschützer, da ProzeßbesucherInnen, und dazwischen die Bundesanwälte, Tisch an Tisch. Hinter all dieser Gelassenheit, diesem Anekdotenhaften verschwindet nach und nach die Erinnerung, daß da einige Menschen im Knast sitzen und schlimmstenfalls noch viele Jahre sitzen werden aufgrund dieser traurigen Komödie

Weiter geht es mit dem Sprengstoffdiebstahl Salzhemmendorf 1987:

Der Einbruch sei vom "Norden" gemacht worden, nachdem das Projekt auf einem "Miez"-Treffen besprochen worden sei. Bei dem Einbruch sei eine Stahltür aufgeschweißt worden. Es seien ca.100kg erbeutet worden, von denen die Berliner Gruppen ca.20kg bekommen hätten. Das Zeug sei über "Heiner" nach Berlin gekommen und letztlich an "Sebastian" weitergegeben worden, der es wie schon erwähnt im Mehringhof versteckt habe.

Der Vorsitzende Richter ergänzt, Sprengstoff aus diesem Einbruch sei 1991 beim Anschlag auf die Siegessäule und 1993 beim Anschlag auf den BGS benutzt worden. Tarek Mousli bringt mit dem 91er-Anschlag "Sebastian", mit dem 93er-Anschlag "Siggi" in Verbindung.

Anschlag auf Günter Korbmacher, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, September 1987:

Tarek Mousli sagt, er habe wiederum mit "Sebastian" beobachtet und einen Zeitplan erstellt. Sie hätten auch beide das Fluchtauto beschafft und hätten Testserien für einen Brandsatz gemacht, der später das Fluchtauto zerstören sollte, um Spuren zu verwischen. Außerdem habe er versucht, an dem für die Aktion vorgesehenen Motorrad die Identifizierungsnummer am Motorblock wegzufeilen (es sei aber, wie er inzwischen wisse, nicht die richtige Nummer gewesen). Das Motorrad sei in Westdeutschland geklaut worden und von "Siggi" und "Heiner" mit einem Transporter nach Berlin gebracht worden. Die beiden Fahrzeuge seien bei einer Bekannten von "Heiner" namens Lotte untergestellt worden.

Bei der Tat selbst habe er selbst wieder Funkaufklärung betrieben, diesmal von der konspirativen Wohnung am Oranienplatz aus. Warum er diesmal nicht vor Ort war, will der Vorsitzende Richter wissen, die Antwort bleibt vage. Es sei eben nicht notwendig gewesen aufgrund der Planung der Aktion. "Jon" sei wiederum der Schütze gewesen. "Sebastian" habe die Waffe gereinigt.

Zu der Waffe gibt es offenbar kleinere Unstimmigkeiten. Es soll dieselbe sein, die auch bei den Schüssen auf Hollenberg verwendet wurde, allerdings sei der Schlagbolzen zwischenzeitlich ausgewechselt worden. Tarek Mousli sagt, ihm seien Waffen vorgelegt worden, und er ist sich unsicher, ob er die Tatwaffe richtig wiedererkannt hat.

Nach der Aktion habe es Ärger gegeben, da "Judith" eigenmächtig Passagen der vorbereiteten Erklärung verändert habe.

Der Vorsitzende Richter hält Tarek Mousli die Aussage Karmen Tollkühns vor, nach der er sich selbst als Schützen bezeichnet habe. Tarek Mousli sagt, er habe sich vielleicht damals ungenau ausgedrückt, von "wir" gesprochen.

Die Erklärung der RZ zum Anschlag wird verlesen. Ein großer Teil des Publikums applaudiert im Anschluß daran.

Zum Anschlag auf die Siegessäule im Januar 1991

sagt Tarek Mousli, noch vor seinem Ausstieg aus dem aktiven Kern 1990 sei dieses Angriffsziel bereits diskutiert worden. Er selbst sei dagegen gewesen, da die Siegessäule nicht mehr ein Symbol des Militarismus sei, sondern mittlerweile für Schwule und Lesben Symbolkraft habe, selbst eine Schwulenzeitschrift sei danach benannt.

Zur Ausstiegsphase 1989/90: Tarek Mousli sagt, daß 1989 ein "Waldspaziergang" nahe dem Wannsee stattfand, auf dem beide Berliner Zellen (mit Ausnahme von "Toni") komplett anwesend waren. Dort sei über etliches gesprochen worden, Vergangenes wie auch Perspektiven. Das Papier "Gerd Albartus ist tot" (veröffentlicht Dezember 1991), das von "Malte" verfaßt worden sei, sei hier diskutiert worden, ebenso ein erster Entwurf des Auflösungs-Papiers "Das Ende unserer Politik" (veröffentlicht Januar 1992).

Es habe den Vorschlag gegeben, die "F-Kampagne" (Flüchtlingskampagne) abzulösen durch eine Anti- Patriarchats- Kampagne. Dies sei auch an die "Lolas" herangetragen worden.

Tarek Mousli selbst habe aufgrund seiner zunehmenden Bedenken aussteigen wollen. Er habe Aktionen wie zuletzt die gegen "Dr.Korbmacher" nicht mittragen können, dazu sei der Mord an Gerd Albartus gekommen. Er habe nicht so "hart und kalt" werden wollen wie die anderen.

Nach seinem Aussteigen hätten die Übriggebliebenen sich zu einer Gruppe zusammengetan, also "Siggi", "Anton", "Heiner" und "Sebastian".

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters: Aussteigen habe nicht bedeutet, sofort gar nichts mehr zu machen. Er sei nach einer "aktiven" Zeit nun "inaktiv" gewesen, habe einfach nichts mehr mitgemacht. Funkaufklärung habe er noch eine Zeitlang weiter betrieben.

1994 sei dann "Siggi" auf ihn zugekommen und habe sich mehrmals mit ihm getroffen, um ihn zum Wiedereinstieg zu bewegen. Der Vorsitzende Richter hakt nach: Mehrmals? Wenn er doch gleich beim ersten Mal sicherlich klar abgelehnt habe? Tarek Mousli druckst etwas rum, ja, das habe er schon… man habe halt weiter gesprochen. Als er mitbekommen habe, daß die Gruppe finanzielle Probleme hatte, habe er das erwähnte Darlehen über 60.000,- DM besorgt. Schließlich habe "Siggi" ihm bei einem Treffen die ca.10kg Sprengstoff übergeben zur vorübergehenden Aufbewahrung, da es irgendwo Probleme gegeben habe. (Anm.: In der Anklageschrift hieß es demgegenüber, Tarek Mousli habe den Kellerschlüssel deponiert und eine unbekannte Person den Sprengstoff in den Keller gebracht)

Nach dem Kellereinbruch 1995 habe "Siggi" die Rücknahme des Restes verweigert.

Zuletzt fragt der Vorsitzende Richter nach der Abschrift eines Karbon-Bandes, das bei Axel H. gefunden worden sei. "Hallo Langer…", aus einer Befragung des BKA vom 4.7.00.

Ende des 1.Prozeßtages

Fazit nach dem ersten Tag: Das Ping- Pong- Spiel zwischen vorsitzendem Richter, Bundesanwälten und Angeklagtem verläuft reibungslos. Ist der Richter unsicher, was er machen soll, fragt er Bundesanwalt Griesbaum.

Für den Richter ist fast alles zu kompliziert, er kann ja nicht einmal "Revolutionäre Zellen" aussprechen und landet immer bei "Roten Zellen", da hilft keine Korrektur von Tarek oder sonstwem, Bundesanwälte und BKA lächeln nachsichtig...

Tarek achtet stets auf formale Korrektheit, vergißt nie den "Dr." bei Namen wie Korbmacher, sagt "Polizei", wo der Richter mutig-kokettierend von "Bullen" spricht. Tarek bemüht sich um Distanz, sowohl zu den Personen seiner Geschichte als auch zum Geschehen selbst, und natürlich auch zu den ZuhörerInnen. Er versucht anfangs, um das offene Aussprechen von Klarnamen herumzu­kommen (weil ihm "die Decknamen geläufiger" seien, wahrscheinlicher aber, um die emotionale Belastung zu Beginn abzufedern). Er blickt am ersten Tag nie, höchstens kurz aus Versehen, nach links ins Publikum und zeigt keine emotionalen Reaktionen auf Zwischenrufe - es ist offensichtlich, daß eine seiner Regieanweisungen ist: kein Kontakt zum Publikum! Er ist ganz auf die Bundesanwälte fixiert, mit denen er freundlich lächelnd Verbindung hält, und auf den Richter. Mit seinem Rechtsanwalt scheint er höchstens nebenbei über Belanglosigkeiten zu flüstern. Tareks Erzählung ist gelassen, zuweilen launig, immer etwas Über-den-Dingen-stehend. Wer ihn kennt, weiß, daß das seine Art ist und auch früher schon war. Er tritt nicht als Renegat auf, nicht als politischer Verräter, der allem abschwört, was ihm je heilig war, sondern versucht, das Bild eines differenzierten, kritisch denkenden Menschen zu vermitteln, der durch die vergangene Zeit, Lebensumstände und die Zwänge seiner aktuellen Situation zu neuen Einsichten gekommen ist. Er trägt nicht dick auf, räumt auch gelegentlich kleinere Fehler oder unrühmliche Episoden ein (wie etwa, aus einer Wohngemeinschaft "herausexpediert" worden zu sein; oder Streitigkeiten um Geld, wobei er nicht behauptet, im Recht gewesen zu sein...). Insgesamt entsteht so für "neutrale" BetrachterInnen ein durchaus schlüssiger und authentischer Eindruck eines Menschen, der auf eine vergangene Episode seiner Lebens­geschichte zurückblickt, teilweise (selbst-)kritisch, teils aber auch anekdotenhaft oder gar gerne und ohne Bitterkeit.

Wir erfahren auch, welche Halbwertszeit Tarek einer Freundschaft zubilligt: denn die Beschuldigung gegen Lothar, den er als "damals besten Freund betrachten würde", kostete ihn "viel Überwindung", will meinen, rund einen Monat Bedenkzeit (hier kommt nicht wenigen im Saal die Galle hoch)...

Der 2.Prozeßtag, 11.12.2000

Tarek Mousli und Rechtsanwalt Püschel erscheinen verspätet. Püschel entschuldigt sie, es sei für 6 Uhr 30 gebucht gewesen, aber die Maschine habe sich verspätet (woraus zu schließen ist, das sie mit dem Flug der Deutschen BA aus Köln-Bonn, planmäßige Ankunft ca.7.30, am heutigen Tag ca.60 Minuten Verspätung, gekommen sind).

Tarek Mousli begrüßt die Bundesanwälte mit freundlichem Lächeln, bevorzugt Monka. Er trägt heute seriösen Anzug, weißes Hemd, Krawatte.

Der Vorsitzende Richter will Karmen Tollkühn laden als Zeugin. Ihre Aussage vom 22.7.99 wird in Auszügen verlesen als Vorhalt für Tarek Mousli. Darin heißt es, Tarek Mousli habe nie zu ihr gesagt, er sei Mitglied, und nie von Sprengstoff (als sein Eigentum) gesprochen. Er habe von (Hilfe für?) "Genossen“ und einer "abgeschlossenen“ Geschichte gesprochen. Sie habe daraufhin gefragt, warum der Sprengstoff denn dann im Keller gewesen sei. Er habe daraufhin gesagt, nicht nur Mitläufer, sondern führende Kraft gewesen zu sein. Er sei noch zu kleinen Gefälligkeiten verpflichtet. Er sei auch nicht frei von Angst. Er habe etwas von Auseinandersetzungen erzählt, wo es um Rücksichtnahme auf Zivilbevölkerung gegangen sei. Er habe den Verdacht geäußert, daß die andere Fraktion den Sprengstoff gestohlen habe, da nicht alles weg war und auch die Zünder noch da waren. Er habe die Schüsse auf "einen Richter, der Asylverfahren macht" erwähnt und zugegeben; als Begründung habe er das Schicksal seiner Schwester und Abschiebung genannt. Er habe Korbmacher wochenlang observiert gehabt. Er habe auf einem Motorrad gesessen und 2-3mal geschossen ins Knie. Sie hätten dabei Kombis getragen.

Da die Bundesanwaltschaft keine Einwände hat, zieht sich das Gericht zur Beratung zurück und bemüht sich, die Zeugin noch für den Nachmittag herbeizuzitieren.

Der Vorsitzende Richter hat noch ein paar gestern vergessene Punkte abzuarbeiten.

Die BKA-Aktion 1987: Woher kamen die fraglichen Wecker? Tarek Mousli sagt, er wisse es nicht, "Jon" habe sie einfach gehabt. Die "Emes-Sonochron"-Wecker seien technisch von Vorteil gewesen, weil sie ohne schwierige Umbauten als Zündzeitgeber einsetzbar gewesen seien.

Der Vorsitzende Richter trägt die Haftverhältnisse nach: 1.Verhaftung 19.5.99-17.7.99, 2.Verhaftung 23.11.99-27.4.00, insgesamt hat er 6 Monate und 22 Tage Untersuchungshaft errechnet.

Ein paar Details zur Familiengeschichte werden nachgetragen.

Noch einmal zur Ein- und Ausstiegsphase.

Tarek Mousli sagt, ab Frühjahr 1989 sei es neben seinem Aussteigen auch um das Wiederauftauchen von "Jon" und "Judith" gegangen. Er sei dann 1990 selbst drei Monate verreist gewesen und habe in dieser Zeit einen "fließenden Ausstieg" praktiziert. Es habe zwar Versuche gegeben, ihn davon abzubringen. Seine grundsätzlichen politi­schen Überzeugen hätten sich damals auch nicht geändert gehabt. Er habe jedoch "keine Menschen mehr gefährden" wollen, überdies sei er "erschüttert" gewesen über die Liquidation von Gerd Albartus, den er als seinen (er korrigiert sich spitzfindig: nicht nur seinen, aber auch seinen) Freund angesehen habe; über eine "Ebene von Politik", die er "nur als entartet" bezeichnen könne, bei der man "verroht und verkommt".

Zeitsprung zurück: Vor dem Einstieg habe er den "Revolutionären Zorn Nr.6" mit der "populistischen Umkehr" aufmerksam gelesen und die Diskussionen in der linken Szene verfolgt. Aktionen gegen Sachen waren stets gebilligt, aber Aktionen gegen Menschen nicht. Bei seinem und "Sebastian"s Einstieg sei die Flüchtlingskampagne samt der Knieschüsse bereits vorbereitet gewesen. Seine Widersprüche dazu hätten sofort begonnen, aber "man steigt ja nicht gleich wieder aus, wenn man gerade eingestiegen ist… es stecken ja auch politische Überzeugungen dahinter." Die Erklärungen zu Hollenberg und Korbmacher seien schon vorformuliert gewesen, aber er und "Sebastian" hätten darüber auch diskutiert und Zweifel geäußert.

Das gestern vergessenen ZSA-Bekennerschreiben wird vom Gericht verlesen.

Nun beginnt die Befragung durch die Bundesanwälte, zuerst durch Monka, später durch Griesbaum. Es geht im Wesentlichen um die Vertiefung von Details. Schwerpunkt dabei ist, die Rolle der "alten" RZ- Mitglieder herauszuarbeiten und Tarek Mouslis Ausstieg sowie seine anfangs widersprüchlichen Aussagen aufzuhellen.

Wie stets, werden ihm goldene Brücken gebaut und von Seiten der Bundesanwälte vorher besprochene Stichworte geliefert. Dabei bemüht sich niemand, dies zu verschleiern. "Sie wissen, worauf ich hinauswill?" fragt schelmisch Bundesanwalt Monka. Tarek nickt grinsend, noch bevor die Frage zu Ende gesprochen ist.

Tarek Mousli hatte am Vortag gesagt, er habe selbst einen "radikal"- Artikel zum Thema RZ verfaßt, und stimmt Bundesanwalt Monka nun zu, als der denselben als "sehr dilletantisch" bezeichnet. Monka bittet um Erklärung, was der Unterschied zwischen Szene- Angehörigen und RZ- Mitgliedern gewesen sei und wie sich Tarek Mouslis Wissen über die RZ vor bzw. nach dem Beitritt dargestellt habe. Tarek Mousli antwortet, seine Ansichten über die RZ, über die Zeit vor dem "Bruch", über die OPEC- Aktion, über den "Mord an Karry" seien sehr "blauäugig" gewesen. Die unterschiedliche Bewertung innerhalb der RZ, wie es zu Karrys Tod kam, sei ein Beispiel dafür. Auch den Stand der "Diskussion zu den Palästinensern" habe er nicht gekannt. Die RZ seien den Diskussionen innerhalb der linken Szene weit voraus gewesen. Die Nähe zur Bewegung sei nur eine Worthülse gewesen, Worten und Taten hätten auseinandergeklafft. Von 1981 bis zu seinem Eintritt 1985 habe er nur aus öffentlichen Quellen etwas über die RZ gewußt. Auf Nachfrage von Bundesanwalt Monka betont er: Nein, es sei auch nicht in der Szene hinter vorgehaltener Hand gemunkelt worden, wer Mitglied sei.

Zur Einstiegsphase: Vor dem Einstieg habe er mehrere vorbereitende Gespräche mit Gerd Albartus geführt, bei denen es um konspiratives Verhalten gegangen sei. Er (und "Sebastian") seien dann von "Jon" und "Judith" in die Struktur der Berliner RZ eingewiesen worden. Aber erst bei dem Waldspaziergang 1989 sei er informiert worden, wer welche weitergehenden Kontakte hatte.

Seine WG habe ihn ja damals 1985 "hinausgebeten", da er als "kleiner Kapitalist" verschrien gewesen sei. Das sei seiner Legendierung, dem Rückzug aus aktiver Szene-Politik, entgegengekommen. Beim Einstieg in die RZ seien ihm und "Sebastian" aber keine bedeutenden Fehler vorgehalten worden. "Judith" habe von ihnen beiden erwartet, ihren Beruf aufzugeben, insbesondere "Sebastians" Tätigkeit als Hausmeister im Mehringhof, was sie "natürlich" abgelehnt hätten. Zudem sei er, Tarek Mousli, dafür kritisiert worden, daß er für eine Fahrt mit "Jon" und "Judith" den geliehenen VW- Bus eines szene- und polizeibekannten Mannes (er nennt den Namen) benutzt habe.

Zur Struktur:

Die Treffen hätten in größeren Abständen stattgefunden, meistens einmal im Monat, vor Anschlägen öfter. Getroffen hätten sie sich in Kneipen außerhalb Kreuzbergs (Charlottenburg, Tiergarten) oder auch in konspirativen Wohnungen der Funkgruppe bzw. einer Wohnung in der Oranienstr.7 oder 9. Es habe keine festen Tageszeiten gegeben, neue Treffen seien von Mal zu Mal neu vereinbart worden. "Jon" und "Judith" hätten bei Bedarf die Frequenz erhöht. "Jon", "Judith" und "Heiner" seien Delegierte für übergeordnete Treffen gewesen. Scheiterte eine Verabredung, sei sie am nächsten Tag wiederholt worden, bei erneutem Scheitern eine Woche später. So seien beide Berliner Gruppen verfahren.

Überregionale Treffen seien per Geburtstagsgruß-Anzeige in der "taz" vereinbart worden, dabei seien Decknamen benutzt worden. Eine solche Anzeige habe bedeutet: Treffen in ca.2 Monaten, Hauptbahnhof Düsseldorf oder Duisburg, 12 Uhr mittags (er sei sich nicht sicher über die Details).

Im Vorfeld einer Aktion habe es in Berlin häufigere Treffen gegeben, z.B. vor dem Hollenberg-Anschlag meistens abends in der konspirativen Wohnung der Funkgruppe am Bethaniendamm, wöchentlich, kurz vorher noch öfter. Einige Tage vor der Aktion sei das letzte Treffen gewesen, das erste dann etwa eine Woche danach. Es habe mehrere Stunden gedauert, zentrales Thema sei die Aktion gewesen. Wenn Hollenberg am geplanten Termin nicht erschienen wäre, wäre abgebrochen und ein neuer Termin festgelegt worden.

Bundesanwalt Griesbaum übernimmt und will etwas über die "führenden Köpfe" erfahren. Tarek Mousli schildert, "Jon" und "Judith" seien Gründungsmitglieder der RZ – mit allen Widersprüchlichkeiten der RZ- Historie - und hätten bundesweit fast alle gekannt. Sie seien zu den "Miez"- Treffen gefahren und hätten sich mit "Heiner" getroffen, der ein "Altmitglied" sei (Tarek Mousli sagt ausdrücklich nicht: Gründungsmitglied). Sie hätten manches von früher detailliert erzählt, anderes aber abgeblockt. Sie hätten dominierenden Einfluß gehabt, Widersprüche seien besonders von "Judith" abgewürgt worden. Sie sei federführend beim Verfassen von Erklärungen gewesen. "Heiner", "Jon" und "Judith" hätten so etwas wie Führungspositionen innegehabt. Es hätten aber alle Beteiligten "aus freien Stücken" gehandelt und mitgemacht.

"Jon" und "Judith" hätten früher in Frankreich "im Wald" gelebt. Dann sei 1983/84 die "Süd"-Gruppe aufgelöst worden und die "Wäldler" neu strukturiert worden. "Jon", der 1981/82 schon einmal kurz in Berlin gewesen sei, und "Judith" seien der "Insel" zugeschlagen worden, als Verstärkung, während "Luka" und seine Lebensgefährtin in den "Pott" gegangen seien.

Zur OPEC-Aktion sagt Tarek Mousli, Gerd Albartus habe ihm gegenüber geäußert, er sei logistisch eingebunden gewesen. "Jon" habe gesagt, er habe Kontakt zu Johannes Weinrich gehabt, habe aber nichts von einer eigenen Beteiligung erzählt. "Jon" habe einmal gesagt, er bekomme Probleme, falls Hans-Joachim Klein mal auspacken sollte.

Nun geht es um die Widersprüche in den Aussagen von Tarek Mousli. Tarek Mousli sagt, er habe zu Anfang (also nach der zweiten Verhaftung im November 99) eine Art Verschleierungstaktik betrieben. Lothar als seinen früheren Freund habe er zuerst decken wollen. Da Lothar von "Anton" angeworben worden sei, habe er darum auch "Antons" Identität nicht zu kennen vorgetäuscht. Bezüglich "Heiners" habe er von Anfang an sein Wissen mitgeteilt. Er habe ihn aus der "Montagsrunde" im EX als "Matti" gekannt und gewußt, daß er eine Tochter hat und in Kreuzberg wohnt. Später sei ihm noch eingefallen, daß "Heiner" und "Malte" Schulfreunde gewesen seien. Kennengelernt habe er ihn erst beim "Waldspaziergang" 1989.

Er, Tarek Mousli, habe aber dann im Dezember 1999 "andere Sorgen und Ängste in den Vordergrund gestellt" und sich "entschieden", angesichts der auslaufenden Frist für die Kronzeugenregelung am 30.12.99. Als er dann Lothar selbst belastet habe, was für ihn ganz hart gewesen sei, habe es auch keinen Grund mehr gegeben, Axel außen vor zu lassen. Er habe Axel schon vor seinem Beitritt in die RZ gekannt, u.a. aus dem T'ung-Dojo, und es sei ihm relativ rasch klar geworden, daß Axel "Anton" gewesen sei. Sie hätten sich aber außerhalb des RZ- Rahmens nie darüber unterhalten.

"Toni" habe er nie gesehen, der sei ja auch bei dem Waldspaziergang nicht dabeigewesen.

Bei dem Waldspaziergang 1989 seien alle außer "Toni" dabeigewesen. Es sei über einige Texte gesprochen worden: Das Papier "Gerd Albartus ist tot", das von "Judith" verfaßte Papier "Was ist das Patriarchat", und den Textentwurf aus dem "Pott", "Das Ende unserer Politik", der dann 1992 veröffentlicht worden sei. Außerdem sei es um die Ausstiegs- und Auftauch- Absichten einzelner gegangen.

Als Vorlauf für die Patriarchats- Debatte habe es den (öffentlichen) Text "3:1" gegeben. Es habe auch einen weiteren, von "Lea" geschriebenen Text zur Patriarchats- Frage (Thema Lohn-/Hausarbeit) gegeben, der aber später nicht weiter behandelt und seines Wissens nirgends veröffentlicht worden sei. Der Text von "Judith" sei eine "intellektuell sehr hochstehende Arbeit" gewesen, die umstritten gewesen sei und der er letztlich nicht habe folgen können.

„Malte“ und „Heiner“ hätten einen neuen Zugang zur sozialen Frage angestrebt.

Wieder zu Tarek Mouslis Abwendung von den RZ. Bundesanwalt Griesbaum fragt, warum er trotz seiner Kritik an den Aktionen gegen Hollenberg und Korbmacher mitgemacht habe? Tarek Mousli wiederholt, man steige nicht gleich wieder aus, wenn man gerade eingestiegen sei. Es habe gegolten, daß Widersprüche intern angesprochen und abgeklärt würden. Er habe seine Bedenken mit "Siggi" und "Sebastian" geteilt.

Dann, 1999, sei ihm bereits im April die Kronzeugenregelung erstmals angeboten worden. Seine Lebensumstände seien nun ganz andere gewesen als Ende der 80er Jahre. Er habe sich von der Szene und ihren Inhalten entfernt gehabt und sein Leben neu organisiert. Es gebe persönliche Umstände, über die er nicht sprechen wolle. Schließlich wolle er nicht geradestehen für Vorwürfe, die er nicht zu verantworten habe. Er sei kein "Rädelsführer" gewesen, er habe nicht geschossen.

Bundesanwalt Griesbaum erwähnt, in einigen Medien werde das Leben eines Kronzeugen in rosigen Farben gemalt. Wie er denn das sehe? Tarek Mousli betont, die Medien seien ihm egal. Er habe vieles aufgeben müssen, seine Stellung im Karate- Verband, seine engen Beziehungen v.a. zu seinen jungen Schülern, und auch zu deren Eltern. Er habe auch sein Hobby aufgeben müssen, das ihn "mit sehr viel Liebe erfüllt" habe.

Ende der Befragung. Es geht in die Mittagspause.

Auffällig ist, daß Tarek Mousli seine Worte genau wählt, in seiner Aussage sortiert, was er selbst zu wissen behauptet, vom Hörensagen wisse oder auch erst aus Vernehmungen erfahren habe. Der Clou an der Sache ist, daß dies den Bundesanwälten und v.a. dem Gericht völlig egal ist – in der schließlichen Wahrnehmung und Würdigung verschwimmt alles zu einem allgemeinen Tatsachenbrei.

Tarek Mousli bemüht sich, auch politisch nicht denunziatorisch zu argumentieren, benutzt keine häßlichen Worte selbst für Leute, die er offenkundig ans Messer liefert bzw. liefern will. Das wird insbesondere bei "Judith" deutlich, die er per Hörensagen (Schreibtischtat!) als (Mit-)Mörderin von Karry hinstellt und die er insgesamt in zurückhaltender Art und Weise charakterlich abzuwerten versucht. Er sagt vornehm, "es fielen wohl auch härtere Worte", was meint, sie habe ihn beschimpft; gleichzeitig würdigt er ihre intellektuelle Leistung. Diese objektivierende Distanz soll gleichzeitig seine eigene Glaubwürdigkeit stützen als auch das negative Bild von "Judith" verstärken.

Auch das schon erwähnte Eingestehen unrühmlicher Episoden dient dazu, eigene Sicherheit zu demonstrieren (und sich vielleicht auch für weitere unrühmliche Episoden in den bevorstehenden Prozessen emotional zu rüsten).

Nach der Mittagspause erscheint als Zeugin Karmen Tollkühn, eine 34jährige Verkäuferin aus Ost-Berlin.

Sie begrüßt Tarek Mousli mit vorsichtigem Lächeln, das er beantwortet. Sie ist bei der Befragung (verständlicherweise) nervös, antwortet nur in kurzen Sätzen, bestätigt öfters lediglich Vorhalte oder vorformulierte Sätze vom Richter oder Bundesanwalt.

Sie sagt aus, Tarek Mousli habe sich ihr gegenüber nicht ausdrücklich als "RZ- Mitglied" bezeichnet. Von dem Sprengstoff habe sie erst erfahren, als der schon weg war. 1995 habe er sich als der Gruppe nahestehend, aber nicht mehr Mitglied bezeichnet. Er habe sich seiner Rolle in der Gruppe nicht gebrüstet, aber auch nicht nur als ein Mitläufer dargestellt. Zu den Schüssen auf Korbmacher bestätigt sie den Vorhalt aus der Vernehmung, ja, er habe gesagt, es seien zwei Männer gewesen. Er selbst sei dabeigewesen. Auf Nachfrage: "Mir war so, als ob er gesagt hat, er hat geschossen." Sie hätten Kombis angehabt. "Er hat sich nicht gebrüstet, nicht explizit, daß er geschossen hat."

Über ihr Konto sei Geld geflossen, sie habe gedacht, es sei von Tarek Mouslis Bruder.

Die Bundesanwälte fragen weiter. Erstmals habe sie von "Revolutionären Zellen" bei ihrer Vernehmung durch das BKA gehört. 1995 habe Tarek von einer in Berlin tätigen gewaltbereiten Gruppe gesprochen.

Sie selbst komme aus Ostberlin. Auf die Frage, welche emotionale Befindlichkeit Tarek Mouslis Eröffnungen bei ihr damals ausgelöst hätten, Unverständnis. Er habe Angst gehabt, sie darum auch. Er habe befürchtet, Leute aus der Gruppe hätten das Zeug geklaut.

Bundesanwalt Griesbaum legt ihr nahe: Angesichts der ganzen Aufregung, könne es da nicht sein, daß sie Tarek Mousli mißverstanden habe, als es darum ging, ob er selbst geschossen habe? Sie sagt, es habe sich so bei ihr festgesetzt, er habe gesagt, er habe geschossen.

Bundesanwalt Griesbaum, geduldig: "Sind Sie sich sicher, oder erinnern Sie sich nur so daran?" Ob es nicht doch sein könne, daß Tarek Mousli von "wir" gesprochen habe, sie aber, da sie ja nur ihn kannte, das irrtümlich als "ich" gedeutet habe? Sie ist endlich hinreichend verunsichert und will sich auf nichts mehr festlegen.

Die Zeugin wird unvereidigt entlassen. Zum Abschied bedankt sie sich bei Bundesanwalt Monka und lächelt noch einmal Tarek Mousli zu.

Nunmehr werden Texte der RZ verlesen, der Vorsitzende Richter hat sich einzelne Textpassagen herausgesucht (sagt er), teils sind es nur Halbsätze, teils längere Abschnitte. Sie stammen aus:

"Revolutionärer Zorn Nr.1", Mai 1975:

  • "Anschlagtafel 1973 bis 1975";

  • "Interview mit einer Revolutionären Zelle" (zu finden im Buch "Früchte des Zorns", ID-Verlag, Band 1, Seite 88-91 und 96-115, das Interview nur in Auszügen).

"Revolutionärer Zorn" Nr.4 oder Nr.5 (vom Richter nicht genannt), 1978:

  • Seite 21, die letzten 2 Sätze;

  • "Zum Nulltarif", Auszug: "Vorschläge" für Aktionen

  • Seite 23, Erklärung zur Aktion gegen die Schwarzfahrerkartei der Berliner BVG.

"Revolutionärer Zorn Nr.6", 1981:

Der Vorsitzende Richter weist darauf hin, daß es in der Nr.6 um "8 Jahre RZ" geht und daß sich durch die ganzen Texte dieser Nummer die Aufforderung zieht: "Schafft viele revolutionäre Zellen".

  • Auszüge aus dem "Vorwort"

  • "Der Wind dreht sich – die Zeichen stehen auf Sturm"

  • Seite 13: "Unser Ziel" ("Früchte des Zorns", Band 1, S.263-265, S.283 Fettgedrucktes).

Hatte die RZ-Erklärung zur Aktion gegen Richter Korbmacher noch verhaltenen Beifall im Publikum ausgelöst, so setzt sich nun Ermüdung durch. Es scheint, als gehöre auch diese "Entdeckung der Langsamkeit" zur Regie des Verfahrens.

Ende des 2.Prozeßtages

Tarek Mousli und seine Begleitung entschwinden in einem schwarzen Daimler der S-Klasse mit getönten Scheiben, gefolgt von zwei Begleitfahrzeugen, in Richtung City-West.

Der 3.Prozeßtag, 13.12.2000

Ein Zeuge des BKA erscheint: EKHK Klaus Schultzke oder Schulzke, seit 6 Monaten im Ruhestand, zu laden über BKA Meckenheim.

Der ex-BKAler verfügt über viel Detailwissen, sagt aber kein Wort mehr als notwendig, wenn es ans Eingemachte geht. Selbst bei prozeßrelevanten Fragen wie etwa nach dem verräterischen typischen "Täterwissen" des Angeklagten bleibt er zurückhaltend und sagt nur eben genug, um den Richter zufriedenzustellen – was ja bekanntermaßen wenig ist.

Er schildert den Werdegang der RZ, erst 1973 als Zelle, damals meist gegen us-amerikanische Einrichtungen; 1976 erstmals mit feministischem Zweig, später als Rote Zora. Aktiv im Norden, in Berlin, in NRW und in Rhein/Main.

In Berlin sei es den Behörden 1973 -1990 nicht gelungen, eine Person zu identifizieren.

Zu den Strömungen führt er aus, es habe in den 70ern deutliche Abgrenzungen zur RAF gegeben wegen der Frage des Untergrundes. Es habe aber damals logistische Kontakte gegeben zu RAF und ausländischen Terrororganisationen. Dies habe sich im Laufe der Zeit geändert.

Er erwähnt die Druckschriften "Revolutionärer Zorn“.

Hochzeit der RZ sei die Mitte der 80er gewesen, v.a. 1986/87.

1978 habe es erste Verfahren im Gebiet Rhein/ Main gegeben, vier Personen seien in den Untergrund gegangen.

Die RZ hätten übergeordnet koordinierte Anschlagsserien gemacht.

Die BKA-Aktion "Zobel“ am 18.12.87 habe dazu geführt, daß etliche Personen abgetaucht seien: Adrienne Gerhäuser, Thomas Kram, Juliane Bahlke, Wolfgang Ehmer, Corinna Kawaters. "Viele“ seien zurückgekehrt. Bei der Erwähnung des "Bonner Amtes“ lachen Tarek Mousli und Rechtsanwalt Püschel leise (Anspielung worauf? Etwa auf "Kölner Amt“ = Bundesamt für Verfassungsschutz und sein "Benz-Programm" für Aussteiger?? Der Protokollant kann es nicht erklären).

Im Zuge eines dieser Verfahren sei der Sprengstoff aus dem Salzhemmendorf- Einbruch überprüft worden.

Qualitativ von z.B. der RAF unterschieden die RZ sich dadurch, nur in der BRD aktiv zu sein (mit Ausnahme der Internationalisten-Fraktion), und Personen nicht anzugreifen, jedenfalls nicht, um sie zu töten. Dies sei auch so umgesetzt worden, wenn man absehe vom "Tod des Herrn Minister Karry“ und den "sogenannten Knieschüssen“.

Die RZ-Mitglieder hätten bewußt in "gutbürgerlichen Verhältnissen“ gelebt.

Kontakte zu ausländischen Gruppen ließen sich schwer belegen, eben weil die Leute legal lebten. Es sei dann z.B. schwer zu sagen, ob eine bestimmte Reise als ETA-Kontakt oder als bloßer Aufenthalt auf einem spanischen Weingut anzusehen sei. "Das war ja gerade das Problem.“ Es habe aber diese Kontakte mit Sicherheit gegeben.

Es habe gemeinsame Ausbildung von RZ- Mitgliedern mit Leuten von anderen Gruppen im Ausland gegeben. "Aber Details kann ich hier nicht darstellen.“

Zur Finanzierung der RZ: Erst durch Tarek Mouslis Aussagen seien die Methoden bekannt geworden. Die Abgetauchten seien auch durch Verwandte finanziert worden.

Der fragliche Apotheker sei identifiziert worden, aber er (der Zeuge) könne nicht sagen, ob überhaupt diesbezüglich Ermittlungen eingeleitet seien.

Ein Bundesanwalt fragt nach Status der RZ zum Zeitpunkt der Pensionierung des Zeugen. Er legt sich ungern fest. Die erklärte Selbstauflösung stamme nur von Teilen aus NRW, sie gelte nicht für Berlin. Die Rote Zora habe 1993 ein Papier veröffentlicht (Milis Tanz auf dem Eis) und im Juli 1995 eine Aktion durchgeführt. Die Frauen seien "mit der Technik oft nicht so gut zurechtgekommen“ und hätten darum unter der Auflösung von RZ-Gruppen und deren Infrastruktur zu leiden gehabt. Bis 1997 habe es Aktionen gegeben, die er den RZ zurechnen würde. Das schränkt er später ein unter Verweis auf ungewisse Urheberschaften, die letzte eindeutige Aktion sei Juli 1995 (Lürßen- Werft) gewesen. Das BfV in Köln habe 285 RZ-Aktionen gezählt, das BKA ca.185, davon ca.40 in Berlin. Die Differenz sei aber erklärbar (was er nicht tut).

Es habe z.T. sehr hohe Schäden gegeben. Ein Beispiel: 15 Millionen DM bei einer Firma in NRW, die auch Fallschirmseide hergestellt habe, die nach Südafrika geliefert wurde. Die Firma sei in Konkurs gegangen, 260 Arbeitsplätze seien "vernichtet“ worden. Diese Aktion sehe er als ganz falsch an. Es habe zwar Verdachtsmomente gegeben, aber eine Aufklärung des Anschlages sei nicht gelungen.

Die RZ hätten Waffen besessen, obwohl sie sie nicht/kaum einsetzten, da sie sich vom Konzept her auf den "großen Wurf“, sprich die Vermassung und die revolutionäre Massenbewegung vorbereitet hätten und überzeugt gewesen seien, dann das System gewaltsam beseitigen zu müssen.

Ziel der RZ sei gewesen, Akzeptanz und Rückhalt in der Bevölkerung zu finden.

Bis 1998 habe das BKA nichts über die Berliner RZ gewußt, erst durch Tarek Mousli seien die Anschläge aufgeklärt worden.

Die "F-Kampagne“ (Flüchtlingskampagne) sei ein wichtiger Baustein in den 80er Jahren bzw. 1985-1993 gewesen.

Zum Siegessäulen-Anschlag:

Das BKA habe gewußt, daß Sprengstoff aus dem Diebstahl von 1987 verwendet worden sei. Es habe "Tatmittelbezüge“ aus dem Kawaters-Verfahren gegeben. Damals sei geprüft worden, für welche Anschläge anhand der verwendeten Mittel 100%ig die RZ verantwortlich gewesen seien ("Autorenschaft“). Bei dem Einbruch in Salzhemmendorf sei u.a. Gelamon 40/22 entwendet worden. Daß der bei den RZ gelandet war, habe sich als Verdacht erstmals 1988 bei dem Anschlag der Zora in Braunschweig ergeben.

Dann habe es seit 1980 den typischen Emes-Sonochron-Wecker als "Anfasser des BKA“ zu den RZ gegeben.

1986 sei die Postsparbuchaktion gewesen, bei der es in Berlin eine Festnahme gegeben habe. Hier eine unklare Äußerung des Zeugen, die offen läßt, ob der RZ-Bezug damals dem BKA unbekannt war oder sich nur nicht belegen ließ.

Er listet die im Prozeß behandelten Anschläge 1986 bis 1993 noch einmal aus dem Gedächtnis auf.

Das BKA habe aufgrund der Stasi-Akten "Verdachtspersonen“ gehabt. Es sei bekannt gewesen, daß es in Berlin zwei RZ-Gruppen gab, dies sei von Tarek Mousli bestätigt worden. Er habe überdies 90% der Beteiligten mit Decknamen benannt, alle außer "Toni“ seien identifiziert worden. Es bestehen Haftbefehle (der Zeuge zählt die 6 Namen auf).

Die Aussagen von Tarek Mousli seien "korrekt“, daher glaubhaft. Z.B. bezüglich der "Wäldler“: "Malte“ sei Thomas Kram, der auch schon mal in Berlin gewohnt habe und zusammen mit Adrienne Gerhäuser in den Untergrund gegangen sei. Kram sei vermutlich an dem Einbruch in Salzhemmendorf beteiligt gewesen, denn er sei in der fraglichen Zeit nicht in Hamburg gewesen, wie sich aus der damaligen Telefonüberwachung ergeben habe.

Auch der Begriff "Miez“ sei aus Stasi-Unterlagen bekannt, "assamblea“ dagegen nicht.

Aussagen Tarek Mouslis zu "Jon" und "Judith" deckten sich mit BKA-Erkenntnissen.

Tarek Mousli habe auch von einer "Mäggi“ gesprochen, die "Heiner“ kenne. Sie sei in Italien im Knast gewesen und habe mit Hubschrauber befreit werden sollen. Dabei müsse es sich um Christel Fröhlich handeln, die dem BKA nur als "Heidi“ bekannt gewesen sei.

Zur Frage, ob Tarek Mousli "objektives Täterwissen“ vorweisen konnte: Ja. Als Beispiele, er habe gewußt, daß das Tat-Motorrad im Fall Korbmacher in NRW gestohlen worden sei. Auch habe er die Methode beschrieben, wie VW Passats geknackt worden seien, nämlich mithilfe einer Art umgebauten Dosenöffners zum Öffnen der Türe und mit einem angefeilten Schlüssel zum Entfernen des Lenkrad-Schließzylinders.

Die Postsparbuchaktion sei eine offensichtlich koordinierte Aktion gewesen, an über 40 Orten an einem Tag, da habe der eine damals Beschuldigte nicht überall sein können. Daß die RZ dahinterstanden, sei nicht zu belegen gewesen.

Zum Sprengstoff: Die nach dem Keller-Diebstahl beschlagnahmte Menge sei 4,8kg gewesen. Nochmal 4,8kg seien nach Tarek Mouslis Angaben in dem Seegraben gefunden worden, zusätzlich noch ein Wecker. Der Sprengstoff stamme eindeutig aus dem Einbruch in Salzhemmendorf.

Zu Tarek Mouslis Aussageverhalten:

Die erste Durchsuchung habe Anfang 1999 bei Tarek Mousli in Schönow, Heidestr.38, stattgefunden. (Tarek Mousli guckt mißmutig, weil der BKAler seine alte Adresse nennt). Damals habe er alles abgestritten.

Die Spurensuche im Keller in Prenzlberg sei positiv gewesen.

Am 19.5.99 dann erfolgte die erste Festnahme, Tarek Mousli habe weiter alles bestritten.

Erst nach den Aussagen von K.Tollkühn habe er eingelenkt. Es sei zudem ein Asservat gefunden worden, das ihn stark belastet habe.

Daher 23.11.99 erneute Festnahme. Tarek Mousli sei auf der Fahrt nach Karlsruhe belehrt und ihm die Kronzeugenregelung erläutert worden. Nach der Verkündung des Haftbefehles, auf der Fahrt nach Köln, habe er dann am Abend des Tages erklärt, Angaben zur Sache machen zu wollen. Er habe die Bedingung gestellt, vorher mit seiner Lebensgefährtin sprechen zu dürfen. Nach Rücksprache mit Bundesanwalt Monka sei dies genehmigt worden, das Telefongespräch habe stattgefunden. Am Morgen des 24.11.99 habe in Köln-Ossendorf die Vernehmung durch das BKA begonnen. Das BKA sei bald zu dem Schluß gekommen: der sagt nur etwas zu seinem eigenen Part, aber zu anderen Personen hätte er mehr zu sagen.

Am 20.12.99 (der BKAler erwähnt nicht, daß das unmittelbar nach der Großaktion in Berlin war) habe er Tarek Mousli im Knast besucht und ihm sehr deutlich erklärt, daß seine bisherigen Aussagen unzureichend seien und die Kronzeugenregelung am 31.12.99 auslaufe, er also nicht mehr viel Zeit habe, es sich zu überlegen. Tarek Mousli habe dann kurz nach Weihnachten von sich aus um einen Besuch gebeten – er wäre aber auch von selbst noch einmal an ihn herangetreten - , und so seien dann die Aussagen entstanden zwischen Weihnachten und Neujahr.

Zu früheren BKA- Erkenntnissen über die RZ: 1978 sei der Unfall von Hermann Feiling gewesen (er sagt: Veiling), durch dessen "Aussagen“ habe es "gewisse Kenntnisse über die RZ im Raum Frankfurt/Main gegeben.“

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.

Nun wird wieder vorgelesen:

Auszugsweise aus Erklärungen zur Flüchtlings-Kampagne. "Kämpfen“ als zentraler Begriff.

Dann der Brief "Lieber Luka!“, den "Franka“ überbringen sollte. Darin geht es um den offenbar teils abgerissenen Diskussionfaden innerhalb der RZ ("Wir nehmen die verschiedenen Diskussionen nur noch aus gewissen Zeitschriften wahr“) und v.a. um eine Kritik an "Das Ende unserer Politik“, ausdrücklich als Einzelmeinung und ins Unreine geschrieben. Ein Kommentar von Oliver Tolmein wird erwähnt, ebenso etwas aus der Zeitschrift "Interim“. Der Stil ist ziemlich sachlich. Sinngemäße Zitate: "Wenn die Situation offen ist (wie ihr schreibt), sollte man auch seine Handlungsmöglichkeiten offen lassen“ (anstatt sich aufzulösen). "Ist nicht die Niederlage 1977ff der Guerilla weltweit viel entscheidender“ (als die Ereignisse hierzulande 1989)? Der in der Interim veröffentlichte Text "This is not a lovesong“ sei von denselben AutorInnen wie "Das Ende unserer Politik“, die Unterschiede zwischen den Texten seien nicht nachvollziehbar. Begriffe der Herrschaftssprache wie "internationaler Terrorismus“ würden verwendet, was nicht angehe. Der Teil über die Zeit vor 1977 "ist Quatsch“.

Der Brief ist laut eigener Aussage von einem der Autoren des Textes "Gerd Albartus ist tot“.

Es folgt die unvermeidliche Mittagspause.

Um 13.30 kommt als zweiter BKA- Zeuge der KHK Möller. Er war mit der erwähnten Tatmittelabgleichung im Verfahren gegen C. Kawaters befaßt, allerdings nicht als Techniker, Chemiker o.ä., folglich nur als Bearbeiter der gelieferten Daten. Er erinnert sich an vieles kaum bzw. nur auf Vorhalt aus den Akten, wo er dann das Vorgehaltene bestätigt.

Dieser Zeuge hat offenbar zwei Aufgaben: Er soll erklären, daß der Sprengstoff bei Tarek Mousli wirklich "RZ-Sprengstoff" war und somit dessen entscheidenden Glaubwürdigkeits- Einstieg stützen, und dabei auch gleich die seltsame Lücke von 4 Jahren zwischen dem Auftauchen des Sprengstoffes 1995 und der Verhaftung 1999 erklären.

Er erklärt, wieso der Sprengstoff aus Salzhemmendorf identifizierbar war. Es habe sich um Gelamon aus DDR-Produktion und um einen anderen Sprengstoff namens Hablastat gehandelt. Originalverpackt habe das Zeug sog. "Losnummern“, die eine ziemlich genaue Zuordnung einzelner "Lose“, d.h. bestimmter verpackter Mengen, erlaubten. Der Sprengstoff sei gewerblich und werde in sehr großen Mengen benutzt. Sprengstoff dürfe rechtlich nur eine gewisse Zeit lang aufbewahrt und verwendet werden, nur ein paar Jahre, und Gelamon sei nach Ende der 80er nicht mehr hergestellt worden. Daher habe man sehr sicher sagen können, daß Sprengstoff mit den Losnummern von Salzhemmendorf, wenn er in den 90ern auftauchte, auch wirklich von dort stamme. Überdies gebe es chemische Unterschiede, die eine Differenzierung möglich machten. Das sei aber im Falle Tarek Mousli nicht nötig gewesen, weil die Originalverpackungen mit den Losnummern noch dabei gewesen seien.

Die Auswertung der Fundstellen beim o.g. Verfahren habe ergeben, daß der Sprengstoff Gelamon 40 aus dem Einbruch 1987 verwendet wurde bei mehreren Anschlägen (1988 Braunschweig, 1991 Düsseldorf, 1991 Berlin, 1993 BGS Brandenburg, 1995 Lemwerder). Außerdem sei er 1988 in einem RZ- Depot in einem Wald bei Bielefeld und 1991 (1992?) in einem Keller in Duisburg sowie eben 1999 bei Tarek Mousli gefunden worden.

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.

Es werden noch einige Textstellen verlesen, u.a. eine interne Kritik der RZ am "Militarismus“ der RAF.

Zuletzt schließt der Vorsitzende Richter im Einvernehmen mit der BAW die Beweisaufnahme und bittet für den 18.12.00, 10 Uhr, um die Plädoyers.

Ende des 3.Prozeßtages.

4. Verhandlungstag 18.12.00

Passenderweise genau ein Jahr nach dem großen Schlag des BKA.

Die Bundesanwälte halten arbeitsteilig ihr Plädoyer.

Bundesanwalt Griesbaum: drückt seine Befriedigung über den raschen und reibungslosen Prozeßverlauf von nur vier Tagen aus, nicht zuletzt aufgrund frühzeitiger Absprachen mit der BAW. Am 29.11.00 habe es ein vorbereitendes Gespräch der Bundesanwaltschaft gegeben, Absprachen seien aber laut BGH- Entscheid legal.

Er nimmt Bezug auf öffentliche Reaktionen: Der "offene Brief“ (in der "taz" abgedruckt) enthalte Drohungen gegen Tarek Mousli. Die Szene nenne ihn bezeichnenderweise "Verräter“, das erhärte die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen.

Tarek Mousli gehe offen mit seiner Vergangenheit um, er lüge nicht.

Bundesanwalt Monka: liefert eine wohlwollende Kurzbiografie von Tarek Mousli. Er sei jetzt im Zeugenschutzprogramm und habe radikal mit seiner Vergangenheit gebrochen. Es gehe jetzt um die Zeit Ende 1985 bis März 1995. Die Berliner Zelle sei begrenzt als selbstständige Vereinigung anzusehen. Den RZ seien insgesamt rund 186 Anschläge zuzurechnen. Tarek Mousli sei 1985 eingestiegen; daß er damals in seiner linksalternativen WG wegen "kleinkapitalistisch-bourgeoisem Verhalten“ kritisiert worden sei, sei sozusagen eine perfekte Tarnung gewesen.

1990 habe es einen Bruch gegeben. "Toni“ sei ausgestiegen. "Jon", "Judith" und "Heiner“ seien Wortführer gewesen, "Jon" und "Judith" aber aufgetaucht, so daß "Heiner“ übriggeblieben sei. Dieser sei am 3.10.93 an dem Anschlag in Frankfurt/Oder beteiligt gewesen.

"Jon" und "Judith" hätten auf Hollenberg geschossen. "Malte“ habe die Erklärung mitverfaßt.

Bei der ZSA habe Tarek Mousli zusammen mit "Sebastian“ ausgespäht, "Jon“ und "Sebastian“ hätten den Sprengsatz abgelegt, der ein medizinballgroßes Loch gerissen habe. Das Ziel sei nach Angaben der Wortführer die Computeranlage gewesen, die ZSA habe aber damals noch gar keine solche besessen. Vielleicht sei die Gasleitung eben doch das Ziel gewesen, aber die Hardliner hätten die "Weicheier“ bewußt im Unklaren darüber gelassen, um keinen Widerspruch wegen der Unkalkulier­barkeit der Wirkung zu provozieren. Das ganze trage die Handschrift von "Judith“ und "Heiner“. Der Korbmacher-Anschlag sei als Höhepunkt der "F- Kampagne" konzipiert gewesen. Es habe vorher heftige interne Diskussionen gegeben. "Jon" und "Judith", "Heiner“ und "Malte“ seien die Drahtzieher gewesen. "Heiner“ habe das Motorrad gesteuert, "Jon“ habe geschossen. Von 5 Schüssen hätten 2 in den Unterschenkel getroffen. In der Schottmüllerstr. (an einem anderen Ort, als gemäß Planung Tarek Mousli bekannt gewesen sei) sei man in den PkW umgestiegen. Dessen Brandsatz habe nicht gezündet aufgrund einer kleinen Panne. Das Bekennerschreiben stamme von "Judith“, "Heiner“ und "Malte“. "Judith“ habe nachträglich etwas daran verändert.

Die "Aktion Zobel“ 1987 habe u.a. zum Abtauchen von "Malte“ und "Lea“ geführt. Die RZ seien in die Krise gekommen. Gerd Albartus sei von einem palästinensischen Revolutionstribunal ermordet worden. Im Zuge des "Waldspaziergangs“ 1989 sei Tarek Mousli mit einigen Gesichtern, Kontakten und Konflikten vertraut gemacht worden.

1990 habe er als Konsequenz aus seinen Bedenken sich zurückgezogen und nur noch als "Schläfer“ zur begrenzten Verfügung gestanden. "Siggi“ und "Sebastian“ hätten aber weiter regen Kontakt zu ihm gehalten.

1994 habe "Siggi“ ihn zum Wiedereintritt bewegen wollen, Tarek Mousli habe abgelehnt, sich aber kurz darauf bereiterklärt, 10kg Sprengstoff zu übernehmen aus einem offenbar aufgelösten zentralen Depot.

Am 28.3.95 sei dann der Einbruchdiebstahl des Herrn Slawinski geschehen, der "die Lawine ins Rollen brachte“.

Monka würdigt das Problem des Zeugen und die Gefahr, er könne den Ermittlungsbehörden "zu Diensten sein“. Tarek Mouslis Aussagen seien nüchtern, sachlich und weitgehend widerspruchsfrei. Sein Wissen habe mit anderen Quellen übereingestimmt. Der Hintergrund der Postsparbuch- Aktion sei nicht aus öffentlichen Quellen bekannt gewesen. Die Aussagen von Frau Tollkühn bestätigten ebenfalls seine Angaben. Auch die Reaktion der linken Szene bestätige ihn, da er als "Verräter“, nicht als "Lügner“, beschimpft werde und "an seinen Aussagen verrecken solle“.

Zu bewerten sei nun seine "aktive Teilnahme am Verbandsleben“ 1985-1995.

Er wiederholt die Paragrafen aus der Anklageschrift (§129a StGB, §§306-308, 311 Sprengstoffgesetz alte Fassung).

Bundesanwalt Griesbaum spricht die Schlußworte, beginnend mit der Frage, ob die Kronzeugenregelung Anwendung finden könne. Das Kronzeugengesetz sehe in §1 vor, daß man zur Aufklärung von Taten und zur Ergreifung von Tätern beitragen müsse. Das sei erfüllt. Die Aussagen diesbezüglich seien in ihrem wesentlichen Kern bis zum 31.12.99 erfolgt. "Ohne das Geständnis wäre es sehr schwierig geworden, seine eigene Tatbeteiligung nachzuweisen.“

Der Strafrahmen reiche von 15 Jahren bis zu Straffreiheit. In Abwägung der Aussagen gegen Tatbeteiligte vs. eigener Schuld sei eine Strafe von 2 Jahren auf Bewährung angemessen. "Schuldeinsicht“ und "Reue“ seien gegeben. Tarek Mousli sei "auf seine Weise bemüht, den Schaden wiedergutzumachen.“

Strafantrag: 2 Jahre Freiheitsentzug, auszusetzen auf 3 Jahre zur Bewährung und verbunden mit den Auflagen, sich dem Zeugenschutzprogramm zu unterstellen, dessen Weisungen nachzukommen und auf Antrag als Zeuge in anderen Verfahren zur Verfügung zu stehen.

Plädoyer Rechtsanwalt Püschel: Ich schließe mich den Ausführungen des Bundesanwaltes an.

Schlußwort Tarek Mousli sinngemäß: "Die folgenden Bemerkungen mögen vielleicht einen falschen Eindruck erwecken und künstlich wirken, doch sie kommen von ganzem Herzen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Witwe von Herrn Hollenberg und bei Herrn Dr. Korbmacher entschuldigen.“

Es folgen 2 Stunden Mittagspause und Beratung des Gerichts

Urteilsverkündung

Tarek Mousli wird gemäß des Strafantrages der Bundesanwaltschaft zu 2 Jahren Freiheitsentzug auf 3 Jahre Bewährung verurteilt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Angeklagte.

(einige Frauen stehen auf, werfen Pfennigstücke und rufen eine Parole gegen "Deal mit dem Staat“. Vorsitzender Richter: "Sind Sie fertig oder kommt noch mehr? Wenn Sie fertig sind, dürfen Sie bleiben, ansonsten lasse ich Sie des Saales verweisen.“ Die beiden BKA-Personenschützer stellen sich locker zwischen Tarek und die Werferinnen)

Der Vorsitzende Richter erklärt den Haftbefehl für aufgehoben und die beantragten Weisungen der Bundesanwälte für gesetzlich nicht vorgesehen und sowieso überflüssig, denn "wir gehen davon aus, daß Herr Mousli weiter als Zeuge zur Verfügung stehen wird.“

Der Vorsitzende Richter kündigt für die Urteilsbegründung unvermeidliche Überschneidungen und Wiederholungen bez. des BAW-Plädoyers an.

Er referiert die schwierige Kindheit von Tarek Mousli, kommt von Kiel nach Berlin. Dann kommt die Funkgruppe… 1985 sei Tarek Mousli durch Gerd Albartus geworben worden.

"Judith“ und "Malte“ seien die Vordenker bei den RZ gewesen.

Es wird weitgehend die Ausführung der BAW übernommen.

"Kai“ sei bei Hollenberg beteiligt gewesen.

Die drei wichtigen Aktionen (Hollenberg, ZSA, Korbmacher) werden referiert.

Die Unstimmigkeit, ob bei der ZSA die Gasleitung oder die vermeintliche Computeranlage getroffen werden sollte, legt das Gericht so aus, "wie das für den Angeklagten am günstigsten ist.“

"Kai“ sei auch bei Korbmacher beteiligt gewesen. "Jon“ habe geschossen.

Spuren am Fluchtfahrzeug haben mit den Angaben Tarek Mouslis übereingestimmt.

Das Gericht zeigte sich erstaunt, "wie weit es gelungen war, in die Logistik von Polizei und Verfassungsschutz einzudringen.“

Tarek Mousli habe auch in den 90ern durch "Siggi“ Nachrichten über Aktionen erhalten. Er habe auch den "Brief an Luka“ besessen und den 60.000-Kredit vermittelt.

1995 sei das Mehringhof- Depot unsicher und daher aufgelöst worden.

Die Kostenentscheidung sei gesetzlich geboten, zum Bedauern des Richters.

Revision könne eingelegt werden… aber beide Seiten erklären den Verzicht auf Rechtsmittel.

Und damit war's vorbei und Tarek Mousli erstmal wieder entschwunden.

Mein Gesamteindruck dieser Vorstellung war folgender.

Über die Richter braucht nichts gesagt zu werden - Knallchargen, die wie bestellt herumsaßen. Der Rechtsanwalt wäre mit zwei Ohrfeigen bestraft genug.

Die Bundesanwälte saßen auf ihrem Podest wie Olympiasieger auf dem Treppchen: strahlend, gelassen, Herren des Verfahrens. Es war offensichtlich, daß Tarek Mousli ihnen ein sehr angenehmer Kronzeuge war. Sie konnten es sich erlauben, die aus früheren Prozessen bekannte, für sie sonst geradezu typische Kampfhund- Mentalität in der Garderobe zu lassen, weder verspannte Schultern noch gefletschte Zähne waren vonnöten. Ihr Kalkül, das ganze Verfahren rasch, unspektakulär und ohne Kanten über die Bühne zubringen, ging auf - wer hätte es auch verhindern sollen? Natürlich ist auch Monka und Griesbaum klar, daß es sich nur um einen Probelauf handelt, um ein Warmlaufen für den großen Auftritt im nächsten Jahr. Wie schon Tareks Auftritt im OPEC-Prozeß in Frankfurt sind diese Probeauftritte ihnen sehr willkommen.

Was Tarek Mousli angeht, so ist nicht zu leugnen, daß er zumindest aus Sicht des Gerichtes einen guten Eindruck gemacht hat - und das ist nun mal die prozeßentscheidende Sicht -, selbst wenn die begrenzte Zurechnungsfähigkeit des vorsitzenden Richters herausgerechnet wird. Aber auch "unvoreingenommene" BetrachterInnen konnten an seinem Auftreten nicht viel mehr Kritikwürdiges erkennen als das charakterlich zweifelhafte "Verpetzen" von Freunden und Bekannten, womit indirekt seiner Glaubwürdigkeit ein positives Zeugnis ausgestellt wurde. Es hilft nichts, den Kopf in den Sand zu stecken: Auftreten und Aussage Tareks hinterließen einen weitgehend überzeugenden und authentischen Eindruck. Kleinere Widersprüchlichkeiten helfen dabei letztlich noch, den Anschein des inszenierten und manipulierten Zeugen zu vermeiden. Wie schon zu Beginn erwähnt, macht es sich bezahlt, daß Tarek weder als gebrochener Verlierertyp noch als Denunziant der eigenen Vergangenheit auftritt. Das erlaubt es ihm auch, nachdem die ersten kritischen Stunden des Prozesses heil überstanden sind, vorsichtig den verordneten Autismus in Richtung Publikum zu lockern. Zwar vermeidet er Blickkontakt zu seinen alten Bekannten aus den 80ern, aber Bekannte aus jüngerer Vergangenheit grüßt er lächelnd, zwinkert auch schon mal lausbübisch; sein Kommentar zu den Rufen aus dem Publikum ist körpersprachlich, wenn er den Saal verläßt: ein leichtes Kopfschütteln, ein Lächeln zwischen Nachsicht und Resignation - die da draußen kapieren einfach nicht, daß er nicht anders handeln konnte, daß sie der Zeit und den Ereignissen hoffnungslos hinterherhinken, er möchte die mal sehen, wenn sie in der gleichen Lage wären, all diese künstliche Aufregung um vergangene Geschichten... Diese seine Selbstsicherheit, der vermittelte Eindruck, jemand zu sein, der irgendwie immer oben schwimmt und den Überblick behält, ist ein guter Panzer - zusätzlich zu dem emotionalen Panzer, den er sich im psychologischen Training beim BKA zugelegt haben wird, um die letzten Reste persönlicher oder politischer Loyalitäten nicht wirksam werden zu lassen. Klar ist, getreu dem Motto "The harder they come, the harder they fall", daß ein erfolgreiches Unterminieren dieser coolen Pose durchaus zu einem Zusammenbruch seiner ganzen "Rolle" führen könnte. Hoffen wir, daß dies im Prozeß nächstes Jahr gelingt - es wird ein verdammt hartes Stück Arbeit.

Editorialer Hinweis
Ursprünglich hatten wir den Bericht aus der Interim ocr-gescannt und auf seine Onlineverbreitung durch uns im Netz hingewiesen. Da erhielten wir folgende Email

From: news@partisan.net
To: partisaninfo@listbot.com
Subject: Prozessbericht Tarek Mousli: Originalquelle im Netz
Copies to: info@trend.partisan.net
Date sent: Sun, 28 Jan 2001 12:33:53 +0100

"AG3F" <AG3F@oln.comlink.apc.org>
schrieb To: <
news@partisan.net>
Subject: Re: Prozessbericht Tarek Mousli
Date sent: Sun, 28 Jan 2001 10:43:39 +0100

> Hallo,
> es wurde geschrieben:
...

> www.trend.partisan.net
> "Exklusiv online by trend onlinezeitung
.....
> ich will ja nicht meckern, aber so exclusiv ist das nicht, unter
> http://www.freilassung.de/erkl/pro151200.htm der Bericht
> ebenfalls zu haben

Das ist richtig und es handelt sich hier um eine Information der Red. trend, die wir leider ungeprüft weitergegeben haben. Also: Prozessbericht Tarek Mousli: Originalquelle im Netz http://www.freilassung.de/erkl/pro151200.htm und zwar seit dem 20.12.2000, wo ihn offensichtlich die Interim übernommen hat ohne die Quelle anzugeben, sodaß es so scheint, als wäre bei der Interim die Erstveröffentlichung. Im übrigen ist die Originalquelle viel besser als die trend-version, da dort alle wesentlichen Texte verlinkt sind.
Es grüsst
m.i.r.i.a.m.
P.S. wir schicken die Kopie an Red. trend

Wir haben sofort den von uns gescannten Text gegen den Originaltext unter Hinzufügung der Quelle ausgetauscht. / 28.1.2001