Die Glatzenfraktion der Pervy Red Rats macht einen Herbstausflug

von drei kahlen Genossen

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Natürlich hätte ich mir noch etwas ganz anderes gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass hunderte aufrechte Glatzen in einer alt angestammten Arbeiterhochburg im Ruhrpott zusammenströmen, um miteinander zu diskutieren, zu kämpfen, zu feiern und zu ficken. Die Schönheit unserer Musik, die Anmut unserer Feier, die Gerechtigkeit unseres Kampfes und unser Heldenmut vor dem Feinde würde, so hätte ich mir das ausgemalt, die Massen mitgerissen haben, so sehr, dass der Funke übergesprungen sein und eine neue Bewegung entfacht haben würde, in deren Verlauf alle ­ kahl oder nicht kahl ­ für eine bessere Gesellschaft gestritten haben würden.

Und die Nazis würden sich entweder zerknirscht gewendet und mit gesenktem kahlem Haupte uns angeschlossen haben oder sich die Haare flugs wieder wachsen lassen. Und den ungläubigen Freshcuts würde man, wenn wir schon alt wären und nun völlig unfreiwillig kahl, erzählen müssen, dass es nicht immer so war, dass ein Skinhead selbstredend ein Arbeiter oder eine Arbeiterin an der neuen, nun endlich errungenen glücklicheren Welt war. Natürlich hatte ich mir dergleichen gewünscht, als ich mit meinen Genossen zum Wermelskirchener "Antifascist Skinhead Meeting" aufbrach.

Als sich immer mehr Nazis die Haare kurz schnitten und Bomberjacken überstreiften, taten sich linke Skins unter dem Label SHARP (Skinheads Against Racial Prejudice) zusammen. Antifaschismus als kleinster gemeinsamer Nenner. Schnell war den politisch Engagierten klar, dass keine Nazis zu mögen noch lang nicht heisst, ein antirassistisches politisch linkes Bewusstsein zu haben. Es entstand RASH (Red and Anarchist Skinheads). Mitte der Neunziger gründete sich eine solche Gruppe auch in Berlin. Redskins und Blackskins (Anarchisten) sind aber Anhänger ganz verschiedener politischer Strömungen. Deshalb ist RASH auch nie zu einer politischen Organisation geworden.

Wermelskirchen ist ein kleines Nest südlich von Solingen und Remscheid. Immerhin gibts da ein AJZ (Autonomes Jugendzentrum). Am späten Nachmittag beginnt das Ganze mit einem Vortrag über Rechtsrock mit Musikbeispielen. Historisch ganz interessant, aber was wir dagegen tun sollten und wohin sich "White Noise" entwickelt, kommt auch in der Diskussion ein bisschen zu kurz. Und dann wieder die alte Geschichte: "Wir Skins kriegen von allen was drauf. Obwohl die Nazis uns nur unsere Symbole geklaut und mit ihren Inhalten gefüllt haben, müssen wir uns jetzt rechtfertigen und sollen SHARP-Aufnäher tragen. Und wir bekommen von Linken wie von Rechten was auf die Fresse." Darauf die Antwort eines Veteranen der Strasse: "Bei mir bekommen immer die anderen was auf die Fresse".

Stärkung gibts dann bei einer leckeren Vokü, und daneben werden Tische aufgebaut, um Platten, Bücher und Aufnäher zu erwerben. Dann fängt das Konzert an. Zuerst "The Hebbie Jeebies", eine Band aus Solingen/Leverkusen. Rock'n'Roll ist einfach nicht mein Fall, die haben aber auch technische Probleme. Dannach spielen "Alpha Boy School", eine Skacombo aus Bochum. Endlich "No Respect" - Skapunk vom Feinsten aus Göttingen. "Kein Gott, kein Staat, kein Herr, kein Sklave!" Den Abschluss machen "Los Fastidios" aus Veron/Vincenza. Eine Oi-Band, die immer wieder Ska-Elemente unter ihre Musik mischt. Und die eine pathetische Oi-Ballade zum Tod von Carlo Guillani in ihrem Repertoire haben.

Das Fazit am verkaterten Sonntagmorgen danach: Ich erfuhr, dass "Cable Street Beat" antifaschistische Kulturarbeit betreibt und eine Klammer für all diejenigen darstellen könnte, die den ursprünglichen Gedanken und Anliegen von SHARP neues Leben einhauchen wollen und dafür nach geeigneten Strukturen suchen. Ich hörte, welchen Schmalz im Stile von Reinhard Mey der Neonazi-Barde Frank Rennicke absondert. Ich las, dass die Texte der Nazi-Bands wieder direkter und unverhohlener werden. Ich staunte darüber, dass sich Rechtsrock nicht mehr nur auf Rock beschränkt, sondern DJ Adolf neuerdings den Technosound für die sich stramm national gerierenden Kids des Potts liefert.

Ich erlebte Oi-Glatzen, die beängstigend vehement darauf bestanden, gaaanz unpolitisch zu sein und weder mit links noch mit rechts was am Hut zu haben. Dabei nahm ich die Reenees mit viel mehr Verve am Diskutieren wahr als die Skins. Ich hörte, dass ein Typ mit "Ultima-Thule"-Aufnährer wieder nach Hause geschickt wurde; wieviele sich von den Nazis nicht abgrenzende Glatzen bloss die neutrale Bomber ohne irgendwelche Aufnäher oder Buttons angezogen hatten, bekam ich nicht raus.

Ich weiss nun, dass schwule Skins nicht zuletzt deswegen zu dererlei Treffen fahren, um beim Anblick leckerer Tattoos und schweissüberströmter Männerkörper ein wenig vor sich hin zu sabbern und sich gegenseitig die persönlichen Favoriten zu zeigen. Und ich habe mitbekommen, dass die Hetero-Männer und -Frauen oft sehr ähnliche Beweggründe haben. Ich kritzelte mir "No Respect" in mein imaginäres Notizbuch bemerkenswerter Bands mit der Bemerkung, nach deren näxtem Konzert Ausschau zu halten, um den speichelfluss auslösenden Anblick des Schlagzeugers nicht zu verpassen.

Und wenn schon nicht alle oben geschilderten Erwartungen erfüllt wurden, so wurde doch wenigstens an diesem einen Abend irgendwo im Ruhrpott wahr, was so lange schon als das Ideal gilt: Punx und Skinz united! Das nächste "Antifascist Skinhead Meeting", das dann mehr werden sollte als ein White-Noise-Vortrag und ein prima Konzert, wünsche ich mir unter reger Beteiligung der Friedrichshainer Antifa, damit deren Kinder begreifen, dass Skinhead und Nazi nicht synonym ist!


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Editoriale Anmerkung:

Der Text  ist eine Spiegelung von
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