Phrasen und Traditionen
Rechtsextreme suhlen sich in populistischem Antiamerikanismus

von Peter Bern

01/02

 
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Die extreme Rechte um die NPD gefällt sich zunehmend in der Rolle des  Revolutionärs und antiimperialistischen Volksbefreiers. Auch in den  Reaktionen auf die Anschlagserie in den USA behaupten sich die  Antiwestler. Mit antiamerikanischer und antikapitalistischer Rhetorik 
inszenieren sie sich als "letzte Opposition". Doch ihre der linken  Terminologie entlehnten Begriffe spuken wie körperlose Schatten durch  die Texte und gehen in ihrer Phrasenhaftigkeit über deren Inhalte weit  hinaus. 

Dennoch ist die Verwendung revolutionärer Parolen nicht erstaunlich. Sie  sind durch die gesellschaftliche Marginalität der radikalen Linken  vakant geworden. Doch auch in der Vergangenheit waren sie schon Teil  rechter Ideologie, mit ihnen ließ sich das Bedürfnis nach Sozialkritik  befriedigen. Denn keineswegs macht rechtes Unbehagen in der modernen  Kultur immer vor deren kapitalistischer Verfasstheit halt.

Eine wesentliche Trennlinie des deutschen Konservatismus von Aufklärung  und Liberalismus, die von der extremen Rechten übernommen wurde,  markiert das Verhältnis der Deutschen zum "Westen". Eine Westbindung der  deutschen Nation war stets umstritten oder wurde abgelehnt. Diese  Ablehnung berührte zentrale gesellschaftliche Fragen, wie die der  Staatsform, der Ökonomie und des Wertesystems. Das Reich sollte eine dem "deutschen Volksgeist" entsprechende eigene Ordnung jenseits von  Demokratie und Kapitalismus oder gar sozialistischem Internationalismus  erhalten. Der Kalte Krieg und das antikommunistische Paradigma ließen  diese Trennlinie verschwommener erscheinen. Kein Wunder, dass sie nach  Ende der Blockkonfrontation, zumal in Zeiten westlicher Krise, wieder an  Konturen gewinnt.

Mit dieser Ablehnung des westlichen Bezugssystems kehrt auf Seiten der  extremen Rechten eine Rhetorik wieder, die in ihrem "revolutionär",  "antikapitalistisch" und "antiimperialistisch" scheinenden Duktus  verwirrt. Von einer ideologischen Annäherung der Rechten an die Linke 
kann jedoch keine Rede sein, die aggressive Rhetorik vor allem des NPD-Umfeldes weist viel mehr auf eine Renationalsozialisierung hin. Dafür sprechen in der jüngsten Zeit eine ganze Reihe von Äußerungen aus diesem Milieu.

Bereits der Aufruf des "Aktionsbüro Norddeutschland" zur "Antikriegsdemonstration" am 1. September in Leipzig reproduzierte reine NS-Ideologie: Der Angriff auf Polen sei Selbstverteidigung gewesen, wobei man sich mit Verweisen auf den "Sender Gleiwitz" und den "Bromberger Blutsonntag" im historischen Repertoire Goebbels'scher Propaganda bediente. Der "Weltkrieg", so die Argumentation, habe erst mit dem Kriegseintritt Frankreichs und Großbritanniens begonnen und sei zur Rettung des "internationalen Kapitals" vor der 
nationalsozialistischen Revolution geführt worden. Die Kriegsschuld liege also bei den Westmächten.

Auch tagespolitische Kommentare des Büros sind an NS-Apologie orientiert. Eine dort verfasste Kritik am Den Haager Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Milosevic ist ein durchschaubares taktisches Manöver, dessen eigentliches Ziel die Delegitimation der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ist: "Nicht zum ersten Mal in der Geschichte ist es so, dass gerade die größten Verbrecher sich das Recht herausnehmen, über andere zu urteilen. Woher sie dieses Recht beziehen, bleibt uns verborgen. Vermutlich aus dem politischen Einfluss jener Kräfte, die hinter ihnen stehen. [...] Hier werden dunkle Erinnerungen an 1946 wach, wo die größten Kriegsverbrecher aller Zeiten (Churchill, Stalin, Roosevelt) ein ,Internationales Militärtribunal' in Nürnberg errichteten, um nach ihren eigens dafür erfundenen Gesetzen eine freie deutsche Reichsregierung abzuurteilen."

Die "freie deutsche Reichsregierung" erscheint als Opfer einerseits der westlich-kapitalistischen Welt, andererseits der Sowjetunion, deren Legitimation von hinter ihnen verborgenen Kräfte(n), stamme. Beachtet man, dass die NS-Ideologie in westlichem Kapitalismus und Sowjetkommunismus Produkte des "Weltjudentums" ("jüdische Plutokratie" und "jüdischer Bolschewismus") sieht, sind diese "Kräfte" deutlich benannt. Der Code der Verschwörungstheorie ist antisemitisch.

In diesem Kontext sind auch die Reaktionen des Kameradschaftsspektrums auf die Anschlagserie in den USA zu verstehen. Unter dem Titel "Bushfeuer in Manhatten" publizierte das "Aktionsbüro" mehrere Kommentare, in denen die Angriffe als Schläge gegen "die Schaltzentralen der Macht" und die "Feinde der Völker" gedeutet werden. Der Kampf gelte einer US-amerikanischen "One-World-Strategie", mit der das "internationale Kapital" seine Interessen durchsetze.

Die Aufzählung der Opfer des "US-Imperialismus" führt über Vietnam und den Irak schließlich zum Luftangriff 1945 auf Dresden: "Wo bleiben die Schweigeminuten und Gedenktage für die Hunderttausenden Toten unseres Volkes, die ,Uncle Sam auf dem Gewissen hat?".

Doch dienen diese antiimperialistischen Phrasen nicht nur der Geschichtsklitterung, sie entspringen durchaus einem geostrategischem Konzept, das in der verelendeten Peripherie der kapitalistischen Welt Bündnispartner für den Kampf gegen den Westen und dessen Hegemonialmacht USA sieht. Gelänge dies, so sieht dieses Modell im Umkehrschluss eine 
Renaissance des Deutschen Reiches vor.

Bedenkt man die kulturellen Konsequenzen dieses Konzeptes, ist es nicht verwunderlich, dieses auch beim intellektuellen Flügel des NPD-Umfeldes zu finden. In der ZDF-Sendung "Aspekte" ließ man zehn Tage nach dem Anschlag mit Reinhold Oberlercher und Horst Mahler zwei Köpfe neonazistischer Theoriebildung zu Wort kommen. Beide nutzen die Gelegenheit, ihre Positionen zur US-amerikanischen Welt zu verbreiten: Oberlercher sah in den Anschlägen eine "Manifestation mohammedanischer Hochkultur" und Mahler prophezeite die Überlegenheit deutscher Kultur im sich abzeichnenden Kampf mit dem Westen. Letzterer veröffentlichte auf seiner Homepage auch ein Manifestchen mit dem Titel "Independence-Day live".

Dort verkündete er das "Ende Amerikanischen Jahrhunderts, das Ende des globalen Kapitalismus und damit das Ende des weltlichen Jahwe-Kultes, des Mammonismus." Mahler, der seine Auseinandersetzung mit der Moderne mit antisemitisch aufgeladenem Animaterialismus und Versatzstücken von Hegels Geschichtsphilosophie bestreitet, sieht die Völker der Welt einen "Befreiungskrieg" gegen die USA führen, in dem auch die deutsche Geschichte ihren Platz hat: "Es ist ein Krieg - gegenwärtig an unsichtbaren Fronten weltweit. Dieser Krieg geht seit 1917, dem Zeitpunkt der Entsendung eines amerikanischen Expeditionskorps zur Rettung Großbritanniens, von den Finanz-Eliten der USA aus. Das Deutsche Reich ist - ununterbrochen - seit 1914 von dieser Kriegsführung der imperialistischen Mächte betroffen. Deren erklärtes Ziel war und ist es, die Vormacht der USA als Garant des räuberischen Freihandels zu sichern, indem das Deutsche Reich auf ewig zerstört und das große und kraftvolle Volk der Deutschen in der Mitte Europas zuerst dezimiert und anschließend durch Umvolkung als Kulturnation und Machtfaktor der Weltgeschichte ausgelöscht wird. Die militärische Niederlage des deutschen Reiches 1945 hat die Völker Europas und die übrige Welt schutzlos der US-amerikanischen Militärmacht und den Ausplünderungszügen der US-Ostküste ausgeliefert."

Vergleicht man diese Passage mit einem nationalsozialistischen Klassiker, fällt auf, über welch geschlossen völkisches Geschichtsbild NPD-Anwalt Mahler mittlerweile verfügt. Gespensterten durch seine Weltanschauung noch lange verirrte marxistische Fragmente seiner Vergangenheit, liest sich dieser Text wie eine Paraphrase auf "Mein Kampf". Dort schrieb Hitler rückblickend auf die anglo-amerikanische Politik im Ersten Weltkrieg: "Die Vernichtung Deutschlands war nicht englisches, sondern in erster Linie jüdisches Interesse. [...] Juden sind die Regenten der Börsenkräfte der amerikanischen Union. [...] Schon glauben die größten Köpfe der Judenheit die Erfüllung ihres testamentarischen Wahlspruches des großen Völkerfraßes herannahen zu sehen. Innerhalb dieser großen Herde entnationalisierter Kolonialgebiete könnte ein einziger unabhängiger Staat das ganze Werk in letzter Stunde  noch zu Fall bringen. [...] Bleibt auch nur ein Staat in seiner nationalen Kraft und Größe erhalten, wird und muss das jüdische Weltsatrapenreich, wie jede Tyrannei auf dieser Welt, der Kraft des nationalen Gedankens erliegen."

Zusätzlich zum Kampf gegen Amerika bietet heute der Nahostkonflikt die willkommene Projektionsfläche, da gegenwärtig der Fall der USA den Israels mit sich brächte. Durch ihre Feindschaft mit dem jüdischen Staat wird in der arabischen Welt ein Verbündeter im Kampf gegen das Judentum gesehen. Ähnliche Solidaritätsadressen des Deutschen Reichs sind bereits aus den Tagen der britischen Mandatszeit in Palästina bekannt.

Es wird sich zeigen, ob Renationalsozialisierung im Umfeld der NPD Auswirkungen auf das angestrebte Parteienverbot hat. Die Öffentlichkeit nahm zwar den Beifall deutscher Neonazis zu den Anschlägen in den USA wahr, nicht aber die in ihm enthaltenen Ideologeme des orthodoxen Nationalsozialismus.

Editoriale Anmerkung:

Dieser Artikel erschien am 9.1.2002 in der Newsgroup cl.antifa.allgemein. Er wurde der Zeitschrift DER RECHTE RAND entnommen.
Kontakt: redaktion@der-rechte-rand.de