Hamburg - Heime und Brechmittel für rassistisch Ausgegrenzte

Von Gaston Kirsche
(gruppe demontage)

01/02  trend online zeitung

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"Wer ist der jetzt festgenommene 14 Jahre alte Räuber? Mirko ist gebürtiger Jugoslawe, Angehöriger einer dort verfolgten Minderheit. Er wohnt in Hausbruch bei seiner Mutter. Besucht die Sonderschule. Aber nur ab und zu, heißt es. Die Polizei kennt ihn schon länger." Die tonangebende Regionalzeitung Hamburger Abendblatt forderte ihrem Publikum eine kleine Denkleistung ab, wo sie vor einigen Jahren noch kurz und bündig von "Zigeunern" schrieb. Der Aufmacher "Jugendbande raubt alte Frauen aus" vom 22. November über "eine Serie brutaler Überfälle auf Rentnerinnen" endete dann aber doch noch mit einem gängigeren rassistischen Etikett: "Die Räuber flüchteten über den Balkon, der Beschreibung nach zwei Jugendliche, 16 bis 17 Jahre alt. Und beide Südländer." Die wurden nicht gefasst, aber der 14-jährige Mirko sitzt seit dem 20. November in Hamburgs Jugendgefängnis Hahnöfersand.

Dass 14-jährige dort eingesperrt werden, ist auch zu Zeiten vorgekommen, als in Hamburg die SPD regiert hat. So wurden im Februar 1999 einige minderjährige Migranten dort mehrere Wochen lang inhaftiert, denen vorgeworfen wurde, aus Protest gegen die Verhaftung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan einen Raum in der Hamburger SPD-Zentrale mitbesetzt zu haben. 

Aber nach dem Regierungswechsel im Stadtstaat Hamburg am 31. Oktober wird die Rechtsentwicklung beschleunigt. Nur wenige Tage vor Mirkos Festnahme hatte sich Hamburgs neuer Innensenator Ronald Barnabas Schill von der Schill-Partei PRO im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt dafür ausgesprochen, schnellstmöglich ein geschlossenes Heim für jugendliche "Drogendealer und junge Gewalttäter" einzurichten. "Wir brauchen etwa 100 bis 200 Plätze", erklärte Schill. Mit dem Heim solle "verhindert werden, dass jugendliche Dealer nach der Festnahme gleich wieder auf der Straße sind." So soll das Jugendgericht umgangen werden, dass nach Meinung von Schill bisher viel zu selten Haft für Jugendliche anordnet.
Schill machte in dem Gespräch keinen Hehl daraus, welche Leute er als Dealer verdächtigt: Es müsse verhindert werden, dass minderjährige unbegleitete Flüchtlinge "falsche Altersangaben machen, um das mildere Jugendrecht zu nutzen. In Zukunft sollen bereits über die Ausländerbehörde Altersgutachten angeordnet werden - noch bevor die Jugendlichen straffällig werden." Aber nicht nur Schill sieht junge Flüchtlinge generell als verdächtig an. Bereits der im September abgewählte rotgrüne Senat richtete vor einem Jahr die Drogeneinsatzgruppe DEG ein: Zivilfahnder, die nach kleinen Menschenansammlungen Ausschau halten, die sie für Drogenverkäufer halten. Im Juli wurde der auch zwangsweise Brechmitteleinsatz bei Verdächtigen vom rotgrünen Senat beschlossen, die vielleicht Drogenkugeln verschluckt hätten vor der Festnahme. Kürzlich erklärte der Chef der DEG, Kriminaloberrat Ulf Schöder, dass die Einsätze der DEG und der Brechmitteleinsatz erfolgreich seien: In den vergangenen Monaten sei die Zahl der "sichtbaren schwarzafrikanischen Dealer an den Brennpunkten sichtbar zurückgegangen." 
So wird deutlich gemacht, wer gemeint ist, wenn in Hamburg von Dealern die Rede ist. 
Beim 26. Brechmitteleinsatz in Hamburg am Institut für Rechtsmedizin ist am 8. Dezember der 19jährige Achidi J. derart malträtiert worden, dass er ins Koma fiel. Vier Tage später wurde sein Tod festgestellt. Als er sich geweigert hatte, das Brechmittel Ipecacuanha zu schlucken, wurde er von zwei Polizisten festgehalten. Eine Ärztin versuchte gegen seinen Willen eine Magensonde durch seine Nase einzuführen. Achidi wehrte sich. Die Ärztin rief einen zweiten Streifenwagen. Nun hielten vier Polizisten Achidi fest, während die Ärztin die Sonde in den Magen stieß. Achidi wurde ohnmächtig und fiel regungslos zu Boden. "Eigentlich keine ungewöhnliche Reaktion", verharmloste der Leiter des Institutes, Professor Klaus Püschel, später die Situation: Die Ärztin hatte Achidi mindestens einige Minuten liegen lassen, ohne Wiederbelebungsversuche zu unternehmen. Nach 30 Minuten kam ein Rettungswagen. Achidi J. ist nie wieder aus dem Koma erwacht. 

Einen Tag nach dem tödlichen 26. Brechmitteleinsatz erklärte der Senat, die Einsätze würden weitergehen: "Wir werden am Prinzip des Einsatzes von Brechmitteln nichts ändern" verkündete Innensenator Schill und der Justizsenator Roger Kusch, CDU fügte hinzu: "Jede andere Entscheidung wäre ein Signal, dass die Strafverfolgung in Hamburg nicht mit der gebotenen Intensität durchgeführt wird".

Sechs weitere Brechmitteleinsätze gab es seit dem Tod von Achidi J. Immer mit dem Brechmittel Ipecacuanha, als dessen Nebenwirkungen Atemnot und Blutungen bekannt sind. Wie alle bisher bekannt gewordenen Brechmitteleinsätze richteten sich auch diese gegen schwarze Jugendliche. Zweimal wurde dabei wie bei Achidi J. unter Zwang eine Magensonde eingeführt. Ein einziges Mal weigerte sich der zuständige Staatsanwalt seither, den zwangsweisen Brechmitteleinsatz bei einem vermeintlichen Dealer anzuordnen. "Das war eine Ausnahme", erklärte Hamburgs Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger dazu: "Der Verdächtige war erst 14 Jahre."
Die prinzipielle Kritik der Brechmitteleinsätze und der repressiven Drogenpolitik bleibt der radikalen Linken der Stadt überlassen: 500 demonstrierten hinter dem Transparent "Brechmittel sind staatliche Folter" letzte Woche in Hamburg. Vom Lautsprecherwagen wurde erklärt: "Brechmitteleinsätze sind staatliche Folter, die sich vor allem gegen Jugendliche mit schwarzer Hautfarbe richtet." Während die SPD sich im Landesparlament darauf beschränkt, eine bessere medizinsche Notfallversorgung bei den Brechmitteleinsätzen bereit zustellen, fordern die Grünen jetzt als Opposition eine Unterbrechnung der Brechmitteleinsätze. Ebenso die Bischöfin Maria Jepsen von der evangelischen Kirche: "Aus Respekt vor dem Verstorbenen sollte das Brechmittel derzeit nicht weiter eingesetzt werden", forderte sie am 18. Dezember. Mittlerweile regt sich auch der DGB: "Die Einsätze sind nicht mehr verhältnismäßig, wenn die Gefahr besteht, dass jemand ums Leben kommt", erklärte ebenfalls am 18. Dezember Erhard Pumm, Vorsitzender des DGB Hamburg. Pumm hat als Abgeordneter der SPD in der Bürgerschaft, dem Hamburger Landesparlament, im Juni dem Beginn der Brechmitteleinsätze zugestimmt. Die Grünen hatten zuvor Bedenken geäußert, sich aber der Koalitionsdisziplin gebeugt. Bei der rotgrünen Entscheidungsfindung im Sommer war auch ein Papier vom 22. August 1991 bekannt, in dem es unmißverständlich zum zwangsweisen Brechmitteleinsatz hiess: "Es besteht beim Erbrechen eine nicht unerhebliche Gesundheitsgefährdung z. B. durch Verletzung der Speiseröhre oder Einatmen von Erbrochenem." Autor dieser Expertise war Klaus Püschel. Seit die SPD sich aber im Juni für Brechmittel aussprach, war auch Püschel dafür. Obwohl medizinisch bekannt ist, dass es Nerven am Kehlkopf gibt, deren Berührung mit einer Magensonde einen Herzstillstand auslösen kann. Der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, fordert deshalb am 13. Dezember ein Ende der zwangsweisen Brechmitteleinsätze: "Der Senat muß aufhören, Menschen mit Gewalt umzubringen."

Bitter ist, dass Politik und Polizei bei dieser brachialen rassistischen Verfolgung von jungen Schwarzen von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden. Die Hamburger Zeitungen sind voller Leserbriefe, die eine Fortsetzung der Brechmitteleinsätze fordern, nach dem Motto: Kein Mitleid mit Dealern. Am Rande der Demonstration gegen Brechmittel schimpften einige PassantInnen: "Dem Dealer ist es doch nur Recht geschehen!"

Die Hamburger Morgenpost fragte in ihrer Online-Ausgabe im TED der Woche: Sollen Brechmittel gegen Drogendealer eingesetzt werden, auch wenn dabei Menschen sterben? Eine mögliche Antwort: Ja, denn auch der Dealer nimmt den Tod von Drogenabhängigen bewußt in Kauf, außerdem ist das Problem ohne Brechmittel nicht zu lösen. 63,3 Prozent der TeilnehmerInnen stimmten für diese Antwort. Die Morgenpost gehörte früher der Hamburger SPD und ist keineswegs die rechteste Zeitung vor Ort.

Um die festgenommenen vermeintlichen Dealer vermehrt anzuklagen, hat Schill jetzt 15 neue Staatsanwälte eingestellt. Schill dazu gegenüber dem Eimsbütteler Wochenblatt: "Schon in wenigen Wochen wird man auch im Schanzenviertel davon etwas spüren."

Der repressive Kurs von Innensenator Schill wird vom gesamten neuen Hamburger Senat mitgetragen. Vorletztes Wochenende trafen sich die Senatoren von FDP, CDU und Schill-Partei zu ihrer ersten Klausurtagung. Bürgermeister Ole von Beust, CDU, erklärte anschließend: Etliche Arbeitsaufträge seien erteilt worden - darunter auch die Einrichtung eines geschlossenen Heimes für straffällige Jugendliche. Bei Justiz und Polizei wird eingestellt: Neben den 15 Staatsanwälten auch 252 Angestellte im Polizeidienst, eigentlich eine Beamtendomäne. Aber die sollen von kleineren Aufgaben entlastet werden, um sich auf "die Jagd nach Dealern und anderen Kriminellen konzentrieren" zu können.

Noch nicht beschlossen wurde der massive Ausbau der DEG, die bisher schwerpunktmäßig in der Innenstadt nach "sichtbaren schwarzafrikanischen Dealern" Ausschau hält. Schill möchte gerne mehr Einsatzgruppen in weiteren Stadtteilen - etwa dem Schanzenviertel, wo bereits jetzt kaum unbehelligt von der Polizei zu Fuß unterwegs sein kann, wer ins polizeiliche Dealer-Raster passt: Jung, "schwarz"- verdächtig. Die Aufstockung der DEG ist ebenso wie der Verzicht auf die Notwendigkeit einer staatsanwaltlichen Anordnung zur zwangsweisen Verabreichung von Brechmittel aber bisher erst ein Plan von Schill - und noch nicht vom Senat beschlossen: "Im Moment gilt noch das Paket, welches der ehemalige Innensenator Olaf Scholz auf die Reise geschickt hat", erklärte der Polizeisprecher Reinhard Fallak dazu. Aber es seien Treffen geplant, um Schills Vorschläge von den Amtsleitern genauer ausarbeiten zu lassen: Demnächst wird es mehr No-Go-Areas für "Schwarze" in Hamburg geben. Das liegt nicht nur an Neonazis - die im innerstädtischen Hamburgs nicht viel zu melden haben, oder an der Polizei. Bitter ist, dass Politik und Polizei bei der rassistischen Ausgrenzung von jungen Schwarzen von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden. Zum Beispiel von Margitta Duve, die ihr Ressentiment aufgeschrieben hat - veröffentlicht wurde es am 6. November im Hamburger Abendblatt: "Das Drogen-Elend vor meinem Haus". Sprachlich redundant wird das Konstrukt Schwarz = Dealer dort mehrmals wiederholt: "... Und so erzähle ich vom ganz normalen Alltag am Pulverteich. Von den schwarz-afrikanischen Dealern, die Tag und Nacht entlang der Adenauerallee patrouillieren ... die schwarzen Dealer ... 17.10 Uhr: Junge, schlanke Afrikaner patrouillieren entlang der Adenauerallee. 17.30 Uhr: Andere Afrikaner laufen hintereinander durch den Pulverteich, der vordere direkt neben einem Junkie... 18.10 Uhr: Ein Afrikaner sondiert die Lage, patrouilliert die ... Adenauerallee immer wieder entlang."

Im Internet kann im Forum auf der Webside des Hamburger Abendblattes über solche Artikel und selbstgewählte Themen diskutiert werden. Das wird rege frequentiert: "Wir haben 1226 registrierte Benutzer". Oft geht es in den Beiträgen um Dealer. Auch hier findet Hamburgs Kleinbürgertum bei der Stigmatisierung von Migrantinnen und Flüchtlingen ein deutsches Wir. Da fragte etwa ein Lothar Lion am 14.11.2001 um 11:28, ob wirklich den Staat beherrscht, wer den Drogenmarkt kontrolliert: "In logischer Konsequenz wären die wahren Herrscher unseres Landes kurdische, kolumbianische und afghanische Syndikate mit ihren meist albanischen oder schwarzafrikanischen Dealern? Ein wenig weit hergeholt, oder?" Es antworte ihm ein v.Breitenberg am 15.11.2001 um 20:34: "Es ist nicht weit hergeholt. Die o.g. Syndikate sind nicht Herrscher unseres Landes sondern Beherrscher des Drogenmarktes. Die schwarzafrikanischen Dealer werden dabei noch durch Sozialhilfe gesponsort." Wer nun glaubt, derartige Äußerungen seien nur in der LeserInnenschaft einer Springerzeitung anzutreffen: In dem Video "Kippt das Schanzenviertel!" von 1999 ist dokumentiert, wie sich AnwohnerInnen dieses alternativ geprägten Stadtteils abfällig bis aggressiv gegen junge Schwarze äußern, die sich im Stadtteil aufhalten, weil sie mit Drogenverkäufern gleichgesetzt werden. Seit die Polizei Razzien gegen vermeintliche Dealer durchführt, hat sie wieder eine höhere Akzeptanz im Schanzenviertel. Außer der linksradikalen Szene rund um das besetzte Stadtteilzentrum Rote Flora protestiert kaum jemand gegen die systematischen Festnahmen von jungen afrikanischen Flüchtlingen und schwarzen Deutschen. 

Es wundert vor dem Hintergrund der Begeisterung für noch mehr Law-and-Order nicht, was Hamburgs Bürgermeister von Beust bei seiner ersten Rede Mitte November im Bundesrat erklärte - Schilys Anti-Terror-Paket sei zu lasch: "Der wichtigste Komplex für eine Stärkung der inneren Sicherheit zum Schutz vor Ausländerextremismus und Terrorismus wurde überhaupt nicht geregelt, und das sind durchgreifende Maßnahmen im Bereich des Ausländerrechts." Es sei notwendig, Leute gar nicht erst einreisen zu lassen, die "unter Terrorismusverdacht stehen". Von Beust denkt an eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz, wenn jemand ohne deutschen Pass einreist. 

Ähnliches steht im Vertrag, den von Beust für die CDU, Schill für die Schill-Partei und Rudolf Lange für die FDP am 19. Oktober unterzeichneten: "Zukünftig erfolgt eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor der Einbürgerung von Ausländern."

In dem "Vertrag über eine Koalition für die Legislaturperiode 2001 - 2005" werden Menschen ohne deutschen Pass nur unter den Stichworten Innere Sicherheit, Justiz, Drogen und Terrorismusbekämpfung erwähnt, während sie bei Soziales, Kultur, Familie, Wirtschaft, Stadtplanung usw. nicht vorkommen. Einzige Ausnahme ist die Schulpolitik: "Gut ein Jahr vor der Einschulung erfolgt eine Sprachüberprüfung bei Kindern nichtdeutscher Muttersprache. Bei erheblichen Defiziten erfolgen verbindliche Sprachfördermaßnahmen vor der Einschulung, so dass ausreichende Deutschkenntnisse bei allen Kindern zum Zeitpunkt der Einschulung sichergestellt sind." Wo bei der SPD- Regierung noch von Förderung die Rede war, soll jetzt schon im Kindergarten die Kontrolle Vorrang haben. Aber Protest kommt nur von der Bildungsgewerkschaft. "Die GEW hält es für einen Skandal, Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse nicht mehr einschulen zu wollen", erklärte Anna Ammon, Vorsitzende der Hamburger GEW, und: "darüber hinaus sollen offenbar die positiven Ergebnisse bilingualer Alphabetisierung über Bord geworfen und durch Eingangstests und Sprachtraining für Kinder nichtdeutscher Muttersprache ersetzt werden. In der Entscheidung der Koalitionäre sieht die GEW eine Einschränkung des Grundrechtes auf Bildung für MigrantInnenkinder." Der neue Schulsenator Rudolf Lange wird auf Protest stossen. Seine bisherige Tätigkeit spricht nicht dafür, dass er sich von der GEW etwas sagen lassen wird. Bis zum Wahlkampf leitete er als Konteradmiral die Führungsakademie der Bundeswehr, wo die Offiziersausbildung stattfindet. Tipps dafür, wie Schule funktionieren sollte, holte er sich letzte Woche bei der Hamburger Handelskammer, die für mehr Konkurrenz, Elite und Förderung von leistungsstarkem Nachwuchs eintritt. 

Hierzulande aufgewachsene sogenannte Ausländer werden meist schlecht ausgebildet und sozial benachteiligt. Wer von Polizei und Justiz sanktioniert wird, muß laut Hamburger Koalitionsvertrag neben einer Verurteilung häufiger als bisher mit doppelter Bestrafung rechnen: "Ausreisepflichtige Ausländer werden konsequent abgeschoben."

Aber entsprechend der unterschiedlichen sozialen Lage von MigrantInnen macht auch der neue Senat Angebote im Rahmen einer Multi-Kulti-Repression. Eine Chance zum Mitmachen für Einige, die Mittlere Reife oder Abitur haben: "Es werden vermehrt ausländische Bewerber sowohl bei der Polizei als auch bei den Angestellten im Polizeidienst eingestellt, um ihre Sprach- und Kulturkenntnisse für die Bekämpfung von Straftaten zu nutzen. Ziel ist eine Verstärkung der uniformierten Präsenz in vorwiegend von Zuwanderern bewohnten Gebieten." Multi-Kulti-Polizisten können dann Schlägereien in Dönerbuden schlichten oder den Abschiebescheid übersetzen. Aber kaum rassistische deutsche Diskobesitzer verhaften - sie sollen ja bei ihrer "Kultur" bleiben. 
Eine Beschleunigung von staatlichem und gesellschaftlichem Rassismus hat es auch unter dem rotgrünen Senat gegeben. 2.000 Menschen wurden im letzten Jahr aus Hamburg abgeschoben. Das ist die höchste Zahl seit 1995. Nur das Bundesland Bayern schiebt Menschen so rigoros ab wie Hamburg unter Rotgrün. Der Hamburger Flüchtlingsfonds listete auf, wie sozialdemokratische Behörden die Abschiebungen durchführen liessen: "Überfallartige Festnahmen in Unterkünften in den frühen Morgenstunden; sofortiger Transport zum Flughafen, ohne dass Anwältinnen oder ÄrztInnen informiert wurden; Familien wurden auseinandergerissen, Familienangehörige in Abschiebehaft genommen.". Nicht umsonst hat Innensenator Schill etwa den bisherigen Leiter der hamburger Ausländerbehörde, Ralph Bornhöft, ausdrücklich für seine Arbeit gelobt. Bornhöft wird im Amt bleiben.

Wenn in Hamburg ein allgemeines Wahlrecht nicht nur für Deutsche gelten würde, sowie das kommunale Wahlrecht für die Bezirksversammlungen nicht nur für Deutsche und StaatsbürgerInnen anderer EU-Staaten, dann wäre die Wahl wohl anders ausgegangen: 260.000 HamburgerInnen durften nicht mitwählen, weil sie keinen deutschen Pass haben. Nur 30.000 Migrantinnen wurden seit 1997 eingebürgert. Die Hamburger Ausländerbeauftragte, Ursula Neumann, hat im August 2001 eine Befragung durchgeführt unter 6.000 Migrantinnen über 16, die im Vorjahr eingebürgert wurden. Diese Befragung spiegelt sicher das mögliche Wahlverhalten unter MigrantInnen eher wider als das deutsche Wahlergebnis: 79,1 % der befragten Eingebürgerten hatten sicher vor, wählen zu gehen. Davon wollten 70 % die SPD wählen, 11 % die Grünen/GAL. Und 10,8 % die CDU, 2,7 % die FDP. Die Schill-Partei schnitt schlecht ab: 1 % wollten sie wählen. Unter den linken Kandidaturen hätte die PDS aufgrund ihrer Bekanntheit die Nase vorn mit 3,2 %. Für die von der GAL abgespaltene Liste Regenbogen hätten dagegen nur 0,7 % gestimmt. Hier zeigt sich, wie wenig Kontakt das linksalternative Milieau zu MigrantInnen hat. 

Von den wahlberechtigten HamburgerInnen mit deutschem Pass gingen 850.311 am 23. September zur Wahl. Von denen wählten 36,5 % die SPD und 8,5 % die GAL. Die CDU schnitt unter den Deutschen mit 26,2 % wesentlich besser ab, ebenso die FDP mit 5, 1 % und die Schill-Partei - mit 19,4 %. Wer beide Ergebnisse anteilsmäßig zusammenrechnet, kann eine rechnerische Mehrheit für SPD und GAL feststellen. Dumm nur, dass SPD und GAL gar nicht offensiv das allgemeine Wahlrecht unabhängig von deutscher Staatsbürgerschaft propagieren. Im Gegenteil liessen sie die Ausländerbeauftragte Neumann alleine im Regen stehen, als das unvermeidliche Hamburger Abendblatt und die CDU sich über die von ihr verantwortete Befragung aufregten. Im Zeitungskommentar hiess es: "Aber die Zuwanderer danach zu fragen, welcher Spitzenkandidat oder welche Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl künftig mehr oder weniger Einfluß haben sollte, das geht nun doch etwas zu weit." Heinz Vahldieck, Innenpolitiker der CDU, protestierte umgehend gegen die Umfrage: "Den Stand der Integration zu erkunden ist vertretbar. Aber ich halte überhaupt nichts davon, die Parteipräferenzen zu erfragen." 
Bei der Abschlußkundgebung der linksradikalen Demo gegen die Amtseinführung des neuen rechten Senates fragte ein Redner, ob die Demo denn auch so gut besucht wäre, wenn es gegen die erneute Amtseinführung des vorherigen Innensenators Olaf ‚Brechmittel' Scholz gegangen wäre: 3.000 Leute riefen ja. Im Demoaufruf hieß es: "Schill, CDU und FDP können mit ihrem Law-and-Order-Geschwätz an vielen Punkten da weitermachen, wo Rotgrün aufgehört hat. Scholz verkündete beispielsweise stolz: ‚In Hamburg wird effektiver abgeschoben als in Bayern!' Das wird sich Zukunft wohl kaum ändern. Gerade im Bereich der Flüchtlingspolitik wird der CDU/FDP/Schill-Senat die Rotgrüne Ex-Regierung in puncto Rassismus noch übertreffen ... Es gibt eine Alternative zu Rotgrün und ‚Bürgerblock'."

Zumal die Hamburger SPD wie die GAL nach der Wahlniederlage an der reaktionären Variante von Rotgrün nichts auszusetzen haben. Olaf Scholz ist nach der Bürgerschaftswahl von der Hamburger SPD wieder zum Landesvorsitzenden gewählt worden. Er mit seiner Law-And-Order-Politik in der SPD hoch angesehen: Am 20. November wurde er auf dem Nürnberger Bundesparteitag der SPD auch erstmals in den Bundesvorstand gewählt. Nächstes Jahr wird er wieder in Altona als Direktkandidat bei der Bundestagswahl am 22. September kandidieren. Bei der letzten Wahl 1998 blieb es der MLPD überlassen, einen linken Wahlkreiskandidaten gegen Olaf Scholz aufzustellen. Für die an Wahlkandidaturen interessierte Linke gäbe es hier eine Gelegenheit, einen expliziten Wahlkampf gegen die Law-and-Order-politik der SPD zu machen. 

Hoffentlich entwickelt sich gegen Scholz, Schill, von Beust, Lange und Co Protest, der über das linksradikale Milieu hinausgeht, wobei eine Wahlkandidatur oder der Aufbau einer neuen linksreformistischen Organisation wie Regenbogen eine eigenständige linksradikale Betätigung und Organisierung weder in der Stadtpolitik noch sonstwo ersetzen kann.

Editoriale Anmerkung:  

Dieser Artikel wurde uns vom Autor am 18. Jan 2002 zum Zwecke der Veröffentlichung zugeschickt. Der Autor arbeitet in der Gruppe Demontage mit.

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