Petition the Lord with prayer
Amerika führt Krieg und die Linke in Deutschland sucht weiter ihren Frieden

von Daniel Dockerill

01/03
 
 
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You cannot petition the Lord with prayer
(Jim Morrison)

Sein Land sei in der Geiselhaft einer terroristischen Gang, angeführt von Saddam Hussein, sagt der Irakische Schriftsteller Hamid Ali Alkifaey und findet es an der Zeit, daß die internationale Gemeinschaft etwas unternehme, das Land zu retten und von den Terroristen zu befreien.[1] Die „internationale Gemeinschaft“ ist jedoch, wie immer, äußerst gespalten. Da ist eigentlich niemand, der nicht irgendwann mit besagten Terroristen seine Geschäfte gemacht hätte, und einige haben halt erst kürzlich wieder erfolgreich begonnen, neue anzubahnen. Mit einem Wort: Die internationale Gemeinschaft, die da beschworen wird, ist eine Fata Morgana.

Und dennoch sind die Hoffnungen irakischer Oppositioneller auf internationale Hilfe für einen Umsturz, zu dem sie sich anscheinend aus eigener Kraft in absehbarer Zeit nicht imstande sehen, natürlich nicht grundlos. Denn anders als noch während des letzten Golfkriegs, der die irakische Annexion Kuwaits wieder rückgängig machte, sehen immerhin die USA, die derzeit mit Abstand gewichtigste Macht auf dem Globus, offenbar keinen Grund mehr, tiefgreifende Umwälzungen der Machtverhältnisse im ganzen Mittleren Osten, die ein Umsturz im Irak mit hoher Wahrscheinlichkeit nach sich zöge, zu fürchten. Namentlich Saudi-Arabien, um dessen Stabilität man sich 1991 in Washington noch die allergrößten Sorgen machte, gilt spätestens, seitdem unübersehbar geworden ist, wie der antiamerikanische Terrorismus der al-Quaeda aus der dortigen Elite gesponsert wird, nicht mehr als der zuverlässige Garant amerikanischer Interessen in jener Weltgegend, dessen Sturz auf jeden Fall zu verhindern ist.

Europas Interessen hingegen, allen voran die Deutschlands und dann auch Frankreichs, haben dort in den letzten Jahren nachhaltig Gelände gewonnen. Dies nicht nur als mittlerweile wichtigster Handelspartner von Ländern wie Iran, Türkei, Syrien und Jordanien. Vielmehr scheint deutsche Friedfertigkeit in Sachen Irakkrieg politisch-strategische Früchte zu tragen, wo Deutschlands Außenpolitik sich auf jene Staaten stützt, die finden „es könnte gut sein, wenn die amerikanischen Bäume nicht in den Himmel wachsen“ (Egon Bahr), d.h. die bereit wären, im innerimperialistischen Kriegsfall mit der EU gegen die USA anzutreten. Auch dieser Aspekt der globalen kapitalistischen Konkurrenz, bei der die Zeit anscheinend gegen Amerika arbeitet, dürfte es den USA augenblicklich leicht machen, die herrschende Ordnung im Mittleren Osten umfassend zur Disposition zu stellen. Die von Bush Senior während des zweiten Golfkriegs so eifrig gepredigte „Neue Weltordnung“ hat offensichtlich am Golf – und nicht nur dort – längst aufgehört, die ihre zu sein.

„Die Linke im Krieg“

„Für einen Präventivkrieg gegen den Irak“ hat der Kon­kret-Redakteur Jürgen Elsässer in einem Beitrag für das Oktoberheft der Zeitschrift befunden, gebe es „keine Argumente“. Zwar sei Saddam Hussein „Unbestritten … ein blutiger Despot … Doch von solchen Herrschern gibt es drei Dutzend auf der Welt, allein die arabische Halbinsel ist voll davon. Sollen jetzt alle mit Krieg beseitigt werden?“

Der Einwand, der daherkommt, als hätte die hiesige Linke der amerikanischen Regierung einen besseren Vorschlag zu machen, glänzt zunächst einmal durch eine bemerkenswerte Ignoranz, denn die Bush-Administration hat ja längst durchblicken lassen, daß ihr umstürzlerisches Vorhaben in der Tat, wenn zwar vielleicht nicht auf „alle“, so doch durchaus auf das eine oder andere weitere relevante Exemplar „von solchen Herrschern“ in der Region abzielt. Ob sie allerdings dafür „Argumente“ hat, die der Überprüfung durch ein paar linke Menschenfreunde in Deutschland oder anderswo standhalten – wer wollte das wissen?

Aber das ist wohl der Unterschied zwischen der Linken und dem Kommunismus: Jene inszeniert immer wieder von neuem das erbärmliche Theater einer über allen Parteien thronenden Gerechtigkeit, vor der dann auch die Mächtigen dieser Welt sich zu verantworten hätten. Dieser dagegen (soweit er es fertigbringt, sich von der Linken zu trennen) begreift sich selber als die eine, auf nichts als sich selbst gestellte Partei, die die bestehenden Machtverhältnisse vollständig umzustürzen, ihrerseits also eine Macht zu werden und zu diesem Zweck natürlich das Tun und Lassen aller zu stürzenden Mächte in Rechnung zu stellen hat.

Freilich, auch die Linke ist offensichtlich nicht mehr das, was sie einmal zu sein schien. Zwar ist man durchaus gewohnt, daß heftig gestritten wird um die Auslegung jener esoterischen Gerechtigkeit, darum also, was da, wie es oftmals so verräterisch heißt, „legitim“ sei oder eben nicht. Daß aber dieser Streit der linken Meinungen eskaliert zu einem Pro oder Contra der einen oder anderen Kriegspartei, ist dann doch noch nicht allzu oft vorgekommen. Wenn die Linke in solche Schwierigkeiten gerät, ist das allemal ein Indiz für den Anbruch stürmischerer Zeiten. Und die Zeichen stehen hier allerdings auf Sturm.

Das bizarre Spielchen nämlich mit den „Argumenten“, nach denen es das linke Gewissen ganz besonders dann verlangt, wenn sein Dafür- oder Dagegensein rein platonisch bleibt, also fast immer, hat ein nicht unbeträchtlicher Teil der Linken jetzt einfach umgedreht: Statt die amerikanische Kriegsrhetorik auf ihre Stichhaltigkeit abzuklopfen, sammelt man eigene „Argumente“ für Amerikas Krieg. Und was man da gesammelt hat, bringt die Antikriegslinke offenbar in Beweisnöte. Jürgen Elsässer hat jedenfalls in der Novemberausgabe der Konkret nachgelegt und erklärt nun für alle Fälle, daß „die Linke früher“ dem „Grundsatz: ‚In dubio contra bellum‘„ (im Zweifel gegen den Krieg) gefolgt sei und also nach altem Recht und Gesetz für das ausnahmsweise Gegenteil „die Beweislast bei den Kriegsbefürwortern“ liege.

„die Linke früher“

Nun ja, „früher“. Sehr viel früher einmal, beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges, hatte sich „die Linke“, wie jeder weiß, an der Kriegsfrage tief gespalten, und bei vielen ihrer aufrechten Anhänger war das Entsetzen riesengroß. Hatte doch dieselbe, nun in feindliche Kriegsparteien zerteilte Linke, die durchaus mächtige, nach Millionen zählende sozialistische Internationale, noch bis zuletzt mehrfach sich einmütig und feierlich gegen den heraufziehenden Krieg erklärt. Und nicht wenige jener entsetzten Linken sehnten mit ganzem Herzen nichts als die baldige Wiederherstellung dieser durch den Krieg zerfetzten großen Antikriegspartei herbei.

Eine zunächst noch kleine radikale Minderheit unter ihnen sah indes die Dinge ganz anders. Der große, die ganze zivilisierte Welt verschlingende Krieg war eine Tatsache geworden, der sich niemand entziehen und hinter die niemand mehr zurückgehen konnte. Er hatte die Abgründe an Barbarei offengelegt, die unter dem Deckel der Zivilisation in den vorangegangenen, friedlicher sich darstellenden Zeiten noch halbwegs verborgen geblieben waren. „Und wenn der heutige Krieg“, schrieb Lenin im Jahre 1916, „bei reaktionären Sozialpfaffen, bei weinerlichen Kleinbürgern nur Schrecken, nur Erschrockenheit, nur Abscheu vor Waffengebrauch, Tod, Blut usw. erzeugt, so sagen wir dagegen: Die kapitalistischen Gesellschaft war und ist immer ein einziger Schrecken ohne Ende. Und wenn jetzt dieser Gesellschaft durch diesen reaktionärsten aller Kriege ein Ende mit Schrecken bereitet wird, so haben wir keinen Grund zu verzweifeln.“[2] Lenin erinnerte seine Genossen, die sich für die Losung einer allgemeinen „Entwaffnung“ erwärmt hatten, daran, daß sozialistische Revolutionäre keineswegs gegen jeden Krieg Partei zu ergreifen hätten, sondern es vielmehr immer auf den bestimmten Klassencharakter des jeweiligen Krieges ankomme. Mit der Linken als Antikriegspartei war es jedenfalls für lange Zeit vorbei. Nicht die „Entwaffnung“, sondern die „Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg“ wurde die Losung der revolutionären, internationalistischen Linken, die sich später Kommunisten nannten.

Die Losung erwies sich als nur allzu realistisch. Keine den Kriegsdienst verweigernden, pazifistischen Helden führten das Ende des Krieges herbei, sondern die Millionen bewaffneter oder Waffen produzierender Besitzloser, die das besitzende Europa gegeneinander mobilgemacht hatte. Und wo immer sie das taten, wo immer sie das Regime abschüttelten, das sie in den Krieg der sie plündernden Räuber getrieben hatte, sahen sie sich im Handumdrehen einer waffenstarrenden Konterrevolution gegenüber, die ihnen nur die Wahl ließ, entweder selbst sich zur energischen Kriegspartei zu formieren oder massenhaft sich hinschlachten zu lassen.

„Ausnahmefälle“

„in begründeten Einzelfällen“, weiß Jürgen Elsässer zu erzählen, „behielt man“, also jene Linke, von der die gemütliche Sage geht, daß sie „früher“ von reinster „Kriegsgegnerschaft“ beseelt gewesen sei, „sich vor, … eine Ausnahme … zu machen“. Und natürlich hat er dabei einen ganz bestimmten „Fall“ im Auge, den er auch nicht ansteht beim Namen zu nennen: die „Anti-Hitler-Koalition“. Was aber diese zum „Ausnahmefall“ werden ließ, wird nicht verraten. Nur soviel darf man schließen: Die „Beweise“ der „Kriegsbefürworter“ müssen erdrückend gewesen sein.

Wir werden auf diese „Ausnahme“ noch zurückkommen, sollten uns aber zunächst einmal ins Gedächtnis rufen, daß der „Ausnahmen“ von der hier beschworenen linken „Kriegsgegnerschaft“ in Wahrheit weitaus mehr sind, als der gemeine Linksverstand heutzutage noch vermuten möchte. Das Gedächtnis der „kriegsbefürwortenden“ Antideutschen scheint da zur Zeit um einiges besser zu funktionieren. Unter der Überschrift „Krieg dem Baath-Regime, Waffen für Israel!“ weist die Redaktion der Baha­mas u.a. daraufhin: „Die Losung ‚Waffen für Israel‘ ist einer Kampagne der frühen 80er Jahre entliehen – ‚Waffen für El Salvador‘. Zum letzten Mal mit guten Gründen hat die europäische Linke damals auf ein Projekt der nationalen Befreiung gegen die USA und zugleich für einen Krieg gegen den faulen Frieden gesetzt.“[3] Man könnte auch an den „Sieg im Volkskrieg“ Vietnams erinnern, für den Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre neu sich radikalisierende Linke scharenweise auf die Straßen und manche dann auch in den Untergrund gingen. Gar nicht zu reden von der lateinamerikanischen Guerilla, von zahlreichen antikolonialen Befreiungskriegen in Afrika etc. pp., die sich einer selbstverständlichen Sympathie seitens der hiesigen Linken erfreuen durften.

Die Bahamas-Redaktion hat nicht ganz Unrecht, wenn sie mit Bezug auf jene alte Kampagne schreibt:

„Die Veteranen dieser Bewegung, wie zum Beispiel Tho­mas Ebermann, verwerfen heute vehement die Forderung ‚Waffen für Israel‘, denn man könne doch nicht für eine bewaffnete Staatsmacht sich engagieren, sondern allein für das kämpfende Volk. Heute ist vergessen, daß sie im Falle El Salvador zumindest so taten, als ob sie das kämpfende Volk deshalb mit Geld für Waffen unterstützten, weil sie es für eine Emanzipationskraft hielten, und deshalb seine Souveränität als die bessere Staatsmacht herbeiwünschten. Heute ist vergessen, daß man zumindest so tat, als ob diese Kampagne einem weit größeren revolutionären Plan dienen sollte, der Diktatur des Proletariats, der temporären staatsförmigen Errichtung der revolutionären Gegengewalt als Etappe zur Weltrevolution.“

„vermessene Gedanken“

Allerdings: Man tat und tut auf seiten der Linken immer nur so „als ob“. Die kriegerisch gestimmten Antideutschen sind da so links wie ihre pazifistischen Gegner. Näher hingehört, reden auch sie von der Diktatur des Proletariats nur mehr im Tonfall einer fein ausgewogenen Mischung aus mitleidvoller Nostalgie und distanziertem Sarkasmus, und die „Weltrevolution“ ist ihnen eine derart fernliegende, esoterische Angelegenheit, daß sie jede wirkliche revolutionäre Gewalt allenfalls „als Etappe zu“ ihr hin verstehen können. Die Nähe solcher Formulierungen zu den Formeln der katastrophalen Volksfrontpolitik, mit denen ab 1935 die Komin­tern die 1917 von Rußland aus begonnene Weltrevolution des Proletariats offiziell auf unbestimmte Zeit außer Kraft setzte, ist beileibe kein Zufall.

Vom „Proletariat“ hat das Völkchen auf den Bahamas so wenig begriffen wie alle linken Bürger, denen der von Stalins langem Schatten allseits umnachtete Kommunismus seit den Tagen der unseligen Volksfront bis in seine traurige Gegenwart hinein sich immer wieder von neuem an den Hals wirft. „So würde“, heißt es weiter im Text, „heute niemand mehr auf den vermessenen Gedanken kommen, daß es um Befreiung der Individuen und nicht um Volkstums- und Kulturschutz gehen könne.“ Und auf den Bahamas kommt niemand auf den noch viel vermesseneren Gedanken, daß die famose „Befreiung der Individuen“, um die man sich dort kümmern möchte, mit aller ihr innewohnenden Brutalität längst vollzogen ist: in der massenhaften Freiheit der individuellen Arbeitskraft nämlich sowohl von jeder persönlichen Bindung an ein besonderes Gemeinwesen und die Herrschaften, die es garantierten, als auch von allen sachlichen Voraussetzung ihrer wirklichen Betätigung und damit ihrer Selbsterhaltung. Nähme man das dort zur Kenntnis, dann wäre mit einem Schlag klar, daß gegen die fatal grassierende Flucht in „Volkstums- und Kulturschutz“, den ebenso illusorischen wie gemeingefährlichen und letztlich selbstmörderischen Versuch also, jene brutale Freiheit bloß rückgängig zu machen, es in Wahrheit wohl oder übel nur ein einziges Mittel gibt: den Kampf um die progressive Aufhebung dieser Freiheit, d.h. die freiwillige Vereinigung jener vogelfreien Individuen zur selbstbewußten Klasse, die sich selbst abschafft, indem sie die ihr beständig enteigneten sachlichen Bedingungen und Resultate ihrer Arbeit, ihre Produktions- und Lebensmittel, unter ihre gemeinsame Kontrolle bringt.

 „Symbol“ und „Geist“

Davon wollen, wie gesagt, die Antideutschen so wenig wissen wie alle andern Linken und beschwören statt dessen lieber eine Neuauflage der ruhmreichen Antifa der Jahre 1933ff. Etwas klüger als der linke Rest sind sie nur, insofern sie deren Konstellation nicht für irgendeine den linken Pazifismus bloß dann und wann unterbrechende „Ausnahme“ halten, sondern eher für den trostlosen Normalfall einer „Krisendynamik des Kapitals“, die auf „die barbarische Aufhebung der bürgerlichen Verkehrsformen … zusteuert“.

Wenn es aber wahr sein sollte – wofür allerdings einiges spricht –, daß wir gegenwärtig in Gestalt eines bis in viele Regierungsapparate hinreichenden ressentimentgeladenen euro-islami­schen Antiimperialismus so etwas wie die Wiedergeburt jenes faschistischen Scheusals erleben, das vor einem halben Jahrhundert neben einigen anderen Weltgegenden ganz Europa heimgesucht und schließlich in Schutt und Asche gelegt hatte – wieso sollten wir gegen diese erneut sich breitmachende Seuche alle unsere Hoffnung ausgerechnet in eine Rezeptur setzen, gegen die sie sich demnach doch spätestens jetzt ganz offensichtlich als resistent erwiesen hätte? Und hat sie denn jemals wirklich geholfen? Ist die illusorische Hoffnung auf Zusammenarbeit mit „verständigen“ Teilen der Bourgeoisie, der man das Ringen um die revolutionäre Einheit und Selbständigkeit der Klasse zum Opfer brachte, nicht vielmehr jene Droge gewesen, die den Kampf gegen den Faschismus solange gelähmt hat, bis es für sechs Millionen Juden in Europa zu spät war?

 „An einem Wendepunkt“, schreibt die Baha­mas-Redak­tion, „der durchaus nicht unverwandt ist mit dem, den die faschistische Aggression gegen die spanische Republik 1936 bedeutete und der die Entscheidung verlangte, für diese Republik als ein Symbol des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und seine spanischen und italienischen Verbündeten zu kämpfen, wird man sich entscheiden müssen: Für die bewaffnete Selbstverteidigung Israels als Kristallisationspunkt eines weltweiten Kampfes gegen den barbarischen Antikapitalismus.“

Das „Symbol“ der spanischen Republik – wenn sie denn eines war –, stand vielleicht für den guten Willen zum „Widerstand“ gegen den Faschismus, aber mindestens ebenso sehr für das Unvermögen, erfolgreich zu widerstehen. Israel kann man nur wünschen, daß an dieses unglückliche Vorbild es sich nicht allzu getreu halten möge. Und den linken Freunden Israels ist dringend anzuraten, sich der Geschichte des „Widerstands“, auf den sie sich da berufen, genauer zu erinnern. Schon an ihrem Beginn zeigten sich nämlich zur energischen Aktion gegen den faschistischen Anschlag auf die Republik nur diejenigen Kräfte bereit und fähig, die damit viel mehr und ganz anderes verfolgten als den Erhalt der Republik: die Abschüttelung der Klassenherrschaft der Besitzenden über die Besitzlosen. Das bloß republikanische Spanien dagegen, in der revolutionären Zuspitzung des Klassenkampfes zwischen alle Stühle geraten, sah sich, nicht anders als seine liberale Verwandtschaft in aller Welt, zur Tatenlosigkeit verdammt.

„Israel“, fährt der Bahamas-Text fort, „braucht keine internationalen Brigaden, aber einiges vom Geist dieser internationalen Bewegung für den Erhalt der spanischen Republik könnte nicht nur Israel nicht schaden.“ Georgi Dimitroff, das Faktotum, das im Auftrag seines Meisters Stalin die Kommunistische Internationale zugrunde richtete und schließlich liquidierte, läßt an dieser Stelle herzlich grüßen, und wir fragen uns unwillkürlich, woran die Damen und Herren der Redaktion, in deren Namen so etwas geschrieben wird, wohl gedacht haben mögen, als sie an anderem Ort in derselben Zeitschrift Israel immerhin auch als „Anwort auf den stalinistischen Verrat an der kommunistischen Weltrevolution“[4] bezeichnen ließen. Stellen sie sich hier nur dumm, oder haben sie wirklich noch nie davon gehört, daß just „für den Erhalt der spanischen Republik“ Stalins Kommunisten das bürgerlich-re­publikanische Militär zum schlimmen Ende der Republik hin gegen das rebellische Proletariat mobilgemacht haben? Dasselbe Proletariat, dessen selbständiger, eigenmächtiger Klassenaktion die ganze schöne Republik allein verdankte, daß sie nicht schon vor dem ersten Ansturm der Faschisten zu Staub zerfallen war.

„Mal etwas Neues“

Welcher obskure „Geist“ also mag da in den Köpfen der Bahamas-Redaktion spuken, von dem „nicht nur Israel“ heute „einiges“ angeblich „nicht schaden“ könnte? „Für die bewaffnete Selbstverteidigung Israels“ – das gebietet die einfache Logik – kann nur Israel selbst „sich entscheiden“, und internationale Brigaden, versichert man uns, die Israels Selbstverteidigung unterstützten, brauche Israel nicht. Aber was dann? Die Sammlung „Waffen für Israel“ ist sicherlich gut gemeint, fällt aber angesichts einer Armee, die aus guten Gründen zu den am besten ausgerüsteten der Welt zählt, materiell von vornherein nicht ins Gewicht, womit wir wieder – wir drehen uns offenbar im Kreis – beim guten Geist geendet wären.

Bleibt der „Krieg gegen das Baath-Regime“, dessen Beseitigung, ganz abgesehen von den Greueln, die es regelmäßig unter der eigenen Bevölkerung anrichtet, für Israel ohne Zweifel eine gewisse Entlastung bedeuten würde. Nahe läge hier vielleicht eine Kampagne, die sich für eine Teilnahme deutscher Soldaten an diesem Krieg stark machte – als tatkräftigen Beitrag gewissermaßen zur Wiedergutmachung deutscher Untaten. Gefragt, ob sie so etwas ernsthaft vorhaben, weisen antideutsche Linke in Deutschland das natürlich in aller Regel entschieden zurück. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Matthias Küntzel fand jedenfalls vor Jahr und Tag in einem Debattenbeitrag zu den Anschlägen des 11.9. für die Konkret, daß „gegen massenmörderische Antisemiten zu mobilisieren, … hierzulande tatsächlich einmal etwas Neues wäre“, um zugleich bedauernd festzustellen, daß leider das Gegenteil geschehe.[5] Zuvor hatte er im selben Text den „Vorschlag“ gemacht, daß „Selbst­verständlich die amerikanische und die britische Politik weiterhin kritisiert werden“ müsse. „Jedoch nicht deshalb, weil sie die Djihadisten verfolgt, sondern weil sie diese nicht zielgenau und konsequent genug verfolgt.“ Hier reichen Jürgen Elsässer und Matthias Küntzel sich die Hand. Die moralische und intellektuelle Kritik der Herrschenden, die nicht einmal mehr daran denkt, daß für eine wirkliche Besserung der Welt diesen vielmehr das Gesetz des Handelns wieder entrissen werden müßte, ist der pazifistisch antiamerikanischen wie der kriegsfreudig antideutschen Linken gleichermaßen das unübersteigbare Maximum an Subversion.

„Verändertes Paradigma“

Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, oder höchstens so, daß, was einmal als Trauerspiel über die Bühne ging, später wiederkehrt als Farce. Angesichts der akzeptierenden Ohnmacht, die die gespaltene heutige Linke auf allen Seiten zur Schau stellt, tut es diesmal fast gar nichts zur Sache, welchen „Argumenten“ sie Gehör schenkt und welcher Option der „Kritik“ sie jeweils sich verschreibt. In dieser Hinsicht lagen die Dinge beim Faschismus der Hitlerzeit noch ganz anders. Die Linke – nicht weniger gespalten, als heute – hatte durchaus das eine oder andere Gewicht in die Waagschale zu werfen. Namentlich gab es da die ja keineswegs ohnmächtige Sowjetunion, mit der bedeutende Teile des Proletariats in den kapitalistischen Ländern wie in den von diesen beherrschten Kolonien und Halbkolonien sich verbunden fühlten.

Die Linke heute demonstriert freilich auch hierzu nur noch ihre gespaltene Inkompetenz. Erklärt Jürgen Elsässer die alte Geschichte unbesehen zur „Ausnahme“, für die man sich derzeit nicht näher zu interessieren habe, kommt ein Matthias Küntzel, der sonst meist sehr genau weiß, wovon er schreibt, (in einer Fußnote, seinen oben zitierten „Vorschlag“ erläuternd) mit einem „Plädoyer, die kommunistische Politik im Zuge des Zweiten Weltkriegs kritisch zu reflektieren“, das nicht die blasseste Ahnung vom Gegenstand solcher Reflexion erkennen läßt. Und niemand in der Linken nimmt da an irgend etwas Anstoß.

Küntzel wörtlich: „Das von Liebknecht und Lenin abgeleitete Paradigma, stets zuerst den ‚Hauptfeind‘ im eigenen Land zu bekämpfen, hatte im Laufe des Zweiten Weltkriegs zur Folge, daß etwa die der Komintern angeschlossene Französische Kommunistische Partei nach dem deutschen Überfall auf Frankreich nicht dem nationalsozialistischen Aggressor entgegentrat, sondern weiterhin der eigenen Bourgeoisie.“ Die Wahrheit ist, daß lange vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs besagtes „Paradigma“ – in seiner Küntzelschen Fassung ohnehin ein Zerrbild dessen, was da „von Lenin abgeleitet“ werden könnte – keine Rolle mehr spielte. Als Vorreiter für alle anderen Sektionen der Komin­tern hatte, in der Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung nach den anstehenden Wahlen, die französische Sektion auf direkten Wink Stalins hin ab dem Mai 1935 den Kampf gegen das wichtigste Herrschaftsinstrument ihres „Haupt­fein­des“ eingestellt, sich öffentlich für die Stärkung der französischen „Verteidigungskraft“ ausgesprochen und ihre konspirativen Zellen in der Armee aufgelöst.

Was aber „die eigene Bourgeoisie“ selbst anging, so zeigte sie, wie man weiß, bei Kriegsbeginn in Frankreich kaum Bereitschaft, sich ernsthaft mit Hitlers Deutschland anzulegen. Daran hat Küntzel wohl gedacht, wenn er am Ende der zitierten Fußnote sich die Frage stellt: „Hätte nicht besser der jeweils eigene Imperialismus vorrangig aufgrund seiner Halbherzigkeit, Inkonsequenz und strukturellen Unfähigkeit im Kampf gegen Nazi-Deutschland denunziert werden müssen?“ – Was für eine schröckliche Waffe: Denunziation! Die französische Bourgeoisie „hätte“ darob wahrscheinlich sich erst zu Tode geschämt und dann am antifaschistischen Riemen gerissen. Freilich, wären die Dinge so einfach gewesen, „hätte“ es wohl auch Hitler niemals gegeben.

„strukturelle Unfähigkeit“

Das Proletariat, schreibt Marx irgendwo, ist revolutionär, oder es ist nichts. Die Bourgeoisie, namentlich die französische, hat das schon immer recht gut gewußt, die Linke begreift es nie. Eine proletarische Partei, die, so in etwa die durchaus vernünftige Rechnung der Bourgeoisie, ihr aus freien Stücken zugunsten höherer gemeinsamer Interessen die Zusammenarbeit anbietet, führt entweder irgendeine revolutionäre Hinterlist im Schilde oder sie ist ein Nichts, eine Partei ohne jedes politische Gewicht. Weder der eine, noch der andere Fall ergäbe einen einsehbaren Grund, die Ratschläge einer solchen Partei zu erhören. Das europäische Proletariat war indes 1939 keineswegs ein Nichts – wenngleich seine einflußreichsten Organe und Organisationen meist sich alle Mühe gaben, es dahin zu bringen –, sondern hatte eine Reihe schwerer Niederlagen erlitten und erst jüngst in Spanien eine große Schlacht verloren, in der es sich heroisch geschlagen hatte. Der Sieger über das revolutionäre Proletariat in Europa aber hieß Hitler. Schon deshalb mußte dem klassenbewußten Bürger nicht nur in Frankreich die Unterwerfung unter ihn zehnmal sympathischer erscheinen als die Bewaffnung und Mobilmachung der eigenen Proleten gegen ihn. Man hatte zudem in Frankreich, weiter zurückliegend, seine ganz bestimmten Erfahrungen gemacht, wohin der Patriotismus ein bewaffnetes Proletariat auch führen kann.

Matthias Küntzel kommt der Wahrheit ziemlich nahe, wenn er – versehentlich vielleicht – die bürgerliche „Unfähigkeit im Kampf gegen Nazi-Deutschland“ eine „struk­turelle“ nennt, zieht aber nicht die Konsequenz daraus. Eine solche Unfähigkeit wäre logischerweise nur durch eine Änderung der „Struktur“ selbst, eine durchgreifende Änderung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen zu beheben gewesen: durch die Unterwerfung der französischen Bourgeoisie unter das Diktat des revolutionären Proletariats. Anders als im Kampf gegen die eigene Bourgeoisie konnte also das französische Proletariat „dem nationalsozialistischen Aggressor“ gar nicht entgegentreten. Und wenn andersherum die der Komintern angeschlossenen Parteien nach Stalins verräterischem Pakt mit Hitler das nazistische Deutschland zur Friedensmacht und seine Gegner zu Kriegstreibern erklärten, dann betrieben sie nichts als Pazifismus der schamlosesten Sorte, der „der eigenen Bourgeoisie“ nur mehr mit billigen Gesten „entgegentrat“. Dies war die „Position“, die dann, wie Küntzel berichtet, „erst mit Beginn des deutschen Angriffs gegen die Sowjetunion revidiert“ wurde.

Von „amerikanische[n] Trotzkisten“, kolportiert er, daß sie „bis 1945 an der ‚Hauptfeind USA‘‑Linie festhielten“, und fragt daran anschließend: „Kann dieser Standpunkt auf Basis unserer heutigen Kenntnisse über Auschwitz verteidigt werden?“ – Trotzki selbst besaß zwar nicht „unsere heutigen Kenntnisse“, aber offenbar sehr wohl eine präzise Voraussicht des grauenhaften Geschehens, auf das sie sich beziehen, wenn er wenige Wochen nach der Reichspogromnacht, im Dezember 1938 in einem Brief an amerikanische Freunde „auch ohne Krieg … als nächste Entwicklung der Weltreaktion mit Sicherheit die physische Vernichtung der Juden“ erwartete.[6] Gleichwohl fiel ihm auch 1940, als mit dem baldigen Kriegseintritt der USA zu rechnen war, nicht ein, seinen amerikanischen Genossen die Verbrüderung mit der amerikanischen Bourgeoisie anzuraten.

Eine „Hauptfeind-USA-Linie“ war das aber schon deshalb nicht, weil hier nicht Gegensätze zwischen den Nationen im Zentrum aller Überlegungen standen, sondern der jede nationale Grenze überschreitende Klassengegensatz. Trotzki riet dazu, unter den Bedingungen des Krieges und der damit unvermeidlich einhergehenden Militarisierung der ganzen amerikanischen Gesellschaft dem Proletariat dabei zu helfen, eine möglichst unabhängige Stellung für sich und seine Klassenorganisationen in der US-Armee zu entwickeln, damit es vielleicht in die Lage komme, der amerikanischen Bourgeoisie dieses Instrument streitig zu machen und womöglich den Krieg schließlich in seinem Interesse und auf seine Weise zu Ende zu führen. Jeder und jede mag selber am wirklichen Verlauf des Krieges überprüfen, ob derart pessimistische Überlegungen ausgerechnet „auf Basis unserer heutigen Kenntnisse über Auschwitz“ sich tatsächlich bloß als krasses Fehlurteil erwiesen haben.

Vor dem Zweiten Weltkrieg wie gesagt und währenddessen stand mit dem Tun und Lassen der Linken wirklich etwas auf dem Spiel. Die Gedankengänge und Entscheidungen ihrer divergierenden Tendenzen spiegelten das Ringen sozialer Kräfte, die nach Millionen zählten, und wirkten ihrerseits darauf ein. Ob etwa die Kommunistische Partei Frankreichs eine unabhängige Klassenlinie verfocht oder diese im ängstlichen Manövrieren zwischen Burgfrieden und Pazifismus verspielte, davon hing in nicht unbeträchtlichem Maße Verlauf und Ausgang des großen Krieges ab. Gar nicht zu reden von der Sowjetunion, deren Agieren nicht wenig Verantwortung für Hitlers anfänglichen triumphalen Siegeszug trägt, die aber dann auch, gezwungenermaßen und viel zu spät, den bei weitem größten Beitrag zu seiner schließlichen Niederringung leistete. Das war das Trauerspiel.

Die heutige Linke dagegen, von der so gut wie gar nichts mehr abhängt, völlig losgelöst in die alten Kostüme schlüpfend, ohne überhaupt das Textbuch richtig zu kennen, bringt höchsten noch eine belanglose Farce auf die Bühne. Das aber muß sich wirklich niemand mehr antun, und darin liegt vielleicht durchaus auch eine Chance.

Anmerkungen

[1] „This very important country has been hijacked by a gang of terrorists led by Saddam Hussain. … Is it not right that the international community act to save this country, and its ancient people, from the terrorists? It is time to reclaim Iraq from the terrorists.“ (Rede beim Cambridge Forum. Veröffentlicht in The Independent, 5. Nov. 2002. Hier zitiert nach http://www.iraq.net/erica/news-e/archives/00000841.htm)

[2] W. I. Lenin: Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: Lenin Werke, Bd. 23, Dietz Verlag, Berlin 1970, S. 76. Hvhb. im Original.

[3] Bahamas-Redaktion: Krieg dem Baath-Regime, Waffen für Israel! In: Bahamas 39/2002.

[4] ISF: Der Kommunismus und Israel. Bahamas Nr. 38.

[5] Matthias Küntzel: Das Fanal. In Konkret 11/2001.

[6] Zitiert nach Enzo Traverso: Leo Trotzki – Der Lebensweg eines nichtjüdischen Juden. In: Theodor Bergmann, Gert Schäfer (Hg.): Leo Trotzki. Kritiker und Verteidiger der Sowjetgesellschaft. Decaton Verlag Mainz, 1993, S. 302.

Editorische Anmerkungen

Der Autor der im politischen Zusammenhang der Zeitschrift "übergänge zum Kommunismus" mitarbeitet, schickte uns im Januar 2003 seinen Artikel zur Veröffentlichung.

Kontakt zu den "Übergängen": uebergaenge@freenet.de und  http://members.aol.com/Streitpkte/ks0508.html