Die Kinder der Partisanen
Helmut Höge interviewte den Regisseur Zoran Solomun

01/03
 
 
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Auf der letzten Kassler documenta 11 gab es im Turm des Fridericianums ein Büro, in dem die kroatische Künstlerin Sanja Ivekovic ein "Recherche-Projekt" betrieb. Es hieß "Searching for My Mother's Number". Ihre 1988 verstorbene Mutter Nera Safaric war als junges Mädchen Partisanin gewesen. Die Deutschen hatten sie dann verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Dort wurden Tuberkulose-Experimente mit ihr gemacht. Nach der Befreiung kehrte sie schwer krank nach Zagreb zurück, wo sie heiratete und 1949 ein Kind bekam: ihre Tochter Sanja Ivekovic. Die Künstlerin versuchte nun die im KZ eintätowierte Häftlingsnummer ihrer Mutter heraus zu finden. Dazu korrespondierte sie mit Ämtern und Archiven - ihre diesbezüglichen Fortschritte waren in den Aktenordnern des Documenta-Büros einsehbar. Daneben hatte sie noch Rentenanträge und -bescheide sowie Tagebücher und Gedichte ihrer Mutter aus dem Serbokroatischen ins Englische und Deutsche übersetzt. All diese Dokumente, dazu einige Photos von Nera Safaric als KZ-Häftling, kann man im internet einsehen - unter www.biondanera.net . Die Künstlerin hatte die ganzen Jahre mit ihrer Mutter zusammen gelebt, sie jedoch nie nach ihrer Häftlingsnummer gefragt, überhaupt hatte es ihre Mutter zeitlebens vermieden, über Auschwitz zu reden.

Im Jahr davor war auf Deutsch bereits die Autobiographie der ehemaligen jugoslawischen Partisanin und späteren Funktionärin Neda Bozinovic erschienen. Herausgegeben und kommentiert wurde das Buch von der feministischen Partisanen-Historikerin Ingrid Strobl, die dann als Tochter ein Buch über Mütter - u.a. über ihre eigene jüngst verstorbene - veröffentlichte: "Ich hätte sie so gerne noch vieles gefragt". Die ehemalige Partisanin Neda Bozinovic war bis zu ihrem Tod im August 2001 eine der Sprecherinnen der Belgrader Friedensgruppe "Frauen in Schwarz" gewesen. Über diese Gruppe sowie auch über Neda Bozinovic hatte zuletzt der in Berlin lebende Regisseur Zoran Solomun zusammen mit Helga Reidemeister einen Film für den WDR gedreht.

Jugoslawien gehörte neben Weißrußland zu den Ländern mit der entwickeltsten Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg. Fabriken, Markenprodukte, Straßen und Plätze wurden nach ihnen benannt, der zweitberühmteste Fußballclub des Landes heißt "Partisan Belgrad"... Und auch die heutigen sozialen und politischen Auseinandersetzungen werden noch immer gerne an den alten kommunistischen Heldentaten gemessen. So schrieb z.B. Marina Achenbach 1994 in "Auf dem Weg nach Sarajewo": "'Es gibt in diesem Krieg keine Partisanen,' meint Mira, meine jugoslawische Freundin, als wir mit mehreren Leute über Parteinahme streiten. 'Ich meine nicht die Art des Guerillakampfs, ich meine, daß es keine Bewegung gibt, die einen anderen Geist vertritt, eine Idee des toleranten Zusammenlebens. Denn die heute vielgeschmähte Partisanenlosung Brüderlichkeit und Einheit war nichts anderes als eine Toleranzlosung. Es gibt unter den Krieg führenden niemanden, den man mit vollem Ja unterstützen könnte, keine Seite, die eine Alternative wäre oder eine gesellschaftliche Vision vertreten würde. Sie haben alle auf die nationalistische Energie gesetzt, auf die Differenz". Ich interviewte dazu den Regisseur Zoran Solomun:


Mein Problem
und ich glaube auch das meiner Generation ist der Zweite Weltkrieg unserer Väter, von dem diese nicht loskamen, also Partisanenkampf, Heldentum, Siege usw. All dies haben wir nicht mehr selbst erlebt, es hat uns aber weiter bedrückt. Für meinen Vater, meine Onkel, meine Tanten - die waren alle Partisanen - war die Befreiung 1945 kein vollkommener Sieg gewesen, ihre Ideen gingen darüberhinaus. Und auch ich assoziiere mit dem Wort Partisan nicht -Strategien, -Taktiken und dergleichen, sondern Ideale, für die diese Leute gekämpft haben - und das ist zuerst einmal die soziale Revolution. Meine Familie gehörte zwar zu denen, die den Krieg gewonnen hatten, aber sie waren danach dann auch diejenigen, die ganz tief enttäuscht waren. Das war wirklich eine verbitterte Generation, weil keine richtige Revolution stattgefunden hatte. Sie waren natürlich als Partisanen völlig unrealistisch gewesen und haben die kommunistische Idee romantisiert - fanatisch und fast religiös. Es waren ja fast alles junge Leute, zwischen 17 und 20 Jahre alt. Und die Welt war für sie in Gute und Böse aufgeteilt: die Deutschen waren die Bösen und die Partisanen die Guten. Meine Familie kommt aus Westbosnien, aus der Krajina, das ist heute ein moslemischer Landesteil. Sie waren Bauern, Kinder von Bauern. Mein Großvater war noch Bauer gewesen. Mein Vater ging mit 15 aus seinem Dorf weg nach Belgrad, um dort eine Lehre zu machen. Es gab eine staatliche Organisation, die das in die Wege leitete - für Kinder aus Familien, die immer am Rande des Verhungerns lebten. In Belgrad ist er dann in Kontakt mit dem kommunistischen Jugendbund (SKOJ) gekommen - und hat deren Ideen geschluckt, alle auf einmal. Mein Vater war einer von elf Kindern. Als der Krieg anfing, 1941, hat ihn die kommunistische Partei in sein Dorf zurück geschickt, damit er dort den Aufstand organisiert.

Das ist eine komplizierte Geschichte,
es war dort bereits zu einem Aufstand gekommen, weil in Westbosnien der Ustascha-Terror der kroatischen Faschisten sehr schrecklich gewesen ist. Die hatten folgendes Programm gehabt: Ein Drittel aller dort lebenden Serben sollte ausgerottet werden, ein Drittel vertrieben und das letzte Drittel katholisiert werden. Wie das ablief, kann man sehr genau in dem Roman von Branko Copic "Prolom" nachlesen, der dort spielt: von 1941 bis 1942. Als Reaktion auf den Terror gingen die serbischen Bauern in die Wälder, um sich und ihre Familien zu verteidigen. Das war noch kein richtiger Aufstand, sondern eine spontane Widerstandsaktion. Daraus entstand dann jedoch die Partisanenbewegung, nachdem die Kommunisten ihnen zu Hilfe gekommen waren, die diese Aufständischen gleichzeitig auch instrumentalisierten. Dazu gehörte dann wie gesagt auch mein Vater, der zuerst einmal seine eigene Familie mobilisierte, d.h. er hat seine Schwester, seine zwei Brüder und auch noch deren Freunde agitiert. Meine Tante sieht das bis heute nicht nur positiv, d.h. wenn sie darüber spricht, dann ist sie immer noch ein bißchen böse auf meinen Vater, daß der seine ganzen Geschwister damals in die Wälder quasi gezerrt hat. Die haben sehr viel gelitten in den Bergen - vier Jahre lang: von 1941 bis 1945.

Meine Tante war damals ein 18jähriges Mädchen und es war sehr hart für sie - draußen zu schlafen, bei Eis und Schnee, und nichts zu essen. Sie hat mir erzählt, wie sie einmal sogar Selbstmord begehen wollte, weil sie nicht mehr konnte. Und dennoch haben sie und ihre Freundinnen die Männer oft ausgelacht. 1973 habe ich Auschwitz besucht. Anschließend berichtete ich meiner Tante und erzählte u.a. von den zu Bergen zusammengetragenen
Brillen dort. Darüber hat sie so geweint, dass ich noch heute, wenn ich mich daran erinnere, selber weinen muß.

Meine Tante war als Kämpferin in den Bergen gewesen, nicht als Kurierin - das erledigten Kinder. Und so entstanden die ersten Partisanen-Einheiten. An anderen Orten war es ähnlich. Ich weiß z.B. von einem anderen Onkel, aus der Familie meiner Mutter, daß er bis 1943 überhaupt keine Vorstellung davon hatte, was Kommunismus und Kommunisten und Tito - was das überhaupt
ist. Die haben nur ihre Dörfer verteidigt. Sie waren natürlich zum großen Teil auch nicht militärisch ausgebildet und hatten anfangs nicht einmal Waffen. Dazu mußten sie erst einmal irgendwelche Ustaschas, Italiener, Deutsche, Ungarn oder Tschetniks töten. Wobei letztere am Anfang des
Krieges noch mit den Kommunisten gemeinsam kämpften. Nach dem Krieg waren sie dann diejenigen, die, ebenso wie die Ustascha-Soldaten, in die Emigration gehen mußten - nach Deutschland, USA, Schweden, Kanada usw. Von dort sind sie erst jetzt, ab 1991/92, zurückgekehrt. Die Rückkehrer nach Kroatien z.B. haben dann vor allem Tudjman finanziell unterstützt.

Bei meiner Familie war es so, daß sie Verstärkung bekommen und sich auch immer besser organisiert haben. Die Kommunisten waren überhaupt sehr gute Organisatoren, Tito war ein großer Stratege. 1941 fing er mit 15.000 Kämpfern an, vier Jahre später bei Kriegsende waren es 800.000 Soldaten. Obwohl Ende 1941 bereits die Erste Proletarische Brigade aufgestellt
wurde, eine Art Elite-Einheit, der weitere folgten, darf man nicht vergessen, daß es kaum Arbeiter in Jugoslawien gab: Über 80% der Bevölkerung waren Bauern, die Industrialisierung begann eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute hat sich die Situation komplett umgedreht: 80% der Bevölkerung leben jetzt in den Städten, und nur noch 20% sind Bauern.

Mit der Ausweitung der Partisanenbewegung
und den ersten Erfolgen stieg die Euphorie - es entwickelte sich ein fanatisch-religiöser Glaube an die sozialistische Revolution. In dieser Zeit gab es auch zwei wirklich emanzipatorische Organisationen: Die eine war der kommunistische Jugendbund (SKOJ) und die andere die antifaschistische Front der Frauen (AFJ). Sie waren auf alle Fälle so revolutionär, daß sie nach der Befreiung, 1945, sofort aufgelöst wurden vom kommunistischen Staat. Meine Tante war ebenfalls in der Frauenfront. Der Glaube, daß nach dem Krieg ein sozialistisches Paradies auf Erden entstehen würde, war tief - und auch naiv. Ich erinnere mich an eine Geschichte - von den Komissaren, den Ideologen in der Armee, die haben ihren Leuten erzählt: "Nach dem Krieg werden wir alle mit goldenen Löffeln essen!" Das sagt auch etwas über die Ideale der einfachen jungen Bauern aus, denn das wurde geglaubt. Und dann kam aber die Realität: ein vom Krieg zerstörtes Land, eine stalinistische Regierung, sofort waren wieder soziale Unterschiede da usw....Wichtig war auch noch, daß viele dieser hoffnungsfrohen Partisanen-Veteranen, die inzwischen reguläre Soldaten geworden waren, dann in Pension geschickt wurden. Die waren ja nicht alt - alle so um die 30, aber jetzt mußte die Hälfte von ihnen, etwa 400.000, in Rente gehen. Mein Vater wurde mit 33 Jahren pensioniert. Die neue kommunistische Regierung war klug: Sie hat gewußt, diese Leute sind einfach für den Frieden, für die neuen Machtspiele, nicht geeignet. Das hat diese Leute natürlich maßlos enttäuscht: Sie haben dadurch all ihre Macht verloren - aus Partisanen - Herren über Leben und Tod - wurden plötzlich überflüssige Rentner.

Mein Vater war zuletzt ein Major gewesen. Meine Tante, die ebenfalls einen militärischen Rang hatte, wurde Hausfrau und Mutter. Das ist ganz typisch. Und das sind die Leute, die ich meine, wenn ich von einer verbitterten Generation rede. Es gibt ein berühmtes Gedicht eines serbischen Dichters, das mit der Frage endet: "Wird die Freiheit in der Lage sein, so zu singen wie die Gefangenen über sie gesungen haben?"

Es war aber auch eine verwirrende Situation:
Das waren ja alles Leute, die nicht ausgebildet waren, die keine politische Schulung genossen hatten, die zum großen Teil gar nichts von dieser Welt verstanden - also die waren das, was man 'einfache Leute' nennt, und dazu waren sie alle ganz jung. Sie hatten Parolen - Freiheit, Gleichheit usw., aber wie das aussehen sollte, das wußten sie nicht. Es war eine Energie - und die mußte einfach gegen die Wand gehen. Es gab die Faschisten, die Bösen und auf der anderen Seite die Guten - und deswegen mußte alles was diese tun auch gut sein. Das Problem lag nicht nur bei den Machthabern. Etliche haben dann einzeln weiter gekämpft - als Rentner. Mein Vater hat zB. angefangen zu studieren. Aber viele haben einfach zu Hause gesessen... Ich habe auch einen Verwandten, der war sein ganzes Nachkriegs-Leben lang Hausmann, hat gekocht, gewaschen, sich um das Kind gekümmert usw., während seine Frau zur Arbeit gegangen ist. Andere haben sich ein Hobby zugelegt, im Garten gearbeitet, in Kneipen rumgehangen... Aleksandar Tisma hat viel über diese Leute geschrieben - in seinen Romanen und Erzählungen.

Für meine Generation mußte diese Situation einfach zu einer Katastrophe werden. Die Kriegsveteranen haben uns natürlich nicht verstanden. Da war diese Idee: Wir machen eine Revolution - und wenn die gemacht ist, dann wird alles in Ordnung. Und die Folge war, daß meine Generation einen inneren Widerstand gegenüber dieser Idee entwickelt hat. Die Revolution unserer Väter war nicht die unsere. Die haben uns unterdrückt mit ihren Programmen und "Visionen", wir wollten dagegen unsere eigene Freiheit. Stattdessen wurden wir soldatisch-streng erzogen, mit sehr wenig Verständnis dafür, daß wir auch autonome menschliche Wesen sind. Unsere Partisanen-Eltern haben das selbe gemacht was alle Eltern zu allen Zeiten mit ihren Kindern machen: sie haben unsere authentische Existenz negiert. Das ist wohl der Punkt, wo sie gescheitert sind: sie haben das wichtigste, die Familienstruktur, unangetastet gelassen. Die schlimmsten Halbstarken, die es nach dem Krieg gab, Kriminelle und Drogenabhängige, das waren meist Offizierskinder. Auch meine Schulzeit war absurd, in der zweiten bis vierten Klasse, d.h. mit 8,9 und 10 haben sie uns fortwährend mit Geschichten traktiert, in denen es um einen heldenhaften Tod ging: Wie die Faschisten einem Partisanen bei lebendigem Leibe die Haut abziehen und mit Salz bestreuen, er aber trotzdem seine Kameraden nicht verrät. Oder wie ein anderer Partisan sich umbringt, als die Deutschen ihn in eine ausweglose Situation drängen...Als das wurde uns als erstrebenswert dargestellt. Sie haben uns auf den Heldentod vorbereitet - und auf nichts sonst. Das ist einfach grauenhaft. Ich habe gar nichts gegen einen heldenhaften Tod, aber ich habe ganz viel dagegen, schon als Kind darauf vorbereitet zu werden. Obwohl es gar keine "Deutschen" mehr gab. Der Krieg war vorbei und sie haben das nicht einmal bemerkt. Von diesen ganzen enttäuschten Helden ging stattdessen immer ein Grundüberzeugung aus: Einzig das Sterben für eine große Idee, und vor allem das Leiden ist erstrebenswert. Die Moral der Partisanen ähnelte denen der frühen Christen, sie war ähnlich streng und überhaupt nicht befreiend. Wieviel Filme es allein gab - zur Verherrlichung der Partisanen-Moral. "Der rote Schal" z.B. Da geht es darum, daß ein ganz junger Partisan einem Bauern einen Schal geklaut hat im Winter. Seine Kameraden wollen ihn deswegen erschießen. Vergeblich versucht der bestohlene Bauer, diesen Mord zu verhindern. Die Partisanen-Moral ist unerbittlich!

Meinem Vater ist es auch einmal passiert, daß er irgendwo eine Konservendose eingesteckt hat. Anschließend hat er gezittert, daß die anderen aus seiner Partisanengruppe nicht dahinter kommen. Anfang der Siebzigerjahre entstanden eine Reihe kritischer Filme in Jugoslawien, u.a. von inzwischen berühmten Regisseuren: Dusan Makavejev, Aleksander Petrovic u.a.. Ein paar dieser Filme wurden verboten, nicht viele. Aber in einer Kritik wurden sie dann als "Schwarze Welle" bezeichnet, die unsere Realität nur in schwarzen Farben zeige. Von oben wurde dagegen dann eine "Rote Welle" lanciert. Dabei entstanden dann die großen Partisanenfilme, in denen Yul Brynner, Orson Welles u.a. mitwirkten. Richard Burton hat einmal Tito gespielt. Auf der anderen Seite suchte auch Tito selbst die Nähe der großen Stars - Liy Taylor und Sophia Loren beispielsweise, sie besuchten ihn auf seiner Insel, wo später Tudjman residierte. Dann muß man auch noch die ganze Literatur erwähnen - all die Partisanen-Erinnerungen und -Romane, das war ein riesiges Genre, geradezu eine jugoslawische Spezialität. In meiner Familie wurde vor allem Branko Copic geschätzt, aber auch die Partisanen-Schriftsteller Oskar Davico, Mihailo Lalic, Josip Barkovic und Aleksandar Vuco z.B. oder Milovan Djilas. Mit Branko Copic' Erzählungen ist das eine komplizierte Geschichte - er ist inzwischen mein Lieblingsautor geworden, aber ich mußte ihn dazu erst wiederentdecken. Er kommt aus Westbosnien und hat die Partisanenbewegung dort sowohl mitgemacht als auch später beschrieben. Am Anfang war ich diesem allen hilflos ausgeliefert, dann habe ich langsam angefangen, mir selbst gegenüber zuzugeben, daß ich dieses ganze Partisanenzeug nicht mag. Stattdessen habe ich mit 18,19,20 Thomas Mann und Dostojewski gelesen.

Es ist auch noch wichtig, daran zu erinnern, daß die Partisanen alle getötet hatten. Sie hatten später immer etwas Beherrschtes, Kaltes an sich. Mein Vater besaß z.B. eine Pistole - von einem Deutschen, den er wahrscheinlich umgebracht hatte, und eine kleine verrostete Nagelschere. Die hat er 20 Jahre lang benutzt. Eines Tages habe ich sie als Kind auch benutzt - und dabei verloren. Das war wie der Verlust einer Familien-Reliquie. Die Pistole bewahrt meine Mutter noch immer auf, zusammen mit den Orden meines Vaters und einigen Photos. Er starb 1971. Ich habe erst sehr viel später wieder angefangen, mich mit Partisanenliteratur zu beschäftigen. Ich wollte selbst etwas für mich finden und nicht einfach das übernehmen, was mein Vater guthieß. Das war der Konflikt unserer Generation: Nicht das werden zu wollen, was unsere Väter sich für uns vorgestellt hatten. Indem man die partisanischen Vorgaben der Väter verwarf, hat man natürlich auch viel Positives ignoriert, dem man sich dann in meiner Generation erst sehr viel später wieder angenähert hat: In den Siebzigerjahren, wurde z.B. in Belgrad das Partisanen-Stück von Jean-Paul Sartre "Die schmutzigen Hände" inszeniert, mit den besten Schauspielern - es wurde ein Kultstück. Das waren die ersten Töne, die all die Autoritäten in frage stellten. Genaugenommen kamen die ersten derartigen Stimmen jedoch von der 68er-Studentenbewegung - und dieses Theaterstück war eine Folge davon. Jüngst hat Frank Casdorff es noch einmal an der Berliner Volksbühne inszeniert, wobei er die Partisanen-Problematik bis zu Karadzic hin verlängerte - als den letzten degenerierten Kommunisten, mit einer jugoslawischen Fahne auch noch. Das ist falsch, das hätte er höchstens mit Milosevic machen können. Demnächst wird es eine nochmalige Inszenierung des Stückes in Belgrad geben.

1968 war ein entscheidendes Jahr für Jugoslawien:
Wenn man verstehen will, was heute in Jugoslawien geschieht, dann muß man bis auf das Jahr 1968 zurückgehen. Damals waren die Kommunisten genau zwanzig Jahre an der Regierung - 1948 hatten sie sich von Moskau losgesagt. Die einzigen Konflikte, die es danach gab, waren Machtrangeleien in der Nomenklatura. 1968 entstand jedoch eine starke linksradikale Studentenbewegung. Sie war eine Folge der Öffnung Jugoslawiens ab Mitte der Sechzigerjahre: Es gab die ersten Pässe, Gastarbeiter, Einflüsse vom Westen, Tourismus. Die Studentenbewegung war gegen die kommunistische Regierung gerichtet - wie auch die in Westeuropa, d.h. es war eine Abrechnung mit den letzten 20 Jahren. Die Studenten besetzten im Juni, Juli 68 die Belgrader Universität - und benannten sie in "Rote Universität Karl Marx" um. Sie wollten das erreichen, was die Väter ihnen immer nur versprochen hatten: einen radikalen Umbau der Gesellschaft. Ich war damals 15 - also noch zu jung um mit zu machen. Ich habe nur zugekuckt. Einer der herausragenden Studentenführer von damals war Vlada Mijanovic. Ich glaube, er fährt heute Taxi in Chicago. Für die Kommunisten war die Studentenbewegung ein Schock. Ich erinnere mich noch an einen Fernsehauftritt von Tito. Er sagte: "Wenn die Jungen wollen, daß wir Alten gehen sollen, dann gehen wir auch!" Das war eine blanke Lüge, denn natürlich wollten die Alten nicht abtreten. Und das erste, was sie dann gemacht haben, war auch genau das Gegenteil. Sie haben den jugoslawischen Studentenbund aufgeteilt - nach Nationalitäten, einen serbischen, einen kroatischen usw.. Und dann haben sie mit weiteren nationalen Spielchen angefangen. Anfang der Siebzigerjahre entstand daraus die erste große nationale Bewegung, der "kroatische Frühling" - angeführt von den kroatischen Kommunisten. 1974 wurde eine neue Verfassung in Kraft gesetzt, in der all diese nationalistischen Ideen Eingang fanden, d.h. die Republiken wurden fast souveräne Staaten. Das alles ist die Voraussetzung für den jugoslawischen Krieg jetzt. Die Wurzeln dafür liegen nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern in dieser spezifischen Abwehr der emanzipatorischen Forderungen der Studentenbewegung durch die jugoslawischen Kommunisten. In Polen haben sie zur gleichen Zeit aus den selben Gründen den Antisemitismus wieder aktualisiert.

Ich erinnere mich noch an ein spätes Statement von Tito, in dem er sagte: "Natürlich bin ich ein Jugoslawe, aber in erster Linie bin ich Kroate". Und plötzlich war die Nationalfrage für die Kommunisten genau so wichtig wie die Klassenfrage. Um an der Macht zu bleiben, spielten sie mit den Nationalismen - im Kosovo, in Serbien, in Slowenien: Überall haben sie die nationalistischen Kräfte nach vorne geschoben. So wurde der Nationalismus wiederbelebt. Selbst meine Mutter hat sich auf ihre alten Tage noch von einer Kommunistin zu einer Großserbin gewandelt. Milosevic hat diese nationale Welle nur bis zur letzten Konsequenz geführt. Insofern
sind die Kommunisten, Tito usw., für diesen Krieg verantwortlich. Und deswegen stimmt es einfach nicht, wenn gesagt wird: Damals war alles schön, aber dann kamen die Bösen. Das war kein Bruch, sondern eine logische Entwicklung. Ein weiterer Mythos ist der, daß die Serben im
Zweiten Weltkrieg alle auf der richtigen Seite, bei den Partisanen, gekämpft haben und die Kroaten an der Seite der Deutschen. Eher ist es umgekehrt: In Kroatien gab es sogar sehr viele kommunistische Partisanen, während viele Serben monarchistisch gesinnt waren. Die serbischen
Partisanen, das waren in erster Linie die Serben aus Bosnien, und die Widerstandsbewegung war in Kroatien viel stärker als in Serbien. Auch bei den Mohammedanern gab es eine starke antinationalistische Front, gerade von den reichen Familien, aus Sarajewo z.B., standen viele Tito nahe. Ich habe später ein paar kennengelernt. Das war eine merkwürdige Mischung: Einerseits unterstützten sie die iranische Revolution, Chomeini, andererseits waren sie Kommunisten. Heute wandern übrigens viele iranische Flüchtlinge über Sarajewo nach Europa ein. Und Saudi-Arabien und der Iran bauen dort Moscheen. Von den Bosniern, den dortigen islamischen Intellektuellen, die nach wie vor atheistisch sind, werden diese ausländischen Fundamentalisten abfällig "die Grünen" genannt. Ein guter Freund von Branko Copic war der Schriftsteller Zijo Dizdarevic, er stammte aus solch einer islamischen Familie. 1942 haben ihn Ustascha-Soldaten in Zentralbosnien umgebracht. Er hatte noch sechs Brüder - alle waren bei den Partisanen. Copic hat sein letztes Buch, mit Kurzgeschichten, Dizdarevic gewidmet, es erschien Ende der Siebzigerjahre. Wenig später verübte Copic Selbstmord. In seiner Widmung schrieb er: "Ich sehe wieder die Schwarzen Reiter, die Dich damals genommen haben... Sie kehren zurück!" Das war
eine sehr prophetische Warnung.

Man spricht jetzt oft von rechten Partisanen.
Copic warnte generell vor neuen nationalistischen Auseinandersetzungen - vor deren destruktiven Kräften. Es stimmt, der Partisanen-Mythos hat sich lange gehalten. Als wir 1990 nach Berlin kamen, war meine Tochter 9 und mein Sohn 11 Jahre alt. Sie hat sich in ihrer Entwicklung als Mädchen nicht so sehr wie er mit mir identifiziert. Und diese ganze jugoslawische Partisanen-Geschichte interessiert sie kaum. Manchmal betrachtet sie z.B. meine Tante, die Partisanin war, wie eine Fremde. Mein Sohn hat dagegen etwas mehr von mir. Gerade dieser Tante schrieb er 1991 in einem Brief: "Liebe Tante, es geht uns gut, Berlin ist eine schöne Stadt, hier sind alle Leute Deutsche - nur wir sind die einzigen Partisanen". Er wollte sie natürlich ein bißchen ärgern, aber gleichzeitig zeigt das, wie weit diese einfache Weltsicht - der Partisanen von einst - gegangen ist. Es hat natürlich in Jugoslawien immer Leute gegeben, die sich nie als Partisanen begriffen, immer nur als Kroaten, Serben etc. Aber alle, die an der Macht waren, hatten eine Identität als Partisanen. Mit Ausnahmen - wie etwa die Belgrader Akademie der Wissenschaften, wo nie ein Kommunist Mitglied wurde. Es war stets eine Hochburg des Serbentums. Von dort kam in den Achtzigerjahren das Memorandum - zur Erklärung des Konflikts. In bezug auf den Kosovo ist darin von einem "Genozid" an den Serben die Rede. Das hat viel bewirkt. Der Schriftsteller Dobric Cosic verkörpert beides - er ist zum einen der geistige Vater des serbischen Nationalismus, er hat Milosevic quasi ideologisch-politisch "gemacht", zum anderen war er aber im Zweiten Weltkrieg Partisan. Das ist dieser typische Weg: Vom Kommunisten zum Großserben. Er versteht sich heute als Vater der Nation. Was Milosevic getan hat, ist, daß er die zwei großen verfeindeten Gruppen - die Partisanen, also die Kommunisten, auf der einen Seite und die Monarchisten, d.h. die serbischen Nationalisten, auf der anderen Seite - in einer Koalition zusammengebracht, versöhnt hat. Es kommt noch etwas hinzu: Die nach dem Krieg zur Volksarmee gewandelten Partisanen haben die ganze Gesellschaft sofort und dann jahrelang konsequent militarisiert. Das Militär war ein Riesenorganismus mit einer großen Macht: 400. 000 Soldaten, 2 Millionen Militärrentner 2 Millionen Zivilbeschäftigte - und das in einem Land mit 22 Millionen Einwohnern. Als dieser Apparat Anfang der Achtzigerjahre in eine wirtschaftliche Krise geriet, da hat er natürlich nur einen Ausweg gesehen: Krieg. Auf diese Weise konnten sich die ganzen Militärstrukturen nicht nur erhalten, sondern sogar noch vermehren. Wenn man z.B. alle Generäle, die es jetzt auf dem Balkan gibt, zusammenzählen würde, käme man auf eine weitaus höhere Zahl als während des Sozialismus. Eine Idee zur Entmilitarisierung existiert nach wie vor nicht. In Kroatien gibt es einen jungen General, dem die kroatische Regierung den Prozeß machen will, weil er für ein Massaker an Serben verantwortlich sein soll. Aus Solidarität mit ihm gingen allein in Split 100.000 auf die Straße. Partisanen gibt es in diesem Krieg nicht mehr - es kämpfen nationalistische Armee gegeneinander. Höchstens bei der UCK könnte man noch von partisanischen Anwandlungen sprechen: Es gibt bei denen viele Leninisten und Stalinisten - Hodschisten. Insofern ist das eine anachronistische Erscheinung. Ganz anders die serbischen Kämpfer in Bosnien - das waren Nationalisten, die wie Freischärler-Gruppen agierten, wobei es Übergänge zu getarnten Polizei-Spezialeinheiten gab. Die einen wie die anderen wurden von Belgrad aus kontrolliert. Ähnliche Mischformen gab es auch in Kroatien, sogar mit Freiwilligenverbänden aus Ungarn, aber auch mit Söldnern aus Rumänien und Tschetschenien. Und dann haben mitunter auch noch serbische und kroatische Truppen in Bosnien gemeinsam gegen moslemische Gruppen etwa gekämpft, und sich Panzer gegenseitig geliehen oder so etwas. Sogar eine Zusammenarbeit zwischen Serben und Moslems gab es punktuell. Jeder kämpfte gegen jeden. Was sie von Partisanen unterscheidet ist, daß sie alle unter Kontrolle waren bzw. noch sind. Es gab keine spontanen Widerstands-Aktionen: alles war sehr gut organisiert und manipuliert. In diesem Sinne war das kein antagonistischer, sondern ein sehr moderner Krieg, in dem die Medien eine große Rolle spielten - ohne das Fernsehen hätte es ihn nicht gegeben! Bezeichnend ist dabei auch, daß die Kämpfer zwar gerne Kirchen und Moscheen vernichteten, aber so gut wie gar keine Strommasten in die Luft sprengten. Das macht man nur, wenn man gegen einen Okkupanten kämpft. Im ganzen Bosnienkrieg wurde nur ein einziger Strommast umgelegt.

Jetzt sind zwar alle kriegsmüde, aber ich bin sehr pessimistisch, was die Entwicklung auf dem Balkan betrifft. Obwohl diese nationalistischen Parteien und Regierungen so viel Leid über das ganze Land gebracht haben, werden sie noch immer von den Leuten gewählt. Sogar Neonazis gibt es inzwischen. Aber das einzig wirklich Neue, was entstanden ist, das sind kleine anarchistische und feministische Gruppen, die hat es früher dort nie gegeben. Sie sind sowohl pazifistisch als auch urban und es gibt sie in allen Teilen Ex-Jugoslawiens. Sie arbeiten zusammen.

Ich sympathisiere mit diesen jungen Leuten, aber für meine Generation, wieder eine Zwischenkriegsgeneration, stellt sich die Situation jetzt kompliziert dar: Wir sind im tiefsten Sinne Jugoslawen gewesen - und dieses Land gibt es nicht mehr. Was war meine Identität? In erster Linie sprachlich: serbokroatisch, und dann regional - meine Heimat ist Istrien, wo ich geboren wurde, dann Belgrad, die Wojwodina, Nordserbien, außerdem Bosnien und Zagreb. Budapest ist mir immer näher als Skopje, Makedonien, gewesen. Und dann die Zugehörigkeit zur Mittelschicht: Zwei Kinder und eine Zwei-Zimmerwohnung - das ist das typische Nachkriegsjugoslawien. Dazu
kam damals der Austausch zwischen den verschiedenen regionalen Kulturzentren: das war sehr produktiv. Wenn sie jetzt mal einen serbischen Film in Kroatien zeigen, dann nur mit Untertiteln. Das ist grotesk. In Zagreb gehen viele nur ins Kino, um über diese albernen Untertitel zu lachen: Da steht genau das selbe, wortwörtlich, was die Schauspieler sagen. Was die da jetzt machen, das ist alles künstlich, demgegenüber hat sich Jugoslawien organisch entwickelt - in 200 Jahren, und zwar immer wieder partisanisch.

 

Editorische Anmerkungen

Helmut Höge stellte uns sein Interview mit Zoran Solomun Anfang Januar 2003 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Es soll als Printversion in der Frühsommerausgabe der Zeitschrift " Gegner" erscheinen.

Der "Gegner" gilt als eine politisch  schillernde Zeischrift, da sie sich explizit auf Franz Jung bezieht und von Personen wie z.B. Andreas Hansen, Jurist und Historiker aus dem Westen; Bert Papenfuß, Prenzlauer-Berg-Dichter und Programmmacher im Kaffee Burger; Stefan Ret (Philosoph und Verleger), Hugo Verlade, Philosoph aus Bolivien, getragen wird.

Unbeschadet dessen hielten wir Solomuns Ausführungen zur Partisanenproblematik für ausgesprochen veröffentlichungswürdig ... und schließlich ist dies hier die Erstveröffentlichung.