Clements Erpressungen
Abschied von der Tarifautonomie oder politisches Neuland?

von Klaus Schilp

01/04  
  
 
trend onlinezeitung

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Es hat lange gedauert. 42 Jahre nach der Währungsreform von 1948, erst im Jahr der Übernahme der DDR durch die BRD 1990, hat die IG BAU für die Beschäftigten in der Bauwirtschaft das volle 13.Monatseinkommen in Westdeutschland durchgesetzt. Nur zehn Jahre aber waren nötig, um in Tarifverhandlungen das 13.Monatsgehalt von 100% auf 55% für Angestellte und von früher 168 auf 93 Gesamttarifstundenlöhne für Arbeiter zu kürzen. Besser gesagt: Das 13. wurde in Tarifverhandlungen als Kompensation eingesetzt, um im Verhandlungsergebnis höhere Prozentzahlen zu erreichen.

Im Oktober 2003 wurde das 13.Monatsgehalt für Westdeutschland neu verhandelt, nachdem der im August erreichte Kompromiss von einigen Bauunternehmerverbänden abgelehnt worden war. Als Schlichter wurde Heiner Geißler akzeptiert. Die Verhandlungen fanden in Berlin in den Büroräumen von Minister Clement statt. Davon sagt Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der IG BAU: »Ich kenne die Macht des Wirtschaftsministeriums gut und weiß, welch neoliberaler Geist in den Räumen weht.« Warum hat man trotzdem dort verhandelt?

Der Minister hat im Interesse der Bauindustrie den Vorstand der IG BAU und die Große Tarifkommission unter Druck gesetzt. Er drohte damit, die Rechtsverbindlichkeit des Mindestlohns im Jahr 2004 nicht zu verlängern und das Entsendegesetz zu ändern. Das ist eine dreiste Einmischung in die Tarifautonomie. Der Vorstand der IG BAU wäre gut beraten gewesen, wenn er da nicht mitgemacht hätte. Die Rechtsverbindlichkeit ist jetzt zwar bis 2006 verlängert worden — wenn Herr Clement bis dahin noch Wirtschafts- und Arbeitsminister bleibt. Aber, und da liegt der Hase im Pfeffer, ein Teil der Tarifautonomie wird mit der Anerkennung des Schlichterspruchs von Herrn Geißler aufgegeben.

Jeder für sich

Der Grundstein, die Monatszeitung der IG BAU, schreibt zum Ergebnis der Schlichtung: »Es gibt keine Abstriche beim 13.Monatseinkommen, stattdessen nun sogar tarifpolitisches Neuland, nämlich die Möglichkeit zu betrieblichen Lösungen, die der wirtschaftlichen Situation gerecht werden.« Das 13.Monatsgehalt kann jetzt in Baubetrieben, die einen oder keinen Betriebsrat haben — und das dürfte die Mehrheit der 75000 Baukrauter sein — mit den Beschäftigten persönlich ausgehandelt werden.

»Der Mindestbetrag von 780 Euro für Bauarbeiter und 170 Euro für Auszubildende darf nicht unterboten werden.« So steht es im Grundstein. Das tarifpolitische Neuland, das jetzt betreten wird, ist für die Betriebsräte und für die Kolleginnen und Kollegen ein unbestelltes Land mit vielen Steinen, die einer oder eine allein nicht beiseite räumen kann.

Erstens. Die wirtschaftliche Situation der Bauunternehmer ist immer schlecht. Der Satz: »Uns geht es wirtschaftlich gut«, fehlt im Wortschatz der Baukrauter.

Zweitens. »Wir müssen mit den Preisen und Löhnen runter, sonst bekommen wir den Auftrag nicht.« Der Konkurrenzkampf ist gnadenlos, auf Kosten der Bauarbeiter. Sie sind die Opfer der Firmenpleiten.

Drittens. Die Kollegen stehen in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit mit dem Rücken zur Wand, sie sind ohne gewerkschaftlichen Schutz erpressbar; für rein »betriebliche« Belange gibt es kein Streikrecht.

Viertens. Nur eine Minderheit wird den tariflichen Anspruch, 93 Gesamttarifstundenlöhne für Arbeiter und 55% des Tarifgehalts für Angestellte oder 780 Euro Mindestgehalt, allein durchsetzen.

Fünftens. Die Kolleginnen und Kollegen in Ostdeutschland gehen leer aus, sie haben keinen tariflichen Anspruch auf ein 13.Monatsgehalt.

Wenn der Pressesprecher der IG BAU, Michael Knoche, diesen Tarifabschluss am 29.Oktober gegenüber der jungen Welt als »Signal an alle, die die Gewerkschaften mit Gesetzen gängeln wollen«, verteidigt, hat er Recht. Die Bauunternehmer, und nicht nur sie, werden das Signal verstanden haben: »Wir sind kooperativ, wir machen das auch ohne Gesetz.« Aber es wird ihnen nicht genügen. Sie wollen nicht nur einen Teil der Tarifautonomie. BDI-Präsident Rogowski, Merz von der CDU, FDP-Westerwelle & Co. wollen, dass die Tarifautonomie generell verschwindet — wenn es sein muss, per Gesetz.

Der DGB-Vorsitzende Sommer sagte dazu: »Der Angriff auf die Tarifautonomie ist der Hebel, den die Steinzeit-Liberalen ansetzen wollen, um die Löhne zu senken.« Er trifft damit den Nagel auf den Kopf. Ob Herr Stoiber jetzt allerdings der bessere politische Vertreter der gewerkschaftlichen Interessen ist als die SPD, das muss bezweifelt werden. Beide haben anderen Herren zu dienen und die werden mit Hartz, Rürup, Herzog und der Agenda 2010 reichlich bedient.

Notbremse ziehen

Das hatten wir alles schon einmal, und zwar in der großen Wirtschaftskrise 1929—33. Die Tarifautonomie wurde abgeschafft, der Tariflohn um 10—15% gesetzlich gekürzt, die Bauarbeiterlöhne wurden 1932 gegenüber dem Stand von 1930 sogar um 35% gekürzt, ebenso das Arbeitslosengeld (Stempelgeld genannt). Die Notverordnung von Reichskanzler Brüning machte es möglich, toleriert von der SPD.

Der Sozialabbau, den Bundeskanzler Schröder jetzt betreibt, hat viele Gemeinsamkeiten mit der Politik Brünings. Die Menschen in der BRD sind aber nicht bereit, den Abbau ihrer sozialen Rechte widerstandslos hinzunehmen. Die 100000 am 1.11. in Berlin haben das bewiesen.

Am Erfolg der Demonstration war auch der Landesvorstand der IG BAU beteiligt. Gekniffen hat leider der Bundesvorstand, aber das kann sich ja ändern. Vielleicht liest er ja, was der ehemalige CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm, der stolz darauf ist, in seiner Amtszeit 95 Mrd. Euro im Sozialbereich eingespart zu haben, jetzt in der Zeitung der IG BAU im »Zwischenruf« schreibt. Er polemisiert da gegen die Kopfpauschale der Herzog-Kommission. Im letzten Satz steht: »Es ist Zeit, dass die Gewerkschaften die Notbremse ziehen und dem Sturmlauf auf den Sozialstaat Einhalt gebieten.« Wir wollen hoffen, dass die Gewerkschaftsvorstände es vernommen haben.

Editorische Anmerkungen 

Der Artikel erschien in der SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2004, Seite 9 und ist eine Spiegelung von http://members.aol.com/sozabc/0401092.htm