»Kameraden vom roten Tuch«
Die Weimarer KPD aus der Perspektive ehemaliger Mitglieder

von Ulrich Eumann

01/04  
 
 
trend onlinezeitung

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Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
II. Autobiographie als Quelle

III. Zur Statistik der Selbstzeugen

IV. Der Weg zur Partei

V. Die kognitiven Aspekte des Parteialltags
1 Das Leseverhalten

2 Schulungsteilnahme

3 Die Einstellungen der Mitglieder

VI. Die praktischen Aspekte des Parteialltags
1 Der theoretische Ansatz

2 Beitritt und Mitgliedsbeiträge

3 Parteigruppe und Versammlungen

4 Die Ausführung von Beschlüssen

5 Parteileitungen und Funktionäre

6 Die Politische Alltagsarbeit

7 Gewerkschafts- und Betriebspolitik

VII. Schluß
VIII. Fußnoten

I.Einleitung 

Während der vierzehnjährigen Dauer der Weimarer Republik waren wahrscheinlich mehr als eine Million Menschen für kürzere oder längere Zeit Mitglied der „Kommunistischen Partei Deutschlands“ (KPD).1 Die übergroße Mehrheit dieser Menschen gehört - wie Unterschichtsangehörige im Allgemeinen - zu den quellenmäßig stummen Populationen der Geschichte und hat keinerlei persönliche Dokumente über ihr Leben in der Partei hinterlassen. Daran gemessen erscheint die Zahl von ca. 150 ehemaligen Kommunisten, die autobiographische Schriften veröffentlichen konnten, gering. Aus diesem Fundus wurden hier die Berichte von 103 Selbstzeugen ausgewählt. Sieben dieser 103 Werke sind keine Autobiographien, wurden aber wegen des Materialreichtums trotzdem hinzugenommen. Weitere zehn beruhen auf Interviews von Historikern, Freunden oder Sympathisanten. Acht sind autobiographische Romane - mit all den Problemen, die dieses Genre für die wissenschaftliche Auswertung mit sich bringt.2

Auch wenn die Autoren der hier herangezogenen 103 autobiographischen Schriften nur etwa ein Hundertstel Prozent der organisierten Mitglieder der KPD umfassen, ist dies doch eine relativ hohe Materialdichte, die dabei helfen kann, einige Lücken in der bisherigen Forschung zu schließen. Um so unverständlicher ist es auch angesichts der schon seit den siebziger Jahren angemahnten Paradigmenänderung der Geschichtsschreibung über die Arbeiterbewegung - weg von den Strukturen und prominenten Akteuren hin zu einem umfassenderen sozialgeschichtlichen Ansatz -, daß diese Quellengattung sehr lange schlichtweg ignoriert worden ist.3

Diesem unbefriedigenden Zustand wurde mit der Habilitationsschrift von Klaus-Michael Mallmann erste Abhilfe geschaffen.4 Mallmann bemüht sich - wie ich es selbst in meiner Magisterarbeit5 versucht habe - die ,einfachen‘ KPD-Mitglieder selbst zu Wort kommen zu lassen.

Aber auch wenn die Entwicklungen an der Parteibasis der KPD inzwischen nicht mehr zur terra incognita der Geschichtswissenschaft gehören und die ,einfachen‘ Mitglieder der KPD nun nicht mehr nur als die anonymen Bewohner der Ein- und Austrittsstatistik betrachtet werden, bleiben - wie auch Mallmann einräumt - zahlreiche Facetten des Themas offen. Letztlich dominieren in seiner Untersuchung, was die Quellengrundlage angeht, doch die schriftlichen Überbleibsel aus der Tätigkeit der kommunistischen Parteibürokratie - auf die bei einer derartigen Untersuchung überhaupt nicht verzichtet werden kann.6 In diesem Zusammenhang verwendet er aus den nahezu komplett erfaßten veröffentlichten Selbstzeugnissen nur wenige Zitate als impressionistische Belege und verzichtet auf eine systematische Analyse dieser Quellen.7 Insoweit hier nun der Versuch unternommen wird, einen Aufsatz mit begrenzter Fragestellung ganz oder größtenteils auf der Basis dieser Quellengattung zu schreiben, ist er als ein Experiment aufzufassen; ein Experiment mit dem Ziel herauszufinden, welche Erkenntnisse über den kommunistischen Parteialltag allein auf dieser Quellenbasis möglich sind; mit dem Ziel, die Informationshaltigkeit von Selbstzeugnissen für ein derartiges Thema einmal auszutesten.

Daß dabei Vorgaben methodischer Sorgfalt nicht außer Acht gelassen werden dürfen, versteht sich von selbst. Daher darf hier auch der Hinweis nicht fehlen, daß die ehemaligen Mitglieder der KPD, die Autobiographien oder Memoiren verfaßt haben, einzig und allein sich selbst repräsentieren, da ihre Auswahl in erster Linie von den Veröffentlichungspraktiken der Verlage gesteuert ist. Daraus folgt für die hier verwendete Begrifflichkeit, daß wenn von einem „KPD-Mitglied“ die Rede ist, eine Person gemeint ist, die in ihrer Autobiographie behauptet, KPD-Mitglied gewesen zu sein.

II. Autobiographie als Quelle

Versuche, die sozialdemokratische oder kommunistische Organisationswelt ,von unten‘, also aus der Perspektive der Parteibasis, auszuleuchten, stoßen auf viele Schwierigkeiten, die bei der Quellensuche anfangen und bei der Verallgemeinerung von individuellen Lebensgeschichten aufhören. Dennoch muß auch dieses steinige Forschungsfeld weiter beackert werden, weil die Arbeiterbewegung als Massenbewegung eine Bewegung von ,gewöhnlichen Leuten‘ war, die - manchmal - außergewöhnliche Persönlichkeiten führten.8

Das entscheidende Problem bei der Interpretation der hier verwendeten Quellen ist auf den Entstehungszusammenhang eines Teils von ihnen im Prozeß der deutschen Teilung zurückzuführen. 40 der hier verwendeten 103 Selbstzeugnisse entstanden in der DDR.9 Sie sind dadurch belastet, daß sie fast immer auf Anregung von SED-Organen verfaßt worden sind,10 die natürlich auf ideologische Vorgaben nicht verzichtet haben, und des weiteren dann von Historikern oder Lektoren z.B. des parteieigenen Dietz-Verlages - wenn es überhaupt noch nötig war - so getrimmt wurden, daß sie da, wo sie politische Entwicklungen schildern, zu sprachlich beinahe völlig sterilen, ,volkspädagogisch‘ vielseitig verwendbaren ,marxistisch-leninistischen Idealbiographien‘ wurden und als retrospektive biographisch-empirische ,Bestätigungen‘ der SED-Interpretation der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung im Sinne eines ,Die Partei hat immer Recht gehabt!‘ dienen konnten, deren Protagonisten ex post immer milimeterscharf auf der Generallinie standen.11

Ein weiterer Problempunkt ist der, daß viele Autoren zum Zeitpunkt der Niederschrift doch ganz andere und nicht selten diametral entgegengesetzte ideologische Positionen einnahmen als in der Zeit, die sie in ihren Selbstzeugnissen beschreiben.12 Daraus resultierte für viele beim Schreiben die Schwierigkeit, ihre damalige Vorstellungswelt zu rekonstruieren. Dabei kam es nicht selten zu - weder durch die Autoren selbst noch durch den Forscher nachträglich wieder trennbaren - Überlagerungen von bis zu einem halben Jahrhundert alten Erfahrungen und Auffassungen mit den später erworbenen. Die wenigsten Selbstzeugen machen sich außerdem die Mühe, deutlich herauszustellen, von welchen Entwicklungen in der Partei sie wirklich selbst direkte und authentische Kenntnis hatten und von welchen sie nur über Dritte, die Parteipresse oder andere Medien erfahren haben. Das gleiche gilt für die Fälle, in denen sie der Erinnerung bei der Niederschrift mit Hilfe von Literatur über ihren damaligen Kenntnisstand hinaus nachgeholfen haben.13 So bleibt dem Forscher nur die diffizile Aufgabe, jedesmal aufs Neue das persönliche Gesichtsfeld des Selbstzeugen zu definieren.14

Wie auch bei den Befragten von alltagsgeschichtlichen Oral-History-Untersuchungen finden serielle Ereignisse und Routinetätigkeiten - also die eigentliche Alltagsgeschichte - nur höchst selten das Interesse der Selbstzeugen, wenn diese denn überhaupt die Relevanzprüfung durch das Langzeitgedächtnis überwinden konnten. Mitgliederversammlungen der KPD-Basisorganisationen etwa, Werbeeinsätze oder Demonstrationen werden in den seltenen Fällen, in denen sie beschrieben werden, idealtypisierend zusammengezogen: Aus den Erinnerungen an all die jemals besuchten Mitgliederversammlungen wird bewußt oder auch nicht das wirklich oder vermeintlich Typische extrahiert, und dabei natürlich das jeweils Individuelle eingeebnet.15 Vereinzelt werden aber doch Ereignisse dieser Art etwas ausführlicher beschrieben,16 wenn sie von biographisch herausragender Bedeutung waren: Etwa die erste persönliche Beteiligung an einer KPD-Demonstration und ähnliche „unauslöschliche Erlebnisse“.17 Statt dessen finden sich leider oft ausführliche Dialoge in wörtlicher Rede, die über die Jahrzehnte im Gedächtnis haften geblieben sein sollen. Dabei handelt es sich aber wohl um bewußt schriftstellerisch gestaltete, typisch oder repräsentativ sein sollende ,ex-post-Dokumente‘, die immerhin manchmal einen aufschlußreichen rein atmosphärischen Beitrag liefern.18

Schnell kristallisiert sich bei der Lektüre einiger Autobiographien heraus, daß die Mehrheit ihrer Autoren zu einer ganz spezifischen Gruppe gehört: Der „intellektuellen Elite der Arbeiterklasse‘.19 Kraß überrepräsentiert finden sich Klassenprimusse, deren Eltern aber keine höhere Schulbildung finanzieren konnten und die Gattung der Bücherverschlinger. Dieser Befund widerspricht aber doch zu radikal dem, was andere Quellen nahelegen.20 Auch die Autobiographien der Veteranen aus der DDR sind Produkte einer spezifischen Gruppe der KPD-Mitglieder: dem ,harten Kern‘ der linientreuen Parteiarbeiter, für den die Partei so sehr Heimat und Lebenszweck war, daß sie ihr mehr als ein halbes Leben treu blieben; sie sind darin nicht repräsentativer als die obige Gruppe.

III. Zur Statistik der Selbstzeugen

Bevor ich nun zum eigentlichen Thema dieses Beitrags komme, ein paar Bemerkungen zur sozialen Struktur der Selbstzeugen v.a. im Vergleich zur KPD-Gesamtmitgliedschaft. Zunächst zur Altersstruktur. Ich habe sie entsprechend der Alterskohorten aus der „Reichskontrolle‘ der KPD von 1927 eingeteilt,21 das allerdings zum Stichjahr 1933, weil nur eine knappe Mehrheit der Selbstzeugen mit Sicherheit bis zum Stichtag der Reichskontrolle (30.1.1928) eingetreten war. Die größte Gruppe von 35,9 % war 1933 zwischen 30 und 40 Jahre alt (Reichskontrolle 1927 32,7 %),22 die zweitgrößte bilden die 25-30jährigen mit 33,0 % (19,5 %). Es folgen die unter 25jährigen mit 22,3 % (12,3 %). 6,8 % (21,9 %) der Selbstzeugen waren zwischen 40 und 50 Jahren und 1,9 % (13,6 %) über 50 Jahre alt. Die KPD-Mitglieder von 1927 waren demnach - unter der Annahme der Gleichverteilung der Jahrgänge in den Alterskohorten und bei Verwendung des Mindestwertes in der Gruppe von über 50 Jahren - im Durchschnitt 36,11 Jahre alt; die Selbstzeugen zum Stichjahr 1933 mit 30,80 Jahren doch um einiges jünger.23

Nach der Reichskontrolle von 1927 waren 11,79 % der KPD-Mitglieder Frauen,24 in meinem Sample sind es mit 13,60 % geringfügig mehr. 62,1 % der Selbstzeugen haben nur die Volksschule besucht (Reichskontrolle 1927 94,6 %), 16,5 % (2,4 %) haben eine weiterführende Schule besucht, und 17,5 % (0,9 %) haben sogar ein Studium aufgenommen oder abgeschlossen.25

Was die soziale Herkunft der Selbstzeugen angeht - nach der durch die Reichskontrolle nicht gefragt wurde - so stammen 65,0 % der Selbstzeugen aus Arbeiter- oder Handwerkerfamilien,26 21,4 % aus bürgerlichen und 7,8 % aus kleinbürgerlichen Familien. über die politisch-weltanschaulichen Neigungen ihrer Eltern schweigen sich 36,9 % der Selbstzeugen aus. Weitere 36,9 % stammen aus arbeiterbewegten Familien. Darunter bilden die 24,3 % der Selbstzeugen die größte Gruppe (65,8 % der Selbstzeugen mit arbeiterbewegten Eltern), deren Väter sozialdemokratisch organisiert waren. Die Väter von 5,8 % waren selbst Mitglieder der KPD oder standen ihr nahe. Es verbleiben 26,2 % der Selbstzeugen, die aus religiös, liberal oder konservativ orientierten Elternhäusern kamen.27

46,6 % der Selbstzeugen traten der KPD zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr bei, aber nur ganze 9,7 % nach dem 30. Lebensjahr. Im Durchschnitt waren die Selbstzeugen bei ihrem Beitritt 21 Jahre alt.28 38,8 % der Selbstzeugen traten der KPD zwischen 1919 und 1923 bei - die absolut größte Gruppe der Selbstzeugen (13,6 %), die in einem Jahr Mitglied wurde, trat 1920 bei. 27,2 % traten 1924-28 und 24,3 % traten nach 1928 bei.29

Nach der Reichskontrolle von 1927 waren 47 von 143.172 Mitgliedern hauptamtliche Mitarbeiter des ZK und 228 (inklusive der 99 Parteiredakteure) hauptamtliche Mitarbeiter der Bezirksorganisationen, wozu noch die 45 Reichstagsabgeordneten zu addieren wären.30 Unter den Selbstzeugen des Samples hingegen sind die „Berufsrevolutionäre“ stark überrepräsentiert:31 Einer (Franz Dahlem) saß im ZK-Polbüro,32 vier waren Mitglieder der Zentrale bzw. des ZK (Alexander Abusch, Heinrich Galm, Curt Geyer und Willi Münzenberg),33 drei waren Mitglieder des Reichstags (Max Benkwitz, Gerd Horseling und Willi Spicher),34 drei Politische Leiter eines KPD-Bezirks (Willi Bohn, Hans Fladung und Fritz Selbmann),35 und weitere zwei waren Chefredakteure einer Parteizeitung (Erich Glückauf und Albert Norden).36 Also befinden sich 13 hauptamtliche Funktionäre im Sample (12,6 %).

Die offiziellen Angaben über den Anteil ehrenamtlicher Funktionäre an der KPD-Mitgliedschaft schwanken über die Jahre beträchtlich, was erstens darauf zurückzuführen ist, daß man sich in der Führung nicht darüber einig war, wie dieser Begriff denn nun zu definieren sei; zweitens war es den unteren Parteileitungen nicht zuletzt wegen des damit verbundenen Prestiges nicht auszutreiben, den Anteil der nach oben gemeldeten Ehrenamtlichen dadurch in die Höhe zu treiben, indem man die zahlreichen multiplen Funktionäre wohl mehrfach erfaßte. 1927 wurde die Zahl der ehrenamtlichen Funktionäre einigermaßen realistisch mit 21 % der Mitglieder angegeben.37 Für 1929 ging man von 31,09 % Ehrenamtlichen aus.38 Von den Selbstzeugen waren hingegen 46,6 % ehrenamtliche Funktionäre, zu denen man sicherlich noch einige der 23,3 % addieren muß, die über ihre Funktionen keine verwertbaren Angaben machten.39 Die größte Gruppe unter den ehrenamtlichen Funktionären bilden mit 19,4 % diejenigen Genossen, die Ortsgruppen- oder Zellenleitungen - also den untersten Parteileitungen - vorsaßen oder angehörten. Nur ganze 8,7 % der Selbstzeugen waren definitiv keine Funktionäre.

Wie schon oben angedeutet, gehörten nicht alle Selbstzeugen der KPD von der Parteigründung zur Jahreswende 1918/19 bis zum ihrem Verbot 1933 an.40 Von 92 Selbstzeugen, für die sowohl das Beitritts- als auch das Austritts- bzw. Ausschlußjahr eindeutig ermittelbar ist, waren nur ganze vier während der gesamten Weimarer Republik in der KPD organisiert (Wilhelm Eildermann, Willi Münzenberg, Erich Wiesner und Ludwig Turek).41 23 Selbstzeugen waren 10-14 Jahre,42 32 5-9 Jahre, 23 2-4 Jahre und sogar neun nur ein Jahr Mitglied der KPD (z.B. Karola Bloch und Robert Havemann).43 Daraus folgt, daß nicht jedes Jahr der Existenz der KPD in der gleichen Anzahl von Autobiographien dokumentiert ist. Die Anzahl der Selbstzeugen, die im jeweiligen Jahr der Partei angehörten, steigt mit der Zeit kontinuierlich an. Daher kann die darauf fußende Darstellung mit den Jahren differenzierter werden.

IV. Der Weg zur Partei

Folgt man Almond, dann ist der KP-Beitritt nicht als einzelner Akt zu verstehen, sondern eher als ein Prozeß mit einer Reihe von Entscheidungen.44 Dementsprechend schwer ist es, in Memoiren den unmittelbaren Anlaß oder das bestimmte Motiv zu finden, der KPD oder dem KJVD beizutreten.45 Wichtige Anstöße zum KPD-Beitritt gewannen viele Selbstzeugen aus Gesprächen mit Familienangehörigen, Freunden, Kollegen und Bekannten. Zu letzteren zählen insbesondere die Menschen, mit denen man in anderen proletarischen Organisationen regelmäßigen Kontakt hatte. Etwa bei den Freidenkern, in der Gewerkschaft oder auch im Betrieb konnte man Kommunisten kennenlernen, die für die KPD warben oder einschlägige Lektüre empfahlen.46 Bei 42 Autobiographen werden kommunistische Eltern, Verwandte, Freunde, Kollegen oder Bekannte als herausragende Wegbereiter genannt, wenn sie darauf eingehen, auf welchem Wege sie für die Arbeiterbewegung oder konkret für die KPD bzw. den KJVD gewonnen wurden. 32 Selbstzeugen heben den Einfluß von Literatur hervor - darunter mit herausragender Stellung die Lektüre des „Kommunistischen Manifests“. Für diejenigen, die in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zur KPD stießen, waren die sowjetische Literatur und die sowjetischen Filme oft von besonderer Bedeutung: Der „Panzerkreuzer Potemkin“ dürfte insgesamt mehr Menschen langfristig für die KPD gewonnen haben, als so mancher erfolgreicher Werbeeinsatz Tausender von Genossen.

Das alles geschah natürlich nicht voraussetzungslos. Einige Selbstzeugen reflektieren ausführlicher über bestimmte (politische) Ereignisse oder Entwicklungen, die aber auch bei den anderen die Grundlage dafür gebildet haben werden, überhaupt durch Dritte oder Bücher für den Kommunismus geworben werden zu können.47 Eine ganz bedeutende Rolle kam den Erfahrungen mit der SPD im 1. Weltkrieg zu (dazu unten mehr). Die KPD-Führung bemühte sich denn auch darum, in den Folgejahren den Verratsvorwurf gegenüber der SPD von 1914 für die Werbung neuer und die Verstärkung der Parteibindung bereits gewonnener Mitglieder am Leben zu halten.

Auch darf die soziale Funktion der Parteimitgliedschaft für den Beitritt nicht unterschätzt werden,48 also das Bedürfnis nach Umgang mit Gleichgesinnten, das Bedürfnis, irgendwo dazu zu gehören, wie es Mischket Liebermann exemplarisch beschreibt: „Es war für mich ein völlig neues, herrliches Lebensgefühl, so ganz dazuzugehören. Mit allen Konsequenzen. Und noch eines empfand ich: Wie schön es ist, zu geben, sich einer Sache restlos hinzugeben, die so gerecht, so menschlich ist. Auch wenn man nur ein Schräubchen im Getriebe ist.49

Auch die Beschreibungen der ersten proletarischen (oder schon kommunistischen) Demonstration, deren Zeuge oder Teilnehmer man nicht selten ganz zufällig wurde, sind diesbezüglich von einiger Aussagekraft. Dort wurde nicht selten ein ganz akuter Beitrittswunsch ausgelöst - nachdem man sich bereits ideologisch der Arbeiterbewegung oder sogar schon der „Kommunistischen Partei“ angenähert hatte - oder die Demonstration selbst wurde zur Initialzündung für diese Annäherung. Exemplarisch Manès Sperbers euphorisches Erlebnis einer Maikundgebung 1920: „Doch an jenem Vormittag nun geschah es, daß dieser Anblick in mir eine unsagbare Freude und das Staunen über eine bisher unbekannte, unverhoffte Harmonie hervorrief. Ich erlebte da etwas, was sonst nur in Büchern vorkam: meine Augen füllten sich mit Tränen, Tränen des Glücks darüber, daß es desgleichen geben konnte, und darüber, daß ich zu diesen Menschen gehörte.50

Fast einen noch höheren, oftmals geradezu mystischen Stellenwert hat die erste Demonstration, an der man nach dem Beitritt selbst teilgenommen hat, die dann oft auch ausführlicher dargestellt wird. Prototypisch für diesen ,Initiationsrausch‘ sind die folgenden Bemerkungen von Tetje Lotz: „Ich war begeistert, da8 es so viele Menschen gab, die sich mit mir in ihrem Ziel einig waren. Ich fühlte mich als einer unter vielen. In der gehobenen Stimmung gemeinsamer Stärke ging es wieder nach Hause.51 Über weitere psychische Bedürfnisse, die der Beitritt befriedigen sollte, zu spekulieren verbietet sich leider, da die allermeisten Selbstzeugen doch einerseits nicht so reflektiert und andererseits nicht so distanziert gegenüber sich selbst sind, daß man aus ihren Darstellungen fundierte Erkenntnisse dazu ziehen könnte - es seien denn die, die uns die Selbstzeugen selbst nahezulegen versuchen.

Einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf die politische Entwicklung der Generation der Selbstzeugen, die 1900 oder früher geboren wurden, hatte der 1. Weltkrieg.52 Unter den männlichen Selbstzeugen mit bürgerlicher Herkunft dominieren denn auch die desillusionierten oder zutiefst verbitterten ehemaligen Frontsoldaten, die durch die Erlebnisse an der Front und den (oft sogar erstmaligen) sozialen Kontakt zu Arbeitern im Schützengraben erst zum Radikalpazifismus und dann zum Kommunismus kamen (u.a. Georg Benjamin und Heinrich Vogeler).53 Bei Hans-Werner Richter waren es die älteren Brüder, die als Linke und Pazifisten aus dem Krieg zurückkamen und ihn mitzogen.54 Ähnliches gilt für Frauen proletarischer oder bürgerlicher Herkunft, die durch die schlechte Lebensmittelversorgung oder das Erlebnis verstümmelter oder getöteter Brüder oder Väter radikalisiert wurden wie z.B. Susanne Leonhard und Rita Sprengel.55

Für die Entwicklung der 31 bereits vor 1918 politisch organisierten Selbstzeugen hingegen läßt sich der Einfluß der Diskussion in der SPD-Linken über die Kriegspolitik ab 1914 gar nicht überschätzen. Sie führte die meisten von ihnen in ihrem Verlauf von moralischer Empörung über radikalpazifistische Kritik an der Kriegskreditbewilligung durch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, die enthusiastische Begrüßung der Leninschen Kriegsbeendigungspolitik 1917 und die Anfänge der Rezeption des ,Leninismus‘ zur Gründung der „Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands“ bzw. des KJVD 1920.

Vor diesem Hintergrund war der Beitritt zur KPD für einige Selbstzeugen lediglich das individuell-biographische Ergebnis von Kollektiventscheidungen in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zwischen 1916 und 1920: Acht von ihnen waren vor oder während des Krieges der SPD beigetreten (u.a. Robert Neddermeyer 1904, Karl Grünberg 1911 und Max Benkwitz 1912),56 radikalisierten sich im weiteren Verlauf, so daß sie zuerst zur USPD gingen und dann mit der linken USPD-Mehrheit in die VKPD.57 Einige ehemalige Sozialdemokraten im Sample (z.B. Fritz Globig)58 vermieden den Umweg über die USPD und stießen schon früher zum Spartakusbund oder zur frühen KPD. Weitere acht (u.a. Heinrich Galm, Ludwig Turek und Erich Wiesner) waren vor oder während des Krieges Mitglied der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ (SAJ) geworden - also der sozialdemokratischen Jugendorganisation - und begründeten aus der SAJ-Opposition heraus 1916 die „Freie Sozialistische Jugend“ (FSJ) mit, die nach weiterer Radikalisierung ab 1920 als KJVD firmierte. Weitere fünf (z.B. Willi Bohn, Recha Rothschild und Fritz Selbmann)59 bzw. acht Selbstzeugen (z.B. Max Barthel und Jan Valtin)60 haben diese Entwicklung am Rande miterlebt, da sie, ohne vorher überhaupt politisch organisiert gewesen zu sein, direkt der USPD oder der FSJ beitraten. Zu addieren wären noch diejenigen Selbstzeugen, die sich wie Oskar Hippe, Susanne Leonhard oder Willi Münzenberg 1916 bzw. 1918 direkt der Spartakusgruppe bzw. dem Spartakusbund ohne vorherige Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung angeschlossen haben und somit auf ,organisatorischem Wege‘ KPD-Gründungsmitglieder wurden.

Vierzehn Autobiographen (u.a. Emil Carlebach, Max Faulhaber und Willy Sägebrecht)61 sind dann nach 1920 einen ähnlichen Weg wie die obigen 27 gegangen, d.h. sie haben für sich die jüngere Organisationsentwicklung der Arbeiterbewegung ,nachgelebt‘. Sie schlugen, nachdem sie zunächst - oft väterlichen Fußstapfen folgend - noch der SAJ oder dem „Sozialistischen Studentenbund“ beigetreten waren, nach einiger Zeit den Weg zum KJVD oder zur KPD ein. Sieben weitere KJVD-Mitglieder kamen aus anderen Jugendorganisationen: z.B. Margarete Buber-Neumann 1921 aus der „Freideutschen Jugend“, Herbert Crüger 1932 aus der „Hitlerjugend“ und Franz Feuchtwanger 1924 aus der jüdischen Jugendbewegung.62 Dreizehn Selbstzeugen traten dem KJVD nach dessen Gründung 1920 direkt als Erstorganisation bei (darunter August Fricke, Walter Janka und Tönnies Hellmann).63 Erich Honecker und Wilhelm Geusendam durchliefen die komplette ,Parteikarriere‘ und verließen programmgemäß bei erreichtem Alter von 14 Jahren die „Kommunistischen Kindergruppen“ bzw. den „Jung-Spartakusbund“ und gingen zum KJVD über.64

Dreizehn Selbstzeugen kamen aus KPD-Nebenorganisation oder ausländischen ,Bruderparteien‘ in die KPD (z.B. Franz Becker aus der „Internationalen Arbeiterhilfe“, Tetje Lotz aus dem „Roten Frontkämpfer-Bund“ (RFB) und Julius Háy aus der ungarischen KP).65Ganze vier Selbstzeugen - 17 machten hierüber gar keine Angaben - geben an, vorher nirgendwo organisiert gewesen zu sein. Eine Zahl, die durchaus eine allgemeine Tendenz widerspiegelt: Daß nämlich der Weg in die KPD in den meisten Fällen über vorgeschaltete andere Organisationen führte, insbesondere über die Jugendbewegung. Insgesamt 44 Selbstzeugen (42,7 %) waren vor ihrem Beitritt Mitglied einer politisch-weltanschaulichen Jugendorganisation gewesen. Ungewöhnlich groß ist hingegen mit 35,98 % der Anteil der Selbstzeugen, die aus dem KJVD in die KPD gekommen waren - stammten doch nur ganze 2,57 % der durch die Reichskontrolle von 1927 erfaßten Mitglieder aus dem KJVD.66 Noch zu erwähnen wäre der Weg über eine vorgeschaltete Gewerkschaftsmitgliedschaft. 41 Selbstzeugen waren mit Sicherheit schon vor ihrem KPD-Beitritt Gewerkschaftsmitglieder geworden, darunter einige - v.a. wiederum Kinder arbeiterbewegter Eltern - die sofort quasi automatisch mit dem Antritt einer Lehre dem zuständigen Verband beigetreten waren. Insgesamt waren 49 Autobiographen definitiv Mitglied einer Gewerkschaft, 7 sicher nicht, während 47 dazu keine Angaben machten.

V. Die kognitiven Aspekte des Parteialltags

1 Das Leseverhalten

Das Leseverhalten der großen Masse der Mitglieder ist über die von der KPD-Bürokratie produzierten Quellen nur sehr fragmentarisch überliefert.67 Gerade diese empfindliche Lücke war der ursprüngliche Hauptgrund dafür, so viele Autobiographien und Memoiren wie möglich heranzuziehen. Wie aber schon mehrfach erwähnt, trifft man dort auf das Problem der ausgeprägten überrepräsentanz der ,proletarischen Intellektuellen‘.68 Dem gemeinen proletarischen KPD-Mitglied war der sozialhistorisch noch recht neue Kampf mit dem auch noch teuren Buch doch zumeist zu mühselig. Billige Massenbroschüren der Partei fanden da schon mehr Nachfrage. Arbeiter, die sich wissensdurstig und bildungsbeflissen nach ermüdendem Arbeitstag in der karg bemessenen Freizeit neben der Parteiarbeit die abendliche Lektüre der ,Klassiker‘ des Marxismus-Leninismus oder auch noch die schöngeistiger Literatur abrangen, machten doch nur eine kleine Minderheit der Weimarer Kommunisten aus.69

Das wird deutlich, wenn man sich etwa die Rezeption des meistgelesenen ,Klassikers‘ des Marxismus-Leninismus, des „Manifests der Kommunistischen Partei“, ansieht. Seine Lektüre wurde durch das Mitgliedsbuch der KPD den Genossen ausdrücklich ans Herz gelegt - sie sollten es tunlichst „mehrfach durcharbeiten“!70 Die Führung der KPD war denn auch immer bemüht, für Nachschub zu sorgen.71 Die ,Nachfrage‘ der Mitglieder nach dem „Manifest“ aber war nach einem Tätigkeitsbericht des Organisationsbüros des ZK an das Präsidium des Exekutivkomitees der KI (EKKI) eher träge. Man habe von der 2. Auflage der Parteiausgabe des „Manifests“ zum 1. März 1924 10.000 Exemplare hergestellt, von denen bis zum 1. Oktober 1924 bereits 1.840 verkauft worden seien.72 Nach einer Aufstellung der Organisationsabteilung des ZK vom Dezember 1930 stieg aber 1924 die Zahl der Mitglieder vom 1. zum 2. Halbjahr allein um 27.902.73 Vorausgesetzt die neuen Mitglieder hätten ausschließlich die von der Partei herausgegebene Broschüre des „Manifests“ herangezogen (und die hätte keinen einzigen nicht in der KPD organisierten Leser gehabt), hätten also ganze 6,59 % der neuen Mitglieder das „Manifest“ (in der ersten Phase ihrer Mitgliedschaft) erworben. Natürlich gab es für diese auch noch andere Zugangsweisen zum „Manifest“ als allein über obige Broschüre. So wird es wohl kaum eine lokale Gewerkschafts- oder sozialdemokratische bzw kommunistische Parteibibliothek gegeben haben, die nicht ihr Exemplar des „Manifests“ gehabt hätte.

Da wirken die Schilderungen der Selbstzeugen doch schon ganz anders. Läßt man die 41 Selbstzeugen außer Acht, die keine konkreten Angaben über ihre Lektüre machen,74 verbleiben immerhin 62, von denen man einiges über ihr Leseverhalten erfahren kann. Fünfundzwanzig von ihnen (u.a. Wolfgang Abendroth, Georg K. Glaser und Bruno Retzlaff-Kresse)75 geben an, das „Kommunistische Manifest“ - und zwar zumeist kurz vor oder kurz nach dem Beitritt - gelesen zu haben. Ernst Busch soll es - Schauspieler, der er war - auswendig gekonnt haben. Alfred Kurella hingegen berichtet, daß es 1917 bei der erstmaligen Lektüre „zunächst seinen Eindruck auf mich verfehlte!“ Heinz Hoffmann war neugierig auf den Kommunismus geworden, nachdem ein Genosse vor der SAJ-Gruppe, der er angehörte, aus dem „Manifest“ vorgelesen hatte, so daß er sich es schon am nächsten Tag auslieh. Gottfried Grünberg hingegen wurde das „Manifest“ als noch relativ unpolitischem jungem Mann von 25 Jahren in der Bibliothek des „Deutschen Bergarbeiterverbandes“ (BAV) in Hamborn-Neumühl in die Hand gedrückt. Er verstand es zuerst überhaupt nicht. Dann las er es noch einmal. Schließlich wurde es ihm dann vom BAV-Bibliothekar zwei Stunden lang erklärt: „Ich war tief beeindruckt, und ich glaube, von diesem Zeitpunkt an habe ich meine Zeit mit anderen Augen gesehen.

Franz Dahlem, ehemaliges Mitglied eines katholischen Jünglingsvereins, stößt ins gleiche Horn, und bescheinigt dem „Manifest“ „alle meine Fragen“ beantwortet zu haben und „eine wirkliche Offenbarung“ gewesen zu sein, durch deren Lektüre „sich mir eine wahrhaft neue Welt“ erschloß. Diese auch bei anderen Genossen verbreitete Haltung kam - sieht man es psychologisch - auch nicht von ungefähr, bescheinigten doch Marx und Engels ihren Anhängern, jedenfalls in der Interpretation der KPD-Führung, nichts weniger als „theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus“ zu haben oder wie es Isaac Abusch ausdrückt: „aber wir Kommunisten haben doch die höhere Erkenntnis.76

Ein Schlaglicht auf die teilweise doch recht eigenwillige Rezeption des „Manifests“ bei bildungsfernen proletarischen Genossen wirft eine Anekdote, die Gottfried Grünberg erzählt. Nach einer Demonstration im Sommer 1931 mit anschließender Schießerei hatte ein Junggenosse gegenüber der Polizei ausgepackt, weshalb die Verhaftung des KPD-Betriebszellenleiters Grünberg drohte. Als er den Junggenossen dafür zur Rede stellte, sagte der ganz unschuldig: „,Aber du hast mir doch selbst vorgelesen: »Wir Kommunisten haben nichts zu verbergen, wir sagen offen vor allen Menschen, was wir wollen.«‘ Du liebe Güte! Ernst hatte die Einführung in das ,Kommunistische Manifest‘ in den falschen Hals bekommen.77

Das „Kapital“ war da schon von anderem Kaliber. Dreizehn Selbstzeugen geben an, das „Kapital“ - oder vielmehr wohl vor allem den ersten Band - gelesen zu haben bzw. den Versuch dazu unternommen zu haben.78 Keine Probleme damit hatte Curt Geyer, studierter Sohn des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Friedrich Geyer: „Ich gehöre zu denen, die dies Buch wirklich durchgelesen haben“. Auch Rolf Helm hat es 1920 durchgearbeitet und fand seine „Überzeugungskraft ... zwingend“. Franz Dahlem und Maximilian Scheer lasen es beide 1917 im Lazarett und Wilhelm Geusendam will es als Primaner durchgearbeitet haben.79 Die literarisch interessierte Trude Richter las es 1931 und hat es „wie ein Kunstwerk außerordentlich hohen Grades“ erlebt. Axel Eggebrecht war durch Anmerkungen eines Vorbesitzers in einem Buch von Ludwig Feuerbach auf das „Kapital“ gestoßen.80 Ganz wie die altvorderen russischen Revolutionäre in der sibirischen Verbannung oder im Gefängnis lasen es Karl Retzlaw und Wilhelm Eildermann ebenfalls in Haft.81

Durchaus repräsentativ für die Erlebnisse der proletarischen KPD-Mitglieder, die sich an die Lektüre gewagt haben, sind die folgenden Erfahrungen von Helmut Damerius: „,Das Kapital‘ blieb für mich damals und noch lange Zeit danach ein Buch mit sieben Siegeln.“ Den sechzehnjährigen Lesern Heinz Hoffmann und Heinz Zöger blieb das Werk auch zunächst schleierhaft. Johann Reiners versuchte es mit mehreren Neuanfängen, ohne aber so recht hinein zu kommen.82 Paul Meuter hielt sich nach der Lektüre diverser dicker Bände für ausreichend vorbereitet, das „Kapital“ in Angriff zu nehmen: „Ich gestehe, daß ich von dieser schwierigen Lektüre nicht viel verstanden habe.“ Das gleiche Erlebnis hatte Rita Sprengel. Sie schaffte es aber, sich irgendwie durchzuschlagen, und war nach der Lektüre voller Empörung über den Kapitalismus. Gottfried Grünberg schließlich kapierte das „Kapital“ überhaupt nicht und konnte am Ende nur noch dem BAV-Bibliothekar zustimmen, der die Meinung vertrat, „das sei nur etwas für ,Gelehrte‘“.83

Den „Kapital"-Extrakt „Lohn, Preis, Profit“, an dessen Lektüre sich sieben Selbstzeugen erinnern, fand Johann Reiners viel eingängiger als das „Kapital“ und hatte damit - wie so viele andere - seinen Archimedischen Punkt und damit eine Basis für die Entwicklung von Selbstbewußtsein gefunden: „Mit meinen neuen Kenntnissen fand ich für jede zweifelnde Frage eine überzeugende Antwort. Ich fühlte mich glücklich darüber und anderen überlegen.“ Daraufhin stürzte er sich unverzüglich „in die Parteiarbeit.“, die ihm dann - wie vielen anderen - keinen Platz mehr für weiterführende Lektüre ließ.84

Der Leninismus hat den Parteialltag wahrscheinlich nachhaltiger geprägt als die Schriften von Marx und Engels. Georg und Hilde Benjamin besaßen die Lenin-Erstausgaben komplett.85 Franz Dahlem las im Frühsommer 1918 erste Reden und Schriften Lenins in der Presse und war beeindruckt von seiner „Unerbittlichkeit [in der Analyse, U.E.]... und ... schonungslosen Offenheit“. „Wir holten uns Kraft bei Lenin. Lenins Ratschläge waren so einfach“, faßt Erich Glückauf die Lenin-Rezeption in der KPD zusammen.86

Mehr als die Werke von Marx und Engels waren die Leninschen innerparteilich brisant. Genossen suchten sich - nachdem das Umsichwerfen mit Lenin-Zitaten in der KPD nach dem Tod des großen Meisters von einer Mode zu einem Legitimationsritual geworden war - aus dem umfangreichen Oeuvre Lenins die jeweils ihre vorgefaßten Meinungen stützenden Stellen heraus. Auf einer KPD-Mitgliederversammlung im Berliner Wedding am 28.10.1926 etwa meinte ein Genosse, Lenins Fraktionsverbot von 1921 schlicht ignorierend: „Auch Lenin sei für die Fraktionsbildung gewesen.87

Hermann Duncker verlangte 1922, jeder, der sich Kommunist nenne, müsse Lenins „Staat und Revolution“ lesen und immer wieder durcharbeiten. Daher erschienen denn auch 1918-1924 jährlich neue Auflagen.88 An die Lektüre von „Staat und Revolution“ erinnern sich sieben Selbstzeugen. Als der im bildungsbürgerlichen Milieu aufgewachsene Kurella 1918 als 23jähriger „Staat und Revolution“ las, fiel bei ihm „endgültig der Groschen in Sachen Klassenkampf.“ Auch dem 19jährigen Max Emendörfer war dieses Werk, das er sich im Oktober 1930 auf einem KPD-Diskussionsabend als Broschüre zusammen mit Marxens „Lohn, Preis, Profit“ gekauft hatte, ein Augenöffner. Er will zu seinem skeptischen Stiefvater, für den der Erwerb von Literatur Geldverschwendung war, gesagt haben: „Durch die Broschüren habe ich endlich erfahren, warum so viele arbeitslos sind und wer dran verdient.89

Interessanter, weil für die innerparteiliche Entwicklung der KPD in der Weimarer Republik relevanter,90 ist die Rezeption von „Der ,Radikalismus‘, die Kinderkrankheit des Kommunismus“.91 Wilhelm Eildermann kaufte sich dieses Werk 1920 sofort nach dem Erscheinen. Alexander Abusch schreibt der „Radikalismus“-Schrift, die er die er als Achtzehnjähriger ebenfalls schon 1920 erwarb, einen besonderen Einfluß auf sich zu. Er las sie auch nicht distanziert, sondern lebte emotional mit. Willy Sägebrecht hingegen bekam 1926 von Wilhelm Pieck, den er im Berliner Karl-Liebknecht-Haus aufgesucht hatte, eine Broschüre in die Hand gedrückt, die auch Lenins „Radikalismus“ enthielt. Anschließend sollte er in seiner Betriebszelle und im RFB Vorträge über Lenins „Linksradikalismus“-Schrift halten. Paul Elflein, bis 1922 Betriebsrat, las es wegen einer Diskussion in der Gewerkschaft.92

Die oben schon erwähnte politische Explosionskraft, die insbesondere Lenins „Linker Radikalismus“ in der Partei hatte, läßt sich zurückführen auf die Ungleichzeitigkeit der Lektüre einer Schrift, die doch stark taktisch auf die politische Konstellation am Anfang der zwanziger Jahre bezogen ist, und der jeweils gültigen Generallinie der KPD: Beispielsweise war es 1925-1928 kein Problem, sich nach der Lektüre, vermeintlich im Sinne Lenins, für die Einheitsfront einzusetzen. Nach 1928 war das auf einmal ziemlich heikel. Emil Carlebach war 1931 nach der Lektüre des „Linken Radikalismus“ für eine „Einheitsfront von oben“ und den Verbleib der Kommunisten in den ADGB-Gewerkschaften und überzeugte davon die Genossen seiner Frankfurter KJVD-Gruppe, was ihm auf dem nächsten Generalappell des Frankfurter KJVD eine schwere ,Kopfwäsche‘ eintrug. Rosa Meyer-Leviné meinte 1932, auch mit Lenins „Kinderkrankheit“ argumentierend, die KPD dürfte ihren Fehler bei den Reichspräsidentenwahlen von 1925 nicht wiederholen - als das Festhalten am chancenlosen eigenen Kandidaten Thälmann im 2. Wahlgang erst Hindenburg in den Sattel geholfen hatte.93

Von Lenins Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ war insbesondere Rita Sprengel (1928) beeindruckt: „Dem Leser wurde es leicht gemacht, zu begreifen.“ Sie ist übrigens auch die einzige Selbstzeugin, die sich an die schwierige Lektüre von Lenins „Materialismus und Empiriokritizismus“ gewagt haben will. In solch luftige philosophische Höhen wird ihr auch kaum ein Genosse gefolgt sein.94

Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß selbst in der sehr exklusiven Gruppe der hier versammelten Selbstzeugen der Anteil derjenigen, die die klassischen Schriften gelesen oder zumindest angefangen haben, recht gering ist. Um wieviel geringer mag sie unter den vergleichsweise weniger literaten Massen der einfachen proletarischen KPD-Mitglieder gewesen sein?

Damerius ist sicher zuzustimmen, wenn er die genuin proletarische Lesepraxis der Mehrheit seiner Genossen in der KPD am eigenen Beispiel wie folgt beschreibt: „Im Lesen waren wir ungeübt“. Isaac Abusch gibt zu Protokoll, nie ein komplettes Marx- oder Lenin-Werk und „überhaupt nur Teilsachen“ gelesen zu haben. Ein aufschlußreiches Schlaglicht auf das proletarische Leseverhalten werfen die Angaben Erich Honeckers in einem am 16.2.1946 ausgefüllten Fragebogen für die Kaderabteilung der KPD. Auf die Frage, welche Zeitungen und politisch-wissenschaftliche und andere Bücher er gelesen habe, schrieb er: „Zahlreiche Zeitungen, Bücher weniger“.95 Der proletarische KPD-Genosse, dem die Volksschule nicht das geistige Rüstzeug mit auf den Weg gegeben hatte, um tief in die Marxsche Dialektik einzudringen,96 wird im besten Fall in das „Manifest“ hineingesehen haben und zwar wahrscheinlich kurz vor oder nach dem Beitritt. Später hat er vielleicht mal - eventuell im Rahmen einer Schulung - in die „Elementarbücher des Kommunismus“97 hereingeschaut und ansonsten das eine oder andere in Broschüren nachgeschlagen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Viel wichtiger war es für ihn, die Parteipresse zu verfolgen, damit er in der Frühstückspause mit den Kollegen diskutieren konnte.

Sein ,Marxismus-Leninismus‘ war infolgedessen eine Melange aus all diesen fragmentarischen Leseeindrücken mit einem starken Fundament an früh verinnerlichten, emotional aufgeladenen proletmoralischen Wertvorstellungen (dazu unten mehr), zu denen er sich eventuell über die Lektüre nur einen luftigen ideologischen Überbau gebastelt hat. Nicht zu vergessen die Zahl der hartleibigen Nichtleser, die völlig in der Parteiarbeit aufgingen und das vielleicht wie Willi Dickhut als Mangel empfanden: „Je umfangreicher meine praktische Parteitätigkeit wurde, desto mehr spürte ich meine theoretische Schwäche.“ Bei Gerd Horseling hatte seine Orientierung auf die Graswurzeln ähnliche Folgen: „Die Erfahrungen im Betrieb waren mir wichtig. Dort konnte man die Interessen der arbeitenden Menschen wirklich hautnah erfahren. Ob das immer die Wirklichkeit ist, was so Intellektuelle aus Büchern nehmen, weiß ich nicht. Meine Wirklichkeit war im Betrieb.98 Da kommt dann auch schon ein gutes Stück latenter proletarischer Antiintellektualismus zum Ausdruck. Daß vor dem Hintergrund dieses Leseverhaltens auch der Einfluß der politisch-ideologischen Deutungsangebote der Parteiführung begrenzt blieb, liegt auf der Hand.

Auf einen Aspekt des Leseverhaltens sollte zum Ende dieses Abschnitts noch eingegangen werden, nämlich die Popularität sowjetischer Romane. Am einflußreichsten war sicherlich Fedor V. Gladkovs „Zement“, „der erste Roman vom kommunistischen Aufbau“,99 der 1927 seine deutsche Erstveröffentlichung erlebte, und es auf zwei Auflagen mit damals beachtlichen insgesamt 18.000 Exemplaren brachte.100 Leidenschaftliche Freunde sowjetischer Literatur unter den Selbstzeugen waren u.a. Karola Bloch, Eugen Eberle und Heinz Willmann.101 Zu den Lesern von "Zement“ und auch anderer sowjetischer Literatur gehörten auch Willi Dickhut, Georg K. Glaser und Alfred Kantorowicz.102 Wer wollte, der fand in den sowjetischen Romanen - insgesamt wurden zwischen 1923 und 1933 in Deutschland jährlich mehr als 20 von ihnen publiziert103 - die ,Verwirklichung‘ der Utopie.

Eine ähnliche Rolle spielten die "Roten Eine-Mark-Romane“, die seit 1929 im KPD-eigenen "Internationalen Arbeiterverlag“ erschienen. In Willi Bredels Roman "Maschinenfabrik N & K“ wurde die ultralinke Betriebspolitik in die literarische ,Realität‘ umgesetzt, während in Hans Marchwitzas Roman „Sturm auf Essen“ die Helden des Ruhrkampfes von 1920 verherrlicht wurden. Die „Roten Eine-Mark-Romane“ waren eine Serie, bei der „keinerlei ,Verfremdung‘ durch künstlerische Techniken ... die Identifikation.“ behinderte,104 und zu deren fleißigen Lesern Heinz Hoffmann, Alfred Spitzer und Heinz Zöger gehörten.105

2 Schulungsteilnahme

Man geht wohl nicht zu weit, wenn man einen Beschluß des 5. Weltkongresses der KI von 1924 - der von den angeschlossenen Parteien „die systematische Schulung“ ihrer Mitglieder forderte106 - so auslegt, daß alle Mitglieder wenigstens einmal die Schulbank drücken sollten. Der Überfluß an ähnlichen Verlautbarungen in Resolutionen diverser KPD-Leitungsorgane aus den Jahren nach 1924 deutet allerdings darauf hin, daß man damit nicht recht vorankam. Ende 1929 stellte das ZK der KPD fest, daß bisher insgesamt gerade einmal 10 % der Mitglieder - v.a. Funktionäre - geschult worden seien, 1931 sollen es insgesamt 25 % gewesen sein.107 Die KPD-Funktionärszeitschrift „Der Parteiarbeiter“ konstatierte 1930, daß die Überlastung der Funktionäre leider „den willigen Genossen keine Zeit zur Schulungsarbeit lasse“.108

Im KPD-Schulungswesen gab es verschiedene Bildungsstufen: Von den elementaren Crashkursen in Marxismus-Leninismus für Neueinsteiger - dem Initiationsritus in der KPD, wo „viele Mitglieder erstmals überhaupt mit der marxistisch-leninistischen Theorie“ in Berührung kamen109 - über verschiedene Zwischenstufen bis hin zur Lenin-Schule der KI in Moskau, die den zukünftigen Berufsrevolutionären den letzten Schliff geben sollte. Außerdem gab es Schulungen von unterschiedlicher Intensität: Abend-, Wochenend- und Wochenschulungen. Hinzu kamen ab 1927 die „Lenin-Zirkel“, die v.a. der Selbstschulung im Kollektiv dienen sollten. Für das individuelle Selbststudium der Genossen führten die KPD-Tageszeitungen Ende der zwanziger Jahre Schulungsbeilagen ("Selbstbildungsecken") ein und die Bezirksleitungen gaben hektographierte Schulungsbriefe heraus. Zusätzlich wurden für spezielle Mitgliedergruppen (z.B. Betriebsräte) besondere Schulungen (z.B. über das Betriebsrätegesetz) angeboten. Inhaltlich gab es Kurse, die sich mit den Grundlagen des Marxismus-Leninismus (z.B. Lenins „Radikalismus“-Schrift) oder mit aktuellen politischen Fragen (z.B. 1927 zum Thema „Zehn Jahre Sowjetunion“) beschäftigten. Zusätzlich wurden nach 1929 - von der Partei formal unabhängige - Marxistische Arbeiterschulen (MASCH) eingerichtet.

Die Berichte der 32 Selbstzeugen, die sich an ihre Schulungsteilnahme erinnern,110 zeugen von der Vielfalt der ,Erwachsenenbildung‘ in der KPD. Gerade hier wird die Komplexität des Parteialltags greifbar. Hans Fladung, Willi Bohn und Albert Norden trafen sich im Sommer 1923 auf einer auf drei Monate geplanten Parteischule für zukünftige hauptamtliche Funktionäre, die unter Dunckers Leitung im Jenaer Gewerkschaftshaus abgehalten wurde.111 Erich Honecker wurde im August 1930 auf die Lenin-Schule in Moskau geschickt und hinterher hauptamtlicher Funktionär. Fritz Selbmann schlug 1928 denselben Weg ein. Gerd Horseling sollte im gleichen Jahr eigentlich auch dieses Privileg zuteil werden. Er lehnte das Angebot aber ab, weil seine Stiefmutter schwer erkrankt war - wobei es mich bei seiner Basisverbundenheit und Verwurzelung in seiner Heimatstadt Goch nicht wundern würde, wenn das nur ein Vorwand war. Walter Janka schließlich war 1932 schon für die Lenin-Schule nominiert, als er durch seinen Einsatz für eine Zusammenarbeit mit der SPD gegen den Faschismus zeigte, daß er „noch nicht erfahren genug“ war, weshalb er zur Bewährung als Politischer Leiter in den Unterbezirk Chemnitz geschickt wurde.112

Aber hier interessiert doch weniger die Ausbildung hauptamtlicher Funktionäre - der Schwerpunkt liegt auf den Schulungsbemühungen an der Parteibasis. Lucie Suhling, die 1930 als 25jährige eine KJVD-Schule mit Duncker als Dozent besuchte, faßt ihre Erfahrungen enthusiastisch so zusammen: „Wir waren glücklich, die angelesenen, oft nicht verstandenen Theorien des Marxismus-Leninismus gründlicher in uns aufzunehmen“. Auch Max Benkwitz machte seine Erfahrungen mit der modernen Pädagogik Dunckers, als er in Sachsen 1923 dessen Wochenendschulungen besuchte. Da Duncker selbstverständlich nicht überall sein konnte, dürfte aber doch der pädagogische Stil einer Dressuranstalt zur Einpeitschung von Schlagwörtern dominiert haben.113

Willi Dickhut verdanken wir einen ausführlichen Bericht über den Ablauf einer Parteischulung. Ihn hatte die Düsseldorfer Bezirksleitung 1929 nach Monheim ,versetzt‘ um die dortige Ortsgruppe wieder aufzubauen. Der Stand der Schulung dort war nicht gerade dazu angetan, in Euphorie auszubrechen: „Mit der Schulung und dem Selbststudium des Marxismus-Leninismus haperte es bei den meisten Genossen in der Partei“. Da spezielle Schulungsbroschüren fehlten, behalf man sich mit der Broschüre des KPD-Chefideologen Josef Lenz „Was wollen die Kommunisten?“ von 1927 und mit dem „ABC des Kommunismus“ von N. Bucharin/E. Preobraschensky aus dem Jahre 1921. Im September 1929 führte die Bezirksleitung endlich die erste vierzehntägige Parteischule für Funktionäre durch, wo folgendermaßen vorgegangen wurde: Von 8 Uhr 30 bis 13 Uhr wurde der Stoff von den 25 Teilnehmern im Plenum, anschließend von 15 bis 18 Uhr in Arbeitsgruppen behandelt. Dann wurden bis 23 Uhr die schriftlichen Arbeiten angefertigt, die das Erlernte des Tages resümieren sollten. Bis teilweise ein oder zwei Uhr in der Nacht wurde anschließend noch über die neuen Erkenntnisse diskutiert. Man kann sich lebhaft vorstellen, daß diese Schulungsform für Genossen, die noch einem Broterwerb nachgingen, kaum geeignet war. ,Dank‘ der ultralinken Linie und der Weltwirtschaftskrise gab es aber genug kommunistische Arbeitslose wie eben Dickhut, den 1928 ein Parteiauftrag um seinen Job gebracht hatte.114

Ähnlich ausführlich sind die sehr aufschlußreichen Schilderungen Erich Glückaufs, mit denen er die Erfahrungen aus den von ihm besuchten Wochenendschulungen bilanziert: „Die gebräuchlichste Art zu lernen war für uns die Wochenendschulung. Sie war auch darum so beliebt, weil sie die Möglichkeit bot zu näherem Kennenlernen und kameradschaftlichem Beisammensein. Für uns war das immer ein Erlebnis. Wir probten dabei auch Kampflieder, saßen abends gemeinsam am Lagerfeuer, betätigten uns körperlich bei Sportarten, die keine Geräte erforderten, so Ringkämpfe, Waldläufe und Volkstanz. Nicht selten schliefen wir in Zelten, das ermöglichte zusätzliches Verständnis durch gegenseitiges Wärmen.115 Hier dominieren eindeutig die sozialen Nebeneffekte, die eben nicht zum eigentlichen Zweck der Veranstaltung zählten, auf die aber trotz Zähneknirschens seitens der Parteiführung auch nicht verzichtet werden konnte, wollte man Schulungen u.a. Veranstaltungen nicht vor leeren Sälen abhalten.

Tetje Lotz, nach seiner Entlassung aus dem Betrieb 1929 Politischer Leiter einer KPD-Straßenzelle in Hamburg, und als solcher bald zu einer Funktionärsschulung eingeladen, verdanken wir ein paar pittoreske, aber nichtsdestoweniger aufschlußreiche Bemerkungen über die Wirkung des auf der Schulung Gehörten auf einen proletarischen Genossen: „Ach, du liebe Zeit, da gab es Dinge, von denen ich noch nie etwas gehört hatte ... Politische Ökonomie - Historischer und dialektischer Materialismus - Schon vor den Worten konnte man Angst bekommen.“ Nach diesem abrupten Bildungserlebnis fühlte er sich „haushoch über ihnen [den ,Normalmenschen', U.E.] stehend“. Und er hatte zugleich das Kriterium für eine ,Beförderung‘ zum Agitpropsekretär der Hamburger Stadtteilgruppe Winterhude-Uhlenhorst erfüllt, in dessen Kompetenz auch die Durchführung von Schulungen fiel. In dieser Funktion bekam er bald den Auftrag der Bezirksleitung, eine Funktionärsschulung zu organisieren, woran er sich „mit Feuereifer“ begab. Im weiteren Verlauf organisierte Lotz Elementarkurse und obligatorische Schulungsabende für die Zellen, auf denen die Genossen zu Anfang erst einmal sehr zurückhaltend waren und sagten: „Das kann ich nicht!“ Folgt man Lotz, waren die Schulungsabende oft die am besten besuchten parteiinternen Veranstaltungen.116

Die Bemühungen um die Schulung der Genossen und ihre Ergebnisse unterschieden sich von Bezirk zu Bezirk, oft aber auch in einem Bezirk von Stadt zu Stadt oder sogar von Zelle zu Zelle. Johann Reiners, 1932 Leiter von zwei Wohngebietszellen in Berlin-Moabit, gibt einer weit verbreiteten Einstellung vieler KPD-Mitglieder Ausdruck, wenn er sagt: „Langes Theoretisieren war nicht meine Art.“ Dort beschränkte sich die ,Schulung‘ der Genossen denn auch darauf, daß Reiners die wöchentlichen Schulungsbriefe der Bezirksleitung las und den Inhalt an die Zellenmitglieder weitergab.117 Alfred Spitzer machte im ostsächsischen Neugersdorf ähnliche Erfahrungen: „Die politische Schulung war in jenen Jahren mangelhaft. Sie beruhte hauptsächlich auf Selbststudium.“ Während zehnjähriger KPD-Mitgliedschaft hatte er insgesamt Gelegenheit, an drei Wochenendschulungen teilzunehmen.118 Der Hauptgrund dafür lag im latenten Mangel der Führung an zur Durchführung von Schulungen geeigneten Genossen, die auch kaum die Zeit aufbringen konnten, neben ihren vielfältigen Parteiaufgaben in die bildungsmäßige Diaspora zu reisen. Daher wurden notgedrungen auch frisch ,Angelernte‘ wie Tetje Lotz - die sich gerade einmal Grundbegriffe vom Marxismus-Leninismus angeeignet hatten - sofort in die Schulungsarbeit eingespannt.

Das hätte eigentlich in Großstädten und insbesondere natürlich in Berlin anders aussehen müssen. In den Vororten der KPD-Bezirksorganisationen gab es im Prinzip genug hauptamtliche Parteifunktionäre, Redakteure oder Abgeordnete, die ihr Wissen hätten weitergeben können. Doch auch die waren oft bis an ihre Grenzen ausgelastet. Darauf weist auch Eugen Eberle hin, der sich 1930 in der Stuttgarter MASCH engagierte: „So hatte die Partei auch keine Möglichkeit, etwa Parteisekretäre fhr die MASCH-Schule zu verpflichten. Fast immer waren wir also auf uns selbst gestellt. Wir mußten uns zunächst selber schulen und weiterbilden, um dann den Marxismus weitervermitteln zu können.119 Auch Gottfried Grünberg versuchte 1929 dem Mangel an Schulungsangeboten über die MASCH beizukommen und fuhr sonntags von Moers nach Duisburg, wo er Politische Ökonomie und Historischen Materialismus trieb. Auch er sollte nach einigen Wochen Mitgliedschaft schon Propagandist seiner Betriebszelle werden und seinerseits Schulungen durchführen. Als er das Ansinnen mit Verweis auf seine mangelnden Organisationserfahrungen ablehnen wollte, meinte der Politische Leiter seiner Betriebszelle trocken: „Erfahrung haben auch die anderen Genossen nicht, bisher hatten wir ja keine Schulung in der Partei.120

Alfred Lemmnitz, der 1929 noch als SAJ-Mitglied an der Heimvolkshochschule in Leipzig Marxismus ,studiert‘ hatte, und ab Sommer 1932 Agitpropleiter des KPD-Unterbezirks Duisburg-Hamborn war und als solcher auch Schulungen leitete, beleuchtet ein anderes Problem: „Dabei hatte ich zunächst Schwierigkeiten, denn ich hatte die Klassiker des Marxismus-Leninismus studiert, sprach ihre wissenschaftliche Sprache und wurde von den meisten Arbeitern nicht verstanden.121 Robert Neddermeyer, der im Herbst 1921 an einem dreiwöchigen Lehrgang auf der zentralen Parteischule in Berlin teilgenommen hatte, erinnert sich daran, daß seine immerhin hochrangigen Mitschüler der Meinung waren, die Lehrer, unter denen auch der eloquente Edwin Hoernle war, gingen zu schnell im Stoff voran. Dieser Lehrgang von 1921 blieb denn auch Neddermeyers einzige Berührung mit Schulungen während seiner zwölfjährigen Parteizugehörigkeit.122 Isaac Abuschs Genossen aus der „Kommunistischen Partei Deutschlands-Opposition“ (KPO) in Leipzig, der er sich 1929 nach seinem KPD-Ausschluß angeschlossen hatte, hatten das große Privileg, sich 1929 von August Thalheimer selbst, also einem der besten Kenner der Materie, in die Marxschen „Theorien über den Mehrwert“ einführen zu lassen. Sie sollen aber „in ein paar Stunden nie über ein paar Zeilen hinausgekommen“ sein, was Thalheimer auf ihre mangelnde Geduld zurückführte.123

Was die Genossen mit den Erkenntnissen aus der Schulung dann hinterher in ihrer politischen Alltagspraxis anfangen konnten, ist nicht überliefert, es dürfte aber den Erfahrungen des Protagonisten Erwin Strittmatters in der DDR in vielen Fällen nicht unähnlich gewesen sein: „Als Büdner die Parteischule verließ, war die Welt und alles, was mit ihr zusammenhing, für ihn marxistisch erklärbar. Vom Schulsaal aus gesehen, war diese Welt standhaft, geduldig, auseinandernehmbar und erkennbar bis in ihre Laschen und Taschen, doch nun hatte er es wieder mit der wirklichen, brausenden, sich ewig wandelnden Welt zu tun.124

3 Die Einstellungen der Mitglieder

Die letzte Instanz in bezug auf die Einstellungen vieler KPD-Mitglieder blieb das vielförmige proletarische ,Klassenbewußtsein‘, das, wie auch Hans Fladung feststellen mußte,125 mitunter in „Klassendünkel“ mutieren konnte, mit dem die Funktionäre der Führung nicht selten ihre Probleme hatten. Paul Elflein etwa wählte 1919 ,klassenbewußt‘ die USPD v.a. aus dem Grund, weil ihm auf der SPD-Liste zu wenige Arbeiter vertreten waren.126 Jan Valtin bringt es auf den Punkt: „Ich war klassenbewußt, weil Klassenbewußtsein bei uns zur Familientradition gehörte. Ich war stolz darauf, ein Arbeiter zu sein, und ich verachtete den Bourgeois.127 Die immanenten Werthaltungen dieses hergebrachten ,Klassenbewußtseins‘ überlebten denn auch in vielen Fällen mühelos die Widersprüche zwischen ihnen und dem, was über Lektüre und Schulungen an ihre Träger herangetragen wurde.

Das Fundament dieses ,Klassenbewußtseins‘ lag in der proletarischen Moral mit ihren Wurzeln in der christlichen Ethik und ging im politisch-sozialen Bereich auf die Erfahrungen des modernen Proletariats und seiner Bewegung seit ihrer Entstehung in der industriellen Revolution zurück.128 Die proletarische Moral war eine Gebrauchsanweisung für den Alltag, umfaßte ,Theorien‘ für relevante Situationen und erleichterte so in einer unübersichtlich komplexen Welt die Orientierung. So konnten sich viele KPD-Genossen in politischen Streitfragen immer auf den sicheren Grund ihrer Wertvorstellungen zurückziehen und zu einer Entscheidung kommen, ohne erst umfangreiche Informationen über die Standpunkte der Kontrahenten heranziehen zu müssen.

Auch wenn sie keineswegs in sich konsistent waren, war es für die KPD-Führung in vielen Fällen utopisch, die im proletarischen Elternhaus und im Betrieb aufgeprägten Werthaltungen durch eine eigene kommunistische Moral zu ersetzen - allenfalls konnten ein paar Einstellungspartikel ,marxistisch-leninistisch‘ interpretiert oder teilweise auch hinzugefügt werden. Es gelang ihr zwar, wie auch schon der Führung der wilhelminischen SPD, die Auslegung der proletarischen Vorstellung von Solidarität - „Das war der eigentliche Grundzug der Moral, solidarisch zu handeln.129 - als Aufforderung zur Parteidisziplin in der Mitgliedschaft durchzusetzen und auf diesem Weg auch tradierte politische Erfahrungen auszubeuten, aber damit wurde doch nur eine neue Nuance hinzugefügt. Und die proletarische Moral blieb ein gemeinsamer Besitz von kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitern.

Die beiden empirisch vorfindlichen Pole der Einstellung der Basis zur Parteidisziplin beschreibt Jan Valtin. Das eine Extrem hieß: „Im Bewußtsein jedes Kommunisten stand das Wort Parteibefehl bedingungslos über allem“, womit er wohl v.a. die Gruppe beschreibt, zu der er selbst gehörte. Das andere stellt er wie folgt dar: „Viele von den einfachen Parteimitgliedern leisteten eigensinnigen Widerstand; wenn sie auch zu diszipliniert waren, um das Zentralkomitee offen anzugreifen, so gingen sie doch zu einer stillschweigenden Kampagne passiven Widerstandes oder gar der Sabotage über.130 Fritz Selbmann war 1923 „geradezu froh, daß ich nun einer Partei angehörte und ihr zu Disziplin verpflichtet war, die mir durch ihre Beschlüsse und Tageslosungen klar und einfach sagte, was ich ... zur gegebenen Zeit zu tun hatte“. Margarete Buber-Neumann bringt die Einstellung zur Parteidisziplin auf folgenden Punkt: „Wir bezweifelten keine Minute lang die Notwendigkeit der Disziplin in der Kommunistischen Partei“. Sie vergißt aber dabei uns mitzuteilen, ob sich damals in ihrer KJVD-Gruppe auch alle zu jedem Zeitpunkt daran gehalten haben. Hans Benenowski etwa war neben neben seiner Zugehörigkeit zum KJVD noch Mitglied einer „wilden Clique“, weil ihm der KJVD „nicht radikal genug war. ... Also, das Gehorchen und Diszipliniertsein und schön abzuwarten, bis die Revolution im Gange ist, das dauerte uns alles zu lange; das war uns nicht heiß genug.131

Isaac Abusch schließlich zieht folgendes Fazit seiner Erfahrungen und Gedanken zum Thema: „Die Disziplin der deutschen Arbeiterklasse ist zugleich ein ungeheuer positives und gefährliches Element.“ All diese Äußerungen hätte man ohne weiteres auch von Sozialdemokraten hören können. Disziplin war nicht nur ambivalent, sondern auch eine politisch-inhaltlich neutrale Sekundärtugend.132

Ein unüberschätzbares Geschenk für die KPD-Führung war die tief verankerte proletmoralische Abneigung gegen Spaltungen, die ihre Wurzel wohl in der Erfahrung hatte, daß Einigkeit stark mache. Dabei gelang es den Spitzenfunktionären der KPD wohl auch, ihre durchaus inkonsequente Auslegung des Begriffes „Einigkeit“ durchzusetzen - mußte sie doch bei allen Spaltervorwürfen gegen innerparteiliche Oppositionsgruppen oder gegen die SPD verhindern, daß jemand sich dadurch aufgefordert fühlte, über die Entstehung der KPD nachzudenken. Daher machte sich die KPD-Führung die größte Mühe, vor jeder neuen Aktion, die den Spaltervorwurf heraufbeschwören konnte133 - den etwa die SPD rituell bereithielt -, das Spalterstigma jeweils schon prophylaktisch der Gegenpartei anzuhängen. Und diese Haltung hielt auch die Partei zusammen, wie absurd auch immer die Politik der KPD-Führung wurde. „In der Arbeiterklasse wurde jede Spaltung, die nicht unbedingt politisch berechtigt war, als Verbrechen gegen die Organisation angesehen. Das hat sehr viele kommunistische Arbeiter, die mit der Politik der KP nicht einverstanden waren, zurückgehalten. Die haben gesagt, wir sind keine Spalter.134 Die KPO als Sammelbecken der 1928/29 hinausgeworfenen ,Rechten‘ kam nach Brandler auf ganze 3.500 Mitglieder,135 was wahrscheinlich nur ein kleiner Teil der Genossen war, die die politischen Vorstellungen der ,Rechten‘ für angemessener hielten als die des ZK.136

Die Mutter von Tönnies Hellmann, eine gläubige Christin, hatte ihren Kindern oft gesagt: „Wahre Christen müssen leben, was sie predigen.137 Das sahen die meisten doch eher kirchenfernen KPD-Mitglieder in bezug auf ihre Hauptamtlichen ganz genau so. Bei einem Funktionär, der Isaac Abusch beeindrucken wollte, mußten schon Reden und Handeln übereinstimmen.138 Johann Reiners beleuchtet einen weiteren Aspekt: „Arbeiterfunktionäre, die führen wollen, sollten überall, auch in ihrem privaten Verhalten, untadelig sein.139 Das Gegenstück war die unausrottbare Vorstellung vom “Wohlleben der Bonzen“.140 Ein weiterer an der Basis beliebter Vorwurf gegen manche leitende Funktionäre war niemals „einen Betrieb von innen gesehen“ zu haben.141Schwielige Hände und Schweißdunst waren Kriterien ersten Ranges bei der Beurteilung der leitenden Genossen. Robert Neddermeyer faßt diese Haltung zusammen: „Ich machte damals wie viele Arbeiter den Fehler, etwas Schlechtes darin zu sehen, daß Genossen ihren Beruf aufgaben, um als von der Partei bezahlte Funktionäre zu arbeiten. Den hauptamtlichen Parteiarbeiter, der für die Sache des Proletariats unentbehrlich war, sah ich als einen Genossen an, der nicht mehr richtig zur Arbeiterklasse gehörte, nicht mehr alle ihre Sorgen und Nöte teilte.142

Die meisten Äußerungen über Spitzenfunktionäre finden sich über Ernst Thälmann, seit 1925 Parteivorsitzender. Paul Elflein legt - erneut - viel Wert auf den ,korrekten‘ Klassenhintergrund: „Für Thälmann hatten wir viel Sympathie, er war Arbeiter wie wir.143 Die Wertschätzung Thälmanns unter den proletarischen Genossen scheint - neben seiner propagandistisch überhöhten Rolle im Hamburger Aufstand von 1923 - v.a. eine Quelle zu haben: Seinen hergebrachten und wohldurchdacht inszenierten proletarischen Habitus. Er verfehlte auch seinen Eindruck auf Änne Wagner nicht, die ihn bei seinem ersten Besuch in Solingen 1925 erlebte, wo die Menge, die zur Begrüßung erschienen war, in Begeisterung ausbrach, als „Teddy“ sich auf dem Bahnsteig die (symbolisch aufgeladene) Krawatte abriß. Kritische Genossen, mit denen sich Wagner hinterher unterhielt, dämpften ihren Enthusiasmus: „Das tut er bei jedem Auftritt, er weiß, welche Beifallsstürme er auslöst, wenn er sich bei seinem Empfang so gebärdet.144

Thälmanns proletarischer Habitus verfehlte auch in seinen Reden nicht seine Wirkung. Anstatt sich auf theoretische Höhenflüge zu begeben - zu denen er nach Meinung Margarete Buber-Neumanns gar nicht fähig war -, sprach er die proletarischen Zuhörer in ihrer Sprache an, und zwar - wie Fritz Selbmann es empfand - mit „dem Temperament und der Leidenschaft des echten Revolutionärs“. Woraufhin ihm etwa in Chemnitz, wo Lucie Suhling 1927 den KJVD-Reichsjugendtag besuchte, „unsere Begeisterung entgegenschlug.“ Beeindruckt war auch Heinz Hoffmann, der ihn 1932 in Mannheim erlebte. Zusammenfassend sagt Emil Carlebach: „Millionen aber verehrten und liebten diesen Mann“, der den einfachen Hafenarbeiter nicht verleugnete, und für ihn „ein kluger und weitsichtiger Politiker, ein revolutionärer Führer war.145 Bei den durch Reuter befragten Exkommunisten aus Hannover war Thälmann der einzige KPD-Führer, der „geliebt“ wurde. Recha Rothschild hielt ihn für einen „Politiker vom großen Format“.146 Einen ganz anderen Eindruck bekam Axel Eggebrecht, für den er schon bald nicht mehr war als „eine Art Galionsfigur des Schiffs, das andere steuerten“. Auch Herbert Wehner, seinerzeit ZK-Mitarbeiter, bemerkte, daß er von den Parteiintellektuellen benutzt wurde, die sich sich seine Popularität zunutze machten, da sie wie z.B. Heinz Neumann nicht den ,richtigen‘ Klassenhintergrund mitbrachten.147

Der erste proletarische Vorsitzende der KPD, Heinrich Brandler, hingegen war denjenigen, die nach der Mitte der zwanziger Jahre eingetreten waren, kaum noch ein Begriff - höchstens als Sündenbock für den fehlgeschlagenen „deutschen Oktober“ von 1923 -, was Käthe Popall, die 1930 eine KPO-Versammlung besuchte, so darstellt: „Ich wollte ihn mal selbst hören, denn ich wußte von Brandler nur das, was man uns in der KPD erzählt hatte. Ich wußte damals nicht einmal, daß er Mitbegründer der KPD war.148

Im Hinblick auf die allgemeine Einstellung der einfachen Genossen zu den Spitzenfunktionären der Partei ist folgende Beschreibung Margarete Buber-Neumanns - die sie wahrscheinlich durch die Brille ihres Lebensgefährten Heinz Neumann gewonnen hat - doch eher mit Vorsicht zu genießen: „Mit der Zeit bildete sich bei den einfachen Kommunisten eine geradezu religiöse Ehrfurcht allem gegenüber heraus, ... was die Tätigkeit der ‚führenden Genossen‘ im Karl-Liebknecht-Haus betraf.“ Zu diesen „Ehrfürchtigen“ gehörte seiner Selbstbeschreibung nach der damals knapp über 20 Jahre alte Georg K. Glaser: „Ich stand vor dem Karl-Liebknecht-Haus und wurde es nicht satt, die rußgeschwärzten Steine anzuschauen, die anders waren, als Steine jemals sein konnten.149

Die kritischen Stimmen sind unter den Selbstzeugen leider nicht so ausgeprägt wie in anderen Quellen, wo die proletarische Neigung zu Kraftausdrücken gegenüber der Parteiführung keineswegs milder wird. Helmuth Warnke zitiert einen Genossen seiner Ortsgruppe Hamburg-Langenhorn, der Anfang 1933 - nachdem das ZK am 28.1.1933 wieder einmal die SPD als faschisierte Partei definiert hatte -, nur trocken bemerkte: „Die sind wohl da oben gar nicht mehr zu retten“. Rosa Meyer-Leviné kritisiert, daß sich die Spitzenfunktionäre der KPD nichts dabei dachten, „wenn sie sinnlose Forderungen stellten, die Arbeiter und Angestellte den Arbeitsplatz kosteten, und sogar mit sinnlosen Aufträgen Menschenleben in Gefahr brachten.150

Heinrich Galm wirft ein Schlaglicht auf die Wege, über die die Einstellungen der einfachen Mitglieder gegenüber der Führung geprägt wurden. 1928 war Willi Münzenberg nach Offenbach gekommen, um die dortige KPD-Ortsgruppe für die neue Linie der Partei zu gewinnen und sie von den ,Rechten‘ um Galm zu isolieren, wobei er die Autorität der Parteiführung ins Feld führte: „Er hatte aber nicht überlegt, daß wir diese Autorität nie gepflegt haben, weil wir sie nicht für gut hielten. Und da kam seine Berufung auf die Autorität, und sie ging in den leeren Raum.151

Ergebnis der wenn auch abstrakten, dennoch zunächst einmal grundsätzlich positiven Einstellung vieler Genossen zu den Spitzenfunktionären war der Vertrauensvorschuß, den sie ihnen einräumten. Dieser erleichterte es wiederum den einfachen Mitgliedern, sich in Streitsituationen zu entscheiden. So übernahm Paul Elflein 1924 für sich die Interpretation der neuen ,linken‘ Parteiführung um Ruth Fischer und Arkadi Maslow zur ausgefallenen deutschen Oktoberrevolution von 1923: „Was gegen Brandler vorgebracht wurde, habe ich erstmal geglaubt, ich sah keinen Grund, der Parteiführung zu mißtrauen.“ Auf der anderen Seite mußte sich eine neue Führungsgruppe immer wieder aufs Neue des Vertrauens würdig erweisen, und sie war auch nicht in der Lage es bis zum äußersten zu strapazieren. Manès Sperber benennt einen Grund für das Vertrauen vieler Kommunisten in die KPD-Führung nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise: „Sie hatte mitten in der Prosperität [als einzige, U.E.] die Krise angekündigt“.152

Ein gutes Beispiel für die Wege, über die sich mittlere Funktionäre das Vertrauen der Genossen erarbeiteten, ist erneut Heinrich Galm. Er war seit 1920 als einziges KPD-Mitglied in Offenbach Sekretär einer ADGB-Gewerkschaft und gewann über seine Gewerkschaftstätigkeit und seinen mutigen Einsatz zahlreiche Anhänger. Dieses war ein wichtiger Grund dafür, daß die Offenbacher KPD-Mitglieder nach Galms Ausschluß Ende 1928 fast geschlossen zur KPO gingen, aus der ihm 1932 wiederum viele in die SAPD folgten.153 Willi Bohn wurde 1923 als Redakteur an die „Neue Arbeiter-Zeitung“ in Hannover berufen und machte sich, nachdem er sich einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der Betriebe im Bezirk verschafft hatte, unverzüglich auf die Tour durch die Mitgliederversammlungen, um dann dort mit Hilfe seiner intimen Kenntnis der Probleme der Genossen ihr Vertrauen zu erwerben. Auf niedrigerer Ebene, als Zelleninstrukteurin, erlebte Recha Rothschild ähnliches: „Es bedurfte des geduldigen Einfühlens und unermüdlicher Konsequenz, um das Vertrauen der Genossen und Genossinnen zu gewinnen.154 Um dieses Vertrauen und sei es nur zeitweise zu verspielen, reichte es im Einzelfall schon aus, wenn ein Angehöriger der Führung eine Ortsgruppe bei einer Veranstaltung versetzte, für die er als Referent fest eingeplant war.155

Ein anderer entscheidender Aspekt war der Umgang mit den ,Beitragsgroschen‘ der Genossen, die da keinen Spaß verstanden. Thälmanns Verhalten in der Wittorf-Affäre 1928 schlug denn auch trotz aller Vertuschungsbemühungen seitens des ZK in der proletarischen Mitgliedschaft hohe Wellen der moralischen Entrüstung.156 In Warnkes Ortsgruppe - die zum Bezirks Wasserkante gehörte, dessen Polleiter Wittorf seit 1927 gewesen war -, ging das Gerücht um, die veruntreuten Gelder seien „in Nachtlokale und Spielclubs auf dem ,Kiez‘ gewandert. Ein großer Teil der Parteimitglieder ist wie ich aufs heftigste empört und fordert Konsequenzen.“ Als auf einer Parteiarbeiterversammlung am 1.10.1928 bekannt wurde, daß die Bezirksleitung (BL) sich mehrheitlich gegen Thälmanns Absetzung ausgesprochen hatte, reagierten er und seine Genossen aufgebracht: „Nieder mit der BL! Sie soll verschwinden!157

Exkurs über die Einstellung zur Sowjetunion

Thälmanns Wertschätzung in der Mitgliedschaft der KPD wurde vielleicht nur noch durch die Verehrung Lenins übertroffen. Die ehrlich vergossenen Tränen rollten im Januar 1924 anläßlich Lenins Tod reichlich. Mischket Liebermann hatte auf einer Lenin-Gedächtnisfeier im Großen Schauspielhaus in Berlin am 24.1.1924 ein Lenin-Foto erworben, das sie bei der Niederschrift ihrer Memoiren 50 Jahre später noch immer besaß und auf dessen Rückseite sie damals geschrieben hatte: „Selten war ich so ergriffen. Ich hatte ein wehes und wundes Gefühl.158 Die KPD-Führung nahm denn, um diese Emotionen alljährlich wieder erwecken und für sich vereinnahmen zu können, Lenin sofort in den KPD-Pantheon auf. Dadurch wurden aus den bisherigen Gedenkfeiern zur Wiederkehr der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Mitte Januar nunmehr „LLL-Feiern“. Problematischer war es, später der Verehrung der in Ungnade gefallenen ehemaligen Bolschewistenführer abzuhelfen, jedenfalls bei den Genossen, die z.B. noch die propagandistische Verherrlichung Trotzkis als Begründer der Roten Armee und Sieger des Bürgerkriegs erlebt hatten.

Eng mit der Lenin-Verherrlichung verknüpft war die Verehrung der Partei Lenins, der RKP/KPdSU. Georg Fischer faßt die Gefühle gegenüber ,Lenins Partei‘ so zusammen: „Die Kommunistische Partei der UdSSR war unser großes Vorbild. Darum unser Ruf ,Heil Moskau!‘“ Eine große Rolle spielte dabei das Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den Bolschewiki v.a. bei den dienstälteren Genossen, das aber auch von Späteinsteigern wie dem 1904 geborenen Günter Reimann übernommen wurde. Es bestand in der Vorstellung, die Bolschewiki - die ja zu Anfang so sehnsüchtig die Revolution in den industrialisierten Ländern und v.a. in Deutschland erhofft hatten - 1918 im Stich gelassen zu haben, und damit sozusagen den Bärenanteil der Probleme im nachrevolutionären Rußland auf die eigene Kappe nehmen zu müssen: „Meine Freunde und ich fühlten uns schuldig für die Misere in der Sowjetunion. ... Wir hatten in Deutschland ,versagt‘. Auf sich allein gestellt, isoliert, mußten Lenin und die Bolschewiki in eine furchtbare Lage geraten."159

Eine spannende Frage ist nun, inwieweit diese Mischung aus Verehrung und Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den Bolschewiki auch die Bereitschaft mit sich brachte, jene Anordnungen der KPD-Führung, die aus der von den Bolschewiki dominierten KI kamen, besonders bereitwillig umzusetzen. Paul Elflein jedenfalls behauptet das: „Vor allem, wenn etwas aus Moskau kam, haben wir uns auf die Autorität der russischen Partei verlassen.“ Zweifel kommen allerdings auch hier wieder auf, wenn man einen Blick in die anderen Quellen wirft. Vielen einfachen KPD-Mitgliedern, die nicht so engagiert waren wie Elflein - der sich 1928 schließlich auch selbst nicht mehr auf die russische Autorität verlassen wollte und deshalb ausgeschlossen wurde -, war im Einzelfall gar nicht bewußt, welchen Hintergrund bestimmte Anordnungen hatten, ob sie von der Bezirksleitung, in Berlin oder in Moskau ausgeheckt worden waren. Die Parteiführung gab sich zwar Mühe, etwa die Beschlüsse der KI-Weltkongresse über Broschüren, Schulungen oder in Mitgliederversammlungen zu popularisieren, aber das ging doch an den meisten Genossen vorbei. Und es gab auch noch andere Stimmen, die im großen Einfluß der Partei der Oktoberrevolution nicht nur Positives sahen, zu denen Martin Muschkau gehörte, der diesen Zusammenhang wie folgt beschreibt: „Die KPD lief in jenen Jahren Gefahr, zum bloßen Wurmfortsatz der KPdSU(B) zu werden.160

Einer Messung der exakten Wirkung der sowjetischen Herkunft bestimmter Anordnungen auf ihre Umsetzung durch die Parteibasis sind also enge Grenzen gesetzt. Das Sowjetunion-Bild der allermeisten Genossen, wenn sie nicht gerade - wie Georg Fischer - vom Anarchosyndikalismus zur KPD gestoßen waren, war nichtsdestotrotz positiv. Eine Ursache dafür lag darin, daß es für die meisten Genossen nahezu unmöglich war, sich der umfassenden Maßnahmen der KPD-Führung zur Popularisierung der Entwicklung - insbesondere die Verherrlichung des industriellen Aufbaus im Rahmen des ersten Fünfjahresplans nach 1928 - zu entziehen. Die Mitglieder wurden spätestens seit 1921, dem Gründungsjahr der „Arbeiterhilfe für Rußland“ (später „Internationale Arbeiterhilfe“), aus der dann Münzenbergs Medienkonzern hervorging, mit Vorträgen, Artikeln, Bildern, Filmen und Büchern über die Sowjetunion bombardiert, wobei v.a. Münzenbergs „Arbeiter-Internationale Zeitung“ hervorstach.161

Das Echo dieser auf jeden Zweifel verzichtenden Berichterstattung läßt sich in den Selbstzeugnissen sehr gut ausmachen. Arthur Koestler bringt die Einstellung der wohl meisten Genossen auf den richtigen Punkt. Sie betrachteten die Sowjetunion als ein „Über-Amerika, beschäftigt mit der Erfüllung der gewaltigsten historischen Aufgabe und vibrierend von Tatkraft, Tüchtigkeit und Enthusiasmus.“ Tetje Lotz beschreibt die vorherrschende Einstellung der Mitglieder an der Basis zur Oktoberrevolution und die Euphorie über den industriellen Aufbau: „Ich wurde mir erst über die Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution klar, als ich Näheres darüber auf RFB-Versammlungen erfuhr. ... Das waren für uns Beispiele dafür, daß die Arbeiterklasse siegen konnte und siegen würde. Als dann der erste Fünfjahresplan verkündet wurde, war der Jubel der Genossen groß und viele Zweifler sahen: Ja, so muß man es machen!“ Gottfried Grünberg hingegen vergaß bei aller Begeisterung nicht, Zustände kritisch zu betrachten, die er als Arbeiter in Deutschland nicht ertragen hätte, und hielt die Subbotniki, die scheinbar freiwilligen Arbeitseinsätze, dementsprechend für „Ausbeutung“. Jan Valtin überliefert die Meinung eines kommunistischen deutschen Schiffsingenieurs, mit dem er Anfang der dreißiger Jahre zwei Schiffe in die Sowjetunion überführte, der schockiert war über den gleichgültigen Umgang der sowjetischen Matrosen mit ihrem Produktionsmittel und meinte: „Wartet nur, bis wir ein Sowjetdeutschland haben - dann werden wir den Moskowitern zeigen, was sozialistische Leistungsfähigkeit ist.162

* * *

Kommen wir zurück zur Einstellung gegenüber den KPD-Führern. Unabdingbare Voraussetzung für die Meinungsbildung an der Basis war, daß man sich als einfaches Mitglied überhaupt einen Überblick verschaffen konnte. Aber: „Die Debatten auf der Führungsebene interessierten an der Basis nur mäßig oder überhaupt nicht. Das jahrelange Ringen um die Linie der Partei ging bei vielen, vielleicht sogar den meisten Mitgliedern über die Köpfe hinweg, weil sie die Diskussionen nicht verstanden und als ,Führergezänk‘ abtaten, aber auch weil sie ihre Interessen nicht angesprochen sahen.163 So trat Marie Torhorst, die der KPD seit längerer Zeit nahestand, ihr nicht bei, weil „die damaligen, für mich undurchsichtigen Auseinandersetzungen in der KPD-Führung mich unsicher gemacht hatten.164

Rosa Meyer-Leviné kannte sich einigermaßen in den Diskussionen aus, da sie mit Polbüro-Mitglied Ernst Meyer verheiratet war, konnte aber die Probleme der einfachen Genossen nachvollziehen, die sie damit hatten, sich ein Bild davon zu machen: „Nicht jedes Parteimitglied hatte schließlich ein Mitglied des Polbüros als Informationsquelle in seiner persönlichen Verfügung.“ Käthe Popall mußte wie die allermeisten ohne ein solches auskommen: „Es war für uns, die wir erst [spät, U.E.] zur kommunistischen Bewegung gekommen waren, außerordentlich schwer, die Politik des ZK zu verstehen. Wir begriffen die Ablösungen [von Funktionären, U.E.] nicht. Wir wußten nicht einmal genau, worin sich die Links- von der Rechtsfraktion der KPD unterschied.“ Walter Janka wurde, um seine Eignung für die Lenin-Schule zu erweisen, zu seiner Meinung über Heinz Neumann befragt, wozu er nichts sagen konnte, denn „wir erfahren über den Streit in der Parteiführung zuwenig. Was davon zu uns kommt, stiftet mehr Verwirrung als Klarheit. Wir verstehen auch nicht, warum wir heute so und morgen wieder anders orientiert werden.“ Ernst Carlebach erfuhr erst 1931, daß es nicht nur eine Haltung in der Parteiführung gab - nämlich die Thälmanns -, wie er „ganz naiv angenommen“ hatte, was ihn gehörig irritierte.165

Wie schon kurz erwähnt, ging Thälmanns Popularität in der Partei auch auf seine Rolle im Hamburger Aufstand von 1923 zurück - oder vielmehr auf die durch die KPD-Medien verbreitete Legende. Denn die wenigen Selbstzeugen, die - wie Walter Zeutschel - 1923 selbst Zeugen des Aufstands und seiner Vorbereitung wurden, haben kein besonders positives Bild von Thälmanns Beteiligung: „Er, ... der selbst am Hamburger Aufstand in keiner Weise teilgenommen hatte, sondern hübsch weit vom Schuß geblieben war, wurde als Verkörperung des Hamburger Barrikadenkampfes gefeiert, weil er der Hamburger Partei entstammte.“ Karl Retzlaw meint, Thälmann, der „Kneipen-Großredner“, wäre gar nicht in die Revolutionsplanungen eingeweiht worden, weil er Probleme mit dem Alkohol gehabt hätte. Und er kritisiert die „sinnlos heroisierende Darstellung der Ereignisse“ in Hamburg durch die kommunistische Presse. Gerade die war aber durchaus erfolgreich, und zwar insbesondere in bezug auf die später, in der revolutionären Saure-Gurken-Zeit nach 1923 eingetretenen jüngeren Mitglieder. Georg Fischer war denn auch aus der Ferne des bayerischen Ingolstadt hingerissen: „Der Bericht über den Hamburger Aufstand ließ unsere Herzen glühen.“ Als das Abenteuer zu Ende war, hatten die meisten Genossen wie z.B. Oskar Hippe zunächst vollauf mit ihrer Enttäuschung zu kämpfen.166

Spannender als die Einstellungen zum Hamburger Aufstand sind die durchaus kontroversen Auffassungen in der Mitgliedschaft zum ZK-Beschluß vom 22.7.1931, eine Kehrtwendung um 180 Grad zu machen, und sich an den von DVP, DNVP und NSDAP unterstützten Volksentscheid des „Stahlhelms“ zur Auflösung des preußischen Landtags anzuhängen. Damit werden zugleich die Einstellungen zur Sozialdemokratie - zwischen den Polen Sozialfaschismus-Theorie und Einheitsfrontwille - und zum Aufstieg der NSDAP berührt. Mitte Juli 1931 hatte die KPD-Führung das Stahlhelm-Volksbegehren noch als „Volksbegehren der Reaktion“ bezeichnet, bei dem eine Teilnahme der KPD „selbstverständlich ausgeschlossen“ sei.167

Lange wurde trotz der evidenten Mobilisierungsprobleme der KPD zum Stichtag des Volksentscheids am 9.8.1931, und zwar gerade in den Hochburgen wie dem Berliner Wedding, Webers Interpretation der innerparteilichen Vorgänge als gültig angesehen: „Die Partei war inzwischen so zentralisiert und diszipliniert, daß jede Wendung akzeptiert wurde.168 Sicher, es gab kaum offenen Widerspruch gegen die Wendung des ZK, aber allenthalben - in den KPD-generierten Quellen und den Selbstzeugnissen - finden sich Unzufriedenheit und Verärgerung unter den Mitgliedern. „Die Massen konnten die Partei nicht mehr verstehen“, bilanziert Willi Dickhut. Helmuth Warnkes Ortsgruppe hatte im zu Preußen gehörenden Langenhorn gemeinsam mit der SPD gegen den Volksentscheid agitiert wobei man sich auch wieder näher gekommen war - jedenfalls bis zum Beschluß des ZK: „Diese ,Idylle‘ wird durch einen Beschluß des Zentralkomitees der KPD vom 22. Juli, sich an dem Volksentscheid gegen die Severing-Braun-Regierung zu beteiligen, brutal zerstört“. Manès Sperber begann innere Distanz zur Parteiführung aufzubauen, als er davon erfuhr: „Von da an nahm ich ihre Reden zwar mit Respekt vor ihrer revolutionären Überzeugung auf, aber nur mit sehr beschränktem Zutrauen zu ihrer Urteilskraft“. ZK-Mitarbeiter Herbert Wehner wußte genau, was der Beschluß an der Basis anrichtete: „Es ist mir unvergeßlich, in welch schmähliche Lage die Partei und ihre vielen Arbeiterfunktionäre dadurch versetzt wurden.“ Und ZK-Mitglied Willi Münzenberg benannte im vertraulichen Gespräch den Grund dafür: „Man könne den Genossen, die täglich damit rechnen müssen, von den Nationalsozialisten erschlagen zu werden, ein solches Zusammengehen niemals begreiflich machen.“ Genau das war nämlich die Haltung vieler Genossen an der Basis - daß es angesichts des Nazi-Aufstiegs wie Faulhaber es ausdrückt „um Sein oder Nichtsein ging.169

In diesem Prozeß ging denn auch die SPD bei vielen Genossen ihrer Rolle als „Hauptfeind“ verlustig. Bei vielen anderen mußte sie es erst gar nicht, denn sie waren immerhin Marxisten oder Arbeiter genug, um zu wissen, daß der ,Hauptfeind‘ auf der anderen Seite stand. Dazu Helmuth Warnke: „So sehr die Parteibasis auch darauf gedrillt ist, in der SPD den ,Hauptfeind‘ zu sehen, fühlt sie instinktiv doch, was es bedeuten würde, wenn es den Faschisten gelänge, auf legalem Wege sozialdemokratische Länderregierungen zu beseitigen.“ Willy Sägebrecht sagt ganz richtig: „Der Terror der Nazis führte die Arbeiter zusammen.170

Und das geschah trotz der hergebrachten kritischen Einstellung vieler Kommunisten zur SPD oder ihren Führern. Für Helmut Damerius machten die SPD-Führer „schon lange keine Arbeiterpolitik mehr“. Johann Reiners bringt die für meine Begriffe reflektierteste Erklärung, indem er auf jeden Überbau verzichtet und einfach feststellt, daß die SPD-Taktik des kleineren Übels „nicht meinem Naturell“ entsprach. Die Haltung vieler Jungkommunisten wird wieder von Damerius am besten wiedergegeben: „Unser Haß auf die Verräter in der sozialdemokratischen Spitze übertrug sich auf die einfachen Mitglieder dieser Partei. Wir haßten ihre Inkonsequenz, ihr Zögern, ihr endloses unentschlossenes Warten. Sie hatten Angst, sich zu entscheiden. ... und es wollte nicht in ihren Kopf hinein, daß sie Verrat übten.171

Einfühlungsvermögen in andere Sichtweisen und eine entsprechende Toleranz war nicht die starke Seite vieler Genossen. Willi Dickhut erfuhr auch erst aus einem Buch des als ,Rechten‘ geschaßten August Enderle, daß die „Reformisten-Führer“ keine „bewußten Verräter“ seien. Heinz Hoffmann wußte das aus eigener Anschauung und hielt ihm bekannte sozialdemokratische Betriebsräte für v.a. „ehrliche und klassenbewußte Arbeiter“, die nur einen anderen Weg zum Sozialismus wollten als die Kommunisten.172

Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Lagern in der Arbeiterbewegung trug Probleme in viele Familien, in denen Sozialdemokraten und Kommunisten vereint waren. Mir scheint aber evident, daß die Form der Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Brüdern, Vätern und Söhnen mehr von nichtpolitischen Aspekten bestimmt war. So war das Verhältnis zwischen Gerd Horseling und seinem sozialdemokratischen Vater, auf den er auch in der Gocher Stadtverordnetenversammlung traf, irreparabel gestört, während Max Faulhabers Verhältnis zu seiner sozialdemokratischen Familie ungetrübt blieb.173

Entscheidendes Einzelereignis für die Akzeptanz der Sozialfaschismustheorie - die 1927/28 Allgemeingut in der KI wurde - bei Teilen der KPD-Mitgliedschaft war mit Sicherheit der Berliner „Blutmai“ von 1929,174 der nach Meinung von Karl Retzlaw „den Graben innerhalb der Arbeiterbewegung weiter“ aufriß und „ihn schwer überbrückbar“ machte. Helmuth Warnke war spätestens nach dem Ausfall eines internationalen Frontkämpfertreffens infolge des RFB-Verbots durch die sozialdemokratische Landesregierung Hamburgs 1929, die zugleich aber seiner Meinung nach dem „Stahlhelm“ alle Freiheiten gewährte, von der Richtigkeit der antisozialdemokratischen Linie überzeugt: „Klar, daß diese Erfahrungen mit der SPD-Politik mich gegen sie aufbringt. Einleuchtend ist für mich die Definition der Parteiführung“ der SPD als Hauptfeind. Auch Emil Carlebach sieht in der „Sozialfaschismus“-Theorie - die Moskauer Strategen als Urheber ignorierend - eine „Folge von Zehntausenden Mordtaten im Interesse des kapitalistischen Staates“, „der ohnmächtigen Wut der Opfer“ sozialdemokratischer Minister, Offiziere und Polizeipräsidenten. Durchaus folgerichtig war er daher als Schüler ohne Wurzeln in der Arbeiterbewegung und ohne Alltagskontakte zu Sozialdemokraten davon „überzeugt, daß die ,Sozialfaschisten‘ der schlimmste Feind seien“.175

Viel zahlreicher allerdings sind die kritischen Stimmen zur Sozialfaschismus-Theorie in den Selbstzeugnissen.176 Wir haben ja oben schon erfahren, daß sich Helmuth Warnke durch seine Erfahrungen mit sozialdemokratischen Polizeipräsidenten nicht davon abhalten ließ, mit SPD-Mitgliedern gegen den Stahlhelm-Volksentscheid zusammenzuarbeiten. Martin Muschkau bringt die Sache auf den Punkt: „Warum sollten meine Arbeitskollegen, die mit mir das Brot teilten und die mit mir an der Stempelstelle des Arbeitsamtes standen, Klassenfeinde sein? Nur weil sie Mitglied der SPD waren?“ Heinz Zöger, Mitglied der „Jungen Garde“ - der Jugendorganisation der „Antifaschistischen Aktion“ -, kannte sozialdemokratische Arbeiter und wußte, „wie absurd und ungeheuerlich der Vorwurf ist“, den die KPD-Führung mit der Sozialfaschismus-Theorie der SPD machte.177

Über die Haltung von Führung und Basis der KPD zur Sozialfaschismus-Theorie sind sich auch Johann Reiners und Erich Honecker weitgehend einig: „Wir, ja, wir einfachen Muschkoten an der Basis - uns war es ernst mit der Einheit. Den Spitzen von SPD und KPD ging es mehr darum, den anderen taktisch zu überrunden.“ Und: „Es war ja nicht direkt Feindschaft zwischen uns, es war mehr die Feindschaft zwischen Theoretikern.“ Die proletmoralische Wertschätzung der Einheit war eben nicht nur auf die eigene Partei gerichtet - wie oben zu sehen war - sondern als gemeinsames Gut auch auf die Arbeiterbewegung als Ganzes.178 Max Faulhaber und Gerd Horseling als führende Lokalfunktionäre gingen sogar so weit, wenn schon nicht die „Einheitsfront von oben“ zu bilden - die für das ZK dem Leibhaftigen gleichkam -, so doch in der Endphase der Weimarer Republik einen Burgfrieden mit der lokalen SPD zu schließen: also z.B. den Sozialdemokraten bei Demonstrationen den Vortritt zu lassen oder die Mitführung kontroverser Transparente zu vermeiden.179

VI. Die praktischen Aspekte des Parteialltags

1 Der theoretische Ansatz

In vielen Untersuchungen zur Parteien- und Organisationsgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung dominiert „eine metaphorische, anthropomorphe Denkweise über Parteien als handelnde Akteure mit eindeutigen Zieloptionen und zentral gesteuerter, rationaler Mittelwahl“.180 Diese hat zwar den Vorteil des geringeren intellektuellen Aufwands, führt aber zu einer gewissen Einseitigkeit und schließlich zu einer totalen Verkennung des Beitrags der Parteibasis. Folgt man Winkler, kann im Grunde die Basistätigkeit in der Weimarer KPD vernachlässigt werden, da ihr Einfluß auf „die ,große Politik‘“ unbedeutend war.181 Was immer unter „großer Politik“ zu verstehen ist: Diese Behauptung ist zumindest voreilig, da eine systematische Untersuchung der Willensbildung in der KPD noch gar nicht existiert.182

Anders als leider die Historiker haben Politikwissenschaftler und Soziologen schon vor einiger Zeit die Notwendigkeit erkannt, die Basistätigkeit in Parteien zu untersuchen. Sie haben zu diesem Zweck eine Reihe von Konzepten entwickelt, die in den meisten Fällen noch der historiographischen Anwendung harren.183 Die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Untersuchungen unterstreichen die Bedeutung des Basisbeitrags bei der innerparteilichen Willensbildung und Parteientwicklung. Der Politologe Lammert begründet die Relevanz einer Beschäftigung mit der Tätigkeit der Parteibasis mit drei triftigen Argumenten: „Die Leistungsfähigkeit einer Parteiorganisation entscheidet sich im wesentlichen auf unterer, also kommunaler Ebene.“ Die lokalen Parteiorganisationen sind „die unmittelbare Nahtstelle“ zwischen den Parteien und der Öffentlichkeit. Und sind sie das „einzig verfügbare Partizipationsfeld der großen Mehrheit ihrer Mitglieder“.184

Ein fundamentalerer Ansatz kennzeichnet die Handlungstheorie von Michel Crozier und Erhard Friedberg, die den theoretischen Ausgangspunkt für die diesem Beitrag zugrunde liegenden Annahmen über das Verhalten in Organisationen bildet. Ihre zentrale These formulieren sie wie folgt: „Es gibt keine völlig geregelten und kontrollierten sozialen Systeme.“ Akteure in diesen Systemen, also z.B. auch die Akteure in Organisationen, sind „Akteure, die im Rahmen der ihnen ,vom System' auferlegten, oft sehr starken Zwänge über einen Freiraum verfügen, den sie auf strategische Weise in ihren Interaktionen mit den anderen verwenden.“ Macht ist demnach „eine Tausch- und also eine Verhandlungsbeziehung“.185 Anzunehmen, daß ausgerechnet die KPD mit diesen sozialwissenschaftlichen Konzepten nicht zu untersuchen wäre, gibt es keinen Grund - schon gar nicht der so häufig seitens der Parteiführung beanspruchte oder später seitens der Forschung behauptete „monolithische“ Charakter der Partei.

Ich betrachte daher Organisationen als Feld eines unausgesetzten Aushandlungsprozesses. Strukturen handeln nicht. Es sind immer Menschen, die Strukturen nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen gestalten - also aufbauen, aufrecht erhalten, modifizieren oder abschaffen. Wenn sie im Sinne der Strukturen handeln, handeln selbstverständlich sie und nicht die Strukturen. Strukturen, selbst wenn sie mitunter relativ dauerhaft und auch gegen die Intentionen relevanter Gruppen von Akteuren existieren, können doch sinnvollerweise nur prozeßhaft gedacht werden. Strukturen definieren zwar den Handlungsrahmen und beschränken die den Akteuren zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen, aber selbst um das zu tun, benötigen sie das Handeln von Menschen.

Weiterhin gehe ich davon aus, daß die Basisorganisationen - also die satzungsmäßig kleinsten Organisationseinheiten - auf ihrem Gebiet relativ autonom sind, und zwar v.a. aus zwei Gründen: erstens verfügen nur sie über das nötige lokalpolitische Know-How und kennen die Zustände vor Ort, während es den Apparat der Parteiführung ins Unermeßliche und Unfinanzierbare aufblähen würde, alle vor Ort jeweils relevanten Informationen selbst zu erheben und zu verwalten,186 und zweitens können sie den durch die Beschaffenheit menschlicher Sprache bedingten Spielraum zur konkretisierenden Interpretation der von oben kommenden Anweisungen ausnutzen - die nicht nur auslegungsfähig, sondern auslegungsbedürftig sind.

2 Beitritt und Mitgliedsbeiträge

Wie sah nun der Weg aus, auf dem der Beitritt zur Partei technisch vollzogen wurde, wenn man nicht über eine Organisation wie die linke USPD kollektiv beitrat oder zu den zwanzig Selbstzeugen gehörte, die zu den Gründungsmitgliedern der KPD zu zählen sind? Prinzipiell lassen sich die Wege des Parteibeitritts nach Niedermayer in zwei Gruppen aufteilen: In die Selbst- und in die Außenrekrutierung.187 Bruno Retzlaff-Kresse etwa brauchte sich um seinen Beitritt, den er am 4.7.1930 vollzog, nicht zu bemühen. Ein kommunistischer Genosse aus dem „Verband proletarischer Freidenker“ in Stettin meinte, er gehöre „schon lange zu uns“, und gab ihm einen Aufnahmeschein. Die wenigen anderen Selbstzeugen, die ausführlicher über ihren Beitrittsweg berichten, gingen von sich aus auf Parteifunktionäre zu. Mischket Liebermann tat dies im Rahmen einer kommunistischen Antikriegskundgebung am 1.8.1925 im Berliner Lustgarten, wo sie den Politischen Leiter des Unterbezirks Berlin-Mitte um Aufnahme bat. Für Axel Eggebrecht, einen 21jährigen Bürgersohn mit abgebrochenem Studium, war es 1920 schon schwerer, aufgenommen zu werden. Nachdem er sich die Adresse des zuständigen Wohnbezirksleiters besorgt hatte, vertröstete der ihn zunächst. Schließlich mußte er vor einer Zellenversammlung, die wohl vorher über seinen Beitrittswunsch diskutiert hatte, über seine Motive Rede und Antwort stehen, worauf man ihn dann doch als neuen Genossen akzeptierte. Zeitweise mußte ein Beitrittswilliger zwei langjährige Genossen als Bürgen benennen, was wohl v.a. der Abwehr von Spitzeln dienen sollte. Auf diese Weise kam 1920 der 18jährige Heinz Neumann in die Partei, für den Karl Retzlaw gebürgt hatte.188

Das in der Literatur und in den KPD-generierten Quellen im Zusammenhang mit dem Parteibeitritt vorherrschende Problem läßt sich verständlicherweise in den hier herangezogenen Quellen nicht finden - das der Fluktuation.189 Mit ihr hatte die KPD zeit ihrer Existenz zu kämpfen, und sie nahm nach 1929 geradezu katastrophale Ausmaße an, als es kaum noch gelang, die neu eingetretenen Mitglieder zu integrieren. 1931 betrug die Fluktuation 38 % und 1932 sogar 54 %.190 Die in der Literatur darüber verbreiteten Thesen weisen v.a. auf zwei Zusammenhänge hin, über die Sigmund Neumann in seiner Untersuchung über die Parteien in der Weimarer Republik von 1932 das Wesentliche schon gesagt hat: Er führte die Fluktuation auf die „eigenartige ... Werbemethode“ der KPD zurück. Nach seiner Ansicht beruhten Eintritte auf „der augenblicklichen Begeisterungsstimmung“ nach aufrüttelnden Reden, die aber nicht anhalte, „vor allem nicht, wenn durch die Zugehörigkeit zu den verschiedenen kommunistischen Verbänden eine zeitliche Inanspruchnahme und dauernde, starke finanzielle Belastung entsteht.191

Diese problematische Eigenart der Mitgliederwerbung wurde nach 1929 noch verschärft, da die leitenden Funktionäre als hingebungsvolle Anhänger sowjetischer Planwirtschaft den Basisorganisationen Sollzahlen über zu werbende neue Genossen vorlegten. Diese Vorgaben waren wohl nicht nur im Ausnahmefall völlig überzogen - nahm doch so mancher ,Werbestratege‘ an, daß sämtliche KPD-Wähler auch leicht als Parteimitglieder gewonnen werden könnten -, weshalb die die Genossen an der Basis einige Findigkeit entwickeln mußten, um sie zu ,erfüllen‘. Margarete Buber-Neumann beschreibt die Auswege, die man sich dabei einfallen ließ: „Um diese Werbung anzufeuern, wurden den einzelnen Zellen ,Solls‘ gestellt, die erfüllt werden mußten. Die Zellen traten in einen Wettbewerb. Die Folge aber war, daß bei der Werbung Hinz und Kunz aufgenommen wurden, um vor der Partei192möglichst gut abzuschneiden. Bei näherer Prüfung stellte sich dann oft heraus, daß der Aufgenommene entweder überhaupt nicht existierte oder nichts von seinem Glück wußte, Mitglied der KP geworden zu sein.“ Einen anderen Aspekt der kommunistischen Werbemethoden anfangs der dreißiger Jahre beleuchtet Georg K. Glaser: „Viele gute alte Genossen wurden rot vor Scham, wenn ein Marktschreier zur Aufnahmeerklärung in die der Partei angegliederten Gewerkschaften und Wehrverbände anfeuerte: ,Dreißig, einunddreißig, zwei-, drei-, vierunddreißig - es fehlen noch sechsundzwanzig bis zum gesteckten Ziel - wer wagt den Schritt - wer will noch etwas für seine Klasse tun - ahaaaah, fünf-, sechs- siebendunddreißig.‘ Oder wenn die dicke Reichstagsabgeordnete [Maria, U.E.] Reese schrie: ,Ich gehe nicht eher von der Bühne, bis sich dreißig Arbeiter in die Partei eingeschrieben haben‘".193

Im Prinzip sollten die Neuen sofort zur Parteiarbeit herangezogen werden - wie etwa Martin Muschkau, kurz nachdem er 1928 einer Straßenzelle in Hannover-Vahrenwald beigetreten war: „Wer in jener Zeit Mitglied der KPD wurde, mußte damit rechnen, daß er schnell in die Parteiarbeit einbezogen wurde. So erging es mir auch.“ Mehringer verweist in seiner Studie über die bayerische KPD darauf, daß die Erwartungen an das Engagement neuer Mitglieder „traditionellerweise besonders hoch“ waren. Das bedeutete konkret, daß man sich sofort aktiv am Verteilen von Flugblättern, Malen von Transparenten sowie an Demonstrationen und Mitgliederversammlungen zu beteiligen hatte. Die dahinterstehende Erwartung der Parteiführung beschreibt Margarete Buber-Neumann treffend: „Ein Kommunist hatte mit seinem Eintritt in die Partei, soweit es irgend ging, auf sein privates Leben zu verzichten.“ Aber dies ist, wie so oft, nur die eine Seite. Die Äußerungen in den KPD-generierten Quellen über die Einbindung neuer Mitglieder zeichnen ein differenzierteres Bild. Um einen Kontrapunkt zu setzen, sei nur aus einer Rede des Berliner Organisationsleiters Paul Langner auf einer Konferenz mit seinen Kollegen aus den Bezirken am 11.5.1930 zitiert. Dort beschwerte er sich darüber, „daß die neu gewonnenen Mitglieder nicht schnell genug ihre Karten bekommen, da8 heute noch beispielsweise es Arbeiter gibt, die ihre Mitgliedskarte nicht haben, die aber schon am 17. Nov. ihren Beitritt zur Partei erklärten.“ Außerdem wies er auf Dutzende von Briefen neu aufgenommener Mitglieder hin, in denen diese reklamierten, „daß sie nicht wissen, wo ihr Zellenlokal ist, wo ihr nächster Funktionär wohnt usw.194

Wenn der neue Genosse dann mit der Entrichtung des „Eintrittsgeldes“ erfolgreich beigetreten war,195 bekam er sein Mitgliedsbuch oder seine vorläufige vierseitige Mitgliedskarte in die Hände gedrückt. Letzere enthielt in der Ausgabe von 1925 auf dem Deckel ein Feld für die Beitrittsmarke und im Innenteil Felder für die Beitragsmarken für ein Jahr.196 Hatte man sich dieses eine Jahr bewährt, konnte man auf ein Mitgliedsbuch umsteigen und sich somit als vollwertiges Mitglied fühlen.

Den meisten Raum im Mitgliedsbuch nahmen die Felder ein, in die die Beitragsmarken eingeklebt wurden. Alle Beiträge wurden per Marken quittiert. So enthielt beispielsweise das Mitgliedsbuch von 1923 auf fünf Seiten Rubriken für einzuklebende Marken mit je zwölf Reihen und fünf Spalten, wobei die rechte Spalte jeder zweiten Zeile für die „Internationalen Marken“, die der Finanzierung der KI-Arbeit dienten, reserviert war.197 Die nächsten 4 Seiten waren für Sonderbeitragsmarken vorgesehen.198 In dem mir vorliegenden Exemplar waren zwei Marken mit den Köpfen Liebknechts und Luxemburgs zur Finanzierung des Reichsparteitags von 1923 und eine mit dem Bildnis Trotzkis für den „Kampffonds der KPD“ eingeklebt worden.

Der Wochenbeitrag betrug nach dem Beschluß des Parteitags von 1923 einen durchschnittlichen Stundenlohn. Diesen legten die Bezirksleitungen auf Grundlage des regionalen Lohnniveaus eigenständig fest. Er betraf allerdings nur die 1. Beitragsklasse, die für männliche Vollarbeiter eingerichtet worden war. Daneben gab es meistens, je nach Bezirk, noch mindestens zwei weitere Beitragsklassen für Schlechterverdienende und Arbeitslose sowie farblich unterschiedene Frauenmarken.

Gerade weil die KPD ohnehin kontinuierlich in finanziellen Kalamitäten steckte, immer mehr ausgab als sie einnahm, traf sie die Hyperinflation von 1923 besonders hart - wie ja auch andere Arbeiterorganisationen an der Grenze zum Bankrott operierten. Zwar wurden die Beiträge laufend angehoben - im Bezirk Pommern stieg der Obolus zur ersten Beitragsklasse von 75 M im Februar 1923 auf eine Million M in der vierten Septemberwoche199-, doch war die Parteiorganisation generell viel zu unflexibel, um auf die Dynamik der Geldentwertung angemessen reagieren zu können. Dies hing - wie Robert Neddermeyer (1923 Politischer Leiter des Unterbezirks Bielefeld) zeigt - mit der Art und Weise zusammen, in der die Beiträge erhoben wurden: „Man muß sich einmal den langen Weg vorstellen, den die Parteibeiträge zurückzulegen hatten: vom Unterkassierer zum Kassierer und dann zum Hauptkassierer der Ortsgruppe. Wenn die Beiträge schließlich beim Genossen Kikilus in der Unterbezirksleitung ankamen - oftmals aus ganz entlegenen Orten -, war das Geld wertloses Papier.200 Wahrscheinlich ist die KPD 1923 nur durch die Dollars, die ihr die russischen Genossen zusteckten, dem Bankrott entronnen.

Mit dem Posten des Unterkassierers, zuständig für zehn bis fünfzehn Genossen, wurden in der Regel neu aufgenommene Mitglieder betraut. Er war sozusagen die unterste Sprosse der Karriereleiter.201 Daher mußten die Bezirks- und Reichskassierer immer wieder Anweisungen zur Kassierung herausgeben, was aber kaum etwas daran geändert haben wird, daß im unteren Kassiererapparat doch eher gutwillige Inkompetenz vorherrschte; ganz zu schweigen von der Versuchung, die eigene Kasse über die eingesammelten Beiträge aufzubessern, was ein Dauerproblem wurde.202 Willi Dickhut bekam zehn Tage nach seinem Beitritt am 7.3.1926 durch einen Genossen sein Mitgliedsbuch gebracht und wurde von ihm gleich zum Kassieren der 18köpfigen Straßenzelle eingeteilt. Auch Alfred Spitzer wurde gleich auf der ersten KPD-Mitgliederversammlung, die er besuchte, zum Unterkassierer promoviert. Der Unterkassierer kam viel in der Partei herum und war nach den Erfahrungen Isaac Abuschs, der diesen Posten 1928 innehatte, so etwas wie die persönliche Klammer zwischen den Genossen. Oder wie es die „Richtlinien über die Beitragskassierung“ der Zentrale von 1924 ausdrückten: „Für viele Mitglieder ist der Hauskassierer die Partei“.203

Aber selbst in finanzpolitisch ruhigen Zeiten waren die Beiträge ein unaufhörliches Gesprächsthema; konnte doch wohl kein einziger KPD-Bezirk nur für ein einziges Jahr von sich sagen, die Genossen hätten ihre Beiträge „voll und laufend geklebt“.204 Babette Groß etwa, seit 1920 KPD-Mitglied, bekam am 7.8.1925 durch das Schiedsgericht des Berliner KPD-Bezirks eine scharfe Rüge erteilt, weil sie ausweislich ihres Mitgliedsbuchs von Februar bis August 1925 keine Beiträge gezahlt hatte.205 Aber so ging es nur im Ausnahmefall zu. Von der üblichen Einzugsmethode berichtet Axel Eggebrecht: Als frischgebackenes Mitglied der Ortsgruppe Berlin-Wilmersdorf wurde er zu den Genossen geschickt, um das Geld einzutreiben, wo er „überall ... das mühsam in Ordnung gehaltene Elend“ vorfand. Dabei wird er wohl nicht allzuviel zusammen bekommen haben, denn je länger ein Genosse in Rückstand geriet, desto höher wurde natürlich die nachzuzahlende Summe und desto schwerer für ihn, diese in einem Stück aufzubringen.206

Da die KPD sich nicht aus ihren Mitgliedsbeiträgen allein finanzieren konnte, versuchte die Führung einerseits den Mitgliedern weitere Gelder abzuknöpfen - viele Bezirksleitungsfunktionäre waren offenbar der Ansicht, die Genossen hätten ihnen mit dem Beitritt auch die Verfügungsgewalt über ihr Portemonnaie übertragen - und andererseits auf traditionell sozialdemokratische Weise die proletarische Solidarität anzuzapfen. Vor jeder größeren Kampagne, die die KPD durchführen wollte, wurden die Genossen mit Sammelbüchsen oder -listen in die Betriebe und Straßen oder Häuserblocks geschickt, um die nötigen Geldmittel zusammenzutragen.

Des weiteren gaben nicht nur die obersten Leitungsgremien von Fall zu Fall Sondermarken heraus, die die Mitglieder den Sympathisanten verkaufen sollten. So versuchte das ZK 1925, eine schmerzende Unterfinanzierung durch die „Partei in Not“-Kampagne zu beheben. Die Genossen sollten von November 1925 bis Januar 1926 die unrealistische Summe von einer Million Reichsmark sammeln, jedes Mitglied zwanzig Marken zu 0,50 RM verkaufen, weil - wie es hieß - ansonsten ein weiterer Abbau des Parteiapparates drohe.207 Willy Sägebrecht, seit 1929 Stadtverordneter im brandenburgischen Liebenwalde, bat die Bürger, die ihn wegen ihrer Probleme mit Pachtsätzen, Steuern, Pfändungen oder Rentenanträgen aufsuchten, als Dank für seine Hilfe Solidaritätsmarken für die Anschaffung eines Abziehapparats für die Ortsgruppe zu kaufen.208

Ein spannendes Kapitel im Zusammenhang mit der Beitragskassierung sind die internen Konjunkturen der Beitragsdisziplin. Sicher wurde die Summe der Beitragseinnahmen der KPD, abgesehen von der Entwicklung der Mitgliederzahl, wohl am meisten durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt. Den zunehmenden Arbeitslosenanteil an der wachsenden Mitgliedschaft der frühen dreißiger Jahre spürte man sehr wohl in der Kasse - nicht zuletzt auch weil das Mitgliederwachstum die Kosten in die Höhe trieb. Auch lokale oder regionale Entwicklungen konnten ein ziemliches Loch in die Ortsgruppenkasse reißen, wie z.B. die Stillegung der Stettiner Vulkanwerft 1928 - einer der größten Arbeitgeber und die organisatorische Hochburg der KPD im landwirtschaftlich geprägten Bezirk Pommern. Viel interessanter ist, daß viele Mitglieder der KPD die Abhängigkeit der Partei von ihrer Beitragsleistung durchaus erkannten und strategisch damit umzugehen wußten. Wie so mancher bezirklichen Statistik über die Beitragsleistung abzulesen ist, stieg die Beitragsdisziplin oft in den Monaten unmittelbar vor Delegiertenwahlen zu Unterbezirks- oder Bezirksparteitagen relativ abrupt an, weil der Delegiertenschlüssel auf der Zahl der abgerechneten Mitglieder beruhte und man auf diese Weise mehr Delegierte bekommen und damit mehr Einfluß ausüben konnte.209

Der eigentliche Goldesel der Basisarbeit aber war der Vertrieb der „Arbeiter-Internationalen Zeitung“. Die Leitung des Berliner KPD-Verwaltungsbezirks Treptow schrieb am 4.8.1927 an das ZK, man habe seit dem 15. April endlich einen hauptamtlichen Politischen Leiter: „Die Finanzierung geschieht durch den Vertrieb der A.I.Z. Es ist uns gelungen, die Auflage von cir. 1300 auf cir. 1800 zu steigern.“ Der Politische Leiter des Unterbezirks Oldenburg, wo Karl Grünberg 1928 beim Wahlkampf aushalf, versuchte ebenfalls die Unterbezirkskasse aufzubessern, indem er eigenhändig die AIZ verkaufte. Max Faulhaber wurde 1930 Instrukteur für passiv gewordene Ortsgruppen im Bezirk Baden, wobei die Tatsache, daß er ein Motorrad besaß und damit mobil war, keine unbedeutende Rolle gespielt hat. Da die Bezirksleitung aber seine dabei anfallenden Spesen nicht begleichen konnte, sollte er nebenher die AIZ vertreiben. Nach Angaben von Babette Groß lebten ca. 2.000 arbeitslose kommunistische Funktionäre vom Vertrieb der AIZ. Angesichts der Bedeutung des AIZ-Vertriebs verwundert es nicht weiter, daß es auch hier regelmäßig zu Verstimmungen an der Basis kam. Ein Auslöser dafür war z.B. wenn Münzenbergs „Neuer Deutscher Verlag“ professionelle „Kolporteure“ anheuerte und diese die potentiellen AIZ-Abonnenten schon abgegrast hatten, bevor die Genossen Werber bei ihnen anklopfen konnten, und deswegen dann vielleicht ein ganz entscheidendes Flugblatt irgendeiner Ortsgruppe doch nicht gedruckt werden konnte.210

Für eine revolutionäre Partei sind die materiellen Mittel genau so erforderlich wie für den Haushalt eines Staates“.211 Die Forschung hat es bisher weitgehend vermieden, sich in die Niederungen der Bereitstellung und Verwendung der Parteigelder zu begeben, obwohl dieser durchaus nicht unpolitische Bereich das Rückgrat jeder Organisation bildet. Trotz aller Einnahmequellen reichte es nämlich hinten und vorne nicht. Das ZK - selbst u.a. bei den parteieigenen Verlagen und Druckereien in der Kreide stehend - hatte im Dezember 1929 eine Gesamtforderung von 108.683,29 RM gegenüber den Bezirken, während diese anderen Gläubigern weitere 217.874,07 RM schuldeten.212 Diese Summen werden in den anderen Jahren kaum geringer gewesen sein. Die Führung mußte ihre Bezirke - und zwar vielmals auch relativ finanzstarke wie Berlin und das Ruhrgebiet - mehr oder weniger dauerhaft subventionieren, was sich in den Bezirken gegenüber den unteren Ebenen fortsetzte. Man wundert sich als Außenstehender, wieso derartige Subventionen, falls nötig, nicht einfach von den Bezirksleitungen einbehalten wurden, anstatt dem ZK (entsprechend der Regelung von 1924)213 30 % der Beiträge zu überweisen. Aber das war wohl eine reine Machtfrage, wobei es weniger darum ging, wieviel Geld ein Bezirk am Ende netto in der Kasse hatte, als darum, wer über die Geldverwendung bestimmte. In manchen Fällen waren aber einzelne Ortsgruppen oder Zellen - die nach obiger Regelung 10 % der Beiträge für sich verwenden durften - so pfiffig, dieses System zu umgehen, und behielten die zu erwartenden Subventionen von oben gleich ein, indem sie gar keine Beiträge abführten.214

Die Festlegung der Prozentsätze, die von den Beiträgen oder den Sammlungen an die übergeordneten Ebenen abzuführen waren, und generell der Kampf zwischen den Instanzen oder verschiedenen Funktionären um das liebe Geld waren - angesichts der außerordentlichen Knappheit dieser Ressource gar nicht anders denkbar -, ebenfalls ein Dauerstreitpunkt, der zu einem beträchtlichen Teil die Korrespondenz zwischen den Bezirksleitungen und der Zentrale bzw. dem ZK füllt. So paßten beispielsweise die Vorstellungen des Kassierers des Bezirks Niederrhein nicht mit denen überein, die sich der Agitprop-Sekretär Hans Fladung, der immer wieder neue kostspielige Einfälle hatte, 1932 von seiner Arbeit machte, weil er den Ehrgeiz besaß, „dafür zu sorgen, daß wir zu den Bezirken gehörten, die den Anteil des Zentralkomitees an den Mitgliedsbeiträgen wirklich abführten und nicht durch die Hintertür wieder zurückbekamen.215

Die KPD hatte - wie Bruno Retzlaff-Kresse feststellt - nicht einmal genug Geld, „um zum Beispiel Plakate an den Litfaßsäulen anschlagen zu lassen“ oder andere offizielle Plakatflächen anzumieten. Daher mußten dann eben die Mitglieder nachts durch die Straßen ziehen und ,wild‘ kleben, wobei auf Polizeistreifen zu achten war. Natürlich war die KPD dann auch nicht in der Lage, die Geldstrafen der Mitglieder zu bezahlen, die sich beim illegalen Plakatekleben hatten erwischen lassen. Im Endeffekt mußte manch ein Genosse die Finanzprobleme der KPD also im Gefängnis absitzen. Hans Fladung berichtet, daß die Genossen und Sympathisanten, die in der Düsseldorfer Parteidruckerei arbeiteten, 1932 je 25 unbezahlte Überstunden für die Finanzierung von Wahlkampfmaterial machten, so daß die Partei nur noch das Papier bezahlen mußte. Alfred Lemmnitz bezog als Agitpropleiter des Unterbezirks Duisburg-Hamborn 1932 kein Gehalt von der Partei - auch wenn er sich als ausgesteuerter Arbeitsloser in seiner Funktion nicht weniger engagierte als hauptamtliche Kräfte. Parteiangestellte - die es in den wenigsten Unterbezirksleitungen gab - waren hier nur der Politische Leiter und die technische Hilfskraft, und nur sie „bekamen ein Gehalt - wenn die Partei Geld hatte“. Nicht zu vergessen ist schließlich das Problem des richtigen Ressourceneinsatzes. Rosa Meyer-Leviné ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn sie auf folgenden Zusammenhang hinweist: „Berge von ,Bolschewisierungs‘-Flugblättern, die niemand haben wollte, konnten durchaus zum Bankrott führen.216

3 Parteigruppe und Versammlungen

Die KPD war in der ersten Phase bis etwa 1925 - entsprechend dem Aufbau der ,Mutterpartei‘ SPD - auf den sogenannten Wohnbezirken aufgebaut. Je nach Siedlungsdichte einer Gemeinde bildeten die Genossen, die in einem Häuserblock, einer oder mehreren Straßen bzw. einer Kleinstadt wohnten, einen Wohnbezirk bzw. eine Ortsgruppe. über den Wohnbezirksorganisationen erstreckten sich - sieht man von den wenigen Unterbezirken einmal ab - die Bezirke, aus denen sich die Reichspartei zusammensetzte, die ihrerseits eine Sektion der KI war. Nach 1925 änderte sich dieses einheitliche Bild erheblich. Die Wohnbezirke wurden aufgelöst und ihre Mitglieder auf Betriebszellen verteilt. Dort, wo das - etwa mangels Masse - nicht möglich war, verblieb die Ortsgruppe als Relikt. Darüber erstreckten sich je nach Größenordnung und Finanzierbarkeit Zellen- und Stadtteilgruppen, Arbeitsgebiete und Unterbezirke mit ganz unterschiedlichen Zuschnitten, Kompetenzen und Mitgliederzahlen. So jedenfalls sahen es die Statuten der KPD vor.

Statuten aber sind zunächst einmal nicht mehr als papierne Willenserklärungen über anzustrebende Idealzustände. Sie können dementsprechend nicht einfach mit der Wirklichkeit gleichgesetzt werden. Statuten handeln nicht, sie benötigen menschliche Akteure, die wenigstens die vom Statut vorgeschlagenen Einrichtungen und Verhaltensweisen kennen sollten. Doch nicht einmal das galt in der KPD für eine Mehrheit der Genossen - woran auch der auszugsweise Abdruck im Mitgliedsbuch nicht viel geändert haben wird.217 Die durch das Statut vorgesehenen Einrichtungen und Rollen, die nicht selten Kompromißcharakter haben, unterscheiden sich durch ihren Institutionalisierungsgrad, da sie in unterschiedlichem Maße im Alltag der Partei mit Leben erfüllt werden. Grundlage dafür ist ihre Legitimität,218 die, nicht nur weil immer wieder neue Mitglieder integriert werden müssen, prozeßhaft immer wieder aufs Neue herzustellen ist. Neben der offiziellen gibt es des weiteren immer eine ,informelle Satzung‘, „weil die formale Struktur nicht alles regelt und weil die Akteure immer einen Spielraum haben, den sie zur Interpretation, Manipulation und Aushöhlung der in ihr enthaltenen Vorschriften benutzen.219 In diesem Licht besehen, sind Statutenbestimmungen auch vielfach bloß retrospektive ,Legalisierungen‘ von Strukturen und Beziehungen, die sich spontan aus der alltäglichen Parteitätigkeit heraus entwickelt haben.

Die oben erwähnte Vorladung von Babette Groß vor das Schiedsgericht des Berliner KPD-Bezirks am 7.8.1925 etwa wurde mit ihren Beitragsrückständen sowie ihrem mangelnden Einsatz in der Parteiarbeit begründet. Zwei scheinbar klare Verstöße gegen § 2 des Statuts (von 1925), wonach die tägliche Beteiligung an der Parteiarbeit und die regelmäßige Beitragszahlung wesensmäßige Aspekte der Definition des Kommunisten waren. Doch war dies wohl nur ein populistischer Schlag gegen Münzenberg und seinen ,Konzern‘ - Groß war jedenfalls der Form nach (übrigens gemeinsam mit Karl Retzlaw) Geschäftsführerin von Münzenbergs „Neuem Deutschen Verlag“ -, dessen gute Gehälter ein dauerhafter Anlaß für Empörung unter der KPD-Mitgliedschaft war. Hätte man bei jedem säumigen Beitragszahler das Schiedsgericht angerufen - der KPD-Apparat wäre ausgelastet gewesen. Das Statut lieferte in diesem Fall mit der Institution des Schiedsgerichts nicht mehr als einen ,Blankoscheck‘ für Interessenten.

Das herausragende Beispiel für die Differenz zwischen Statutenideal und Statutenwirklichkeit ist die Umstellung der Partei auf das Zellensystem. Nach § 12 des KPD-Statuts von 1925 - hier angesichts des noch in den Kinderschuhen steckenden Umbaus der Partei eindeutig eine noch einzulösende Willenserklärung - war die „Betriebszelle, in der Fabrik, im Bergwerk, in der Werkstatt, im Büro, im landwirtschaftlichen Betrieb usw.“ die „Grundlage der Parteiorganisation, ihr Fundament“.220 Die gefälligste Begründung für den Umbau der Partei auf Zellen findet sich in einem Bericht des Obmanns der KPD-Betriebszelle bei der Firma Schwartzkopff in Berlin vom 7.12.1925 an die Organisationsabteilung des ZK: „Warum gerade Zellenarbeit und nicht Fraktionsarbeit?221Die Natur, der Mensch, wie überhaupt alle Lebewesen sind auf das Gewebe der Zellen aufgebaut, die nun, je nach Beschaffenheit krank, gesund oder tot, das Leben, Gedeihen oder Vergehen in der Natur wie bei allen Lebewesen bestimmen. Wie in der Natur die Zelle das Leben bestimmt, so müssen in dieser kapitalistischen Wirtschaft die kommunistischen Zellen in den Betrieben und überall, wo es notwendig ist, das Leben oder den Untergang dieser kapitalistischen Gesellschaft bestimmen.“ Daraus leitete er ,streng deduktiv‘ ab: „Aus diesen eben angeführten Gründen ergibt sich die Notwendigkeit einer gut organisierten, politisch klaren, systematisch arbeitenden Zelle.222

Allerdings konnte - wie Müller ganz zutreffend feststellt - trotz solch bildkräftiger Unterstützung „der Primat der Betriebszelle als Grundeinheit der KPD ... nie durchgesetzt werden.223 Waren es zunächst die Bedenken und Widerstände seitens der Basis und die wirtschaftliche Situation vieler Genossen, die die Umstellung erschwerten, so lag es nach 1929 v.a. daran, daß die meisten neuen Mitglieder arbeitslos waren, weshalb ihre Angliederung an Betriebszellen von vornherein völlig aussichtslos war. Doch über all dies ist schon soviel geschrieben worden, daß ich mich hier ganz auf die Erfahrungen der Selbstzeugen mit der Umstellung der Partei beschränken kann.224

Die meisten Genossen Georg Fischers in Ingolstadt waren gegen den Umbau der Partei: „Was soll der Blödsinn?“ schimpften sie. Ihr Hauptargument war die Gefährdung ihrer Arbeitsplätze, falls die politische Arbeit im Betrieb intensiviert werden würde. Viele andere KPD-Mitglieder verstanden schlichtweg nicht, warum die traditionelle Organisationsform der deutschen Arbeiterbewegung nicht mehr gültig sein sollte, und entwickelten nach der Beobachtung von Margarete Buber-Neumann „eine gereizte Abneigung gegen die russischen Methoden“, zu denen sie ganz richtig auch den Parteiaufbau auf Zellen zählten. Willi Dickhut beschreibt die Vorgehensweise der Reorganisationsunwilligen, wie er sie in Solingen erlebte: „Die meisten Genossen wehrten sich gegen eine systematische Betriebsarbeit. Sie lehnten die Organisierung in Betriebszellen zwar nicht offen ab, setzten aber der Umorganisierung passiven Widerstand entgegen.“ Es soll ihm aber schließlich doch mit Hilfe von Hinweisen aus dem KPD-Funktionärsorgan „Der Parteiarbeiter“ Mitte 1926 gelungen sein, eine Betriebszelle zu gründen, deren erster Politischer Leiter er als jüngstes Mitglied und einer von zwei unverheirateten Genossen wurde.225

Für Oskar Hippe zeigte die Umstellung auf Betriebszellen in seinem Betrieb eine „sehr positive“ Wirkung, weil sie die Parteiarbeit in Betrieb und Gewerkschaft erleichterte. Dort kamen die kommunistischen Kollegen „jede Woche einmal nach Feierabend zusammen, um betriebliche und gewerkschaftliche Probleme zu besprechen“. Gottfried Grünberg schließlich beschreibt die plötzliche Verwandlung einer Betriebszelle in eine Straßenzelle. Als Institution, die ursprünglich gar nicht vorgesehen war, zuletzt aber sogar die Würde eines Eintrags ins Parteistatut erreichte, war die Straßenzelle ein Etikett, unter dem zumeist die Wohnbezirksorganisation fröhliche Urständ feierte. Er wurde am 1.6.1929 als einer von 500 Kollegen u.a. wegen der kommunistischen Zellentätigkeit aus seinem Hamborner Zechenbetrieb entlassen: „Da die meisten Kommunisten zu den Entlassenen gehörten, wurde die Betriebszelle sehr geschwächt.“ 1930 fand er neue Arbeit auf einer Zeche in Baesweiler. Dort wurde er bald, weil er der Firmenleitung noch nicht als Kommunist bekannt war, Leiter der Betriebszelle, was ihn 1931 erneut seinen Arbeitsplatz kostete.226

Das Feld, in dem die meisten Mitglieder tätig waren, war also der Wohnbezirk respektive die Zelle oder die Ortsgruppe. Das geographische Zentrum der Parteiarbeit an der Basis war das Verkehrslokal; meist eine Arbeiterkneipe mit Hinterzimmer. Die Verwendung von Gastwirtschaften wird den ,Männerbund‘ KPD für Frauen kaum attraktiver gemacht haben und hatte, aufgrund der Verzehrerwartung der meisten Wirte, durchaus auch unerwünschte Folgen, wenn Genossen dem Alkohol übermäßig zusprachen und sich benebelt Dinge an den Kopf warfen, die dann später die Schiedsgerichte beschäftigten. Im Verkehrslokal fanden die Mitgliederversammlungen, Schulungen und andere Parteiveranstaltungen statt. Auch die Fragebogen zur Reichskontrolle wurden dort ausgefüllt. Dort traf man sich vor gemeinsamen Aktionen, aber auch zwischendurch zur Verteilung bestimmter Tätigkeiten und mancherorts sogar täglich, wie es Georg K. Glaser für das Jahr 1929 pathetisch beschreibt: „Keiner [der Genossen, U.E.] fehlte nur einen Tag, denn allen war es ein Bedürfnis, ihr Feuer regelmäßig, mit dem der anderen vereint, zu einer gro8en Flamme werden zu sehen.227

Im Verkehrslokal wurden außerdem die der Gruppe oder Zelle gehörenden Materialien gelagert und die Fahne aufbewahrt. Die rote Fahne war das wichtigste Statussymbol der Genossen an der Basis. Besonders stolz waren sie, wenn sie reich mit goldfarbenem Garn bestickt war.228 Die Fahne stand vielleicht unter der Woche im Futteral in einer Ecke und wurde dann bei Mitgliederversammlungen oder Landagitationseinsätzen ausgepackt, um den Vorstandstisch oder den LKW zu schmücken, oder sie signalisierte bei Demonstrationen den Sammelplatz. Im Verkehrslokal wurden überdies oft die Verbindungen zu anderen Organisationen der Arbeiterbewegung kommunikativ aufrechterhalten - die womöglich dieselbe Kneipe als Verkehrslokal benutzten. Johann Reiners etwa saß am 20.7.1932 - dem Tag der Reichsexekution gegen Preußen - mit anderen Genossen zusammen im Verkehrslokal einer KPD-Straßenzelle in Berlin-Moabit, wo sie auf befreundete Reichsbanner-Leute warteten, die den erwarteten Generalstreiksbeschluß der SPD-Führung übermitteln sollten. Nur elf Tage später, am Tag der Reichstagswahlen, halfen Karl Pioch, sein Vater, andere Genossen und Reichsbanner-Leute dabei, das KPD-Verkehrslokal „Krug zum grünen Kranze“ vor Nazi-Übergriffen zu schützen, wobei es zu einer Prügelei mit einer SS-Horde kam. Das Verkehrslokal gegen Angriffe der Nazis oder ihre Okkupationsversuche mit Gewalt zu verteidigen, war keine Frage.229

Wenn das neue Mitglied nun zur Mitgliederversammlung in das Verkehrslokal seiner Gruppe ging, traf es dort eine rein willkürliche Zufallsmischung von Menschen. Hier zeigte sich, daß die KPD, wie jede Organisation, eine Koalition von Menschen mit ganz unterschiedlichen Intentionen war - sieht man einmal vom gemeinsamem Organisationsziel ab, und selbst da gab es ganz unterschiedliche individuelle Interpretationen und Schwerpunktsetzungen. Gelernte und ungelernte Industriearbeiter, Handwerker, Arbeitslose, Gewerkschafter und Unorganisierte, Betriebsräte, Hausfrauen, Studenten, Kriegsteilnehmer, ehemalige Sozialdemokraten, Bürgersöhne und -töchter, einige wenige Selbständige - alle hatten ihre eigenen Vorstellungen von der Partei, die nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen waren. Welchen Anteil die Reibungen zwischen einzelnen Genossen, die sich nicht grün waren, oder informelle Freundeskreise, die ihre eigene Politik machen wollten, an den Problemen der lokalen KPD-Organisationen jeweils hatten, wird sich wohl nie ermitteln lassen. Emil Carlebach jedenfalls resümiert, daß er in der Arbeiterbewegung „nicht nur ideale, hochherzige Menschen“ gefunden hat.230

Eine wichtige Rolle spielten daher insbesondere der Führungsstil der leitenden Genossen an der Basis und ihre Integrationsfähigkeiten. Die KPD-Quellen bieten zahlreiche Beispiele für Zellen- oder Gruppenleiter, die - wohl von der Einstellung ,le parti c’est moi!‘ ausgehend - über kurz oder lang das Parteileben lahmlegten. So erlebte es auch Alfred Spitzer. In seiner Ortsgruppe in Neugersdorf kam es 1928 zu einem empfindlichen Mitgliederrückgang; immer mehr Genossen zogen sich wegen des Verhaltens des langjährigen Vorsitzenden aus dem Parteileben zurück: „Wilhelm Dutschke, ein Bauarbeiter, der von der USPD zur KPD gekommen war und die KPD-Ortsgruppe Neugersdorf mit gegründet hatte, trat bei Leitungssitzungen, Mitgliederversammlungen und anderen Zusammenkünften in einer eigenwilligen, rechthaberischen und poltrigen Art und Weise auf. Es gab ständig persönliche Auseinandersetzungen mit ihm, die zur Inaktivität einer Reihe von Mitgliedern und zu Austritten führten und Sympathisierende vom Eintritt in die Partei abhielten.231

Karl Retzlaw sieht in der Entwicklung des internen Umgangs miteinander einen wichtigen Grund für die Fluktuation in der KPD: „Zahlreiche begeisterte Menschen ... wurden durch den Ton der inneren Parteidiskussionen abgestoßen.“ Zu den Unarten gehörte es zum Beispiel, banale Probleme nicht mehr kameradschaftlich unter sich zu bereinigen, sondern ihre Lösung der Parteibürokratie zu übertragen. Da der Genosse Willy Schulze am 1.5.1929, trotz gegenteiliger Verpflichtung durch seine Agitproptruppe „Kolonne Links“, zur Maidemonstration gegangen war, beantragte deren Leiter Helmut Damerius „gegen ihn ein Parteiverfahren“. D.h. er zeigte ihn der Parteileitung an und beantragte wohl eine Rüge. Karl Retzlaw wurde 1926 ebenfalls Opfer eines Genossen, mit dem er im Gefängnis saß und der von dort aus ein Parteiverfahren beantragte, da Retzlaw dort für die Lektüre von Tolstojs angeblich konterrevolutionärem Machwerk „Krieg und Frieden“ geworben hatte.232

The fully committed Communist lives in a closed world of perception and communication.“ Diese Feststellung Almonds trifft beispielsweise auf Arthur Koestler und Lucie Suhling zu. Beide hatten bald nach dem Beitritt sämtliche sozialen Bindungen zur ,Außenwelt‘ gekappt und einen rein kommunistischen Freundeskreis um sich geschart. Diese Abschottung gegenüber anderen Sichtweisen, das permanente gegenseitige Sich-versichern, die richtige Meinung zu haben und auf der richtigen Seite der Barrikade zu stehen, wird bei vielen Genossen durchaus psychisch stabilisierende Wirkung gehabt haben. Im Endeffekt führte diese Isolierung aber zu einer noch engeren Bindung an die Partei und erschwerte eine spätere Ablösung. Von den sozialen Folgen, die eine Abwendung von der Partei haben konnte, berichtet Änne Wagner, die 1929 ausgeschlossen wurde: „Viele alte Genossinnen und Genossen aus der Partei sahen in den nächsten Jahren bewußt an mir vorbei. Ich war ausgestoßen aus einer langjährigen Gemeinschaft, in der ich geachtet und geschätzt worden war und in der ich mich wie in einer großen Familie gefühlt hatte“.233

Diese Bindung an die Parteigruppe wurde noch verstärkt, wenn man in der Partei seinen Ehepartner oder Lebensgefährten gefunden oder ihn in die Partei mitgezogen hatte. Max Faulhaber fand, daß eine Frau, mit der er zusammenleben wollte, „ideenmäßig zu mir passen“ mußte. Max Benkwitz’ Ehefrau trat - wie er schreibt - selbstverständlich sofort nach der Eheschließung in die KPD ein. Die Lebensgefährtin Jan Valtins trat der KPD nur deswegen bei, weil sie seine Lebensgefährtin bleiben wollte. Der Philosoph Walter Benjamin schrieb in einem Brief an einen Freund vom 14.1.1926 über seinen Bruder Georg: „Mein Bruder wird in einigen Tagen ein sympathisches junges Mädchen heiraten, eine Freundin meiner Schwester, die er zur Kommunistin sich herangebildet hat.“ Willi Bohn fand seine Ehefrau in der KPD, Käthe Popall ihren Ehemann. Martin Muschkau heiratete 1934 eine Genossin, Lucie Suhling 1932 den Schwager von Robert Neddermeyer - ebenfalls einen Genossen. Babette Groß war Lebensgefährtin von Willi Münzenberg, während ihre Schwester Margarete Buber-Neumann mit dem ZK-Mitglied Heinz Neumann verheiratet war - von dem sie aber wohl kaum mehr gehabt haben wird als Lina Haag von ihrem Ehemann Alfred, der als hauptamtlicher Funktionär eher mit der Partei verheiratet gewesen zu sein scheint: „Die Partei war dir wichtiger“.234

Von der Abhaltung einer Mitgliederversammlung erfuhren die Mitglieder durch den Unterkassierer, ein Schreiben des Politischen Leiters - zu dessen Aufgaben nach der Erinnerung Paul Elfleins auch die Vorbereitung von Mitgliederversammlungen gehörte - oder einen Hinweis im regionalen oder lokalen KPD-Organ. Die meisten Basiseinheiten werden mehr oder weniger regelmäßig einmal im Monat Mitgliederversammlungen abgehalten haben; manche auch öfter - die Quellen lassen leider keine genaueren Angaben zu.235

Der ausführlichste Bericht über den Verlauf einer Mitgliederversammlung stammt von Margarete Buber-Neumann. Sie wurde 1928/29 Mitglied einer Berliner Straßenzelle, wo sie erst das „richtige Parteileben“ kennenlernte, mit dem es im beschaulichen Potsdam, wo sie vorher gelebt hatte, nicht weit her gewesen war. Dort traf man sich jeden Donnerstag in einem verräucherten Kneipenhinterzimmer. Die Tische waren T-förmig aufgestellt, am Kopf saß die Zellenleitung. Zur Eröffnung begrüßte der Zellenleiter die Anwesenden: „Genossinnen und Genossen! Hiermit eröffne ich unsern heutigen Zellenabend. Auf der Tagesordnung steht: 1. Thema des Referates, 2. Diskussion, 3. Verschiedenes.236 Anschließend hielt ein etwas höher angesiedelter Genossen ein Referat und sprach „mindestens eine Stunde“ lang über aktuelle politische Fragen oder anstehende Parteiaufgaben. Viele Referenten lasen dabei nur das hektographierte ZK-Referentenmaterial vor, während andere es in eigene Worte kleideten.237

Nach dem Referat (und gegebenenfalls einem Korreferat) sollte dann eigentlich über das soeben Gehörte diskutiert werden. Margarete Buber-Neumann kann sich aber nicht daran erinnern, daß es in ihrer Straßenzelle öfter zu Aussprachen gekommen wäre. Statt dessen „erfolgte immer wieder das gleiche, nämlich ein peinliches Schweigen. Alle blickten verlegen auf den Tisch, denn die meisten wußten gar nicht, was sie da hätten diskutieren sollen. Es mußte ja sowieso alles richtig sein, denn der Referent kam doch von der Parteileitung.“ Ganz anders erlebte es Recha Rothschild - ebenfalls 1928 und ebenfalls in einer Berliner Zelle: „In den Zellensitzungen wurden keine langatmigen Referate gehalten, sondern nur ein kurzer Überblick über die politische Situation gegeben und die wichtigsten aktuellen Fragen in gegenseitiger Aussprache erörtert.“ Möglicherweise war das Zustandekommen einer Diskussion auch einfach eine Frage der Persönlichkeit und des Stils des jeweiligen Versammlungsleiters.238

Davon, daß alle Genossen gleichermaßen den Mut hatten, in Versammlungen das Wort zu ergreifen, kann jedenfalls keineswegs ausgegangen werden. Dabei hat vielleicht auch die Größe der Versammlung und die Vertrautheit mit den Anwesenden eine gewisse Rolle gespielt. Das Thema des Vortrags war sicher ebenfalls nicht unbedeutend für die Beteiligung. Viele Genossen fühlten sich unsicher, wenn es um die großen politischen Fragen ging, die den persönlichen Gesichtskreis überstiegen. Sie kannten sich bestenfalls in der eigenen Gemeinde, im Stadtviertel oder im Großstadtkiez einigermaßen aus und überließen dann die Diskussion den immer gleichen Meinungsführern. Die Parteiführung tat mit dem Einpeitschen ,bolschewistischer‘ Slogans ein übriges: „An der Front [!] diskutiert man nicht die Befehle, man exekutiert sie ... Die Front ist überall - bis zum endgültigen Sieg der Revolution.239

In der Straßenzelle, der Arthur Koestler seit 1931 angehörte, wurde zwar diskutiert, doch die Redner zeichneten sich dabei mehr durch die Zustimmung zum Referenten als durch kontroverse Beiträge aus. Das ist exakt auch der Eindruck, der sich beim Studium der KPD-Quellen aufdrängt: Daß es ab ca. 1929/30 auf KPD-Versammlungen immer seltener zum Austrag unterschiedlicher Meinungen kam, was auch Wolfgang Abendroth und Franz Feuchtwanger so wahrgenommen haben. Eine Folge dieser Entwicklung war, daß die in Abstimmungen relativ leicht erreichbare Zustimmung der Genossen zu den Vorschlägen der Parteiführung oft folgenlos blieb, da viele Mitglieder ihre Skepsis oder ihren Protest, weil sie sie nicht (mehr) artikulieren konnten, in die Sphäre der Umsetzung verlagerten: also zwar brav allem mit großer Mehrheit zustimmten, aber eben nicht gleichermaßen umsetzten - was im KPD-Jargon „doppelte Buchführung“ genannt wurde.240

Je nach Art der Versammlung und dem Thema des Referats folgte auf die Diskussion eine Abstimmung über die eingereichten Resolutionen, z.B. wenn die Mitgliederversammlung der Vorbereitung eines Bezirksparteitags galt. Auf den Reichs- oder Bezirksparteitag folgte dann erneut eine Mitgliederversammlung, die über die Berichte der Delegierten die Parteitagsbeschlüsse zur Kenntnis nahm. Andere Typen von Versammlungen waren die, mit denen bestimmte Kampagnen oder parteiinterne Veränderungen vorbereitetet werden sollten, wie z.B. 1925, als die Führung mit einem Großeinsatz hochkarätiger Redner für die Umstellung auf Betriebszellen warb. Mindestens einmal im Jahr schließlich wurde durch die Mitgliederversammlung die Gruppen- oder Zellenleitung gewählt.

Die rednerischen Fähigkeiten der Referenten waren vor dem Hintergrund noch unentwickelter elektronischer Massenmedien von besonderer Bedeutung. Hochrangige Rhetoren in die eigenen Versammlungen zu bekommen, war eine äußerst prestigeträchtige Angelegenheit, entsprechend häufig finden sich derartige Bitten in den Akten der KPD.241 Für viele KPD-Mitglieder war die öffentliche oder interne Versammlung nicht zum wenigsten ein kulturelles Ereignis, bei dem man sich auch gut unterhalten wollte. Dabei wurde vom Redner allerdings erwartet, daß er so sprach, daß ihm das proletarische Publikum folgen konnte. Karl Tuttas gelang es einmal, den mit ihm befreundeten kommunistischen Schriftsteller Wilhelm Harzheim als Redner für eine Versammlung seiner Ortsgruppe Gelsenkirchen-Scholven zu gewinnen. Noch bevor dieser mit seinem Beitrag beginnen konnte, wurde er von einem Genossen wie folgt vergattert: „Schriftsteller, wenn du Phrasen drischst und Parteichinesisch sprichst, verdreschen wir dich nachher. Sprich wie ein Kumpel.242

Nach Referat und Diskussion sollte in der Mitgliederversammlung abschließend das monatliche Rundschreiben der Bezirksleitung verlesen und mitsamt dem angehängten Arbeitsplan243 durchgesprochen werden, auf dessen Grundlage dann die einzelnen Tätigkeiten an die Genossen zu verteilen waren. Bei den Rundschreiben v.a. aus den dreißiger Jahren handelt es sich um ein ganz besonderes literarisches Genre. Charakteristisch ist die Anhäufung von über die Jahre immer länger werdenden hochabstrakten weltökonomischen und weltpolitischen Abhandlungen und die gebetsmühlenartig wiederholte, fast schon hysterische Ankündigung, daß der Kapitalismus, der die Menschen in immer tieferes Elend hinabstößt, gerade einmal wieder akut vor dem Kollaps steht. Wohl zur Motivation wurde versucht, den Genossen zu suggerieren, daß das Schicksal der Weltrevolution von der korrekten Durchführung jeder scheinbar noch so nebensächlichen Tätigkeit abhänge. Die ganze Anstrengung der Rundschreibenautoren, die Genossen etwa über die neuerliche Verschärfung des Klassenkampfes in Indien ,aufzuklären‘, verpuffte oft einfach wirkungslos. In vielen Ortsgruppen abseits der Großstädte oder in der Diaspora nahm - wenn überhaupt - nur der Polleiter das Rundschreiben zur Kenntnis und teilte dann eigenmächtig die Arbeiten ein - wenn er es tat.

Beendet wurden die öffentlichen und parteiinternen Versammlungen der KPD mit dem Gesang der „Internationale“ - man könnte auch sagen: mit dem Gesang der Nationalhymne der Sowjetunion.

4 Die Ausführung von Beschlüssen

Die Beschlüsse der Reichsparteitage bzw. die daran anknüpfenden Anweisungen des ZK und der Bezirksleitungen berührten diverse politische und organisatorische Felder, die man nach ihrer Außen- oder Binnenwirkung unterscheiden kann. Die nach außen gerichteten Anweisungen behandelten die Durchführung von Demonstrationen, Kampagnen, Streiks oder Wahlkämpfen, mit allem, was dazu gehörte, also der Anfertigung von Transparenten, Absprachen mit befreundeten Organisationen, der Kandidatenaufstellung, der Anmietung von Sälen, der Finanzierung von Filmvorführungen, dem Verkauf von KPD-Publikationen, der Werbung neuer Mitglieder usw., aber auch die Politik der Zellen und Ortsgruppen in Betrieben, Gewerkschaften und anderen überparteilichen Organisationen und in den Gemeindeparlamenten. Die binnenorientierten Anweisungen umfaßten den Aufbau der Partei, die Behandlung innerparteilicher Strömungen, die Besetzung von hauptamtlichen Funktionen, die Koordination der Tätigkeit mit den kommunistischen Nebenorganisationen, die Finanzierung der Parteiarbeit, die Durchführung von Mitgliederversammlungen, die Veranstaltung von Feiern und Schulungen und vieles mehr.

In der Formulierung ihrer Erwartungen an das Verhalten der Mitglieder entwickelten die Angehörigen der Führung beachtlichen, wenn auch etwas holprigen Bildreichtum. Im Herbst 1925 forderte Ernst Thälmann, daß die KPD „eine eiserne, völlig geschlossene, restlos verschmolzene, unbedingt disziplinierte Partei“ werden müsse.244 Derartige Metaphorik hatte aber doch nur geringen Bezug zum realen Leben. Die KPD war eine freiwillige Vereinigung, und als Mitgliedern einer solchen stand den Genossen der Austritt jederzeit frei.245 Man konnte sie also nicht dazu zwingen, irgend etwas zu tun, was sie nicht tun wollten: „Die Führung hatte (anders als die Staatspartei KPdSU) außer relativ geringen materiellen Mitteln kaum eine Handhabe der Repression gegenüber dem Apparat und besonders den ehrenamtlichen Funktionären und den Mitgliedern, sie mußte dies also v.a. ideologisch überzeugen.246

Leider zeigt sich gerade bei der Untersuchung des Umgangs der Mitglieder mit Anweisungen der Führung, daß die Selbstzeugnisse eine Quellengattung sind, mit deren Hilfe leichter Mentalitäten als Verhaltensweisen rekonstruiert werden können. Von den ehemaligen KPD-Mitgliedern, die bei der Niederschrift Angehörige von SED oder DKP waren, sind differenzierte Beiträge zu diesem Thema ohnehin nicht zu erwarten, weil sie Repressionen zur Folge hätten haben können. Ein typischer Vertreter der „gehorsamen Parteisoldaten“ - wie Mallmann sie nennt - war Erich Glückauf, damals Redakteur des „Ruhr-Echos“, dem Organ des Bezirks Ruhrgebiet: „Es war selbstverständlich, daß ich in einer Betriebsparteiorganisation mitarbeitete, Vorsitzender einer Wohnparteiorganisation war und teilnahm bei Landeinsätzen.“ Genauso engagiert war der 24jährige Willi Dickhut, der sich nach einem Auftrag der Bezirksleitung im März 1928 um eine Stelle bei Bayer in Leverkusen bewarb, um die dortige Betriebszellenarbeit zu verbessern. Dies gelang nicht, hatte aber zur Folge, daß er seinen Arbeitsplatz bei Rheinmetall in Düsseldorf verlor, den er gleichfalls auf Geheiß der Bezirksleitung angetreten hatte.247

Eine so schöne Anekdote wie die über einen Genossen aus dem mecklenburgischen Güstrow, der 1926 „die ihm aufgegebene Arbeit zum Volksentscheid für ein Glas Bier und einen Kümmel an einen anderen Genossen verkauft“ hat, ist in den Memoiren leider nicht zu finden. Der pointierteste Beitrag kommt von Alfred Kantorowicz: „Damals, 1931/32, hatten die Funktionäre der Parteiapparate wenig Gewalt über uns.“ Er war, wie Karola Bloch, Ernst Busch, Arthur Koestler und Manès Sperber, Mitglied der Straßenzelle der Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz in Berlin, die aufgrund des hohen Intellektuellenanteils eine gewisse Sonderstellung in der Partei hatte und seiner Ansicht nach von der Parteiführung nicht ernst genommen wurde. Ähnliches schreibt Heinrich Galm: „Unsere Stärke in Offenbach beruhte darauf, daß wir zentrale Anweisungen der KP nicht beachtet haben, weil sie uns falsch erschienen. Dadurch hatten wir einen größeren Einfluß bei der Bevölkerung.“ Den Kontrapunkt dazu setzt Karl Retzlaw am Beispiel des ZK-Beschlusses, sich an den Stahlhelm-Volksentscheid von 1931 anzuhängen, und läßt dabei erkennen, daß auch der kommunistische Disziplinbegriff durchaus etwas Schillerndes hatte: „Die Masse der Parteimitglieder folgte urteilslos. Aber wie schon bei früheren Aktionen war es erkennbar, daß es nicht mehr bloße Parteidisziplin der Mitglieder war, die nach eigener Einsicht und Verantwortung diese Politik mitmachten, sondern die Bereitschaft zur Unterordnung.248

Aufschlußreich ist auch ein Beitrag Hans Fladungs. Er wollte ca. 1928/29 als Agitpropleiter des Bezirks Niederrhein wissen, wieviele Genossen aus dem Unterbezirk Solingen Mitglieder des „Deutschen Arbeitersängerbundes“ (DASB) waren, um diese einmal zusammenzufassen. Als Antwort bekam er vom Unterbezirksleiter die per Fragebogen erhobenen Adressen von achtzehn Genossen mitgeteilt. Fladung hielt die Zahl für viel zu niedrig und ermittelte mit Hilfe befreundeter Genossen schnell über hundert Adressen. Als er einen DASB-Genossen fragte, welche Motive hinter dieser beträchtliche Differenz steckten, antwortete der: „Weil sie den Unterbezirkssekretär der Partei nicht wissen lassen wollten, daß sie in der Woche noch einen Abend Zeit hatten zum Singen.“ Mit anderen Worten: weil sie an diesem Abend von der Parteiarbeit verschont werden wollten.249

Wie sehr sich andere Genossen darum bemühten, Parteiaufträge geradezu buchstäblich auszuführen, erfahren wir von Willy Sägebrecht. Seine Ortsgruppe Liebenwalde hatte das Problem, die von der Bezirksleitung kurz zuvor beschlossene Frauenquote von einem Drittel für die Kandidatenliste der Stadtverordneten- und Kreistagswahlen am 17.11.1929 zu verwirklichen.250 Die Ortsgruppe hatte nämlich nur ein einziges weibliches Mitglied. „Vor uns stand also die Aufgabe, so schnell wie möglich Frauen für den Eintritt in die Partei zu gewinnen.“ Anstatt nun die Disziplin Disziplin sein zu lassen und der Bezirksleitung mitzuteilen, daß ihre Anweisung in diesem Fall nicht durchführbar ist und daß es kaum im Interesse der Partei sein kann, politisch unerfahrene Genossinnen in den Kreistag zu schicken, suchte man fieberhaft nach Auswegen. „,Wo sollen wir denn die Frauen so schnell hernehmen?‘ fragten die Genossen. ,Nun‘, erwiderte ich, ‚wir haben sie ja bereits - es sind unsere Ehefrauen.‘“ Schon am nächsten Tag mußten fünf bis sechs von ihnen bei Sägebrecht zur Schulung antreten.251

Von der automatischen Durchführung ihrer Anweisungen konnte die Parteiführung also nicht grundsätzlich einfach ausgehen. Daher benötigte sie ein Instrument, mit dem die Umsetzung kontrolliert werden konnte. Dieses bestand zunächst in der satzungsmäßigen Verpflichtung der Parteileitungen auf den diversen Ebenen über ihre Tätigkeit monatlich schriftlich den Bezirksleitungen Bericht zu erstatten, die ihrerseits dem ZK berichten mußten. Hinzu kamen die Mitteilungen der Referenten von ihren Versammlungstourneen und die der sogenannten Instrukteure, die man als Aufpasser und Antreiber in die unteren Organisationseinheiten schickte.

Die Tücken dieses so planvoll entworfenen Informationsflusses von unten nach oben, zeigt ein Blick auf die Praxis. Viele Ortsgruppen- oder Zellenleiter waren von ihrer Schulbildung her gar nicht in der Lage, derartige Berichte zu verfassen oder die regelmäßig bei ihnen eintreffenden Fragebogen richtig auszufüllen, oder sie taten es schlampig. Wieder andere lehnten es ab, einen Großteil der Zeit, die sie für die Parteiarbeit aufwendeten, am Schreibtisch zu sitzen und Berichte zu schreiben oder Fragebogen auszufüllen. Soweit die technische Seite. Inhaltlich wurde vielfach das geschrieben, von dem man annahm, daß die Oberen es lesen wollten. Dazu Margarete Buber-Neumann: „Die meisten Zellenleiter gaben keinen ehrlichen Bericht, da sie sich nicht blamieren und keine Rüge erhalten wollten“. Die Bezirksleitungen taten dann oft ein übriges zum Bau eines grandiosen Lügengebildes.252

Das unüberwindliche Hauptproblem einer effektiven Kontrolle der Basistätigkeit durch die Führung war die Finanzierung der Reisen der Instrukteure. Aber auch die Herstellung eines regelmäßigen Kontaktes zwischen den Bezirksleitungen und den Basisorganisationen in den Bezirken war bisweilen problematisch. Ohne die Freifahrtkarte für die Reichsbahn, die Hans Fladung als Landtagsabgeordnetem zustand, hätte er 1924 als Leiter des Bezirks Pommern - der bei einer riesigen geographischen Ausdehnung gleichzeitig eine relativ kleine Mitgliederzahl aufwies - wohl kaum jemals ein Minimum an persönlichem Kontakt mit den Genossen an der Basis herstellen können. Die Freifahrtkarte war daher in den räumlich ausgedehnten Bezirken ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des Politischen Leiters.253 Heinz Hoffmann war 1930 Mitglied der KJVD-Unterbezirksleitung in Mannheim und erlebte als solcher, wie schwer es aufgrund der Größe des Bezirks Baden und der Lage des Sitzes der Bezirksleitung an der nördlichen Peripherie des Bezirks in Mannheim war, die KPD-Gruppen und -Zellen regelmäßig durch Instrukteure der Bezirksleitung besuchen zu lassen. „Daß ,die Zahl der ständigen Parteiangestellten zu klein ist, um die Arbeit der Zellen und Fraktionen zu verfolgen‘, wie [KI-Organisationsleiter, U.E.] Pjatnitzki [1928, U.E.] in aufschlu8reicher Diktion befand, blieb die Achillesferse der professionellen Avantgarde."254

Man kann sich leicht vorstellen, wie die Referenten und Instrukteure dann vor Ort die Informationen für ihre Berichte zusammentrugen. Ein Referent oder Instrukteur, der sich vielleicht einen halben Tag in einer Gemeinde aufhielt, mußte sich mehr oder weniger auf das verlassen, was ihm die ansässigen Genossen über den Zustand der lokalen Partei erzählten - wenn er nicht ohnehin als vermeintlicher ZK-Spitzel geschnitten wurde. Seine Berichte waren dann vielfach nur eine papiervergeudende Verdoppelung der Berichterstattung durch die Ortsgruppenleitungen. Nur wenn es möglich war, einen Instrukteur für längere Zeit in einen Ort zu entsenden, der dann den lokalen Parteialltag miterleben konnte - was v.a. dann geschah, wenn der Ort eine strategische Bedeutung hatte oder sich die Probleme derart angehäuft hatten, daß man meinte, von oben einschreiten zu müssen -, konnten zusätzliche Informationen gewonnen werden. Nicht selten kurbelten Instrukteure auch die Parteiarbeit in einem Ort wieder an, wenn sie nachgelassen hatte, die aber oft, kurz nachdem der Instrukteur den Zug bestiegen hatte, schon wieder in den Status quo ante zurückfiel.

Margarete Buber-Neumann bemühte sich als Instrukteurin für die Betriebszelle im Kaufhaus Tietz v.a. darum, die „Zellenabende unterhaltsam“ zu gestalten, und sprach dort hber russische Filme und Literatur. Dies entsprach zwar nicht im Entferntesten der Stellenbeschreibung, zeigt aber schön die Freiräume der Instrukteurstätigkeit. Recha Rothschild war 1928 Instrukteurin für eine Betriebs- und eine Straßenzelle in Berlin. Die Genossen aus der Betriebszelle traten „nicht ohne Mißtrauen der neuen Instrukteurin gegenüber, die nie am Schraubstock gestanden hatte“.255 Es gelang ihr aber doch, durch ihre Einsatzbereitschaft letztendlich ihr Vertrauen zu gewinnen. Bis 1930 kamen weitere sieben Zellen in ihre Obhut, weshalb sie diese Funktion trotz zweier Gehilfen eigentlich schon im Hauptberuf hätte ausüben müssen. Willy Sägebrecht war 1929, nach der Neustrukturierung des Berliner Bezirks,256 in die Leitung des Unterbezirks Nord gewählt worden. Ende des Jahres wurde er dann Instrukteur des Unterbezirks fhr das Arbeitsgebiet Zehdenick-Liebenwalde-Klosterfelde. Ihm verdanken wir ein paar typische Episoden aus dem Instrukteursalltag. So hatte er schwer damit zu kämpfen, das Chaos in der Ortsgruppenleitung von Zehdenick zu beheben, deren Angehörige sich kaum mit Betriebsfragen befaßten: „Im Gegenteil, man warf sich gegenseitig Dinge an den Kopf, die vom Gegner in die Partei lanciert worden waren, ohne zu überprhfen, ob sie der Wahrheit entsprachen.“ Im Industriedorf Klosterfelde hingegen gab es keine Betriebszellen, weil der Ortsgruppenleiter „an alten, sozialdemokratischen Organisationsvorstellungen festhielt“. Daher schritt Sägebrecht selbst zur Tat und gründete im größten Betrieb eine Betriebszelle.257

5 Parteileitungen und Funktionäre

Aus lokalhistorischer Sicht ist die Gründungsphase der KPD weder mit den ersten Parteitagen 1919 noch nach der Fusion mit der USPD-Linken Ende 1920 endgültig abgeschlossen. Gerd Horseling etwa zählte nach seinem Beitritt 1923 zu den Mitbegründern der Gocher Ortsgruppe, und Willy Sägebrecht wurde 1927 einer der Gründer der Ortsgruppe Liebenwalde. Helmuth Warnke, 1926 Lehrling bei einem Malermeister in Wustrow im Wendland, schrieb während der Kampagne für die Fürstenenteignung 1926 spontan einen Brief an die Hamburger KPD-Bezirksleitung. Diese nutzte sofort die ihr gebotene Gelegenheit, einen Brückenkopf in der Diaspora zu errichten, und erklärte den ihr vollkommen unbekannten 18jährigen zum „Vertrauensmann“. Als solcher sollte er die Gründungsversammlung einer Ortsgruppe organisieren, auf der er dann ihr Mitbegründer wurde.258

Die Beteiligung an der lokalen Parteigründung in Verbindung mit einem späteren überdurchschnittlichen Engagement, womit man auch der Parteiarbeit vor Ort seinen persönlichen Stempel aufdrücken konnte, zählte wohl zu den wichtigsten Ursachen für die Entwicklung der oben schon behandelten einflußreichen lokalen Parteiführer wie Heinrich Galm. Viele Mitglieder entwickelten auch eine emotionale Bindung an diese charismatischen Lokalpatriarchen, was wiederum den Preis erhöhte, den die Führung für eine eventuelle spätere Absetzung dieser Parteiführer zu zahlen haben würde.

Neben der Berichterstattungspflicht oblag den Zellen- und Gruppenleitungen die Durchführung der Beschlüsse und Koordination der oben genannten Aufgaben der Basisorganisationen. Nachdem die Leitungen der Wohnbezirke zunächst wohl nur aus den Vorsitzenden bestanden hatten, die sich in Personalunion mit politischen und organisatorischen Problemen befaßten, verlangte die Führung etwa ab der Mitte der zwanziger Jahre die Bildung von Ressorts („Abteilungen“), wie sie auch das ZK selbst eingerichtet hatte. Zu den wichtigsten zählten die Organisations-, Agitprop- und Gewerkschaftsabteilung. Die Einrichtung etwa der Agitprop-Abteilung stellte sich die Führung so vor, daß man einen kompetenten Genossen zum „Agitpropleiter“ wählte, der sich dann fähige Mitarbeiter aus der Mitgliedschaft heranzog. In der Praxis wird vom Abteilungsaufbau unten nicht viel angekommen sein. Die meisten Gruppen oder Zellen werden - wenn halbwegs sachkundige Genossen greifbar waren - wahrscheinlich neben dem Politischen ihren Organisations- und eventuell noch einen Agitpropleiter gehabt haben; manche noch den einen oder anderen Ressortleiter mehr. Oftmals wird ein Genosse, der halbwegs saubere Buchstaben auf Transparenttücher malen konnte oder mit der Schreibmaschine einigermaßen zu Rande kam, zum Agitpropleiter ernannt worden sein, womit dann die erfolgreich abgeschlossene Einrichtung einer solchen Abteilung nach oben gemeldet werden konnte.

Tetje Lotz war, wie wir gesehen haben, 1929 nach dem Besuch einer Funktionärsschulung gleich zum Agitpropleiter einer Stadtteilgruppe aufgestiegen. Bruno Retzlaff-Kresse, am 4.7.1930 beigetreten, weist auf ein ganz entscheidendes Kriterium der Funktionärsrekrutierung an der Basis hin: „Auf der ersten Stra8enzellenversammlung, an der ich als neugebackenes Mitglied der KPD teilnahm, wollte man mich gleich zum Politischen Leiter dieser Zelle machen, weil ich mich sofort an der Diskussion beteiligt und offenbar kein dummes Zeug geredet hatte.“ Die gleiche Erfahrung machte Helmuth Warnke Anfang der dreißiger Jahre: „Für Parteineulinge ist es ... leicht, eine Funktion zu erlangen. Wer sich durch Aktivität hervortut und der jeweiligen Parteilinie zustimmt, gelangt bald zu Positionen, die beträchtlichen Einblick in die Organisation erlauben.259

Paul Meuter wurde kurz nach seinem Beitritt zum Leiter einer Straßenzelle gewählt und stieg wegen seiner erfolgreichen Arbeit bald zum Agitpropleiter der Ortsgruppe Solingen auf: „Meine Hauptaufgabe war hier die Herstellung von Flugblättern“ - also eine rein technische Tätigkeit. Willi Dickhut wurde wohl 1929 Agitpropleiter des Unterbezirks Solingen. Seine erste Amtshandlung bestand darin, das Schaufenster des Parteibuchladens anziehender zu gestalten. Er war nun zwar arbeitslos, konnte sich aber als ausgelasteter Parteifunktionär - „von morgens früh 7 Uhr bis in die Nacht“ - nicht um Arbeit bemühen.260

Viele Selbstzeugen waren kaum weniger engagiert als Dickhut. Arbeitslose de-facto-Hauptamtliche wie Alfred Lemmnitz sind soziologisch nicht einfach einzuordnen. Gehörten sie lebensweltlich noch zur Basis oder hatten sie sich schon den Habitus von Parteiangestellten zu eigen gemacht? Werner Eggerath war wohl Mitte der 20er Jahre Funktionär einer Ortsgruppenleitung im Rheinland und bis in die Nacht für die Partei unterwegs. Änne Wagner erging es nicht anders: „Ständig war ich mit Parteiaufträgen und -veranstaltungen ausgelastet, und es blieb mir viel zu wenig Zeit, mich durch Lesen der Parteiliteratur weiterzubilden. Aber ging es den meisten Funktionären und Parteigenossen nicht ebenso?“ Alfred Spitzer war seit 1928 Polleiter der Ortsgruppe Neugersdorf und hatte als solcher „kaum einen freien Abend und selten einen freien Sonntag.261

Willy Sägebrecht engagierte sich nicht weniger aufopferungsvoll für die Partei, darüber hinaus gehörte er zu der Spezies der multiplen Funktionäre. Er war seit 1927 Mitglied der Bezirksleitung Berlin-Brandenburg, 1928 wurde er Polleiter der Ortsgruppe Liebenwalde und Ortsgruppenleiter des RFB, wo er später in die Untergauleitung und in die Gauleitung aufstieg. Daneben leitete er die Agitprop-Truppe des RFB und war Vorstandsmitglied beim „Arbeiter- Turn- und Sport-Bund“ in Liebenwalde. Schließlich hatte er auch noch einen Sitz in der Ortsverwaltung des „Deutschen Holzarbeiterverbandes“ und später in der RGO-Leitung: „Nach Beendigung meiner Arbeit hastete ich los und war häufig bis in die tiefe Nacht unterwegs, um allen diesen Funktionen gerecht zu werden.“ Ernst Puchmüller war Ende der zwanziger Jahre Mitglied von fünf KPD-Nebenorganisationen und dort fast überall im lokalen Vorstand. Die meisten multiplen Funktionäre waren fest im überparteilichen lokalen Vereinswesen verankert. Sie saßen in den Vorständen der diversen proletarischen Organisationen wie Gewerkschaften, Sport- oder Kulturvereinen, der Krankenkassen und Elternbeiräte oder hatten betriebliche Funktionen inne. Durch sie blieb die lokale KPD - bis ca. 1929 und oft auch noch später - in die Arbeiterbewegung der Gemeinde verwoben, gab es eine Kommunikation der kurzen Wege zwischen den verschiedenen proletarischen Organisationen.262

6 Die Politische Alltagsarbeit

Nachdem auf der Mitgliederversammlung endlich die Aufgaben besprochen und verteilt worden waren, konnte die Zelle oder Gruppe nun daran gehen, sie umzusetzen. Für eine bevorstehende Demonstration etwa waren Transparente zu malen, Plakate zu kleben, Flugblätter zu schreiben und zu verteilen, der Ordnerdienst zu organisieren, für Fahnen und Musik - also die obligatorische RFB-Schalmeienkapelle - zu sorgen. Wie sah nun der Demonstrationsalltag aus?263 Helmuth Warnke etwa demonstrierte 1927 mit der Hamburger KPD fast täglich für die Freilassung Saccos und Vanzettis. Albert Norden wurde am Hinrichtungstag Zeuge einer sehr erregten Spontandemonstration zum Hamburger US-Generalkonsulat. Der Malerlehrling Hans Benenowski war einer der über 100.000 Teilnehmer an der Demonstration gegen die Vollstreckung der Todesurteile gegen Sacco und Vanzetti in den USA am 24.8.1927 im Berliner Lustgarten. Die Transparente, die seine Berliner KJVD-Gruppe dabei mit sich führte, hatte er beschriftet.264

Jürgen Kuczynski war von ZK-Mitglied Florin für die Demonstration auf dem Bülowplatz in Berlin am 25.1.1933, die gegen den kürzlichen SA-Aufmarsch vor dem Karl-Liebknecht-Haus protestierte, als Instrukteur eingesetzt worden. Zu ihren ca. 130.000 Teilnehmern gehörten auch Franz Becker und Willy Sägebrecht. Kuczynskis Funktion bestand v.a. darin, die Mitglieder des illegalen RFB ruhig zu halten. Noch fast vierzig Jahre später klingt Begeisterung durch, wenn er schreibt: „Großartig war die Disziplin!“ Ein interessantes Detail aus der Kampagne für die Fürstenenteignung 1926 berichtet Willy Sägebrecht. Er und seine Genossen aus dem Wedding fuhren mit zehn bis zwölf LKW mit Anhängern, die mit Fahnen und Transparenten geschmückt und wohl mit Genossen voll beladen waren - über den Kurfürstendamm und in die Villenviertel Grunewald und Wannsee, was die flanierenden oder anwohnenden Bourgeois entsetzte. Im Demonstrationszug führten sie einen leeren Sarg mit, über dem ein Transparent hing mit der Aufschrift: „Fürstenabfindung? Ja, aber eineinhalb Meter unter der Erde!“, das mit einem großen weißen senkrechten Pfeil versehen war. Die Fahrt endete in einer Schlägerei mit Polizisten, weil diese den Sarg und das Transparent konfiszieren wollten. Kommunistische Demonstrationserfahrung war immer wieder auch Erfahrung mit der Staatsgewalt.265

Einen festen Platz im kommunistischen Kalender hatte die Demonstration zum Ersten Mai. Nicht nur Georg Jungclas, Robert Neddermeyer und Herbert Wehner hatten schon als Kinder im Kaiserreich an der Seite ihrer Väter an Maidemonstrationen teilgenommen. Sie waren also wie so viele andere Genossen mit der sozialdemokratischen Feiertradition aufgewachsen. Entsprechend schwer fiel es der KPD-Führung später, eigene Formen in der Mitgliedschaft durchzusetzen, blieb v.a. die traditionelle Abendveranstaltung ein Zankapfel. Den ausführlichsten Bericht über die kommunistische Begehung des Ersten Mai verdanken wir Karl Grünberg. Er mußte 1927 als Agitpropleiter des Berliner Verwaltungsbezirks Pankow die Massen für die Maifeier auf die Beine bringen und zitiert aus dem Plakat, das für die Teilnahme warb. Dieses kündigte folgendes Programm an: „Sieben Uhr: Großes Wecken durch die Tamboure des Roten Frontkämpferbundes. - Neun Uhr: Antreten [!] zur Demonstration nach dem Lustgarten. - Sechzehn Uhr: Beginn der Festveranstaltung im großen Gartenlokal ,Strauchwiese‘, Konzert, Darbietungen der Arbeiterradfahrer, Arbeiterturner und Arbeitersänger. Kinderbelustigungen. Aufführung eines Einakters von Johannes R. Becher. - Abschluß: Großes Brillant-Feuerwerk!"266

Die KPD-Führung verlangte in den Jahren 1924/25 und nach 1928 von den Zellen und Ortsgruppen, eigene Maikundgebungen durchzuführen. An der Basis findet sich auch hier oft eine andere Periodisierung. Wie ich annehme, spielt dabei der Grad der Zerrüttung zwischen den lokalen Parteileitungen von KPD und SPD eine bedeutende Rolle - und zwar vielfach ganz unabhängig von den Anweisungen aus Berlin. War man sich nicht grün oder konnte (oder wollte) man sich nicht über die Redner oder darüber einigen, welche Fahnen mitgeführt werden durften, veranstaltete die KPD ihre eigene Demonstration, die - versteht sich - größer als die der Konkurrenz auszufallen hatte. In anderen Kommunen gab es vor 1924, von 1925 bis 1928, aber auch in den anderen Jahren, gemeinsame Demonstrationen und Abendveranstaltungen zum Ersten Mai, deren Durchführung man dann zumeist dem ,neutralen‘ ADGB überließ. Bruno Frei erlebte am 1. Mai 1924 in Berlin zwei Maifeste und fand, „daher eigentlich keines“ erlebt zu haben. Auch Johann Reiners, Teilnehmer der KPD-Kundgebung im Berliner Lustgarten am 1. Mai 1932, konnte nicht verstehen, warum es getrennte Maikundgebungen gab, da doch die gesamte Arbeiterbewegung von den Nazis bedroht wurde.267

Der Parteialltag allerdings war weniger durch Demonstrationen und Feiern als durch mühselige Kleinarbeit geprägt, zu der die einfachen Genossen in den Augen vieler Angehöriger der Führung eigentlich immer zu wenig Bereitschaft zeigten. Diese tägliche Kleinarbeit bestand in erster Linie darin, die Publikationen, Broschüren und Zeitungen der KPD zu verkaufen sowie Abonnenten für die Parteipresse und neue Mitglieder zu werben. Die Erlebnisse der Selbstzeugen sind diesbezüglich wenig repräsentativ, da fast die Hälfte von ihnen als ehrenamtliche Funktionäre tätig waren und von daher auch die von der Führung erwartete Bereitschaft zum aktiven Engagement mitbrachten. Die Mutter von Heinz Hoffmann - die, obwohl sie Genossin war, „nicht regelmäßig am Parteileben teilnahm“ - ist denn auch das einzige KPD-Mitglied in der von mir herangezogenen Memoirenliteratur, das dem nahekommt, was man heute als ,Karteileiche‘ bezeichnet.268 Die vielfältigen Klagen der Führung über das unzureichende Engagement vieler Genossen zeichnen ein anderes Bild von der Aktivitätsbereitschaft der KPD-Mitgliedschaft als die Selbstzeugnisse. Typisch dafür ist folgende Feststellung: „Die sogenannte Kleinarbeit, die von allen Parteimitgliedern zur Gewinnung von Mitkämpfern und zur Stärkung der Organisation und der Presse unausgesetzt betrieben werden muß, hat leider immer noch nicht innerhalb der Partei die erforderliche Beachtung gefunden.269

Am leichtesten war es wohl, die Mitglieder bei Wahlkämpfen in Bewegung zu setzen. Nun hatte zwar die Führung, insbesondere um den ,ererbten‘ Charakter eines Wahlvereins endlich loszuwerden, die Partei auf Zellen umgestellt, nichtsdestotrotz behielt dieses Relikt sozialdemokratischer Tradition Wirkungsmacht. Das mag nicht zuletzt daran gelegen haben, daß Wahlkämpfe den Genossen eine scheinbar leichte Erfolgskontrolle ermöglichten: daß Wahlergebnisse leicht zugängliche und scheinbar einfach zu interpretierende Gradmesser des Erfolgs der eigenen Tätigkeit waren, und damit auch der Akzeptanz der Politik, die dabei kommuniziert wurde. Wie ich vermute, war es den meisten Genossen auch kaum plausibel zu machen, daß die ganzen Wahlkampfanstrengungen, der ganze Zeitaufwand nur zum Zweck der „Entlarvung“ des Kapitalismus unternommen wird. Statt dessen herrschte an der Basis - auch wenn die allermeisten Genossen nicht eine Sekunde daran glaubten, die „herrschende Klasse“ mit Wahlzetteln allein stürzen zu können - wohl, ganz wie in der SPD, die simple Ideologie der reinen Stimmenmaximierung vor. Tetje Lotz, dessen Straßenzelle sich stark im Reichstagswahlkampf 1930 engagiert hatte, beschreibt die Atmosphäre am Wahlabend: „Groß war dann die Freude, wenn in unserem Agitationslokal in der Rehmstraße die Stimmen zusammengetragen wurden.270

Besonders ausführlich ist wiederum der Bericht von Karl Grünberg, der 1928 als Leiter der Wahlarbeit in den Unterbezirk Oldenburg geschickt wurde. Zunächst, schreibt er, habe man in der Bezirksleitung einen groben Plan der Wahlpropaganda aufgestellt. Danach beschaffte er sich die nötigen Informationen, um ein Flugblatt zu schreiben, „das sowohl den Belangen der Werftarbeiter wie der Arbeitslosen“ gerecht werden konnte. Aus Mangel an guten Rednern vor Ort mußte Grünberg selbst fast jeden Abend in einem anderen Ort vor den Wahlversammlungen reden. Diese wurden von einem Kriegsinvaliden vorbereitet, der Grünberg mit seinem Fahrrad vorausfuhr und die Säle mietete, die Plakate klebte und die Lokalpresse informierte. Hans Fladung beschreibt den kommunistischen Wahlkampf im Bezirk Niederrhein 1932: „Im Bezirk gab es 20 Musik- und Schalmeienkapellen. Abend für Abend fanden Konzerte, Ansprachen, Geldsammlungen und Literaturverkauf statt, womöglich bereits bei Arbeitsschluß vor den Toren der Großbetriebe. Samstags und sonntags ging es in die Dörfer.“ Arthur Koestler konkretisiert: „Die Stimmenwerbung war die schwierigste Aufgabe; sie wurde meist an Sonntagvormittagen unternommen, da zu dieser Zeit die Leute am ehesten zu Hause anzutreffen waren. Man läutete an der Wohnungstür, klemmte den Fuß zwischen Tür und Angel, bot die Broschüren und Flugblätter an und lud freundlich zu einer sofortigen Diskussion ein. Kurz: wir verkauften die Weltrevolution wie Staubsauger.271

Da die KPD nicht das nötige Kleingeld hatte, um kommerzielle Plakatflächen anzumieten, mußten die Genossen nachts ausrücken und illegal Plakate kleben. Auch Willi Dickhut war während des Reichstagswahlkampfs 1928 nachts in Köln mit Genossen unterwegs. Dabei arbeitete man mit der SPD zusammen, um die jeweiligen Klebetrupps vor Naziüberfällen zu schützen. Tetje Lotz’ Straßenzelle in Hamburg hielt es 1930 genauso: „Bei den Auseinandersetzungen auf der Straße mit den faschistischen Terroristen gab es allerhand Berührungspunkte mit den Genossen der SPD.272

Bruno Retzlaff-Kresse weist darauf hin, daß manche Genossen beträchtliche Kreativität dabei entwickelten, möglichst schwer entfernbare Wahlparolen gut sichtbar anzubringen. Insbesondere jüngere Kommunisten sahen darin einen prestigeträchtigen Sport. Johann Reiners etwa brachte seine Fähigkeiten als Malermeister für die Sache ein, in dem er nachts Parolen malte. Angestachelt durch die Tat von Genossen einer Nachbarzelle, die auf einem Fabrikschornstein eine rote Fahne angebracht und die obersten Steigeisen abgesägt hatten, bemalte er eines Nachts 1932 die Ufereinfassung des Hohenzollernkanals in Berlin-Moabit mit riesigen Buchstaben: „Riese Proletariat erwache! Schmiede deine unbesiegbare Einheitsfront!“. Gerd Horseling berichtet, wie er und Genossen einmal sogar eine Polizeiwache nachts zuplakatiert haben.273

Generell scheinen sich viele Kommunisten nicht im Klaren darüber gewesen zu sein, daß eine Partei ganzjährig in der Öffentlichkeit präsent sein muß. Eine durchaus typische Haltung unter den einfachen Genossen wurde von Theodor Kupka, Polleiter der KPD-Ortsgruppe im oberschlesischen Tworkau, und seinem Mitautor Viktor Zajanz in einem Brief an Wilhelm Pieck vom 15.9.1928 veranschaulicht: „Es wird von der Redaktion [der Parteizeitung, U.E.] noch verlangt, daß wir noch mehr Abonnenten werben sollen. Wir sind doch nicht Werbepioniere fhr Zeitschriften, sondern Kampfpioniere. Wir sind beide der Meinung, da8 uns das viele Lesen doch nicht viel helfen kann. Nur praktische Arbeit an der Revolution.274

Daher führte die Parteiführung schon sehr früh sogenannte „Werbewochen“ ein, die aber wohl nur eine Konzentration des propagandistischen Engagements auf bestimmte Zeiten im Jahr zur Folge hatten. Außerdem benutzten einzelne Genossen, aber auch ganze Zellen oder Gruppen die Einrichtung der Werbewochen als Vorwand, um die sonstige Werbetätigkeit ganz einzustellen, worauf das ZK oder die Bezirksleitungen damit reagierten, daß sie die Frequenz der offiziellen Werbewochen erhöhten. Später versuchte man einerseits durch die oben schon erwähnten Sollvorgaben oder den „revolutionären Wettbewerb“ die Werbetätigkeit anzuheizen, aber benutzte auch ganz pragmatisch materielle Anreize, um die Mitglieder zu aktivieren. Die Stachanovs der kommunistischen Werbearbeit konnten Bücher, ein Lenin-Bild, eine kleine Lenin-Büste oder im Maximalfall sogar eine Reise ins „gelobte Land“ gewinnen.275 Für ihre erfolgreiche Werbetätigkeit (für die IAH) wurde im Frühjahr 1931 Helmut Damerius’ Agitproptruppe „Kolonne Links“ mit einer vierwöchigen Sowjetunion-Reise ausgezeichnet.276

Auch bei der Werbearbeit wurde durch die Genossen häufig der Weg des geringsten Widerstands eingeschlagen. Paul Meuter berichtet aus seiner Zeit als zuständiger Agitpropchef der Ortsgruppe Solingen 1929, daß der beste Literaturverkäufer die KPD-Broschüren ausgerechnet bei den „Bibelforschern“ („Zeugen Jehovas“) unterbrachte, indem er ihnen seinerseits Pamphlete abnahm, die er wiederum bei irgendwelchen Christen absetzte.277

Die gebräuchlichste Form der Presse- und Mitgliederwerbung war die „Haus- und Hofagitation“. Margarete Buber-Neumanns Zelle traf sich Sonntags um neun Uhr morgens im Parteilokal. Dort wurden die Genossen in Zweiergruppen eingeteilt, mit Material vollgepackt und marschierten los, „unentwegt von Treppenhaus zu Treppenhaus“. Die Genossen der Straßenzelle von Tetje Lotz in Hamburg trafen sich samstags und sonntags. Er berichtet, daß sie für die von ihnen verkauften Zeitungen und Broschüren eine Umsatzbeteiligung bekamen, „die unsere Zelle dringend brauchte“, um ihre Häuserblockzeitung 14tägig herausbringen zu können.278

Nicht vernachlässigt werden sollte die Werbung unter der dörflichen und Landbevölkerung. Viele proletarische Genossen konnten dem nicht unbedingt viel abgewinnen. Der Leiter der Landabteilung der Bezirksleitung Westsachsens beschwerte sich auf der Bezirksausschußsitzung am 21.5.1922 über die weitverbreitete „schiefe Einstellung unserer Genossen: ,Industrieproletariat ist Träger der Bewegung‘“.279 Mischket Liebermann beteiligte sich hingegen gerne an den „Roten Landsonntagen“ der KPD. Sie suchte ohnehin auch in Berlin „immer nach jemandem, den ich agitieren konnte“, und freute sich darüber, daß „wir unmittelbaren Kontakt mit den Menschen [!] hatten.“ Stand ein „Roter Landsonntag“ an, besorgte sich ihre Gruppe oder Zelle einen LKW und fuhr mit ihm - die Pritsche voller Genossen - aufs Dorf. Dort mieteten sie einen Raum im Dorfkrug oder verwendeten im Sommer den Platz davor und debattierten mit den zusammengelaufenen Bewohnern. Eigentlich aber war der „Rote Landsonntag“ die Domäne des RFB und seine Haupttätigkeit. Von einem Landeinsatz seiner Weddinger RFB-Kameradschaft berichtet Willy Sägebrecht: „Wir fuhren in irgendein Dorf, verteilten dort unser Agitationsmaterial oder verkauften Zeitschriften wie die ,Arbeiter-Illustrierte-Zeitung‘ (AIZ) und ,Die Rote Front‘ [RFB-Blatt]. Nachmittags oder abends hielten wir öffentliche Versammlungen ab oder veranstalteten einen Umzug durch den Ort.280

7 Gewerkschafts- und Betriebspolitik

Die ,Gewerkschaftsarbeit‘ entwickelte sich zum wohl wichtigsten Terrain kommunistischer Politik an der Basis.281 Das galt jedenfalls für die zwanziger Jahre. Dabei gab es, nimmt man die jeweilige Generallinie als Kriterium, vier Phasen. Von 1921 bis 1923 sollten die Gewerkschaften von innen erobert werden, während sie 1924 bis 1925 zerschlagen werden sollten. In den Jahren 1925 bis 1928 sollte erneut versucht werden, in ihnen Positionen aufzubauen, während in den letzten Jahren der Weimarer Republik der Aufbau eigener gewerkschaftsartiger Organisationen im Zentrum stand. Diese taktischen Schwankungen kamen an der Basis nicht unbedingt überall an. Paul Elfleins Ortsgruppe in Erfurt-Hochheim etwa merkte von der Installierung einer ,ultralinken‘ Führung 1924 diesbezüglich kaum etwas: „Praktisch schien sich nichts zu ändern, wir haben Versammlungen abgehalten, wie vorher auch, und unsere Arbeit gemacht, in der Partei und in der Gewerkschaft.282

Das Zauberwort der kommunistischen Gewerkschaftsarbeit lautete „Fraktionsbildung“. Die Genossen sollten in den dem ADGB angeschlossenen Organisationen genau das tun, was in der Partei selbst verpönt war: Sich zu Gruppen zusammenschließen und vor Versammlungen die gemeinsame Taktik absprechen. Die ADGB-Führung und die Leitungen der Einzelverbände reagierten zunächst rigide auf diesen Versuch, sozusagen eine Gegenführung zu installieren.283 Die Äußerungen über die Fraktionsarbeit der Genossen an der Basis in den KPD-Akten vermitteln aber eher den Eindruck, daß die Befürchtungen der Gewerkschaftsbürokratie vor einer Moskauer Nebenregierung übertrieben waren. Die Sinnhaftigkeit der Fraktionsarbeit in den Gewerkschaften war vielen Genossen nur schwer zu vermitteln. Das lag einerseits daran, daß sie eine Aufwandsverdoppelung mit sich brachte - zum Zeitaufwand für die Gewerkschaftsversammlung kam der für die Fraktionsversammlung hinzu. Andererseits ist dies darauf zurückzuführen, daß sich viele kommunistische Gewerkschaftsmitglieder in diesem Feld mehr als Gewerkschafter denn als Kommunisten betrachteten und daher auch selbst keine Weisungen außergewerkschaftlicher Instanzen akzeptieren wollten.284 Paul Elflein bringt die von der Führung als „Gewerkschaftslegalismus“ denunzierte Abneigung vieler Genossen gegen die Fraktionsarbeit auf den folgenden Punkt: „Wenn ich in einer Organisation bin, muß ich mich an die Statuten halten, solange ich nicht die Kraft habe, sie zu ändern, sonst entziehe ich mir die Grundlage, um politisch arbeiten zu können.285

Insgesamt waren 49 Selbstzeugen sicher Gewerkschaftsmitglieder. Davon waren nur ganze acht erst Kommunisten und dann Gewerkschafter geworden. Also haben mindestens knapp 40 % der Selbstzeugen ihre ersten und vielleicht auch fundamentalen Organisationserfahrungen in der Gewerkschaft und nicht in der Partei gemacht. In ihnen erlebten und lernten sie beispielsweise ganz konkret, was Demokratie bedeutet.286 Max Faulhaber wurde im Mai 1919 15jährig Mitglied der Gärtnergewerkschaft, was ihn fürs ganze Leben prägte: „Hier in der Gewerkschaft fand ich Geborgenheit“. Ähnlich fundamentale Erfahrungen machte Tönnies Hellmann: „In der Gewerkschaft bekommst du dein Klassenbewußtsein.287

Über den gewerkschaftlichen Alltag ist leider von den Selbstzeugen nicht viel zu erfahren. Ausführlicher hingegen sind äußerungen über die RGO-Politik der KPD ab 1929 zu finden. Karl Kunde berichtet aus Ludwigsburg, was auch schon Mallmann als allgemeine Tendenz ermittelt hat, daß nämlich da, wo die KPD starke gewerkschaftliche Bastionen hielt, sie den Weg zur Gewerkschaftsspaltung oft nicht mitmachte. Dort hatte die KPD starken Einfluß auf die Gewerkschaftsbewegung und waren die meisten Betriebsratsvorsitzenden Kommunisten, weshalb es nicht zu einer RGO-Gründung kam. Isaac Abusch sieht in den kommunistischen RGO-Anhängern v.a. Genossen, die es sich bequem machen wollten: „Gewerkschaftsarbeit ist keine leichte Arbeit, aber die RGO-Politik der KP hat den Leuten die Flucht aus der Gewerkschaft sehr leicht gemacht, sie brauchten nämlich gar keine Gewerkschaftsarbeit zu leisten. Sie waren jetzt Revolutionäre, ohne in der Gewerkschaft zu sein.“ Für Max Faulhaber kam eine Zugehörigkeit zur RGO nicht in Frage: „Ich hatte damals schon begriffen und auch persönlich erlebt: Die Forderungen der Arbeiter können nur im gemeinsamen gewerkschaftlichen Kampf durchgesetzt werden.“ Für Eugen Eberle galt das gleiche. Seiner Ansicht nach hat die „verhängnisvolle RGO-Politik von [vor] 1933 ... bestehende Verbindungen zwischen KPD-Betriebsräten und Arbeitern zerstört“. Willi Dickhut berichtet, daß es in Solingen vor dem Aufbau des RGO-Metallarbeiterverbandes grandiose Illusionen über die Massen, die aus dem DMV übertreten würden, gegeben hat. Die Folge war die Gründung eines einflußlosen Verbandes und das Ende der Opposition im DMV.

Aufschlußreich ist auch Franz Feuchtwangers Bericht über die Folgen der neuen Gewerkschaftstaktik der KPD ab 1928 für die Betriebszelle bei Siemens in Berlin, der er zugeteilt war. Deren Zellenführung „bestand großenteils aus älteren, hochqualifizierten Parteimitgliedern von der Pike auf, die gleichzeitig langjährige Vertrauensleute des Metallarbeiterverbandes waren und verschiedentlich auch Betriebsratsmitglieder“. Der aus der neuen Linie resultierende Loyalitätskonflikt zwischen Partei und Gewerkschaft lastete „zentnerschwer auf ihnen“.288

Eugen Eberle ist im übrigen einer der wenigen dokumentarisch belegbaren Kommunisten, die noch nach 1930 auf einer freigewerkschaftlichen Liste zum Betriebsrat gewählt wurden. Die Genossen sollten ab 1929 auf jeden Fall auf eigenen kommunistischen oder RGO-Listen kandidieren. Eberle gehörte, wie so viele, zur Spezies der radikalpragmatischen kommunistischen Betriebsräte, die sich ihren betrieblichen Einfluß durch ihr Engagement und ihre Risikobereitschaft erworben hatten. Oskar Hippe wurde 1925 zum Betriebsrat gewählt, weil er sich durch Kompromißlosigkeit auf Betriebsversammlungen auszeichnete. Willi Spicher, 1922 mit 24 Jahren zum Betriebsratsvorsitzenden bei der Radevormwalder Fahrrad AG gewählt, beschreibt den keinesfalls spektakulären und schon von der Konzeption im Betriebsrätegesetz her unpolitischen Betriebsratsalltag: „Große theoretische Reden waren nicht gefragt. Es ging in der Praxis um die Aufwärmung des Essens, um das versaute Klosett; es ging um die Schutzschürzen der Frauen, die in der Lackiererei arbeiteten usw.

Auch für Gerd Horseling, 1924-33 Betriebsrat in einem Gocher Großbetrieb, stand „die Magenfrage“, wie es damals hieß,289 im Zentrum seiner Tätigkeit. Außerdem sah er sich den Kollegen gegenüber verantwortlich, denen er sein Mandat verdankte, und nicht der Parteiführung: „Ich habe immer alle Arbeiter vertreten. Das wußten alle im Betrieb, und daran habe ich mich auch gehalten.“ Nicht wenige kommunistische Betriebsräte unterschieden sich also durch kaum mehr als ihre Parteizugehörigkeit von ihren sozialdemokratischen Kollegen. In Gottfried Grünbergs Hamborner Zechenbetrieb stand im Frühjahr 1929 die Entlassung von 95 Kumpels an. Zwei kommunistische Betriebsräte verhandelten trotz eines Zellenbeschlusses, daß jede Kündigung zu verhindern sei, mit der Zechenleitung über einzelne Kumpel - also ganz pragmatisch darüber, welchen Kollegen die Entlassung am ehesten zuzumuten sei. Grünberg radelte daraufhin pflichteifrig sofort nach Essen, um die dortige Bezirksleitung einzuschalten. Als die beiden Betriebsräte wegen ihres Verhaltens „heftig kritisiert wurden“ erklärten sie, lieber aus der Partei auszutreten, als die KPD-Linie vertreten zu wollen.290

Für Oskar Hippe ging die kommunistische Gewerkschaftslinie der ultralinken Phase nach 1928 in die völlig falsche Richtung: „Mit ihrer fehlerhaften Politik stieß die KPD die Mitglieder der SPD immer wieder zu ihren Führern zurück, isolierte sich mehr und mehr von den Betriebsarbeitern und hörte auf, eine selbständige Kraft in den Gewerkschaften zu sein.“ Die Konsequenz daraus sah nach den Erfahrungen Isaac Abuschs folgendermaßen aus: „Die KP hatte nur noch wenige Arbeiter, die in den Betrieben waren, und dort haben sie meistens ihre Politik nicht durchgeführt, die die Partei von ihnen verlangt hatte.“ Die immer kleiner werdende Gruppe von Genossen in den Betrieben291 war in erster Linie am Erhalt des Arbeitsplatzes orientiert, und nicht daran, durch die Organisierung ,wilder‘ Streiks weitere kommunistische Arbeitslose zu produzieren.292

Die zwangsläufige Folge solcher von Kommunisten gegen die Gewerkschaften ausgelösten Streiks beschreibt erneut Isaac Abusch: „Dort, wo sie [die KPD] illegale Streiks durchgeführt hatte, hat sie nie richtig siegen können, sind meistens ihre Leute aus dem Betrieb rausgeflogen.“ Was dann - so sieht es auch Käthe Popall - wiederum die Basis für weitere Streiks verringerte: „Das Problem der von der RGO initiierten Streiks bestand ja darin, daß in den Betrieben immer weniger KPD- und RGO-Leute waren, weil Kommunisten als erste entlassen wurden.“ Nach Meinung von Paul Elflein war das am Ende der Hauptgrund dafür, daß ein Generalstreik gegen die Installation der Hitler-Regierung im Januar 1933 nur von den mehrheitlich sozialdemokratisch orientierten Betriebsarbeitern hätte durchgeführt werden können. Die KPD hatte durch ihre katastrophale Politik jeden Einfluß auf sie verloren.293

VII. Schluß

Viele Aspekte - wie die kommunistische Moral oder die Formen der symbolischen Mitgliederintegration - konnten hier nur angedeutet werden. Die Sozialisation der Selbstzeugen zu untersuchen, wäre sicherlich interessant gewesen; erst recht sie mit ihrer Parteitätigkeit zu korrelieren. Wichtige Aspekte der Einstellungen der Genossen - etwa zu einzelnen Thesen des Marxismus-Leninismus, zur Weimarer Republik oder zu den vielen Facetten des Lebens außerhalb der Partei -, die innerparteilich nicht wirkungslos waren, mußten ebenfalls ausgelassen werden. Die hier vorgenommene analytische Trennung von kognitiven und praktischen Aspekten ist wegen der, wenn man so will: Dialektik von Sein und Bewußtsein nicht unproblematisch, denn: Einstellungen bedingen Praxis, Praxis verändert Einstellungen.

Daß hier, um die Farbigkeit des Parteilebens zu vermitteln, die Konflikte und Probleme des Parteialltags bevorzugte Beachtung fanden, halte ich für legitim, da hier erstens keinesfalls ein repräsentativer Anspruch erhoben wird und zweitens ,die andere Seite‘ in vielen anderen Studien nachgelesen werden kann. Die Gliederung dieses Textes orientiert sich an den in den archivalischen Quellen vorherrschenden Problemen. Weil ich nicht die Absicht hatte, die komplexe Alltagswirklichkeit in der KPD in irgendein theoretisches Prokrustesbett zu zwängen, habe ich oft bewußt einander widersprechende Zitate hintereinander gestellt. Der dabei manchmal entstehende Eindruck, die Selbstzeugen wären Mitglieder verschiedener Parteien gewesen, korrespondiert durchaus mit der realen Mannigfaltigkeit des Kommunismus in der Weimarer Republik.

Ein Ziel dieses Beitrags war herauszufinden, welche Erkenntnisse über den kommunistischen Parteialltag allein auf dieser Quellenbasis möglich sind. Schon das Ausmaß der unentbehrlichen Hintergrundinformationen, die einzufügen waren, zeigt anschaulich, daß die Erkenntnisgrenzen doch relativ eng gezogen sind. Das Problem der Quellenkritik tut ein übriges. Bis auf sehr wenige Fälle war mehr als eine Plausibilitätsprüfung, die immer breiten Raum für Subjektivität läßt, leider nicht möglich.

Trotzdem scheint mir dieses Experiment nicht völlig vergebens unternommen worden zu sein, da auf dieser Quellengrundlage sehr plastisch gezeigt werden kann, in welchem Maße die Massenorganisation KPD von den nicht immer leicht miteinander zu vereinbarenden Wertvorstellungen, Erfahrungen, Wahrnehmungsweisen, Ideen, Anschauungen, Interessen, Bedürfnissen, Intentionen, Zielen, Beiträgen, Fähigkeiten, Eigenschaften und Persönlichkeiten der Mitglieder geprägt wurde und welcher Aufwand getrieben werden mußte, um dieses immer wieder auseinanderstrebende soziale Gefüge zusammenzuhalten, was von Historikern - soziologisch unsensibel - oft leichtfertig einfach vorausgesetzt wird.

Nähme man die archivalischen überbleibsel aus der Tätigkeit der KPD-Bürokratie als Quellengrundlage hinzu, entstünde ein Gesamtbild, welches biographische Plastizität mit repräsentativer Erkenntnis kombinieren könnte. Die Relevanz einer solchen Untersuchung zur politischen Sozialgeschichte ließe sich nicht zum wenigsten mit der Tatsache begründen, daß die Tragödien des zwanzigsten Jahrhunderts - zu denen zweifellos und nicht an letzter Stelle die Geschichte des Kommunismus gehört - in allererster Linie Lebensgeschichten ganz einfacher Menschen sind.294

VIII. Fußnoten

1 Hermann Weber, Die Wandlung des deutschen Kommunismus, Bd. 1, Frankfurt am Main 1969, S. 287.

2 Darüber hinaus finden sich die Erinnerungen von mehreren hundert weiteren ehemaligen KPD-Mitgliedern, die für das „Zentrale Parteiarchiv“ (ZPA) der SED angefertigt wurden, in der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv“ (SAPMO-BArch) in Berlin (Vgl. Karin Hartewig, Das Gedächtnis der Partei. Biographische und andere Bestände in der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv“, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 1993, S. 312-323).

3 Als Ausnahme von dieser Regel sollte hingewiesen werden auf Gerd Reuter, KPD-Politik in der Weimarer Republik. Politische Vorstellungen und soziale Zusammensetzung der KPD in Hannover zur Zeit der Weimarer Republik, Hannover 1982, eine Oral History-Untersuchung, die jedoch längst nicht mehr auf dem Stand der sozialhistorischen Diskussion ist. Analysen von Selbstzeugnissen ehemaliger KPD-Mitglieder jeweils unter ganz anderer Fragestellung finden sich auch bei Ernst-August Roloff, Exkommunisten. Abtrünnige des Weltkommunismus. Ihr Leben und ihr Bruch mit der Partei in Selbstdarstellungen, Mainz 1969 und Michael Rohrwasser, Der Stalinismus und die Renegaten. Die Literatur der Exkommunisten, Stuttgart 1991. Der hier vorliegende Aufsatz ist vor diesem Hintergrund zum wenigsten eine Ergänzung des auf obigen Werken gründenden Kenntnisstands um bisher nicht systematisch ausgewertete Quellen. Immer noch aufschlußreich ist auch Gabriel A. Almond, The Appeals of Communism, Princeton 1954, wo auf der Basis von Interviews die politischen Biographien von 221 ehemaligen Kommunisten aus 4 Ländern untersucht werden.

Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996.

5 Ulrich Eumann, „Strengste Disziplin“ oder Resistenz. Das Verhältnis von Parteibasis und politischer Führung in der KPD, unveröffentlichte Magisterarbeit, Köln 1995.

6 Auch in meinem Dissertationsprojekt, woran ich im Augenblick arbeite und aus deren Zusammenhang dieser Aufsatz hervorgegangen ist, wird der Schwerpunkt auf dieser Quellengruppe liegen müssen. Dies ist einerseits der wesentlich umfangreicheren Fragestellung - einem Vergleich des Mitgliederverhaltens in fünf KPD-Bezirksorganisationen - zu schulden, zu der eben diese Quellen auch wesentlich informativer sind, und anderseits dem Umstand, daß eine Untersuchung allein auf der Basis von Selbstzeugnissen doch mit so vielen methodischen Problemen behaftet ist, daß sie nur auf diesen Füßen kaum allein stehen könnte.

7 Mallmann hat sich statt dessen für eine v.a. quantitative Auswertung saarländischer Wiedergutmachungsakten entschieden, über die er z.B. 31,9 % der saarländischen KPD-Mitglieder von 1932 erreicht, was die Reichweite der veröffentlichten Selbstzeugnisse natürlich weit in den Schatten stellt (Mallmann, Kommunisten, a.a.O., S. 95).

8 Klaus Schönhoven, Reformismus und Radikalismus. Gespaltene Arbeiterbewegung im Weimarer Sozialstaat, München 1989, S. 254.

9 Weitere zehn Selbstzeugnisse wurden in der BRD in DKP-/SEW-Kreisen angeregt und/oder betreut. Für sie gilt dasselbe wie für DDR-Erzeugnisse. Ein ähnlich geartetes Problem betrifft die in den Hochzeiten des Kalten Krieges in der BRD geschriebenen Autobiographien.

10 Z.B. den Kommissionen zur Erforschung der örtlichen Arbeiterbewegung der SED-Bezirksleitungen.

11 Eine Ausnahme ist die Autobiographie des von Ulbricht 1958 geschaßten früheren Industrieministers Fritz Selbmann (Alternative - Bilanz - Credo. Versuch einer Selbstdarstellung, Halle 1969, 2. Aufl.), der zwar auch, sofern er politische Entwicklungen schildert, den üblichen völlig informationslosen SED-Jargon verwendet, aber doch, sobald wieder persönliche Dinge behandelt werden, wieder in seinen eigenen Stil und seine eigene Offenheit zurückkehrt und dort dann auch einige Aufschlüsse bietet. Ähnlich Hans Fladung (Erfahrungen. Vom Kaiserreich zur Bundesrepublik, hg. von Josef Schleifstein, Frankfurt am Main 1986), dem es ebenfalls gelingt, sich dem perversen Reiz zu entziehen, sich selbst zum nie geirrt habenden Idealmenschen zu stilisieren. Vgl. als Genrevorlage für die Erinnerungen aus der DDR die erste Veröffentlichung einer mehrere Jahrzehnte umfassenden Autobiographie eines Veteranen der Arbeiterbewegung im Dietz-Verlag: Willy Sägebrecht, Nicht Ambo8, sondern Hammer sein. Erinnerungen, Berlin (DDR) 1968 und insbesondere die Hinweise dazu in den Vorbemerkungen der Herausgeber aus dem Institut für Marxismus-Leninismus (IML). Wichtig als allgemeines Genrevorbild auch Ludwig Turek, Ein Prolet erzählt, Frankfurt am Main 1985.

12 Andererseits sind es aber gerade die ,Renegaten‘, die oft die reflektiertesten und daher nicht selten die informativsten Memoiren geschrieben haben. Exemplarisch Valentin Senger (Kurzer Frühling. Erinnerungen, Hamburg 1992), der schon 1927 mit neun Jahren Mitglied der kommunistischen Kinderorganisation „Jung-Spartakusbund“ geworden war (den ich aber wegen seiner Jugend nicht in das Sample aufgenommen habe).

13 Beispielhaft: Oskar Hippe, ... und unsere Fahn’ ist rot. Erinnerungen an sechzig Jahre in der Arbeiterbewegung, Hamburg 1979. Ebenfalls nur selten finden sich Selbstzeugen von so weitreichender Souveränität, daß sie ihre früheren Irrtümer stehen lassen können und nicht zugunsten eines geschönten Idealselbstbildes austilgen. Andererseits gibt es gerade unter Memoiren mit DDR-Hintergrund - exemplarisch: Gottfried Grünberg (Kumpel, Kämpfer, Kommunist, Berlin (DDR) 1977) - das autobiographische Genre der marxistisch-leninistischen Entwicklungsgeschichte vom naiv-dummen unpolitischen Arbeiterkind, das sich - dank der Partei - zum die Welt mit Hilfe des Schlüssels der einzig wahren Gesellschaftstheorie restlos durchschauenden Revolutionär entwickelt, das aber schon wieder reichlich stereotypisiert wirkt.

14 Besonders offensichtlich wird dies bei den vielfach geäußerten Interpretationen über die Hintergründe bestimmter politischer Maßnahmen der Parteiführung, die sich den Anschein des Insiders geben, aber eindeutig nicht über den Status teilweise obskurer Spekulationen hinauskommen.

15 Beispielhaft Margarete Buber-Neumann, Von Potsdam nach Moskau. Stationen eines Irrwegs, Köln 1981, 2. Aufl., S. 195ff. Daß sich manchmal ein Selbstzeuge sogar an Transparentaufschriften erinnert (Sägebrecht, S. 88) bringt erst das Salz in die Suppe einer solchen Untersuchung.

16 Z.B. in den 11 Episoden von Carl Wüsthoff in: Erasmus Schöfer (Hg.), Der rote Großvater erzählt. Berichte und Erzählungen von Veteranen der Arbeiterbewegung aus der Zeit von 1914 bis 1945, Frankfurt am Main 1974.

17 Karl Tuttas, Einer von jenen. Erinnerungen, Halle 1980, S. 73.

18 Ernst-August Roloff ist sicherlich zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, daß „wörtliche Reden in Erinnerungen grundsätzlich als rekonstruiert und damit historisch als unecht zu betrachten“ sind (Roloff, Exkommunisten, a.a.O., S. 47), selbst dann wenn sie ,historisch echte‘ Atmosphären wiedergeben.

19 Barrington Moore, Ungerechtigkeit. Die sozialen Ursachen von Unterordnung und Widerstand, Frankfurt am Main 1982, S. 262.

20 Vgl. etwa die Akten der zuständigen Agitprop-Abteilung des ZK (SAPMO-BArch RY1/I2/707), insbesondere die dortigen Angaben über Schulungsteilnahme, Verbreitung von Literatur, Parteizeitungen und Spezialzeitschriften unter der Mitgliedschaft. Vgl. auch das einschlägige Kapitel bei Mallmann, Kommunisten (4.5. Die Macht des Wortes: Presse, Schulung und Lektüre).

21 1927 führte die KPD eine reichsweite soziologische Untersuchung der Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft („Reichskontrolle“) durch, die dem ZK bei der weiteren Politikplanung helfen sollte. Die reichsweiten Ergebnisse, angereichert durch einige ausgewählte, auch regional differenziert ausgewiesene Aspekte, sind zu finden bei Wienand Kaasch, Die soziale Struktur der KPD, in: Die Kommunistische Internationale 9/1928, S. 1050-1067. Weitere Ergebnisse auf kleinräumiger Ebene finden sich in den Akten der Organisationsabteilungen des ZK bzw. der KPD-Bezirksorganisationen (z.B. des Bezirks Ruhrgebiet unter SAPMO-BArch RY1/I3/18-19/29), sowie in den Funktionärszeitschriften der einzelnen Bezirke.

22 Kaasch, Struktur, a.a.O., S. 1051. Erfaßt wurden dabei 115.702 von 143.172 abgerechneten Mitgliedern, wobei die Repräsentativität der erfaßten 80,81 % für die Gesamtheit ungeklärt ist.

23 Die relative Jugend der Selbstzeugen spiegelt in verzerrter Weise die relative Verjüngung der KPD-Mitgliedschaft in den Jahren nach 1928/29 wider. Genaue Angaben über die altersmäßige Zusammensetzung der KPD zum Zeitpunkt des Parteiverbots 1933 liegen für die Reichsebene nicht vor.

24 SAPMO-BArch RY1/I2/4/28, Bl. 2.

25 Diese doch auffällige Differenz verweist erneut auf das oben behandelte Auswahlproblem.

26 Dabei wurde vom angegebenen Beruf des Vaters ausgegangen.

27 Ein Anteil, der sich - was kaum überrascht - nahezu mit dem der Selbstzeugen aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Familien deckt.

28 Vgl. zum „Lebenszykluseffekt“ politischer Aktivität Oskar Niedermayer, Innerparteiliche Partizipation, Opladen 1989, S. 79-83.

29 Zehn Selbstzeugen machten keine Angaben über das Beitrittsjahr.

30 SAPMO-BArch RY1/I2/4/28, Bl. 3.

31 Angegeben ist die jeweils höchste im Verlauf der Parteikarriere erreichte Funktion. Die hauptamtlichen Funktionäre wurden trotz meines vorrangigen Interesses an der Parteibasis im Sample gelassen, weil sie naturgemäß nicht von Anfang ihrer Mitgliedschaft an in diesen Positionen waren.

32 Franz Dahlem, Jugendjahre. Vom katholischen Arbeiterjungen zum proletarischen Revolutionär, Berlin (DDR) 1982.

33 Alexander Abusch, Der Deckname. Memoiren, Berlin (DDR) 1981. Ich war halt immer ein Rebell. Politische Erinnerungen von Heinrich und Marie Galm, nach Gesprächen zusammengestellt von Werner Fuchs und Bernd Klemm, Offenbach 1980. Die Revolutionäre Illusion. Zur Geschichte des linken Flügels der USPD. Erinnerungen von Curt Geyer, hrsg. von W. Benz/H. Graml, Stuttgart 1976. Babette Groß, Willi Münzenberg, Stuttgart 1967.

34 Max Benkwitz, Bevor unsere Republik entstand, Halle 1972. Gerd Horseling, Die gerade Linie beibehalten. Lebenserinnerungen, Düsseldorf o.J. [1989]. In der Zelle zum Abgeordneten gewählt - Willi Spicher. Nach Interviews und Gesprächen bearbeitet von K. Himmelstein, Wuppertal 1981.

35 Willi Bohn, Einer von Vielen. Ein Leben für Frieden und Freiheit, Frankfurt am Main 1981.

36 Erich Glückauf, Begegnungen und Signale. Erinnerungen eines Revolutionärs, Berlin (DDR) 1976. Albert Norden, Ereignisse und Erlebtes, Berlin (DDR) 1981.

37 SAPMO-BArch RY1/I2/4/28, Bl. 65.

38 SAPMO-BArch RY1/I2/4/28, Bl. 162.

39 Hier hinkt der Vergleich allerdings, da Angaben zu einem Stichjahr mit solchen über einen längeren Zeitraum verglichen werden.

40 Längst nicht alle Autobiographien umfassen sämtliche Jahre der Weimarer Republik. Das Extrembeispiel ist Alfred Kurella, Unterwegs zu Lenin. Erinnerungen, Berlin (DDR) 1967, der nur die Jahre 1916-19 behandelt.

41 Wilhelm Eildermann, Als Wanderredner der KPD unterwegs. Erinnerungen an die ersten Jahre der KPD 1919-1920, Berlin (DDR) 1977. Erich Wiesner, Man nannte mich Ernst. Erlebnisse und Episoden aus der Geschichte der Arbeiterjugendbewegung, Berlin (DDR) 1978, 4. Aufl.

42 Mitgliedschaftsjahre über das Verbotsjahr 1933 hinaus wurden hier nicht berücksichtigt.

43 Karola Bloch, Aus meinem Leben, Pfullingen 1981. Robert Havemann, Ein deutscher Kommunist. Rückblicke und Perspektiven aus der Isolation, Hamburg 1978. Darunter sind allerdings einige, die nach einigen Jahren Mitgliedschaft im „Kommunistischen Jugendverband Deutschlands“ (KJVD) 1932 die Altersgrenze erreicht hatten und in die Partei übergegangen waren.

44 Almond, Appeals, a.a.O., S. 225.

45 Die Motive für einen vorherigen Beitritt zur SPD oder „Sozialistischen Arbeiterjugend“ (SAJ) wurden nicht erfaßt, weil der Schwerpunkt dieses Beitrags auf der Hinwendung zum Kommunismus liegt.

46 Beispielsweise Eugen Eberle (mit Peter Grohmann, Die schlaflosen Nächte des Eugen E. Erinnerungen eines schwäbischen Jakobiners, Stuttgart 1982, S. 13 bzw. S. 19), der kurz nach Aufnahme seiner Lehre im Betrieb durch einen ihn beeindruckenden kommunistischen Kollegen zunächst für den „Deutschen Metallarbeiterverband“ (DMV) und dann langfristig auch für die KPD gekeilt wurde, der er sofort nach Abschluß der Lehre beitrat; ähnlich auch Tönnies Hellmann (Friedrich Dönhoff und Jasper Barenberg (Hg.), Ich war bestimmt kein Held. Die Lebensgeschichte von Tönnies Hellmann. Hafenarbeiter in Hamburg, Reinbek 1998). Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der beeindruckenden kommunistischen Kollegen war in der hypermaskulin geprägten Arbeitswelt der Weimarer Republik der persönliche Mut. Zur Werbung durch die Familie sei nur hingewiesen auf die Beispiele Erich Honecker - der sich als Zehnjähriger 1922 ohne Widerspruch vom übermächtigen und angehimmelten Vater bei den „Kommunistischen Kindergruppen“ einschreiben ließ (Reinhard Andert und Wolfgang Herzberg, Der Sturz. Honecker im Kreuzverhör, Berlin 1990, S. 130) - und Walter Janka - der versuchte dem Vorbild seines sieben Jahre älteren Bruders, der 1932 mit 25 Jahren schon KPD-Reichstagsabgeordneter wurde, nachzueifern: „Ich bewunderte ihn grenzenlos.“ (Spuren eines Lebens, Reinbek 1992, S. 29). Willi Spicher hingegen wurde durch einen Cousin seiner Mutter für die KPD geworben (S. 12).

47 Besonders spannend ist hier die Frage, warum diese Erfahrungen - die ja selbstverständlich kein exklusives Gut dieser späteren Kommunisten waren - ausgerechnet bei ihnen, und eben der großen Mehrheit z.B. der Klassengleichen nicht, zum Beitritt zur KPD führten.

48 Bei Buber-Neumann (S. 74) wird eine Frau beschrieben, die aus „Gutherzigkeit und Wohlwollen“ Kommunistin geworden und deren Ehemann auch aus Abenteuerlust und zur Ablenkung vom „eintönigen Arbeiterdasein“ der KPD beigetreten sein soll.

49 Mischket Liebermann, Aus dem Ghetto in die Welt. Autobiographie, Berlin (DDR) 1977, S. 60. Bei Rolf Helms (Anwalt des Volkes. Erinnerungen, Berlin (DDR) 1978, S. 59) Aussage „Mit dem Eintritt in die KPD erhielt mein Leben einen völlig neuen Sinn.“ handelt es sich um eine stereotype, aber im Einzelfall sicher durchaus authentische in Memoiren aus der DDR immer wiederkehrende Formel.

50 Manès Sperber, Die vergebliche Warnung, Frankfurt am Main 1993, S. 43.

51 „... Einschnitte“. Sechzig Jahre mitten mang. Über das Leben des Hamburger Kommunisten Tetje Lotz. Autobiographische Aufzeichnungen, Hamburg 1986, S. 38.

52 Von 89 Männern im Sample haben 26 am 1. Weltkrieg teilgenommen, davon 8 vom ersten bis zum letzten Tag.

53 Hilde Benjamin, Georg Benjamin. Eine Biographie, Berlin (DDR) 1977. Heinrich Vogeler, Erinnerungen, hg. von Erich Weinert, Berlin (DDR) 1952.

54 Hans Werner Richter, Briefe an einen jungen Sozialisten, Hamburg 1974.

55 Susanne Leonhard, Gestohlenes Leben. Schicksal einer politischen Emigrantin in der Sowjetunion, Stuttgart 1959. Rita Sprengel, Der rote Faden. Lebenserinnerungen. Ostpreußen, Weimarer Republik, Ravensbrück, DDR, Die Wende, Berlin 1994.

56 Robert Neddermeyer, Es begann in Hamburg. Ein deutscher Kommunist erzählt aus seinem Leben, Berlin (DDR) 1980. Karl Grünberg, Episoden, Berlin (DDR) 1980.

57

Hans Fladung wurde 1920 VKPD-Mitglied, weil seine USPD-Ortsgruppe in Sprendlingen bei Frankfurt am Main einstimmig für den Beitritt zur Kommunistischen Internationale (KI) votiert hatte (S. 70).

58 Fritz Globig, ... aber verbunden sind wir mächtig. Aus der Geschichte der Arbeiterjugendbewegung, Berlin (DDR) 1958.

59 Recha Rothschild, Verschlungene Wege. Identitätssuche einer deutschen Jüdin, Frankfurt am Main 1994.

60 Max Barthel, Kein Bedarf an Weltgeschichte. Geschichte eines Lebens, Wiesbaden 1950. Jan Valtin [d.i. Richard Krebs], Tagebuch der Hölle, Köln 1957.

61 Emil Carlebach, Am Anfang stand ein Doppelmord. Kommunist in Deutschland, Köln 1988. Max Faulhaber, „Aufgegeben haben wir nie ...“ Erinnerungen aus einem Leben in der Arbeiterbewegung, Marburg 1988.

62 Herbert Crüger, Verschwiegene Zeiten. Vom geheimen Apparat der KPD ins Gefängnis der Staatssicherheit, Berlin 1990. Franz Feuchtwanger, Der militärpolitische Apparat der KPD in den Jahren 1928-1935. Erinnerungen, in: IWK 4/1981, S. 485-533.

63 August Fricke, Erinnerungen, Begegnungen, Erfahrungen. Ein Beitrag zur Geschichte der niedersächsischen Arbeiterbewegung, Einbeck 1981.

64 Wilhelm Geusendam, Herausforderungen. KJVD - UdSSR - KZ - SPD, Kiel 1985.

65 Franz Becker, Vom Berliner Hinterhof zur Storkower Komandantura, Berlin (DDR) 1985. Julius Háy, Geboren 1900. Aufzeichnungen eines Revolutionärs, München/Wien 1971.

66 Kaasch, Struktur, S. 1064.

67  Hier sei noch einmal pauschal hingewiesen auf die Akten der diversen Agitprop-Abteilungen der KPD-Bezirksleitungen und insbesondere der Zentrale bzw. des ZK in der SAPMO-BArch. Unter den letzteren (Signatur RY1/I2/707) finden sich u.a. Akten zur Schulungstätigkeit der Bezirke, Schulungsmaterialien, Unterlagen über Herstellung und Vertrieb von Literatur durch Parteiverlage und Parteistellen. Die nunmehr dem Bundesarchiv angeschlossene Bibliothek des ehemaligen IML besitzt zahlreiche von der KPD in der Weimarer Republik veröffentlichten Broschüre. Doch wieviele Listen von produzierter und vertriebener Literatur man auch herausschreiben möchte, dem konkreten Leseverhalten der großen Masse der einfachen KPD-Mitglieder kommt man damit kaum näher. Man erfährt im besten Fall nur was hätte gelesen werden können, und, wenn es hoch kommt, ein paar Auflagenzahlen. Diese müßten aber erst noch mit der unbekannten Zahl derjenigen Leser multipliziert werden, die sich diese Schriften bei Freunden, Genossen, ihrer Parteigruppe oder einer Bibliothek ausgeliehen haben. Davon müßte dann die Zahl derjenigen abgezogen werden, die sich diese Werke gekauft und ungelesen in den Schrank gestellt haben. Beispiele dafür unter den Selbstzeugen sind etwa Helmut Damerius (Über zehn Meere zum Mittelpunkt der Welt - Erinnerungen an die ‚Kolonne Links‘, Berlin (DDR) 1977), der sich die erste deutsche Lenin-Gesamtausgabe wohl in erster Linie deswegen gekauft hatte, um sie für die Texte, die er für die Agitproptruppe „Kolonne Links“ schrieb, auszuschlachten (S. 397) oder Robert Neddermeyer, der sich zwar eine kleine marxistisch-leninistische Bibliothek zusammengekauft hatte, aber vor lauter Parteiarbeit nur selten zum Lesen kam (S. 147). Und dann wäre immer noch offen, wieviele Nichtmitglieder unter den Käufern und Lesern waren.

68 Für Alexander Abusch z. B. war Lektüre ein „Lebensbedürfnis“ (S. 163). Max Barthel stürzte sich nach Beendigung der Schule auf jedes Buch (S. 30). Emil Carlebach las als Siebzehnjähriger fleißig marxistische und antimarxistische Literatur (S. 49). Dem ehemaligen Katholiken Franz Dahlem war seine erste marxistische Bibliothek sein „größter Stolz und heiliges [!] Besitztum“ (S. 280).

69 Ein gewisses Gegengewicht gegen die Vorherrschaft der proletarischen Intellektuellen im Sample bieten die Selbstzeugnisse, die auf Initiative interessierter Dritter zurückgehen, also zum Beispiel auf Interviews beruhen, und über die dann auch andere Mitgliedermilieus zu Wort kommen (zum Beispiel Isaac Abusch, Erinnerungen und Gedanken eines oppositionellen Kommunisten, hg. von Joachim Kowalczyk, Mainz 1994).

70 In der Akte „Orgaufbau und Mitgliederbewegung 1920-23“ aus dem KPD-Bezirk Rheinland-Westfalen (SAPMO-BArch RY1/I3/20-21/20) fiel mir unerwartet in einem hinten eingesteckten Umschlag ein Mitgliedsbuch der KPD aus dem Jahre 1923 in die Hand, welches eben auf S. 37 obige Aufforderung nebst einer Liste von unbedingt zu lesender Literatur enthält. Dort finden sich auch auf S. 29f. unter der überschrift „Grundsätze der Kommunisten“ Auszüge aus dem „Manifest“. Letzteres kann natürlich auch als Ausfluß einer durchaus realistischen Erwartung der Führung interpretiert werden, daß viele Mitglieder die angegebene Literatur doch nicht durcharbeiten werden.

71 1932 berichtet das Sekretariat des Unterbezirks Leipzig, daß das ZK plane, das „Manifest“ in Millionenauflage zu einem Preis von 25-30 Pfennig herauszubringen (SAPMO-BArch RY1/I3/8-10/154, Bl. 63). Ob daraus etwas wurde, ist mir nicht bekannt.

72 SAPMO-BArch RY 1/I2/4/24, Bl. 188. Vor diesem Hintergrund ist auch folgende Episode aus einem Bericht der Bezirksleitung Westsachsen an das ZK vom 15.8.1927 nicht mehr ganz unverständlich. Anläßlich des Reichsbannertages in Leipzig im August 1927 hatte die Bezirksleitung ihre Genossen zu Diskussionen mit den Reichsbannerleuten aufgefordert: „Bei dieser Gelegenheit hat ein RB-Mann sich auf das Kommunistische Manifest berufen und unseren Genossen gefragt, seit wann dieses existiere. Unser Genosse hatte natürlich [!] keine Ahnung vom Kommunistischen Manifest noch von seinem Entstehen und erklärte, das Manifest existiere seit 1920. Es war klar, daß unser Genosse dem Gelächter der anderen anheim fiel.“ (SAPMO-BArch RY1/I3/10/129, Bl. 33).

73 Wobei die nichtbeitragleistenden Mitglieder noch gar nicht erfaßt sind (SAPMO-BArch RY1/I2/4/28, Bl. 173).

74 Darunter so illustre Namen wie Jürgen Kuczynski (Memoiren, Köln 1983), Arthur Koestler (Als Zeuge der Zeit, Frankfurt am Main 1986) und der spätere Leiter des Aufbau-Verlags Walter Janka. Von diesen 41 Selbstzeugen gehören 22 sicher zu den Lesern und Viellesern, 17 bringen wirklich überhaupt nichts Verwertbares, und gerade mal zwei gingen jeder Lektüre definitiv aus dem Weg.

75 Wolfgang Abendroth, Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Gespräche, aufgezeichnet und herausgegeben von B. Dietrich und J. Perels, Frankfurt am Main 1976. Georg K. Glaser, Geheimnis und Gewalt. Ein Bericht, Reinbek 1994. Bruno Retzlaff-Kresse, Illegalität - Kerker - Exil. Erinnerungen aus dem antifaschistischen Kampf, Berlin (DDR) 1980.

76 Karl Siebig, „Ich geh’ mit dem Jahrhundert mit“. Ernst Busch. Eine Dokumentation, Reinbek 1980, S. 24. Kurella, S. 22. Heinz Hoffmann, Mannheim. Madrid. Moskau, Berlin (DDR) 1981, S. 76. Gottfried Grünberg, S. 91. Dahlem, S. 282f. bzw. S. 293. Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 4, S. 474. Isaac Abusch, S. 44.

77 Gottfried Grünberg, S. 112f.

78 Von den 41 Selbstzeugen, die keine konkreten Angaben über ihre Lektüre machen, also keine Titel nennen, dürften Franz Feuchtwanger, Jürgen Kuczynski und Günter Reimann (Zwischenbilanz. Ein Zeuge des Jahrhunderts gibt zu Protokoll, Frankfurt/Oder 1994) als studierte Ökonomen mit Sicherheit zu den „Kapital“-Lesern gehört haben. Von den anderen 62 haben weitere acht - Werner Eggerath (Nur ein Mensch, Weimar 1947), Julius Háy, Ruth Liepman (Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall. Erzählte Erinnerungen, Köln 1993), Ernst Puchmüller (Einer von vielen. Genosse Ernst Puchmüller berichtet aus seinem Leben, Rostock 1958), Manès Sperber, Alfred Spitzer (Neugersdorf - meine zweite Heimat (1925-1933). Erinnerungsbericht, Löbau 1986), Heinrich Vogeler und Heinz Zöger (Carola Stern, In den Netzen der Erinnerung. Lebensgeschichte zweier Menschen, Reinbek 1989) - ohne Titelangaben Bücher von Marx gelesen.

79 Geyer, S. 26, Helm, S. 56, Dahlem, S. 574, Maximilian Scheer, Ein unruhiges Leben. Autobiographie, Berlin (DDR) 1975, S. 59. Geusendam, S. 91.

80 Trude Richter, Totgesagt. Erinnerungen, Halle/Leipzig 1990, S. 114. Axel Eggebrecht, Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche, Reinbek 1981, S. 105.

81 Karl Retzlaw [d.i. Karl Gröhl], Spartakus - Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters, Frankfurt am Main 1971, S. 312. Eildermann, S. 96.

82 Damerius, S. 15. Hoffmann, S. 98. Stern, S. 75. Johann Reiners, Erlebt und nicht vergessen. Eine politische Biographie, Fischerhude 1982, S. 44.

83 Paul Meuter, Lebenserinnerungen eines Solinger Kommunisten, Solingen 1992, S. 30. Sprengel, S. 59f. Gottfried Grünberg, S. 91.

84 Reiners, S. 44.

85 Benjamin, S. 49. Benkwitz, Dahlem, Bruno Frei (Der Papiersäbel. Autobiographie, Frankfurt am Main 1972), Alfred Lemmnitz (Beginn und Bilanz. Erinnerungen, Berlin (DDR) 1985), Puchmüller, Richter, Sperber und Zöger haben ohne Titelangaben Werke einzelne Lenins gelesen.

86 Dahlem, S. 612f. Glückauf, S. 27.

87 SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/32, Bl. 209.

88 Klaus Kinner, Marxistische deutsche Geschichtswissenschaft 1917 bis 1933, Berlin (DDR) 1982, S. 43.

89 Kurella, S. 24. Max Emendörfer, Rückkehr an die Front. Erlebnisse eines deutschen Antifaschisten, Berlin (DDR) 1972, S. 31f.

90 Die Zustimmung zu Lenins Vorschlag, wie die Macht zu erringen sei, war wohl in der KPD-Mitgliedschaft kaum ein Problem.

91 Titel der deutschen Erstausgabe nach Hermann und Gerda Weber, Lenin-Chronik, München 1983, S. 229. Spätere DDR-Ausgaben unter: „Der ,linke Radikalismus‘ ...“. Nach Mallmann, Kommunisten, a.a.O., S. 48, war dieses Werk das in Deutschland meistgelesene Buch Lenins.

92 Eildermann, S. 122. Alexander Abusch, S. 54f. Sägebrecht, S. 92f. Paul Elflein, Immer noch Kommunist? Erinnerungen, hg. von Rolf Becker und Claus Bremer, Hamburg 1978, S. 55.

93 Carlebach, S. 63. Rosa Meyer-Leviné, Im inneren Kreis. Erinnerungen einer Kommunistin in Deutschland 1920-1933, Köln 1979, S. 280. Derartige Versuche, den Meister als Kronzeugen gegen die Generallinie zu vereinnahmen, finden sich zahlreich auch in den Quellen aus den KPD-Bezirken: Auf einer KPD-Mitgliederversammlung am 22.11.1929 in Stettin etwa wehrte sich ein Genosse gegen die seit 1928 geltende ultralinke Linie: „Er verließ [verlas, U.E.] dann Zitate aus ,Lenin’s Kinderkrankheiten‘ [sic!], um zu beweisen, da8 die Taktik der Partei gegen die SPD falsch sei.“ (SAPMO-BArch RY1/I3/3, Bl. 265).

94 Sprengel, S. 91 bzw. S. 123.

95 Damerius, S. 15. Isaac Abusch, S. 79 bzw. S. 18. Peter Przybilski, Tatort Politbüro. Die Akte Honecker, Berlin 1991, S. 236.

96 „Die Volksschule rächte sich, wie verrückt stürzten wir uns auf jedes unbekannte Buch, auf jedes Bild und auf die Wissenschaft, wir nahmen alles als Offenbarungen hin“ (Barthel, S. 30).

97 Die „Elementarbücher des Kommunismus“ wurden seit 1923 von Hermann Duncker für Schulungszwecke herausgegeben.

98 Willi Dickhut, So war’s damals. Tatsachenbericht eines Solinger Arbeiters 1926-1948, Stuttgart 1979, S. 28. Horseling, S. 39.

99 Jürgen Rühle, Literatur und Revolution, München 1963, S. 48.

100 Edgar Lersch, Die auswärtige Kulturpolitik der Sowjetunion in ihren Auswirkungen auf Deutschland 1921-1929, Diss., Frankfurt am Main 1978, S. 285.

101 Bloch, S. 32. Eberle, S. 25f. Heinz Willmann, Steine klopft man mit dem Kopf. Lebenserinnerungen, Berlin (DDR) 1977, S. 56.

102 Dickhut, S. 72. Glaser, S. 51. Alfred Kantorowicz, Deutsches Tagebuch, 2 Bde., München 1959/1961, Bd. 2, S. 329.

103 Lersch, Kulturpolitik, a.a.O., S. 285.

104 Hanno Möbius, Der Rote Eine-Mark-Roman, in: Archiv für Sozialgeschiche XIV/1974, S. 157-212, hier: S. 179. Vgl. ders., Progressive Massenliteratur? Revolutionäre Arbeiterromane 1927-1932, Stuttgart 1977.

105 Hoffmann, S. 162. Spitzer, S. 28. Stern, S. 71.

106 Uwe Falkenberg, Die Schulungsarbeit der Bezirksparteiorganisation Erzgebirge-Vogtland der KPD 1925-1929, Diss., Karl-Marx-Stadt 1989, S. 26.

107 Mallmann, Kommunisten, a.a.O., S. 218. Im Sample von Almond waren von der Gesamtgruppe 37 % ohne jede Schulung, während es unter den Arbeitern wie auch unter den einfachen Mitgliedern schon 45 % waren (Appeals, a.a.O., S. 110-113).

108 Hermann Weber, Hauptfeind Sozialdemokratie. Strategie und Taktik der KPD 1929-1933, Düsseldorf 1982, S. 104.

109 Falkenberg, Schulungsarbeit, a.a.O., S. 30.

110 Wieviele von den 71 Selbstzeugen, von denen wir hierzu nichts erfahren, mögen von den Schulungsanstrengungen gänzlich unberührt geblieben sein?

111 Fladung, S. 79. Bohn S. 49ff. Norden S. 41.

112 Andert/Herzberg, S. 126. Selbmann, S. 170. Horseling, S. 18. Janka, S. 29-33.

113 Suhling, S. 39. Benkwitz, S. 23. Auch wenn viele Absolventen von Kurslehrer-, Funktionärs- oder Referentenschulungen vom „seminaristischen System“ angetan gewesen sein werden, fehlten ihnen doch die pädagogischen Voraussetzungen, um dieses dann vor Ort in den von ihnen durchgeführten Schulungen auch zu praktizieren (s.u. die Berichte von Tetje Lotz und Gottfried Grünberg).

114 Dickhut, S. 122-125. Er erkannte dabei auch, daß sein eigenes bisheriges „Grundwissen ... ein Sammelsurium von Teilkenntnissen, ohne festes Gerüst, ohne Zusammenhang des ganzen Komplexes“ war (ebd., S. 126).

115 Glückauf, S. 109.

116 Lotz, S. 58-61.

117 Reiners, S. 75f.

118 Spitzer, S. 30.

119 Eberle, S. 33. Zwischen den Zeilen lesend ergibt sich aus seinem Bericht auch, daß die Stuttgarter Bezirksleitung die Schulung der Genossen nach Gründung der MASCH dieser offenbar komplett zuschob, was beim intern viel kritisierten „Ressortdenken“ der KPD-Leitungen überhaupt nicht verwunderlich wäre.

120 Gottfried Grünberg, S. 98 bzw. 102.

121 Lemmnitz, S. 45.

122 Neddermeyer, S. 106f. bzw. S. 146.

123 Isaac Abusch, S. 79f.

124 Erwin Strittmatter, Büdner und der Meisterfaun, Köln 1990, S. 24.

125 Fladung, S. 139.

126 Elflein, S. 40.

127 Valtin, S.38.

128 Vgl. die ausufernde Literatur zum Thema Arbeiterkultur.

129 Isaac Abusch, S. 23.

130 Valtin, S. 151, S. 191 bzw. 207 (Hervorhebung im Original).

131 Selbmann, S. 111. Buber-Neumann, S. 88. Hans Benenowski, Nicht nur für die Vergangenheit. Streitbare Jugend in Berlin um 1930, Berlin 1983, S. 12.

132 Isaac Abusch S. 44.

133 Z.B. dem Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft von 1932.

134 Isaac Abusch, S. 128 (Hervorhebung von mir, U.E.). Der Ausdruck „nicht unbedingt politisch berechtigt“ verweist auf den Auslegungsspielraum der Parteiführung. Eine Garantie für die Akzeptanz einer als „politisch berechtigt“ deklarierten Spaltung bei der Mitgliedschaft gab es dabei aber nicht.

135 Karl Hermann Tjaden, Struktur und Funktion der KPD-Opposition. Eine organisationssoziologische Untersuchung zur Rechtsopposition im deutschen Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik, Hannover 1983 (2. Aufl.), S. 120.

136 Martin Muschkau (Entscheidende Jahre 1928-1948. Bericht eines Zeitzeugen, Hannover 1990, S. 21) lehnte, sich auf den proletmoralischen Wert der Einheit beziehend, einen Übertritt zur KPO für sich ab, „da ich eine weitere Arbeiter-Partei für sinnlos hielt, auch wenn ich mit vielen ihrer Inhalte übereinstimmte.“ ähnlich Günter Reimann: „Die Partei war nicht mehr die Partei, mit der ich mich verbunden fühlte. Es gab aber keine andere politische Organisation, die eine revolutionäre Bewegung hätte führen können“ (S. 10), weshalb er zwar in der KPD blieb, aber seine politische Aktivität dort allmählich verringerte.

137

Hellmann, S. 26.

138 Isaac Abusch, S. 27.

139 Reiners, S. 106. Karl Tuttas weitet den Geltungsbereich dieser Erwartung noch aus: „Jeder Genosse muß ein moralisches Vorbild sein. Wer nicht sauber und anständig ist, der Partei schadet, gehört nicht mehr dazu.“ (S. 22).

140 Reiners, S. 106.

141 Änne Wagner, Gegen den Strom? Der rote Traum 1922-1929, Solingen 1988, S. 73.

142 Neddermeyer, S. 105f.

143 Elflein, S. 60.

144 Änne Wagner, Gegen den Strom? Kindheit und Jugend in Widdert 1904-1922, Solingen 1988, S. 77.

145 Buber-Neumann, S. 253. Selbmann, S. 149. Suhling, S. 71. Hoffmann, S. 178. Carlebach, S. 72.

146 Reuter, KPD-Politik, a.a.O., S. 95. Rothschild, S. 98. Beim Großvater einer Freundin von Carl Wüsthoff, einem Altgenossen, hing denn auch ein Thälmann-Bild „überm Sofa“ (Schöfer, Großvater, S. 92).

147 Eggebrecht, S. 186. Herbert Wehner, Zeugnis. Persönliche Notizen 1929-1942, Köln 1982, S. 357.

148 Käthe Popall, Ein schwieriges politisches Leben, Fischerhude 1985, S. 47.

149 Buber-Neumann, S. 117. Glaser, S. 117.

150 Helmuth Warnke, „Bloß keine Fahnen“. Auskünfte über schwierige Zeiten 1923-1954, Hamburg 1988, S. 33. Meyer-Leviné, S. 264f.

151 Galm, S. 80.

152 Elflein, S. 59. Sperber, S. 277.

153 Galm, S. 41. Beispiele für ähnlich einflußreiche Lokalprominenz in der bisherigen Literatur sind Guido Heym in Suhl und August Ziehl in Geesthacht. Die Quellen der KPD-Bezirke allerdings verweisen darauf, daß sie bei weitem nicht die einzigen waren. So hatte die neue Bezirksleitung Westsachsens 1929 Bedenken, allzu grob gegen die in ihren Augen ,rechte‘ Leitung der Ortsgruppe Grimma vorzugehen, weil viele Mitglieder persönliche Bindungen zum Politischen Leiter Gasch hatten, und man diese nicht verlieren wollte (SAPMO-BArch RY1/I3/10/114, Bl. 549f.)

154 Bohn, S. 49. Rothschild, S. 109.

155 In einem Brief der Leitung des Unterbezirks Mecklenburg-Strelitz an das ZK vom 16.7.1926 heißt es nachdem wieder einmal eine Veranstaltung mangels Redner geplatzt war: „Genossen, von jedem einfachen Mitglied der Partei verlangen wir, da8 es seine ganze Kraft einsetzt, für den Befreiungskampf des Proletariats. Wenn man aber sieht, da8 Angestellte unserer Partei unsere Sache so schädigen, dann ist es zu verstehen wenn Genossen Mi8trauen hegen und auch kampfesmüde werden.“ (SAPMO-BArch RY1/I3/15/18, Bl. 44).

156 Dies ist in aller Breite in den Akten mit den Protokollen der Sitzungen der diversen Gremien der KPD-Bezirke von Ende Oktober 1928 nachzulesen. Beispielsweise im Beitrag der Genossin Lisa Ullrich auf einer Sitzung der Leitung der Berliner Verwaltungsbezirksorganisation Moabit am 22.10.1928: „Das Verhalten von Thälmann ist ein ungeheuerlicher Disziplinbruch, wenn das ein Prolet gemacht hätte, würde sofort mit Ausschluß die Angelegenheit korrigiert werden.“ (SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/31, Bl. 67).

157 Warnke, S. 39.

158 Liebermann, S. 59.

159 Georg Fischer, Vom aufrechten Gang eines Sozialisten. Ein Parteiarbeiter erzählt, Berlin 1979, S. 63. Reimann, S. 21.

160 Elflein, S. 59. Muschkau, S. 14. Wobei - wie so oft bei dieser Quellengrundlage - nicht klar ist, von wann diese Erkenntnis stammt.

161 Fischer, S. 90. Zur AIZ-Berichterstattung über die Sowjetunion Münzenbergs Lebensgefährtin Babette Groß, die auch Ko-Geschäftsführerin seines „Neuen Deutschen Verlags“ war: „Sie war ganz und gar unkritisch und bediente sich der fragwürdigsten Mittel.“ (S. 164).

162 Koestler, S. 155. Lotz, S. 51. Gottfried Grünberg, S. 97. Valtin, S. 232.

163 Mallmann, Kommunisten, a.a.O., S. 160.

164 Marie Torhorst, Pfarrerstochter, Pädagogin, Kommunistin. Aus dem Leben der Schwestern Adelheid und Marie Torhorst, hg. von Karl-Heinz Günther, Berlin (DDR) 1986, S. 25.

165 Meyer-Leviné, S. 33. Popall, S. 49. Janka, S. 32. Carlebach, S. 71.

166 Walter Zeutschel [d.i. Adolf Burmeister], Im Dienst der kommunistischen Terror-Organisation (Tscheka-Arbeit in Deutschland), Berlin 1931, S. 25. Ein interessantes Detail über die Folgebereitschaft der Genossen berichtet Valtin, der 1923 in Hamburg beteiligt war. Jemand kam, während die Niederlage schon absehbar war, auf die wahnwitzige Idee den Hamburger Hauptbahnhof zu besetzen, wozu ein Genosse meinte: „Geh und sag Thälmann und Brandler und Lenin, sie sollen den verdammten Bahnhof selber stürmen.“ (S. 72). Retzlaw, S. 270 bzw. S. 281. Fischer, S. 59f. Hippe, S. 74.

167 Weber, Hauptfeind, a.a.O., S. 40 bzw. S. 36.

168 Weber, Hauptfeind, a.a.O., S. 41.

169 Dickhut, S. 167. Warnke, S. 31. Sperber, II, S. 230. Wehner, S. 41. Groß, S. 228. Faulhaber, S. 102.

170 Warnke, S. 30. Sägebrecht, S. 173.

171 Damerius, S. 21. Reiners, S. 41. Damerius, S. 169f.

172 Dickhut, S. 114. Hoffmann, S. 69.

173 Horseling, S. 17. Faulhaber, S. 118.

174 Vgl. Thomas Kurz, Arbeitermörder und Putschisten. Der Berliner „Blutmai“ als Kristallisationspunkt des Verhältnisses von KPD und SPD vor der Katastrophe, in: IWK 3/1986, S. 297-317.

175 Retzlaw, S. 329. Warnke, S. 25. Carlebach, S. 54ff.

176 Ein Phänomen - das was die Selbstzeugnisse aus der DDR angeht - sicher zum Teil auf Vorgaben der SED zurückzuführen ist.

177 Muschkau, S. 21. Stern, S. 81.

178 Reiners, S. 79. Andert/Herzberg, S. 167.

179 Faulhaber, S. 124. Horseling, S. 21.

180 Andreas Engel, Wahlen und Parteien im lokalen Kontext. Eine vergleichende Untersuchung des Basisbezugs lokaler Parteiakteure in 24 nordhessischen Kreisparteiorganisationen von CDU, FDP und SPD, Diss., Bonn 1987, S. 51.

181 Heinrich August Winkler, Rezension von „Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung“, in: HZ 265/1997, S. 241-243, hier: S. 243.

182 Wahrscheinlich gehörte es zur „großen Politik“, daß die KPD-Führung 1931 ohne Konsultation die Beteiligung am Stahlhelm-Volksbegehren beschloß, aber zu den vernachlässigbaren Dingen, daß die Parteibasis ihre Verwunderung darüber durch verringerten Diensteifer zum Ausdruck brachte, was sich auch im Ergebnis niederschlug.

183 Vgl. allgemein Niedermayer, Partizipation, a.a.O.

184 Norbert Lammert, Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung, Bonn 1976, S. 58.

185 Michel Crozier und Erhard Friedberg, Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns, Königstein 1979, S. 16 bzw. S. 40 (Hervorhebung im Original).

186 Daß die höheren Leitungen der KPD ihrerseits ein weitgehendes Monopol über die bei ihnen zusammenlaufenden Informationen hatten - die natürlich auch für die Basistätigkeit relevant waren - und daher in der Lage waren, die wichtige Machtressource Herrschaftswissen manipulativ einzusetzen, soll hier selbstverständlich nicht verschwiegen werden.

187 Verschiedenen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zufolge liegt der Anteil der Mitglieder, die von sich aus an eine Partei zwecks Beitritts herangetreten waren, zwischen 33 und 50 % (Niedermayer, Partizipation, a.a.O., S. 107f.).

188 Retzlaff-Kresse, S. 21. Liebermann, S. 59f. Eggebrecht, S. 110-114. Retzlaw, S. 197.

189 Um Selbstzeugen zu finden, die nur kurze Gastspiele in der KPD gaben, hätte ich die Literatursuche mit ungewissem Erfolg radikal ausweiten müssen. Unter den hier versammelten 103 Selbstzeugen ist kein einziger Fall eines Mitglieds, das nach weniger als einem Jahr wieder ausgetreten wäre.

190 Weber, Wandlung, Bd. 1, a.a.O., S. 67.

191 Sigmund Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik. Wesen und Wandel nach dem Kriege, Stuttgart 1965 (2. Aufl.), S. 88 (Hervorhebung im Original).

192 Interessant ist hier der in der KPD übliche Parteibegriff, der zwischen einer Bezeichnung für die Partei als Ganzes und einer für die Parteiführung changiert, womit auch eine bestimmte Vorstellungsweise von der Beziehung zwischen Partei und Parteiführung korrespondierte.

193 Buber-Neumann, S. 198. Glaser, S. 72. Ein interessantes Detail einer Massenaufnahme aus dem Jahre 1923 schildert Robert Neddermeyer: Einige Genossen der Unterbezirksleitung Bielefeld sollen nach dem von der KPD am 29.7.1923 durchgeführten Antifaschistentag tagelang nur Mitgliedsbücher ausgestellt haben (S. 119).

194 Muschkau, S. 15. Hartmut Mehringer, Die KPD in Bayern 1919-1945. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand, in: M. Broszat (Hg.), Bayern in der NS-Zeit, Bd. V, München 1983, S. 1-286, hier: S. 30. Buber-Neumann, S. 123. SAPMO-BArch RY1/I2/4/6, Bl. 10.

195 1923 betrug das Eintrittsgeld im Bezirk Berlin-Brandenburg einen Wochenbeitrag.

196 SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/71, Bl. 223.

197 Die Beitragsmarke der KPD von 1923 trug in der Mitte den bekannten, etwas aus dem Winkel geratenen, fünfzackigen Sowjetstern, über dem „KI“ und unter dem „KPD“ aufgedruckt war.

198 SAPMO-BArch RY1/I3/20-21/20, Bl. 126. Zu den Sondermarken zählten z.B. die Marken zur Finanzierung von Wahlkämpfen (sog. „Wahlfondsmarken“) oder von Reichs- oder Bezirksparteitagen. So versuchte die Bezirksleitung Pommerns ihren Bezirksparteitag im Dezember 1925 durch den Verkauf von mit „B“ bestempelten Marken mit dem Antlitz Thälmanns zu finanzieren, die im Frühjahr bei der Kampagne zur Reichspräsidentenwahl liegen geblieben waren (SAPMO-BArch RY1/I3/3/21, Bl. 90). Sondermarken wurden auch zur überprüfung bestimmter Aktivitäten verwendet. So wurde z.B. die Beteiligung an der Reichskontrolle von 1927 durch das Einkleben einer Marke in das Mitgliedsbuch quittiert. Bei der Herausgabe von Sondermarken mit dem Ziel, Zusatzeinnahmen zu erzielen, handelte es sich - das suggeriert jedenfalls schon ein oberflächlicher Vergleich des Beitragsaufkommens in den Monaten solcher Aktionen mit dem der darauf folgenden Monate - möglicherweise um ein reines Nullsummenspiel: Was die Mitglieder bei solchen Erhebungen zusätzlich spendeten, holten sie sich vielleicht über eingesparte Beiträge später wieder zurück.

199 SAPMO-BArch RY1/I3/3/27, Bl. 26 bzw. RY1/I3/3/21, Bl. 32.

200 Neddermeyer, S. 117. Eine Folge der galoppierenden Inflation war, daß jede monatliche Unterbezirksleitungssitzung 1923 Neddermeyers Gehalt neu festlegen mußte, was oft der wichtigste Tagesordnungpunkt war, da die Gehälter der Funktionäre in der Partei generell ein heikles Thema waren.

201 Es wäre durchaus von Bedeutung, wenn man ermitteln könnte, wieviele der oben genannten 31,09 % der Mitglieder, die 1929 Funktionäre gewesen sein sollen, lediglich Unterkassierer waren und damit eben kein politisches Amt im engeren Sinne innehatten. Dies würde interessante Aufschlüsse über das Mitgliederengagement gerade im Vergleich zu heutigen Parteien ermöglichen.

202 Die Tätigkeit des Unterkassierers war durchaus nicht unkompliziert. Er mußte die Arbeitsverhältnisse, Arbeitszeiten und Löhnungstage der Genossen in Erfahrung bringen, um zu ermitteln, wann er wo welche Marken zu verkaufen hatte. Die Marken jeweils für die kommende Woche holte er sich - wenn er sich an die „Richtlinien über die Beitragskassierung“ der Zentrale von 1924 hielt - donnerstags beim Ortskassierer ab. Am Freitag, Samstag und Sonntag ging er kassieren, und am Montag lieferte er die Beiträge beim Ortskassierer ab. Falls er Außenstände hatte oder Genossen nicht angetroffen hatte, mußte er am Dienstag und Mittwoch noch einmal die Runde machen und nachkassieren. Am folgenden Donnerstag begann der Zyklus aufs Neue, doch vorher mu8te er endgültig abrechnen und die nicht verkauften Marken wieder abliefern (SAPMO-BArch RY1/I2/704/2, Bl. 14f.).

203 Dickhut S. 13. Spitzer, S. 12. Isaac Abusch, S. 92. SAPMO-BArch RY1/I2/704/2, Bl. 14 (Hervorhebung im Original).

204 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf „Regierung Düsseldorf“ 16934. Im Durchschnitt werden monatlich etwa 80-90 % der Beiträge bei den Bezirksleitungen angekommen sein. Dabei ist allerdings unklar, woher die KPD-Führung unabhängig von der Beitragsstatistik überhaupt gewußt haben will, wieviele Menschen der Partei angehörten. Wahrscheinlich hat man die Zahl der Beitragsleistenden mit der Zahl derjenigen verglichen, die in irgendwelchen Kartotheken als Mitglieder erfaßt waren, obwohl man von letzteren aber nur sicher wußte, daß sie irgendwann beigetreten waren. Daher geht auch Mallmanns Warnung vor allzu stark gerundeten Angaben der Mitgliederzahl etwas in die Irre (Kommunisten, a.a.O., S. 183): Aufgrund des Abrechnungssystems der KPD und der darauf basierenden Mitgliederstatistik sind es eher die bis auf die Einerstellen scheinbar genauen Zahlen, die Mißtrauen verdienen. Die KPD war kaum in der Lage, zu irgendeinem beliebigen Stichtag die exakte Mitgliederzahl zu erheben, und auch die monatlichen oder vierteljährlichen Durchschnittsangaben waren nur Annäherungswerte. Es war für die KPD schiere Utopie, wie heutige Parteizentralen in wenigen Minuten (über ihr Intranet und dank des Bankeinzugs der Beiträge) exakte Mitgliederzahlen zu ermitteln. Interessant ist hier auch der häufig vorzufindende Weiterbezug von Arbeitslosenmarken durch Genossen, die nach vorübergehender Arbeitslosigkeit wieder einen Arbeitsplatz gefunden hatten. Da über den Verkauf der Erwerbslosenmarken auch der Erwerbslosenanteil an der Mitgliedschaft berechnet wurde, ist anzunehmen, daß die bisher bekannten Angaben über den Arbeitslosenanteil nach unten korrigiert werden müssen.

205 SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/65b, Bl. 127.

206 Eggebrecht, S. 138. Wieviele Mitglieder gerade in der Zeit der Weltwirtschaftskrise aufgrund der angelaufenen Beitragsrückstände auf kaltem Wege austraten, ist nicht ermittelbar. Die Verweigerung der Beitragszahlung war übrigens auch ein traditionelles Mittel, den Ausschluß zu provozieren.

207 SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/85, Bl. 2. Im Bezirk Berlin sollen die etwa 18.000 Mitglieder insgesamt über Marken 42.233,50 RM und über weitere Sammlungen zusätzliche 14.682,99 RM, also insgesamt 56.916,49 RM zusammengetragen haben (SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/71, Bl. 149), also weniger als ein Drittel des auf den Bezirk entfallenden Teilbetrags von 180.000 RM.

208 Sägebrecht, S. 129. Die Einnahmen aus mehreren aufeinanderfolgenden Sammlungen im Vergleich dürften ein guter, wenn auch indirekter Indikator für die politischen Präferenzen der Parteibasis bzw. des nichtorganisierten Umfelds sein.

209 Möglich ist aber auch, daß diese Beitragskurven auf die Initiative lokaler Parteiführungen zurückzuführen sind, die, sobald der Parteitagstermin feststand, massiv damit begannen, ausstehende Gelder einzuholen, und dazu die ganze Parteiorganisation in Bewegung setzten.

210 SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/43, Bl. 16. Karl Grünberg, S. 70. Faulhaber, S. 107. Groß, Münzenberg, S. 165.

211 Rundschreiben der Bezirksleitung Oberschlesiens vom 28.4.1925 (SAPMO-BArch RY1/I3/6/14, Bl. 33).

212 ZK-Etat vom Dezember 1929 (SAPMO-BArch RY1/ I2/704/8, Bl. 77).

213 Aus einem Rundschreiben der Bezirksleitung Mecklenburg vom 16.7.1924 (SAPMO-BArch RY1/I3/15/16, Bl. 78).

214 Das vermutete jedenfalls der Kassierer des Bezirks Oberschlesien, Arthur Wyschka, auf der Bezirksleitungssitzung am 6.5.1927 (SAPMO-BArch RY1/I3/6/9, Bl. 54).

215 Fladung, S. 153.

216 Retzlaff-Kresse, S. 31. Fladung, S. 153. Lemmnitz, S. 46. Meyer-Leviné, S. 113.

217 Den meisten Genossen an der Basis war das Statut wohl nicht wichtig genug, um sich eingehender damit zu beschäftigen - auch weil sie die Bedeutung eines solchen Instruments verkannten. In vielen KPD-Bezirken, so auch in Westsachsen, gab es im Herbst 1927 Streit, weil das ZK wohl aus der allgegenwärtigen Finanznot heraus die Idee geboren hatte, das neue Statut für zehn Pfennig an die Mitglieder zu verkaufen, anstatt es umsonst an sie abzugeben. Wie die Bezirksleitung Westsachsens in einem Brief an das ZK vom 13.10.1927 berichtet, hatte sie Ende Juni 1927 1.941 Exemplare des Statuts an die Ortsgruppen und Zellengruppen versandt, von denen ganze 238 verkauft, aber 251 Exemplare zurhckgesandt worden seien. Der Bezirk hatte im Oktober 1927 8.564 abgerechnete Mitglieder (SAPMO-BArch RY1/I3/10/129, Bl. 43).

218 Hier verstanden als (stillschweigender) Konsens einer relevanten Menge von Akteuren über die Nützlichkeit bestimmter Statutenbestimmungen.

219 Crozier/Friedberg, Macht, a.a.O., S. 86.

220 Hermann Remmele (Hg.), Die Reorganisation der KPD. Der demokratische Zentralismus. Die Organisation der Parteiarbeiten. Statut der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale). Beschlüsse des 10. Parteitages, Berlin 1925, S. 22.

221 Die Betriebsfraktionen waren Vorläufer der Betriebszellen, zu denen sich die gewerkschaftlich organisierten Genossen eines Betriebes schon in der USPD zusammengeschlossen hatten. Der Unterschied zwischen diesen beiden Organisationsformen blieb vielen KPD-Mitgliedern rätselhaft, weshalb viele der 1925 gegründeten Betriebszellen reine Umbenennungen waren.

222 SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/50, Bl. 15.

223 Werner Müller, Lohnkampf, Massenstreik, Sowjetmacht. Ziele und Grenzen der „Revolutionären Gewerkschafts-Opposition“ (RGO) in Deutschland 1928 bis 1933, Köln 1988, S. 201.

224 Vgl. zuletzt Mallmann, Kommunisten, a.a.O., Kapitel 6.1 (Potemkin’sche Dörfer: Das Debakel der Betriebszellen).

225 Fischer, S. 93f. Dickhut, S. 16ff. Margarete Buber-Neumann, Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Ein Bericht aus der Praxis der Komintern 1919-1943, Stuttgart 1967, S. 135.

226 Hippe, S. 79. Gottfried Grünberg, S. 104f. bzw. 109ff.

227 Glaser, S. 63.

228 Fahnengeschenke der russischen Genossen waren besonders hoch angesehen, wovon Margarete Buber-Neumann berichtet, die 1929 Instrukteurin für eine Betriebszelle des Berliner Warenhauses Tietz war. Nachdem die Genossen der Zelle einen Brief „voll Bewunderung für den sozialistischen Aufbau“ in der Sowjetunion an die KPdSU-Zelle des Moskauer Warenhauses Glawny Mostorg geschrieben hatten, erreichte sie eine Einladung an einen Zellenvertreter zu einer Reise nach Moskau. Diese mußte allerdings die Instrukteurin selbst antreten, da den anderen Genossen der Erhalt ihres Arbeitsplatzes sogar wichtiger als eine Pilgerfahrt ins Allerheiligste war. Von dort brachte sie eine von einer russischen Genossin genähte und mit Hammer und Sichel und der Aufschrift „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ bestickte Fahne aus Samt als Geschenk mit, die die Tietz-Genossen dann stolz auf Demonstrationen mit sich führten (Buber-Neumann, Potsdam, S. 211-225).

229 Reiners, S. 69. Karl Pioch, Nie im Abseits, Berlin (DDR) 1978, S. 56. Vgl. allgemein Eve Rosenhaft, Beating the Fascists? The German Communists and political Violence 1929-1933, Cambridge 1983.

230 Carlebach, S. 62.

231 Spitzer, S. 21.

232 Retzlaw, S. 325. Damerius, S. 51. Retzlaw, S. 317.

233 Almond, Appeals, a.a.O., S. 379. Koestler, S. 152. Suhling, S. 80. Wagner, Traum, S. 240. Von den durch Almond befragten Kommunisten hatten 15 Prozent persönliche Beziehungen nur zu Genossen und 18 Prozent fast nur. 34 Prozent erhielten sich viele Freundschaften außerhalb der Partei, und 8 Prozent hatten dort mehr Freunde. Von den einfachen Mitgliedern hatten 6 Prozent, von den am höchsten angesiedelten Hauptamtlichen 31 Prozent keine Beziehungen außerhalb der Partei (Appeals a.a.O., S. 160f.).

234 Faulhaber, S. 78. Benkwitz, S. 18. Valtin, S. 202. Benjamin, S. 175. Bohn, S. 47. Popall, S. 39. Muschkau, S. 34. Lina Haag, Eine handvoll Staub, Frankfurt am Main 1995, S. 59.

235 Elflein, S. 55. Im Bezirk Westsachsen sollen zwischen Juni 1924 und März 1925 im Durchschnitt 60,78 % der 102 Ortsgruppen monatliche Mitgliederversammlungen durchgeführt haben (SAPMO-BArch RY1/I3/10/125, Bl. 15). Verläßliche Zahlen über den Prozentsatz von Genossen, die über längere Zeiträume regelmäßig Mitgliederversammlungen besucht haben, gibt es leider gar nicht.

236 Die Tagesordnung wurde wohl in den meisten Fällen von der nächsthöheren Leitung vorgegeben. Die auf KPD-Versammlungen verwendete Geschäftsordnung - zu der leider kaum etwas Greifbares in den Quellen zu finden ist - bot aber durchaus die Möglichkeit, mit einfacher Mehrheit die vorgesehene Tagesordnung umzustellen oder gar komplett zu streichen.

237 Buber-Neumann, Kriegsschauplätze, S. 140f. In den Jahren vor etwa 1930 gab es je nach Thema und Anlaß auch Korreferate, über die von denen der Führung abweichende Sichtweisen eingebracht werden konnten. Der Führung gelang es aber nach und nach, durch die sukzessive Monopolisierung der Referentenvermittlung dieses demokratische Recht der Mitglieder einzuschränken und dann wohl nahezu ganz abzuschaffen. Aber auch hier bestand immer die Möglichkeit, mit einfacher Mehrheit ein Korreferat durchzusetzen, die aber wohl zunehmend weniger genutzt wurde.

238 Buber-Neumann, Kriegsschauplätze, S. 140f. Rothschild, S. 109f.

239 Sperber, Warnung, S. 251f.

240 Koestler, S. 147. Abendroth, S. 86. Feuchtwanger, S. 492.

241 Robert Neddermeyer mußte 1920/21 einmal mit einem Genossen als Redner für den angekündigten Otto Bra8 einspringen. Der Versammlungsleiter zeigte offen seine Enttäuschung darüber, „daß wir Anfänger statt des Reichstagsabgeordneten erschienen waren, und [hat, U.E.] seinen ganzen Zorn in einem Schwall von Schimpfworten auf uns abgeladen“ (S. 100).

242 Tuttas, S. 51.

243 Dabei handelte es sich um eine relativ detaillierte Liste von Veranstaltungen und anderen Terminen und den dazu gehörenden Aufgaben.

244 Günther Hortzschansky u.a., Ernst Thälmann. Eine politische Biographie, Berlin (DDR), 1979, S. 263.

245 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß möglicherweise die politische Kultur der Weimarer Arbeiterbewegung und insbesondere des Kommunismus die Wahrnehmung der Austrittsoption zumindest erschwert haben kann.

246 Weber, Hauptfeind a.a.O., S. 79. Oder in der theoretischen Sprache von Crozier/Friedberg: „Das Verhalten eines Individuums in einer Organisation gegenüber seinen Vorgesetzten entspricht auf keinen Fall einem einfachen, nur auf Gehorsam und - vielleicht durch passiven Widerstand gemilderten - Konformismus beruhenden Modell. Es ist das Ergebnis einer Verhandlung, und es ist zugleich ein Akt der Verhandlung.“ (Macht, a.a.O., S. 26).

247 Mallmann, Kommunisten, a.a.O., S. 159. Glückauf, S. 76. Dickhut, S. 43f. Inwieweit die durchaus bei vielen Genossen vorhandene Disziplinbereitschaft eine Folge autoritärer Erziehung in Familie, Schule, Lehre und Militär war, ist eine interessante Frage, führt hier aber doch zu weit, und es ist fraglich, ob die Selbstzeugnisse eine ausreichende Quellengrundlage für eine derartige Psychohistorie sind. Vgl. dazu das Kapitel über den „Working Class Authoritarianism“ bei Seymour Martin Lipset, Soziologie der Demokratie, Neuwied 1962, S. 97-120.

248 Aus einem Bericht des Instrukteurs Richter vom 6.7.1926 (SAPMO-BArch RY1/I3/15/14, Bl. 135). Kantorowicz, S. 29 bzw. S. 33. Galm, S. 46. Retzlaw, S. 341.

249 Fladung, S. 122.

250

Laut Reichskontrolle von 1928 hatte der Bezirk einen Frauenanteil von 22,76 % (SAPMO-BArch RY1/I2/4/28, Bl. 76), wovon sicherlich die übergroße Mehrheit in der Stadt Berlin lebte, wo die Quote kein Problem gewesen sein dürfte. Ein Fall wie Liebenwalde war im starren System der Anweisungsproduktion durch eine fantasielose KPD-Bürokratie leider nicht vorgesehen.

251

Sägebrecht, S. 112.

252

Buber-Neumann, Kriegsschauplätze, S. 142.

253

Aus diesem Grund stellte sich die pommersche Bezirksleitung 1930 kategorisch gegen die Anweisung des ZK, das bezirksfremde ZK-Mitglied Walter Stoecker auf den einzig aussichtsreichen ersten Listenplatz für die Reichstagswahlen zu setzen, und somit auch gegen den Beschluß des Parteitags von 1929, die Polleiter nicht als Reichstagskandidaten aufzustellen, weil dadurch dem Bezirk die Freifahrtkarte des Polleiters Max Strötzel, Reichstagsmitglied seit 1924, verloren gegangen wäre (SAPMO-BArch RY1/I3/3/14, Bl. 359ff.).

254 Fladung, S. 92. Hoffmann, S. 128. Mallmann, Kommunisten, a.a.O., S. 150.

255 Leider erfahren wir nicht, ist ob dieses Mißtrauen auch dadurch begründet war, daß sie eine Frau war. Als änne Wagner einmal gegenüber dem Polleiter des Unterbezirks Solingen die geringe Anzahl von Funktionärinnen in der KPD kritisierte, antwortete der zutreffend: „Es ist nun einmal so, daß Parteigenossen nur widerstrebend bereit sind, sich einer weiblichen Person unterzuordnen.“ (Traum, S. 207).

256 Die der politischen Geographie der Stadt entsprechenden KPD-Verwaltungsbezirke wurden 1929 abgeschafft und der ganze Bezirk auf Unterbezirke umgestellt, die es vorher nur in der Provinz Brandenburg gegeben hatte.

257 Buber-Neumann, Potsdam, S. 202. Rothschild, S. 109 bzw. 114. Sägebrecht, S. 133ff.

258 Horseling, S. 11. Sägebrecht, S. 101. Warnke, S. 17-21.

259 Lotz, S. 60. Retzlaff-Kresse, S. 21. Warnke, S. 41.

260 Meuter, S. 37. Dickhut, S. 118f.

261 Eggerath, S. 22. Wagner, Kindheit, S. 58. Spitzer, S. 26f.

262 Sägebrecht, S. 102ff. Puchmüller, S. 42. Die Reichskontrolle von 1929 ergab, daß jeder Parteifunktionär im Durchschnitt 3-4 Funktionen hatte. Einer von ihnen hatte sogar 22 Funktionen akkumuliert (SAPMO-BArch RY1/I2/4/6, Bl. 15). Die sich selbst auferlegte überlastung mit Funktionen hatte nicht selten zur Folge, daß man ausgerechnet die Parteiarbeit brachliegen ließ, wie es beispielsweise im pommerschen Altdamm einem Instrukteursbericht vom September 1930 nach geschah: „Die Ortsgruppe selbst ist sehr passiv. Die beiden leitenden Funktionäre sind in der Musikkapelle tätig, so daß sie, anstatt sich um die Organisierung der Ortsgruppe zu kümmern, Musik machen.“ (SAPMO-BArch RY1/I2/5/32a, Bl. 126).

263 Die ausführlichste Beschreibung einer kommunistischen Demonstration in der Literatur findet sich bei Richard H. Bodek, Communist Music in the Streets: Politics and Perceptions in Berlin at the End of the Weimar Republic, in: Larry Eugene Jones/James Retallack (Hg.), Elections, Mass Politics, and Social Changes in Modern Germany, Cambridge 1992, S. 267-286. Vgl auch ders., „We Are the Red Megaphone“. Political Music, Agitprop Theater, Everyday Life and Communist Politics in Berlin during the Weimar Republic, Diss., University of Michigan 1990.

264 Warnke, S. 24f. Norden, S. 61. Benenowski, S. 7f.

265 Kuczynski, S. 240. Sägebrecht, S. 87ff.

266 Georg Jungclas 1902-1975. Eine politische Dokumentation. Von der proletarischen Freidenkerjugend im Ersten Weltkrieg zur Linken der siebziger Jahre, Hamburg 1980, S. 13. Neddermeyer, S. 32. Wehner, S. 300. Karl Grünberg, S. 111f.

267 Frei, S. 89. Reiners, S. 59.

268 Hoffmann, S. 88.

269 Rundschreiben der Berliner Bezirksleitung vom 23.6.1926 (SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/28, Bl. 47).

270 Lotz, S. 55.

271 Karl Grünberg, S. 71f. Fladung, S. 155. Koestler, S. 147.

272 Dickhut, S. 46f. Lotz, S. 63-66. So harmonisch ging es aber zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten nicht immer zu. Prügeleien zwischen den Angehörigen der beiden Lager der Arbeiterbewegung waren gerade zu Wahlkampfzeiten am häufigsten.

273 Retzlaff-Kresse, S. 32. Reiners S. 56f. bzw. S. 81. Horseling, S. 18.

274 SAPMO-BArch RY1/I3/6/13, Bl. 242

275 Frei, S. 117. Den Mitgliedern wurde 1925 ein Lenin-Bild von der Zentrale in Aussicht gestellt, falls sie zehn neue Mitglieder warben (SAPMO-BArch RY1/I3/15/16, Bl. 124).

276 Damerius, S. 200.

277 Meuter, S. 38.

278 Buber-Neumann, Kriegsschauplätze, S. 143. Lotz, S. 53.

279 SAPMO-BArch RY1/I3/10/111, Bl. 1.

280 Liebermann, S. 61. Sägebrecht, S. 97f.

281 Mallmann, Kommunisten, a.a.O., S. 199.

282 Elflein, S. 59.

283 Vgl. Gerhard Laubscher, Die Opposition im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) 1918-1923, Frankfurt am Main 1979.

284 Durchaus typisch war was die westsächsische Bezirksleitung 1929 über einige Genossen schrieb, die organisierte Buchdrucker waren: „Die Buchdrucker fühlen sich nur als Gewerkschafter und nicht als Kommunisten. Die Entscheidungen der Gewerkschaften stehen ihnen über der Entscheidung der Partei.“ (SAPMO-BArch RY1/I3/10/114, Bl. 584).

285 Elflein, S. 63.

286 Die Prägephase politischer Sozialisation dauert nach Helmut Fogt (Politische Generationen, Opladen 1982, S. 58) etwa vom 16. bis zum 25. Lebensjahr.

287 Faulhaber, S. 48. Hellmann, S. 55.

288 Karl Kunde, Die Odyssee eines Arbeiters, Stuttgart 1985, S. 14. Isaac Abusch, S. 43. Faulhaber, S. 72. Eugen Eberle, Sieben Jahre offensiver Widerstand, Berlin 1974, S. 185. Dickhut, S. 145. Feuchtwanger, S. 493.

289 Richard J. Evans (Hg.), Kneipengespräche im Kaiserreich. Stimmungsberichte der Hamburger Politischen Polizei 1892-1914, Reinbek 1989, S. 179.

290 Eberle, Nächte, S. 63. Hippe, S. 79. Spicher, S. 14f. Horseling, S. 15 bzw. S. 39. Gottfried Grünberg, S. 102ff.

291 So ging etwa im Bezirk Berlin-Brandenburg der Anteil der Betriebsarbeiter an der Mitgliedschaft von 43,38 % 1930 auf 24,98 % im September 1932 zurück (SAPMO-BArch RY1/I3/1-2/70, Bl. 146).

292 Hippe, S. 105. Isaac Abusch, S. 84.

293 Isaac Abusch, S. 35. Popall, S. 51. Elflein, S. 79.

294 Hier die zehn Titel, aus denen nicht zitiert wurde: Emil Birkert, Am Rande des Zeitgeschehens, Stuttgart 1983. Heinz Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West, Frankfurt am Main 1985. Wolfgang Herzberg, Kurt Goldstein, in: ders., überleben heißt Erinnern. Lebensgeschichten deutscher Juden, Berlin 1990. Gerhard Kegel, In den Stürmen unseres Jahrhunderts. Ein deutscher Kommunist über sein ungewöhnliches Leben, Berlin (DDR) 1983. Lisa Tetzner-Kläber, Das war Kurt Held [d.i. Kurt Kläber]. 40 Jahre Leben mit ihm, Frankfurt am Main 1961. Hans Preussner, Sofie Nagel. Aus dem Leben und Kampf einer Dessauer Kommunistin, Dessau 1985. Karl Pioch, Nie im Abseits, Berlin (DDR) 1978. Anna Schlotterbeck, Die verbotene Hoffnung. Aus dem Leben einer Kommunistin, Hamburg 1990. Friedrich Schlotterbeck, Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne. Erinnerungen eines deutschen Arbeiters 1933 bis 1945, Zürich 1945. Gustav Sobottka, Erinnerungen eines Bergarbeiters, in: Unter der roten Fahne. Erinnerungen alter Genossen, Berlin (DDR) 1958. August Tünnermann, Mein Leben als Kommunist, Sehnde o.J. (ca. 1980). Rosa Meyer-Levinés Werk hingegen wurde nicht in dieses Samples aufgenommen, da sie kaum über ihre eigene Parteitätigkeit berichtet.

Editorische Anmerkungen

Die Untersuchung ist eine Spiegelung von http://home.t-online.de/home/ulrich.eumann/Aufsatz.html

Sie erschien im Archiv für die Geschichte des Widerstands und der Arbeit 16/2001, S. 97-164

Der Autor ist an Stellungnahmen interessiert.