Strategien feministischer Migrantinnenpolitik

von Selcuk Yurtsever-Kneer (FeMigra Frankfurt)

01/04  
  
 
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Selbstorganisierung statt Stellvertretungspolitik

Die FeMigra, ist eine Gruppe von feministischen Migrantinnen deren jeweiliger Lebenshintergrund verschieden ist. Einige von uns sind lesbisch andere leben Männerbeziehungen. Wir haben uns ai-sammengefunden, um unsere gemeinsamen Erfahrungen und individuellen Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland zusammenzutragen und um politische Widerstandsformen gegen rassistische Angriffe, Diskriminierung und Ausgrenzung zu entwickeln. Unsere bisherigen Erfahrungen in feministischen und gemischtgeschlechtlichen linken Zusammenhängen als Migrantin ausgegrenzt oder unsichtbar gemacht zu werden, führte schließlich zu der Entscheidung uns als Migrantinnen selbst zu organisieren.

Wir wollen für und über uns selbst sprechen. Wir wollen eigene Interessen selbst vertreten, unsere Realität und Perspektiven sichtbar machen. Hier hinterfragen wir kritisch die von außen bestimmte Identität und thematisieren die verinnerlichten Unterdrückungsformen.

Die Bestimmung unserer eigenen politischen Identität als Migrantinnen verstehen wir als Gegenentwurf, als Bezeichnung eines oppositionellen Standorts. Wir sind uns der Gratwanderung bewußt, auf die wir uns begeben, wenn wir eine strategisch gedachte Identität konstruieren, die möglicherweise für einige ausschließend und für andere wiederum einengend wirkt. Doch erscheint es uns wichtig, daß über die Position, die wir einnehmen, die Einwanderungsgeschichte und -politik dieses Landes in den Mittelpunkt rückt. Die Notwendigkeit einer solchen Politik wurde uns unter anderem nach dem fünften Studienkongress Schwarzer Frauen im Sommer 1991 klar, an dem einige von uns teilgenommen hatten. Damals kamen wir zu dem Entschluß, uns als Migrantinnen zu organisieren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die meisten von uns als „Schwarze Frauen" verstanden, das heißt als Frauen, die nicht nur von Sexismus, und Unterdrückung, Ausbeutung und Ausgrenzung, sondern auch von rassistischen Praktiken erfahren und betroffen waren. Während des Kongresses wurde uns klar, daß die Kategorie "Schwarz" unsere spezifischen Erfahrungen nicht fassen kann. Zum einen ist unsere Hautfarbe nicht schwarz und zum anderen kommt der Grund für unsere Anwesenheit hierin nicht zum Ausdruck. Der Begriff Migrantin kennzeichnet den Schritt der Immigration und unterstreicht die polt-tisch-soziale Komponente des Vergesellschaftungsprozesse. Am Beispiel der Migration wird die Funktion des Rassismus in der nationalen und internationalen Arbeitsteilung deutlich Diese geopolitir sehe, strategisch bestimmte Subjektposition ermöglicht uns eine Kritik an den Machtbeziehungen, die durch die globalen und ökonomischen Strukturen organisiert sind (FeMigra).

Die sozialpolitische Konstruktion 'kultureller' Differenzen

Mit unserer Organisierung und dem was wir veröffentlicht haben, geht es uns auch darum, die herrschende Kulturalisierung von sozialen und ökonomischen Differenzen in Frage zu stellen. Hier in Europa existieren bis dato noch weit verbreitete Bilder in der Mehrheitsgesellschaft und insbesondere in der sozialarbeiterischen Praxis, die uns Migrantinnen als Unterlegene, Unterwürfige und Passive zeigen. Vor allem ist die muslimische Frau zum Inbegriff weiblicher Unterdrückung geworden. So sind z.B. Orientalin und Frauenbewegung keine harmonierenden Begrifflichkeiten für die europäische Alltagskultur. Sie sind Opfer ihrer Religion, des muslimischen Patriachats oder Opfer bizarrer Bräuche. Sie sind hilflos, bemitleidenswert zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen, leiden am Kultur-schock und haben Identitätskrisen.
Gemeinsam sind diesen stereotypen Sichtweisen, daß sie aus Gender, Tradition und Kulturhindergrund zusammengesetzt sind. Mit diesen Standardannahmen über Opferbilder wird ein Kontra-Stereotyp geschaffen. Die Frauenbilder stehen, im Gegensatz zu den Selbstbilder der weißen Frauen, als modern, gebildet, autonom und befreit.
Diese Unterscheidung soll als Funktion der Subjektierung des 'selbst' und die Objektivierung der 'Anderen' durch das Abspalten der abgelehnten subjektfemen Teile des selbst und Projektionen auf den Anderen darstellen.

In einer anderen Variante werden ihr positive Merkmale angeheftet wie z.B. eigenwillig, stolz, hilfsbereit, liebend, freundlich, zurückhaltend, naturverbunden. Die Objektivierung und Unterdrückung verkleidet sich hier als Toleranz und etikettiert sich selbst als antirassistisch. Ob negativ oder positiv, auch hier bleiben Aussagen in kulturalistischen und ethnischen Interpretationsmustern stecken. Dahinter steckt schlicht und einfach Rassismus. Auf diese Art und Weise wird auch heute noch argumentiert.

Mittels einer Kulturdifferenztheorie werden die sozialen und ökonomischen Differenzen kulturalisiert, Identitäten zugeschrieben und Ethnien geschaffen. Ein Kulturmodell, das in dieser Form statische und unveränderbare Gruppen konstruiert und diesen Merkmale zuweist, die auf der anderen Seite negativ konnotiert werden, setzt einen rassistischen Diskurs fort. Mit der Konstruktion von feststehenden kulturellen Wertigkeiten, lassen sich nunmehr die Ausgrenzungspraktiken gegenüber den zuvor konstruierten Gruppen begründen.

Auch die Phase der interkulturellen Frauenforschung, die normativ das Model einer gleichberechtigten , anti-ethnozentrischen und toleranten Kommunikation zugrundelegte, indem sie eine neue Politik der Differenz definierte, die eine Gleichberechtigung zwischen Frauen auf der Grundlage der kulturellen Differenzen als soziales Recht forderte, verfestigt die Machtstellung derjenigen, die zwar die "Anderen" anerkennen wollen , ohne aber die Voraussetzung jeglicher Anerkennung- also die gesellschaftspolitische Problematik der Gleichberechtigung mitzubetrachten.

Die staatlich produzierten Unterschiede, z.B. keine Bürgerrechte und keine politische Entscheidungsmacht, gehen unter, werden verharmlost. Denn die Differenzierungspolitik ist nicht nur über eine Philosophietradition vermittelt sondern auch über die Geschichte von Institutionen. Der moderne Rassismus ist daher nie eine bloße, auf die Pervetierung des kulturellen oder des soziologischen Unterschieds gründende Beziehung zum Anderen (Balibar).

Der institutionelle Rassismus

Wie solche national-staatliche Differenzierungspraktiken funktionieren zeigt die Anfang letzten Jahres verabschiedete Verordnung vom damaligen Innenminister Kanther. Die Bundesregierung beschloß am 13. Januar 1997 für Kinder unter 16 Jahren aus der Türkei, Marokko, Tunesien und ExJugoslawien eine Visumspflicht einzuführen. Während in europäischen Gesellschaften die Familie die Grundeinheit darstellt, um die das ökonomische und gesetzliche System aufgebaut ist und wo viele Gestze und Regelungen die Stärkung der Einheit der Familie und das Wohl des Kindes zum Ziel haben, wird hier zur Schwächung oder gar Zerstörung der Familieneinheit beigetragen. Das Wohl oder Unwohl des Kindes/Jugendlichen wird somit auf der Grundlage der Zugehörigkeit oder nicht Zugehörigkeit zur Festung Europa entschieden.

Ohne die politische Gleichheit und ohne das gleiche Zugangsrecht zu sozialen Resourcen und Leistungen ist Gleichberechtigung nicht möglich. Dies allein ist per Definition Ausdruck von institutionalisiertem Rassismus. Eine Gruppe von Menschen wird per Gesetz von demokratischen Rechten ausgeschlossen. Dieser Widerspruch der Demokratie ist ihrer historischen Garantie dem Nationalstaat, immanent. Wir die FeMigra vertreten eine Migrantinnenpolitik, die sich nicht nationalen oder kulturellen Räumen verortet, sondern Widerstandsmöglichkeiten innerhalb der gesellschaftlichen Widersprüche aufsucht. Wir möchten die Logik der Spaltung des 'Eigenen' vom 'Fremden' (und umgekehrt) aufbrechen (FeMigra 1994).

Ein Ansatz um das Sprechen von kulturellen Differenzen wäre, daß der politisch-historische Raum betrachtet werden muß, in dem sich dieses Reden ereignet, wer redet und für wen. Wir müssen einen Diskussionsansatz formulieren, welches jegliche Formen der Unterdrückung mitreflektiert und kritisch hinterfragt (Encamacion Gutierrez Rodrigeuez).

Imaginäre Solidarität

Daß weiße 'Frauen' genauso in den rassistischen Strukturen der internationalen sowie nationalen Arbeitsteilung involviert sind, bleibt außer acht. Der bisherige Solidaritätsbegriff im feministischen Selbstverständnis hat einen strukturell eurozentrischen Charakter. Dieser einebnenden Theorie, entging freilich die eigentümliche Selbstbezüglichkeit. Denn die Verquickung sexistischer mit rassistischen Strukturen wird nicht als solche wahrgenommen. Die Kategorie Frau im weißen Feminismus thematisiert zwar Sexismus und das Geschlechterverhältnis, doch die Spezifika der Situation von Migrantinnen wird dabei negiert und marginalisiert. Wenn Rassismus nicht als konstituierendes Moment bei der Bestimmung der Geschlechterverhältnisse unter Frauen beachtet wird, werden die möglichlichen Gemeinsamkeiten und Differenzen unter Frauen verzerrt und negiert. Der bisherige Solidaritätsbegriff im Selbstverständnis dsr weißen Frauenbewegung erwies sich als vereinnahmend und unhistorisch.

Es geht nicht darum, daß einige Frauen zusätzlich diskriminiert werden, sondern daß Rassismus die Beziehungen auch unter Frauen strukturiert. Durch die Nichtwahrnehmung der ökonomischen, politischen und sozialen Unterschiede unter Frauen wird jedoch der herrrschende Status Quo reproduziert. Denn der Zugang zu Öffentlichkeit und Resourcen bleibt uns Migrantinnen verwehrt. Alle Diskurse, die durch institutionell verfestigte Redeweisen das Handeln bestimmen, üben Macht aus und tragen damit zu Strukturierung von Machtverhältnissen in einer Gesellschaft bei. Zudem sind sie entscheidend von den Machtverhältnissen einer Gesellschaft beeinflußt, denn nicht alle gesellschaftlichen
Gruppen haben gleichen Zugang zu jenen Produktionsmitteln, die gesellschafliche Diskurse initiieren und inhaltlich dominieren. Solche Diskurse tragen zur Reproduktion von Rassismen bei. Uns geht es nicht darum der Solidarität mit den Frauen eine Absage zu erteilen, sondern darum die Gefähr, wieder in die Eurozentrismusfalle zu tappen, zu reflektieren.

Kritik und Aussicht

Wir kämpfen für eine feministische und antirassistische Parteilichkeit in der Migrantinnenforschung. Als antirassistische Frauen müssen wir einen gemeinsamen Weg des Kampfes finden, der nicht gleichzeitig den staatlichen sowie strukturellen Rassismus gegen Migrantinnen unterstützt. Es geht uns um eine Neubestimmung des Feminismus. Für uns zeichnet sich feministische Politik nicht nur durch die Vorherrschaft aus, sondern auch durch das Erkennen der Komplexität von Herrschafts- und Machtverhältnissen. Gayatri Chakravorty Spivak (1989) spricht in diesem Zusammenhang von >global feminism<, von einem Feminismus, der sich geopolitisch situiert am Ort der Arbeit. Wir müssen eine feministische Gesellschaftskritik formulieren, die sich innerhalb der internationalen Arbeitsteilung verortet und die heterogenen antisexistischen Kämpfe auf der Welt miteinbezieht. Die gesellschaftlichen Positionen, die Frauen voneinander unterscheiden, sind auch dadurch bestimmt, welcher Klasse sie zugehören, auf welchem Kontinent und in welchem Land sie leben und wo sie herkommen.

Es geht nicht nur darum Migrantinnen einen Raum für das Ansprechen ihrer Betroffenheit zuzuerkennen, sondern auch darum die Privilegien der Frauen aus der Dominanzgesellschaft zu hinterfragen. Diese stellen sich über ihre Einschließung in eine national-rassische Gemeinschaft her, die ihnen erst den Zugang zu Machtressourcen und zur Öffentlichkeit gewährt. Aber trotzdem gilt, derartige Freiräume zu sichern und auszubauen, denn sie bilden die Basis für den Austausch und die Entwicklung von Strategien der Veränderung.
Gerade das Wissen um rassistische Ausgrenzungspraktiken, die auch vor dem Wissenschaftsbereich keinesfalls Halt machen, müßte dazu führen, daß die einmal gewonnene Einsicht deutscher Feministinnen in rassistischer Unterdrückung von Migrantinnen und der Wille zu deren Abschaffung in einen freiwilligen Machtverzicht mündet, der den Bereich der Migrantinnenforschung automatisch Migrantinnen mit entsprechenden Qualifikationen selbst überläßt (Benin Özlem Otyakmaz).

Editorische Anmerkungen 

Der Artikel ist zum Zwecke der Spiegelung ein OCR-Scan von http://www.femigra.de/dateien/cfd-art.pdf