Alltagsleben - Rassistische Diskriminierung und kritisches Denken Linke 
Theorien über Alltag, Diskurs und Ideologie 
von
Jost Müller

01/04       trend onlinezeitung

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Marx unterschied die Kritik als Selbstverständigung von der Kritik als  Denunziation. Eine kritische Theorie des Rassismus bedarf allerdings keiner  Verständigung mit ihrem Gegenstand, sie hat ihn zu denunzieren. Sie braucht  jedoch eine Selbstverständigung über ihre eigenen Kriterien. Die  Sozialwissenschaften haben den Begriff der »Rasse« nach 1945 aus ihrer  Terminologie gestrichen, gleichzeitig aber haben sie unter dem herrschenden  Kulturalismus den Begriff der »ethnischen Gemeinschaften« durchgewinkt. Schon  Max Weber hat das Sammelsurium an Sozialverbänden - von der »Gemeinschaft« des  »Stamms«, der »Sitte«, der »Religion« und der »Sprache« bis hin zur  »Volksgemeinschaft« - registriert, das sich »hinter dem vermeintlich  einheitlichen Phänomen« verberge. Eine »wirklich exakte soziologische  Betrachtung« aber habe diese Sozialverbände »sorgsam zu scheiden«. Für die  Untersuchung von Sozialverhältnissen, so folgerte Weber in Wirtschaft und  Gesellschaft, müsse der »Sammelbegriff 'ethnisch' sicherlich ganz über Bord  geworfen werden«. Wenn also die moderne Soziologie den Begriff der »ethnischen  Gemeinschaft« schon dekonstruiert hat, gibt es für eine kritische Theorie  keinerlei Anlass, ihn aus der herrschenden Vulgärsoziologie erneut zu  übernehmen. Mehr noch, wenn dieser Begriff am Ende des 20. Jahrhunderts zum  Schlüsselbegriff der politisch-sozialen Sprache avancierte, so ist von  kritischer Theorie zu erwarten, dass sie seine Verwendung denunziert. 

Im Rahmen der Rassismustheorie aber sind die Ansätze spärlich gesät, die dies  wirklich tun. Ein Grund hierfür ist zweifellos in der Abwertung der  Ideologiekritik zu suchen, die eine Folge der Krise des Marxismus in den  siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist. Es gab bisher kaum Anstrengungen, die  marxistische Ideologiekritik, wie sie seit den zwanziger Jahren entwickelt  wurde, mit der Diskursanalyse und der Ideologietheorie aus den sechziger und  siebziger Jahren zu verbinden. Im Folgenden soll nun versucht werden, mögliche  Verbindungen aufzuzeigen. Dies im Rahmen kritischer Rassismustheorie zu tun,  bedeutet nicht, dass solche Verbindungen etwa darauf zu beschränken wären. Er  bietet vielmehr eine willkommene Eingrenzung des theoretischen Feldes, um erste,  tastende Schritte zu unternehmen. Zwei Motive für dieses Unternehmen habe ich  bereits genannt: die fehlende Denunziation des Begriffs »ethnisch« und die  Stagnation der Theoriebildung. Zwei Beobachtungen kommen hinzu: Zum einen die  Beobachtung, dass im Rahmen der kritischen Rassismustheorie zwar  selbstverständlich und berechtigterweise von »Rassen« oder auch von »Ethnien«  als sozialen Konstruktionen die Rede ist; doch das Soziale daran wird wenig  thematisiert und die gesellschaftstheoretischen Annahmen bleiben im Dunkeln.  Hier besteht die Gefahr, in einen handlungstheoretischen Funktionalismus  zurückzufallen oder aber in den reinen Konstruktivismus abzugleiten, für den  soziale Konstruktionen schlicht empirische Tatsachen sind. Zum anderen ist  feststellbar, dass häufig, etwa mit dem Terminus »alltäglicher Rassismus«, auf  einen Alltag Bezug genommen wird, aber eine Theorie und Kritik des Alltagslebens  nicht vorkommt. Hier nun droht eine soziale Trivialisierung nach dem Muster:  Alltäglich ist das, was die »kleinen Leute« tun und sagen. 

Der Alltag zwischen Reproduktion und Entfremdung 

Diese zweite Beobachtung nehme ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen.  Während die Wissenssoziologie, die sich mit dem Alltagsleben beschäftigt, nach  dem Wissen fragt, »welches das Verhalten in der Alltagswelt reguliert« (Peter L.  Berger/Thomas Luckmann), fragt die materialistische Ideologiekritik nach dem  Verhalten, das ein bestimmtes »Wissen« produziert und reproduziert. Eine  überschaubare Gliederung der Räume, ein festgelegter Rhythmus der Zeiten, ein in  utilitärer Praxis gebanntes Denken, alles im Alltagsleben scheint auf  Wiedererkennbarkeit und Wiederholbarkeit angelegt zu sein. Bei den Ansätzen zu  einer kritisch-materialistischen Theorie des Alltaglebens stößt man auf zwei  grundlegende Kategorien, die das Alltägliche bestimmen sollen: die Reproduktion  und die Entfremdung. Die Kategorie der Reproduktion scheint für das Unterfangen,  Ideologiekritik, Ideologietheorie und Diskursanalyse zu verbinden, zunächst  völlig unproblematisch. So hatte Louis Althusser seine Theorie der ideologischen  Staatsapparate und den subjekttheoretisch gefassten Mechanismus der Anrufung  damit begründet, dass sie erst vom »Standpunkt der Reproduktion« formulierbar  wurden. Die Diskursanalyse ist ständig mit den reproduktiven Kapazitäten von  Diskursen konfrontiert, die Foucault in der Archäologie des Wissens als  »diskursive Regelmäßigkeiten« zusammenfasst. Auch in der ideologiekritischen  Tradition rückte, nicht zuletzt in der Behandlung des Alltags, die Kategorie der  Reproduktion ins Zentrum des theoretischen Interesses. 

An die späte Ästhetik von Georg Lukács anknüpfend, untersucht Agnes Heller das  Alltagsleben als eine relativ autonome Sphäre der Gesellschaft mit eigenen  Objektivationen, die sich auf das Individuum und dessen unmittelbare Umgebung  beziehen. Die Kategorie der Reproduktion ließ sie den von Lukács vorgegebenen  theoretischen Rahmen verlassen, in dem die Objektivationen menschlichen Handelns  sich als Widerspiegelung des gesellschaftlichen Seins im Bewusstsein darstellen.  Heller definiert zunächst allgemein: »Das Alltagsleben ist die Gesamtheit der  Tätigkeiten der Individuen zu ihrer Reproduktion, welche jeweils die Möglichkeit  zur gesellschaftlichen Reproduktion schaffen.« Damit ist die Trennung von  Produktions- und Reproduktionssphäre, etwa in der Trennung von Arbeit und  Konsum, zugunsten der Unterscheidung von individueller und kollektiver  Reproduktion aufgegeben. Die Möglichkeit zur kollektiven Reproduktion ist jedoch  nur realisierbar, wenn die Selbstreproduktion des Individuums ein Moment der  gesellschaftlichen Reproduktion bildet. Hierzu muss das Individuum eine  »gesellschaftliche Funktion« erfüllen; es muss innerhalb der gesellschaftlichen  Arbeitsteilung eine bestimmte Position einnehmen. In der Klassengesellschaft  entwickelt sich die Selbstreproduktion des Individuums weder spontan noch  rational zur gesellschaftlichen Reproduktion weiter. Die alltäglichen  Tätigkeiten sind vielmehr als teilweise bereits vergesellschaftete Tätigkeiten  nach Heller dem herrschenden Konkurrenzprinzip unterworfen. Das Alltagsleben sei  für den Einzelnen ein »Kampf um das nackte Leben, um den Platz innerhalb der  Gemeinschaft, um den Platz innerhalb der Gesamtheit der Gesellschaft«. Die  Aneignung der unmittelbaren sozialen Umwelt, die Einübung in Bräuche, die  Internalisierung von Normen und die Entwicklung von eigenen Fähigkeiten sei  daher zugleich Aneignung der Entfremdung. Die Marxsche Entfremdungstheorie  liefere mithin die »Kritik des Alltagslebens der Klassengesellschaft«. 

Aneignung des gesellschaftlichen Lebens. Bei Heller ist Entfremdung jedoch nicht  nur als eine negative Kategorie eingeführt. Auf der »Ebene des Gattungsmäßigen«  bedeutet sie Entfaltung der Produktion, der Ökonomie, der Wissenschaft und der  Kunst. Mit der Konzeption der drei Ebenen von Objektivationen menschlichen  Handelns - Individuum, Gesellschaft, Gattung - wird die Kategorie der  Reproduktion teleologisch unterfüttert; es handelt sich nicht nur um drei  Ebenen, sondern um drei Stufen der Menschwerdung. Folgt man Hellers positivem  Programm nicht, dann bleibt dennoch die Verbindung, die sie zwischen  individueller und kollektiver Reproduktion einerseits und der Aneignung der  Entfremdung andererseits herstellt, ein wichtiger ideologiekritischer  Anhaltspunkt in der Untersuchung des Alltaglebens. Wenn in der  Klassengesellschaft die - zumindest partielle - Vergesellschaftung der  alltäglichen Tätigkeiten zugleich die individuelle Aneignung der Entfremdung  bedeutet, dann ist die Selbstreproduktion zugleich die Produktion von  Entfremdung. Heller bestreitet dies und betont, das Alltagsleben habe lediglich  eine »Affinität zur Entfremdung«; je nach »Entfremdungsgrad« der  sozioökonomischen Verhältnisse sei auch das Alltagsleben mehr oder weniger  entfremdet. Diesen Gradualismus wendet sie gegen Martin Heideggers Analyse der  Alltäglichkeit als uneigentliches Dasein in Sein und Zeit ein; der Gradualismus  hat aber auch mit Marxens Entfremdungstheorie nichts mehr zu tun. 

In den »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten« von 1844 hat Marx drei  Bestimmungsmomente der Entfremdung angegeben: die »Entfremdung der Sache«, die  »Selbstentfremdung« und die »Entfremdung des Menschen von dem Menschen«. Alle  drei Momente sind an das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital gebunden, in dem  die Arbeitskraft als Ware figuriert. Sie werden reproduziert, wie dieses  Verhältnis selbst sich reproduziert. Diese Reproduktion ist die tagtäglich  wiederholte produktive Tätigkeit der Arbeitenden. Nimmt man eine Anregung von  John Holloway aus Historical Materialism (1/1997) auf und begreift Entfremdung  nicht als gesellschaftlichen Zustand, sondern als Aktivität, dann ist  Entfremdung ein Kampf, in dem darüber entschieden wird, ob, wie Marx sagt, die  »Tätigkeit als Leiden«, die »Kraft als Ohnmacht« fungiert oder ob die  Arbeitenden gegen die Verwandlung ihrer Aktivität in Passivität rebellieren und  damit die Aneignung des Produkts, der Tätigkeit und des gesellschaftlichen  Lebens vollziehen. Die Überwindung der Entfremdung ist nach dieser Auffassung  nicht ein ferner Zustand, der sich in graduellen historischen Prozessen  herstellt, sondern ein Prozess, der im Alltagsleben heute ansetzt. 

Kolonisierung des Alltagslebens

Henri Lefebvre hat in seinen Untersuchungen auf die Ambiguität des Alltags  hingewiesen. Auch er geht von der Kategorie der Reproduktion aus, aber in seinen  Augen kann die gesellschaftliche Reproduktion sich nicht reibungslos  durchsetzen. »In der Alltäglichkeit«, so sagt er in der Kritik des  Alltagslebens, »werden die Entfremdungen, die Fetischismen, die Verdinglichungen  (aus dem Geld und der Ware) allesamt wirksam. Zugleich aber treffen die  Bedürfnisse, die sich in ihr (bis zu einem gewissen Grad) in Wünsche verwandelt  haben, auf die Güter und eignen sie sich an.« In seinen ersten Entwürfen zur  Theorie und Kritik des Alltagslebens ging Lefebvre noch davon aus, das  Alltägliche sei von der herrschenden Ökonomie und der offiziellen Politik  abgeschoben und verdrängt, das schöpferische Potenzial der alltäglichen  Tätigkeiten werde ignoriert und die Bedürfnisse und Wünsche würden  neutralisiert. In einem zweiten Anlauf diagnostiziert er für die ihm  gegenwärtige fordistische Gesellschaft, für die »Gesellschaft des bürokratisch  gelenkten Konsums«, wie er sie nennt, eine Art Kolonisierung des Alltäglichen,  die die Tendenzen zu Entfremdungen und Verdinglichungen verstärkt habe. Unter  Berufung auf Lefebvre hat Hans-Jürgen Krahl die »Verdoppelung der ideologischen  Subjektivität« betont. Die Gesellschaft sei in »Entfremdungen zweiten Grades«  eingetreten: »nicht mehr nur der Sache, sondern des Blicks auf die Sache, nicht  mehr des Wirklichen, sondern des Bildes der Wirklichkeit, nicht nur der  subjektiven Illusionen über die Objektivität, sondern über die Subjektivität«. 

Lefebvre hat allerdings daran festgehalten, dass das Alltägliche niemals  vollständig integrierbar sei. Es fliehe die Versuche der Rekuperation, weil es  der nicht vorher bestimmbare Ort der Widerstände, der Trennungen und der  Gegensätze bleibe. Mit der Unterscheidung von Kultur und Stil schließlich sucht  Lefebvre die Ambiguität des Alltagslebens zu fassen. Kultur ist demnach eine  Institution, die auf die Regelung der Bedürfnisse und Wünsche zielt, während der  Stil den Modus der Aneignung bezeichnet, in dem die Bedürfnisse und Wünsche die  Oberhand über die Objekte, die Waren und das Geld erlangen können. Der Stil  richtet sich auf die Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens, nicht mehr auf  die Aneignung für ein klassifizierbares, isolierbares Bedürfnis. Lefebvre  visiert, in Das Alltagsleben in der modernen Welt, eine »transformierte  Alltäglichkeit« an, einen »Lebensstil«, der die Institutionalisierungen der  offiziellen Kultur auflöst. Die Überwindung der Entfremdung, der Prozess der  Aneignung von Produkt, Tätigkeit und gesellschaftlichem Leben ist nicht auf die  Arbeitenden im Sinn der traditionellen Arbeiterbewegung beschränkt. Die  Initiative für eine kulturelle Revolution, die nicht nur Staat und  Eigentumsverhältnisse, sondern das Leben ändern soll, hat keine fixen  kulturellen Ziele umzusetzen, sondern eine neue Praxis ins Leben zu rufen, eine  neue Sprache zu finden. Der Kampf um Aneignung kann sich dabei an  unterschiedlichen Orten des gesellschaftlichen Lebens entzünden. 

Grenzen der Entfremdungstheorie 

Festzuhalten ist zunächst, dass das Alltagsleben der umkämpfte Ort der  Selbstreproduktion als Produktion der Entfremdung wie der möglichen Überwindung  der Entfremdung ist. Kann im Rahmen einer kritischen Rassismustheorie diese  Feststellung wirksam werden? Alltäglicher Rassismus meint nach dieser Theorie  des Alltagslebens, dass die Reproduktion der rassistischen Gemeinschaft - individuell und kollektiv - die Produktion der anderen »Rassen« bewerkstelligt.  In den alltäglichen Tätigkeiten, die dieser Selbstreproduktion dienen, wird die  rassistische Spaltung der Gesellschaft bestätigt und formiert. Es sind die im  Alltagsleben auftauchenden Redeweisen, Gesten, Rituale und Praktiken, die den  Ein- und Ausschluss für den Einzelnen signalisieren. Impliziert die für die  Konstruktion von »Rassen« oder »Ethnien« konstitutive Spaltung eines Selbst von  den Anderen, eines Eigenen von den Fremden nicht die Selbstentfremdung und die  Entfremdung koexistierender sozialer Gruppen voneinander? 

Aber die Entfremdungstheorie erweist gerade dadurch ihre Unzulänglichkeit, dass  sie jene mikrologischen Prozesse, in denen diese Spaltung alltäglich sich  ereignet und reproduziert, nicht mehr bestimmen kann. Der Theorietypus ist  gekennzeichnet durch die Bildung von Homologien, die ausgehend von der  gesellschaftlichen Arbeit als der entfremdeten Arbeit den Konsum, das Recht, die  Sprache, alle gesellschaftlichen Institutionen - Fabrik, Markt, Staat, Kirche,  Familie, dann Wissenschaft, Kunst und Philosophie - treffen und nach einem  einzigen Modus interpretieren lassen. Bei Lukács in Geschichte und  Klassenbewusstsein etwa liefert die Warenform diesen Modus, sie ist ihm die  »alle Lebensäußerungen entscheidend beeinflussende Form«. Kommt Lukács explizit  auf das »Alltagsleben in der bürgerlichen Gesellschaft« zu sprechen, so kann er  darin nur die »relative Irrationalität des Gesamtprozesses«, die zufällige, nur  formelle Beziehung seiner rationalisierten Elemente aufeinander erkennen, die er  bereits in den »rein ökonomischen Erscheinungen« vorfindet. Bei Heller erfüllt  die Dichotomie von Partikularem und Gattungsmäßigem die homologisierende  Funktion, bei Lefebvre schließlich, der in seiner Theoriebildung allerdings  wesentlich rhapsodischer ist, die Institution beziehungsweise die  Institutionalisierung. Es ließe sich ebenso auf die Dialektik der Aufklärung von  Horkheimer und Adorno und auf Marcuses Der eindimensionale Mensch verweisen. In  allen Fällen handelt es sich um einen universellen Modus, der die Logiken der  verschiedenen sozialen Machtverhältnisse auf einen gemeinsamen Nenner bringen  soll. 

Hass auf Differenz

Als ein weiteres Beispiel, das sich auf den alltäglichen Rassismus bezieht,  lässt sich eine Passage aus Peter Brückners Zur Sozialpsychologie des  Kapitalismus anführen. Brückner gibt im Abschnitt »Komplizenschaft der  Lohnabhängigen« des Kapitels über die »Gewaltförmigkeit in der Regelung  zwischenmenschlicher Beziehungen« lange Passagen eines Artikels von Ernst Klee  aus der Frankfurter Rundschau vom 16. Januar 1971 wieder, in dem über  alltägliche Diskriminierungspraktiken gegenüber »Ausländern« berichtet wird.  Klee zitiert seinerseits eine Zeitung aus Rüsselsheim, dem Sitz der Opelwerke  mit damals mehreren Zehntausend Beschäftigten. Hier war ein Jahr zuvor der Satz  zu lesen: »... erfreulicherweise ist nicht in allen Gaststätten Ausländern der  Zutritt verwehrt!« Dann zitiert Klee eine CDU-Stadtverordnete aus Kassel, die  auf den Ämtern die schikanöse Behandlung von Seiten der Angestellten beklagt,  schließlich aus einem Interview mit einem Angestellten des Jugendsozialwerks.  Letzterer gibt vor, Mentalität und Sozialisation der männlichen »Ausländer« zu  kennen, bezeichnet deren Haltung zur Arbeit als zu wenig »demütig« und  interpretiert ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten, indem er das herabwürdigende  Kollektivum »der Ausländer« verwendet: 

»Seine Bedürfnisse, als da sind schnelles Geld, schnelle Freuden, große Frauen,  blonde Frauen, evangelische Frauen, die nicht zu beichten brauchen, ja, das ist  auch so eine Vorstellung in den katholischen Ländern. Und - das muss ich  einfügen - die ihn dann wieder in Irrläufe hineinführen, wenn er eines Tages  entdeckt: evangelische Frau, blonde Frau, deutsche Frau sehr schön, aber sehr  schwierig. Sie will nicht immerzu kochen, sie hat einen eigenen Willen, sie hat  eine eigene Meinung, ich kann sie nicht so kommandieren wie in meiner Heimat.  All diese Dinge, das sind doch Fakten, die ihn jeden Tag hier mit der Umwelt in  Konflikt bringen können.« 

Brückner gibt also diese Stelle wieder, fügt weitere diskriminierende  Alltagsaussagen hinzu, kombiniert sie mit diskriminierenden Äußerungen und  Aufforderungen gegenüber Langhaarigen und Linken (»Geh' doch rüber, wenn's dir  hier nicht passt!«) sowie mit Statistiken über Vergewaltigungen und sexuelle  Nötigung von Frauen. Die Formel, auf die Brückner in Anlehnung an das Konzept  des Ticketdenkens aus der Dialektik der Aufklärung schließlich alles bringt, ist  der Hass auf Differenz: »Der Hass auf alles, was einem selbst nicht gleicht, ist  mit der Wut auf jedes verschwistert, das auf Veränderung abzielt; auf  Veränderung, die nach den Erfahrungen der Klasse immer aufs Neue das  Versprochene, das Erhoffte nicht einlöst.« Die aggressive Gleichmacherei führt  er schließlich auf die »Disponibilität« der Arbeitskräfte im  Kapitalverwertungsprozess zurück. Brückners Verfahrensweise ist bezeichnend für  die Ideologiekritik nach dem entfremdungstheoretischen Ansatz, wie ihn die Neue  Linke in der Bundesrepublik vertreten hat. Die Subsumtion der unterschiedlichen  sozialen Machtverhältnisse - der politischen Macht gegenüber der Linken, der  Macht der Männer über die Frauen, der Macht der Erwachsenen gegenüber den  Jugendlichen, der Macht der rassistischen Gemeinschaft gegenüber den Anderen -,  die Ineinssetzung von Antikommunismus, Sexismus, Normalismus und Rassismus, hat  einen skurrilen Effekt: Da vermeintlich alles bereits erkannt ist, ist gar  nichts mehr erkennbar. 

Imperative des Alltags

Eine ideologietheoretisch gestützte Diskursanalyse nimmt dagegen die  spezifischen Artikulationen wahr, die etwa die oben angeführten Aussagen des  Angestellten aus dem Jugendsozialwerk herstellen. Einige Hinweise müssen hier  genügen: Auffällig ist die Reihung der Attribute, die das Objekt der  vermeintlichen Geilheit von Ausländern erfährt. Die Kette »groß-blond- evangelisch« läuft auf die Benennung einer Ursache für ihr Verhalten zu: nämlich  hier die Spekulation über die »Vorstellung in den katholischen Ländern« ihrer  Herkunft, dann die Umkehrung evangelisch-blond-deutsch, die auf den  unvermeidlichen Konflikt zusteuert. Die Trennung des Selbst von den Anderen wird  in der Redepassage am Objekt der Frau kulturell-religiös im alltäglichen  Verhalten fundiert: von den körperlichen Zuschreibungen, die das sexuelle  Stereotyp vom Verlangen eines kleinen Mannes nach einer großen Frau abrufen,  über die »blonde Frau«, die als »sexy Blondine« und zur rassistischen  Unterscheidung von Norden und Süden doppelt codiert ist, bis zur Differenz  markierenden Nennung der Religion, die das eigentlich bestehende  Kopulationsverbot andeutet. In der Umkehrung dieser Reihe, die sich auf den  Kontext der möglichen Eheschließung bezieht, zumindest einen gemeinsamen Ort der  individuellen Reproduktion annimmt: angesprochen in der Zeitangabe »eines Tages«  und in der Tätigkeit des Kochens, ist das sexuelle Begehren kassiert und durch  die Nennung der Haarfarbe zur Nation übergeleitet. Das Kopulationsverbot bringt  sich nun politisch zur Geltung; es kehrt zurück, so die Warnung des  Interviewten, in der Behauptung des freien Willens der »eigenen« Frau gegen das  Kommando des »fremden« Mannes. 

Der Interviewte redet über Dritte, er interpretiert deren Verhalten, dabei aber  ruft er die Mythen, den Mythos der deutschen Frau etwa, das Begehren und den  sozialen Kontext auf, in denen er selbst situiert ist. Er stellt eine Beziehung  zwischen biologistischen und kulturalistischen Annahmen her, spricht Arbeit und  Geld an und lenkt alles auf die Nation. Man kann seine Aussagen als ein großes  Bedrohungsszenarium eines deutschen männlichen Angestellten im Jahr 1971 lesen,  vollgestopft mit Ressentiments und Vorurteilen, mit eigenen Machtansprüchen und  Versagensängsten. Man kann aber auch sagen: In diesen Redeweisen konstituiert  sich ein Subjekt, dass um Heiratsverhalten und Nation ein Band zu schlingen  versucht, das seine individuelle und gemeinschaftliche Reproduktion zu  garantieren verspricht. Setzt man an die Stelle der Wörter evangelisch und  katholisch die Wörter christlich und islamisch, so befindet man sich in der  unmittelbaren Gegenwart. 

Herstellung fiktiver Ethnizität 

Die diskursive Anordnung ist anscheinend unverwüstlich. Sie übersetzt das, was  Etienne Balibar in einem Aufsatz aus Rasse Klasse Nation als fiktive Ethnizität  bezeichnet hat, in Imperative des Alltagsverhaltens, indem sie den Alltag  interpretiert. Balibar hat, ganz eng angelehnt an Althussers Thesen in Ideologie  und ideologische Staatsapparate, das »Gespann Schule-Familie« in den Mittelpunkt  der Herstellung fiktiver Ethnizität gerückt. Dieses Gespann sichert, so  Althusser, die Reproduktion der Arbeitskraft, indem es die einzelnen Subjekte  für eine bestimmte Position innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung  konditioniert. Die herrschende Ideologie ist nach Althusser nicht vor allem  deshalb herrschend, weil sie den Beherrschten die Ideen der herrschenden Klasse  in den Kopf setzt, sondern weil sie bestimmte Handlungen, Praxen und Rituale  innerhalb eines Ensembles von Institutionen festlegt, die er als ideologische  Staatsapparate charakterisiert. Balibar modifiziert diesen Ansatz insofern, als  er herausstellt, dass »allgemeine Schulpflicht« und »Familienzelle« die  Reproduktion der Arbeitskraft der »Bildung einer fiktiven Ethnizität  unterordnen, d.h. der Artikulation einer sprachlichen Gemeinschaft und einer  rassischen Gemeinschaft, die implizit in der Bevölkerungspolitik vorhanden ist«.  Die fiktive Ethnizität übersteigt die reale sprachliche Kommunikation wie die  unmittelbaren Verwandtschaftsbeziehungen und Haushaltsstrukturen, indem sie  beide in die Vergangenheit und in die Zukunft projiziert, mit den Mythen einer  ursprünglichen Sprache und einer urgemeinschaftlichen Herkunft verbindet. Die  Imaginationen der »Muttersprache« und der symbolischen Verwandtschaft  konstituiert eine eigene Subjektivität, die in den schulischen und familiären  Staatsapparaten geregelt ist und aktualisiert wird. 

Auch hierin folgt Balibar Althussers Thesen über Ideologie streng. Althusser  hatte eine negative These, nach der die Ideologie das »imaginäre Verhältnis der  Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen« repräsentiert, und eine positive  These, die der materiellen Existenz der Ideologie in den Staatsapparaten,  formuliert. In ihren Prozeduren sieht er schließlich die Konstitution von  Subjektivität durch Anrufung der Individuen als Subjekte verankert. Allerdings  verschiebt Balibar das theoretische Terrain, auf dem diese Thesen Gültigkeit  haben. Althusser bezieht sich auf die ideologische Klassenherrschaft, Balibar  auf die Ideologie der Nation-Form, und er verbindet sie mit Foucaults Konzeption  der Bio-Macht. Diese Verschiebung lässt die Grenzen des anfänglichen  ideologietheoretischen Modells erkennen. Althusser setzt den Standpunkt der  Reproduktion mit dem des Klassenkampfs gleich. Die Verschiebung, die Balibar  vornimmt, ist lediglich eine von mehreren möglichen. Für das  Geschlechterverhältnis ist der familiäre Staatsapparat von zentraler Bedeutung;  hier wird die geschlechtliche Arbeitsteilung, das affektiv-emotionale Potenzial  und das generative Verhalten in Haushaltsstrukturen gegossen, die die  Machtbeziehungen zwischen Mann und Frau, die Imaginationen von Männlichkeit und  Weiblichkeit regulieren. Im gesellschaftlichen Naturverhältnis ist andererseits  der schulische Staatsapparat kaum zu vernachlässigen, da in ihm die Trennung von  Natur und Gesellschaft über die Einübung in die technologische Rationalität  nicht nur nach den Lehrplänen vorexerziert, sondern zugleich an den Körpern der  Kinder selbst exekutiert wird. Kommen folglich die verschiedenen sozialen  Machtverhältnisse in den Blick, so liegt es nahe, die Ideologietheorie von  Althusser an das Alltagsleben als den umkämpften Ort der Reproduktion zu binden. 

Regeln des Diskurses

Ähnliches gilt auch für die Diskursanalyse. Denkt man sie von den Grenzen her,  an die Foucault sie in der Archäologie des Wissens getrieben hat, nämlich von  der Relation diskursiver und nicht diskursiver Praxis, dann lässt sich auch hier  die Verbindung zum Alltagsleben herstellen. Foucault beschreibt die diskursive  Formation, indem er die Aussagen, die einen Diskurs bilden, durch die  Konstitution von Gegenstand, Redeposition, Methode beziehungsweise Organisation  und Strategie kennzeichnet. Alle vier Modalitäten, die die Einheit eines  Diskurses regeln, legen - vereinfacht ausgedrückt - fest, worüber wer wie  spricht und wozu gesprochen wird. Lassen sich die drei ersten Modalitäten als  innerdiskursive Regeln der Beschränkung und Ausgrenzung von möglichen Aussagen  begreifen, so tritt die vierte Modalität, die Foucault als »thematische Wahl«  bezeichnet, mit dem Feld der nicht diskursiven Praktiken in Kontakt. Über die  thematische Wahl entscheidet nicht die diskursive Praxis, sondern sie wird, wie  Foucault am Beispiel des »aufkommenden Kapitalismus« anmerkt, »in der  alltäglichen, kaum konzeptualisierten, kaum theoretisierten Praxis« und »in den  politischen und sozialen Kämpfen« getroffen. 

Foucault hat diese von ihm selbst gelegte Spur zu einer kritischen  Gesellschaftstheorie nicht weiterverfolgt. Stattdessen hat er die Diskursanalyse  durch eine Macht-Analytik ersetzt, deren Untersuchungsfeld durch den Begriff der  Institution begrenzt ist. In einem Gespräch bringt er dies auf die Formel:  »Alles nicht diskursive Soziale ist Institution.« Hier hat Foucault in der  Kritik der »Repressionshypothese« den relationalen, nicht instrumentellen  Charakter von Macht herausgearbeitet. Dieser Machtbegriff ist für die Analyse  des Zusammen- und Gegeneinanderwirkens von sozialen Institutionen, die in ein  strategisches Feld von Machtbeziehungen, in ein Macht-Dispositiv, eingebunden  sind, in ihm entstehen und sich auflösen können, von zentraler Bedeutung. Doch  zugleich impliziert dieser Begriff einer Macht, die sich in unendlich viele  strategische Potenziale zerlegt, wie Nicos Poulantzas in seiner Staatstheorie  kritisiert hat, eine »Verabsolutierung der Macht«, die den Staat als  »strategischen Organisationsort« sozialer Herrschaft verdeckt. 

Leben und sterben lassen

Die Grenzen dieser Institutionen-Theorie machen sich schließlich auch in  Foucaults Bemerkungen zum Rassismus, vor allem aber zum Rassismus im NS-Regime  bemerkbar, wie er sie in der Vorlesung vom 17. März 1976 vorgetragen hat.  Foucault trägt hier keine Diskursanalyse des Rassismus vor, sondern er ordnet  das Phänomen Rassismus in das Konzept der Bio-Macht und der Bio-Politik  innerhalb des bevölkerungspolitischen Dispositivs ein. So arbeitet er einen  Staatsrassismus heraus, der in der Bevölkerung eine »Zäsur biologischen Typs«  einführt, um ihre Zusammensetzung demographisch erfassen zu können und  statistische Prognosen zu erlauben, die jenen der Aufrechnung von Geburten- und  Sterberaten für die Gesamtheit einer Bevölkerung entsprechen. Damit hat Foucault  gegen die Vorstellung, der biologistische Rassismus habe sich nach 1945 in einen  kulturalistischen Rassismus gewandelt, das Augenmerk erneut auf die  biologistischen disziplinierenden und regulierenden Praktiken im modernen Staat  gelenkt, wie sie heute etwa in der Migrationspolitik weiterhin virulent sind.  Darüber hinaus hat der Rassismus nach Foucault auch die Funktion, die Beziehung  kriegerischen Typs nach dem Motto: »Wenn du leben willst, muss der andere  sterben«, in der Biopolitik zur Geltung zu bringen. Foucault kennzeichnet  schließlich den Nazismus als die auf die Spitze getriebene Kombination beider  Funktionen der rassistischen Bio-Politik. Doch er analysiert weder die für die  NS-Ideologie zentralen Topoi der »Arier als Kulturbegründer« und der »Juden als  Kulturzerstörer« noch die »Logik des Terrors« (Leo Löwenthal). Die  zivilgesellschaftlichen Mechanismen von Kultur und Barbarei, die im Staat als  Ort der strategischen Organisation von sozialer Macht gebündelt, kanalisiert und  effektiviert wurden, haben aber letztlich die NS-Vernichtungspraxis vorbereitet  Die kulturalistischen Muster des Rassismus sind bei genauerer Analyse der  sozialen Voraussetzungen des NS-Regimes von erheblicher Bedeutung. Sie  übersetzen die biologistische Zäsur der Bevölkerung in das Alltagsleben. Diese  Mechanismen können nicht in den Blick kommen, weil bei Foucault der Staat eine  singuläre Institution darstellt, die in der Lage zu sein scheint, definitorisch  und planerisch ihre Imperative durchzusetzen. 

Weder hat Foucault in der Relation von diskursiver und nicht diskursiver Praxis  das Verhältnis von Sprache und Alltag, noch hat Althusser in der Staatstheorie  das Verhältnis von Staat und Alltag hinlänglich zu bestimmen vermocht. Althusser  und Foucault stimmen darin überein, dass der Begriff Praxis die »objektive und  materielle Existenz gewisser Regeln« meint, »denen das Subjekt unterworfen ist«  (Dominique Lecourt). Die Defizite einer ideologietheoretisch gestützten  Diskursanalyse lassen sich nun im Rückbezug auf entfremdungstheoretische Ansätze  zum Alltagsleben in der kapitalistischen Gesellschaft ausweisen. 

Ein Bruch mit den herrschenden Mustern der Vergesellschaftung 

Es kann nicht darum gehen, die Theorie der Entfremdung mit ihren Homologien und  Subsumtionen zu restituieren. Mein Vorschlag zielt darauf, in Ideologietheorie  und Diskursanalyse die fundamentale Zweideutigkeit des Praxis-Begriffs wieder  einzuführen, die in den Modi von Reproduktion oder Aneignung angedeutet ist, die  Lefebvre mit der These von der Ambiguität des Alltagslebens anspricht. Wenn  beide Aspekte in den Logiken der verschiedenen sozialen Machtverhältnisse  präsent sind und sich in den mikrologischen Prozessen des Alltagslebens als  Auseinandersetzung, Konflikt und Kampf auswirken, dann finden sich hier die  Anknüpfungspunkte: für distanzierende Gesten, für eine neue Sprache und für eine  radikale Kritik. Mit anderen Worten für eine ideologische Praxis, die darauf  orientiert, sich das gesellschaftliche Leben anzueignen, nicht weil das Eigene  substanziell bereits vorausgesetzt wäre, sondern weil es sich als Bruch mit den  herrschenden Mustern der Vergesellschaftung zu erkennen gegeben hat. 

Die kritische Theorie der Gesellschaft wagt diesen Bruch zu denken; die  kritische Sozialgeschichte weist die Brüche in der Vergangenheit auf. In dem  Buch Die Erfindung der weißen Rasse hat Theodore W. Allen die Geschichte des US- amerikanischen Rassismus von der Kolonisation Irlands zur »weißen«  Dekolonisation und Staatsbildung auf dem nordamerikanischen Kontinent als eine  Geschichte der sozialen Kontrolle und ihrer Transformationen nachgezeichnet.  Diese Geschichte kennt die Verwandlung von Unterdrückten in Unterdrücker, von  kolonisierten katholischen Leuten aus Irland, die als irische Migranten zu  Profiteuren der Konstruktion »weißer Suprematie« werden. Die Penal Laws, denen  sie in Irland bis Anfang des 19. Jahrhunderts unterworfen waren, wiesen aber  dieselben rechtlichen Restriktionen auf, die für Schwarze in den USA als  Fugitive Slave Law galten: Heirats- und Eigentumsverbote, Ausschlüsse vom  Bildungssystem, Mobilitätsbeschränkungen. Diese Geschichte kennt jedoch auch die  Widerstände und Assoziationsversuche, die Bacon-Rebellion von 1676/77 in  Virginia, den gemeinsamen Aufstand von Schuldknechten und Sklaven, oder die  Bestrebungen des irischen Politikers O'Connell im 19. Jahrhundert, ein Bündnis  mit den Abolitionisten in den USA zu schließen. 

Kultur und Terror

Der Sprung zurück in die Gegenwart der deutschen Gesellschaft muss möglich sein.  Wenn die These von Michael Hardt und Toni Negri richtig ist, dass die Bio- Politik im Feld der Regulierung der Bevölkerung für die kapitalistische  Restrukturierung zunehmend wichtiger wird, wenn gleichzeitig, wie sie mit dem  Begriff der »immateriellen Arbeit« andeuten, die klassische Trennung von Hand- und Kopfarbeit obsolet ist und auf eine Neuzusammensetzung der sozialen Kräfte  hinsteuert, die sie als »Massenintellektualität« bezeichnen, dann hat die Suche  nach neuen Formen von Widerstand bereits begonnen. Ob kritische Theorie sie  überhaupt wahrnehmen kann, liegt nicht zuletzt an ihrem Blick auf das  gegenwärtige Alltagsleben. 

Im Alltagsleben ereignet sich der soziale Distinktionsverlust, dem die mit  Überlegenheitsansprüchen befrachteten Muster »geistiger Reproduktion« wie  Humanismus, Bildung und Rationalität schon längst ausgesetzt sind, die aber in  der offiziellen Kultur als Institution aufrechterhalten werden. Im Alltagsleben  wirken sich die staatlichen Maßnahmen zur Regulierung der Bevölkerung als  Durchsetzung identitärer Kulturmuster aus; hier greift die Abschiebepraxis und  Illegalisierungsstrategie gegenüber Flüchtlingen und Migranten an. Auf den  Alltag zielen aber auch die rassistischen Übergriffe, die gemäß der Logik des  faschistischen Terrors den Angegriffenen jede individuelle und kollektive  Reproduktion überhaupt unmöglich machen sollen. Diese Reproduktion allein birgt  in den kapitalistischen Gesellschaftsformationen die Möglichkeit einer  emanzipatorischen Aneignung von Produkten, Tätigkeiten und Lebensweisen, eines  neuen Lebensstils im Sinne Lefebvres. Das berechtigte Streben nach  Selbstverteidigung und den Wunsch, sich den herrschenden Formen der Reproduktion  zu entziehen, mit dem Verlangen nach dieser Aneignung zu verbinden, könnte neuen  gesellschaftlichen Assoziationen den Weg ebnen. Grund genug also, identitäre  Konzeptionen von Kultur abzulehnen und auf jene zu schauen, die sich im  Alltäglichen den kulturalistischen Identifikationen bereits zu entwinden  versuchen. 

Editorische Anmerkungen 

Der Artikel ist eine Spiegelung von http://textz.gnutenberg.net