Europaweiter Vergleich: Le Pen und die extreme Rechte in Frankreich und Europa
Populismus, Extremismus, Faschismus... ? 

von Bernhard Schmid (Paris)

01/04       trend onlinezeitung

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Frankreich zählt zweifelsohne zu den Ländern, an die man am häufigsten dachte, als im Frühjahr und Frühsommer 2002 der Begriff des "Rechtspopulismus" für einige Zeit in aller Munde war. Die Hochkonjunktur dieses Begriffs in der politischen Debatte und der Medienberichtserstattung fiel in eine Phase, die vom Eindruck der französischen Präsidentschaftswahlen vom 21. April und 5. Mai 2002 sowie der niederländischen Parlamentswahlen vom 15. Mai jenes Jahres geprägt war. Bei den ersteren war der langjährige Präsidentschaftskandidat Jean-Marie Le Pen überraschend als Herausforderer des Amtsinhabers Jacques Chirac in die Stichwahl eingezogen, während die letztgenannten unter dem Schatten des (neun Tage vor dem Wahltag getöteten) Pim Fortuyn standen. Kurze Zeit später setzte dann auch noch die von Jürgen Möllemann losgetretene Debatte in der Bundesrepublik Deutschland ein; dessen Fallschirmsprung ohne Fallschirm setzte der Modewelle des deutschsprachigen Begriffs "Rechtspopulismus" wohl vorläufig ein Ende.

Jean-Marie Le Pen gilt deswegen vielen als ausgesprochene Gallionsfigur des "Rechtspopulismus" auf europäischer Ebene. (Fußnote 1) Andere Teilnehmer an der Debatte wiederum grenzen Le Pen von, in ihren Augen typischen Vertretern des rechten Populismus ab, um den Chef des französischen Front National dann eher als Rechtsextremisten denn -populisten einzustufen. (Fußnote 2)

Eine solche Differenzierung erscheint insofern tatsächlich angebracht, als es offenkundige Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums der EU-Länder gibt. Das betrifft beispielsweise ihr Verhältnis zu anderen gesellschaftlich-ideologischen Kräften und jenes zum bestehenden politischen System. So wurden die "Dänische Volkspartei" (DFP) unter Pia Kjaersgard, nach den Wahlen im September 2001, und einige Monate später die niederländische Liste Pim Fortuyn (LPF), nur kurze Zeit nach ihrer jeweiligen Gründung, in faktische oder erklärte Regierungsbündnisse mit bürgerlich-konservativen Formationen integriert. Hingegen ist solches zum heutigen Zeitpunkt für den französischen Front National (FN) undenkbar, jedenfalls solange keine sichtbaren Wandlungen innerhalb dieser Partei eintreten oder schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Erschütterungen ausbleiben. (Fußnote 3) Allerdings ist mit der diskursiven Unterscheidung zwischen "Populisten" und "Extremisten" allein auch noch nicht viel gewonnen, da beide Begriffe - und vor allem ihre wechselseitige Abgrenzbarkeit zueinander - schwammig bleiben und zunächst nur Etiketten darstellen, die man den betreffenden Parteien anheftet. (Fußnote 4)

Zur Anwendbarkeit des Populismus-Begriffs auf das Phänomen Le Pen

In diesem Zusammenhang stellt sich die prinzipielle Frage nach der Anwendbarkeit der Kategorie des "Populismus" auf jene Kraft, die sich seit 1984 fest auf dem Rechtsaußenflügel der französischen Parteienlandschaft verankert hat. 

Dabei wirkt problematisch, daß dieser Begriff vor allem auf die Methoden und Diskursstrategien bestimmter Parteien abstellt, wodurch letztere aber nur auf eine oberflächliche, äußerliche Art und Weise definiert werden können. Herausgestrichen wird regelmäßig die Fähigkeit von Populisten, bestehende Unzufriedenheitspotenziale in der Gesellschaft (oft in demagogischer Weise) aufzugreifen, gegen die "politische Klasse" in ihrer traditionellen Form zu bündeln, und damit "uns da unten" anzusprechen. Dabei handelt es sich aber im Kern lediglich um ein Instrument im politischen Kampf, nicht um ein Wesensmerkmal.

Nehmen wir einige der Kriterien hinzu, die zum Dingfestmachen des Populismus vorgeschlagen werden, so können die meisten von ihnen wirklich auf den Front National Anwendung finden. Yves Mény, Präsident des Europäischen Universitäts-Instituts in Florenz, etwa schlägt in einem Hintergrundartikel für Le Monde folgende Anhaltspunkte vor: Der Populismus sei zuvörderst ein "opportunistisches Chamäleonwesen, das sich je nach den (äußeren) Umständen verschiedene Ideologien zulegen sowie (sich) nicht in sich stimmige und wechselnde Programme zurechtschneidern kann." Ferner schlägt er als Erkennungsmerkmale vor, der Populismus "appellier(e) an das Volk", wobei aus diesem die nicht zu ihm gerechneten Elemente ausgeschlossen würden. Er zeichne sich durch "verbalen Radikalismus" (und oftmals damit einhergehende argumentative Vereinfachungen) aus sowie durch eine "Feindseligkeit" gegenüber vermittelnden Instanzen, die sich zwischen das Volk und seine vorgeblichen Sprecher schöben. (Fußnote 5)

Tatsächlich lassen sich diese Elemente beim Front National wiederfinden. Beispielsweise kann man von Appel an "das Volk", unter Ausschluß aller vermittelnden politischen Instanzen, sprechen, wenn das FN-Programm sich für starke plebiszitäre Elemente im Rahmen einer herbeizuführenden Sechsten Republik (statt der derzeit bestehenden Cinquième République) ausspricht. Unter anderem ist an die Abhaltung von Plebisziten und Volksabstimmungen zu, erfahrungsgemäß die Emotionen aufwühlenden, Themen wie insbesondere "Einwanderung" und "Todesstrafe" gedacht.

Allerdings sind diese Elemente, für sich genommen, noch keine spezifischen Sondermerkmale der "nationalen Bewegung" hinter Le Pen. So besteht in Frankreich eine starke bonapartistische Tradition, die in jüngerer Vergangenheit Aufnahme in Teilbereiche des Gaullismus gefunden hat (auch wenn sie die heutigen Formationen des Neo- bzw. Postgaullismus wie die Regierungspartei UMP, als klassisch neoliberal-konservative Parteien, in immer geringerem Maße prägt). Auch sie fußt auf starken plebiszitären Elementen, in Verbindung mit der Orientierung auf eine starke Führungspersönlichkeit. Auch wenn hier nicht so sehr an ihre Verwendung im Zusammenhang mit den, aus Sicht des Front National zentralen Themen (besonders die Verweigerung gleicher Rechte für Einwanderer und ihre Nachfahren) gedacht ist, sondern es sich in dem Fall eher um eine diffuse Herrschaftstechnik handelt. Und auch das angegebene populistische Merkmal des vereinfachenden Präsentierens von "Wunderlösungen" findet sich bei anderen Kräften. So glaubte der in den früher Neunzigern kurzfristig in der Politik aufsteigende Sunny boy, Pleiteunternehmer und Sportmanager Bernard Tapie - er wurde als Linksliberaler gehandelt und galt 1992/93 dem damaligen Staatspräsidenten François Mitterrand als "Geheimwaffe gegen Le Pen" -, sich in einer Debatte um Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit behaupten zu können, indem er schlicht deren Verbot vorschlug...

Als zentrales Wesensmerkmal des Front National kann und muß vor allem die genannte Fähigkeit gelten, auf chamäleonartige Weise unterschiedliche gesellschaftliche Programmpunkte zu vertreten, welche die Partei sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Publikum zu eigen macht. Denn vor allem das Sozial- und Wirtschaftsprogramm des FN ist von widersprüchlichen Elementen, ja mitunter von einander wechselseitig ausschließenden Logiken geprägt. Ultraliberale Elemente, beispielsweise die Forderung nach radikalen Steuersenkungen (besonders aber nach Abschaffung der zum Einkommen proprotionalen Besteuerung) und nach einer Abschaffung der Besteuerung von Großvermögen, finden sich neben Versprechungen wieder, die in das Reich der sozialen Demagogie gehören. Etwa dem Versprechen nach Anhebung der unteren Löhne, das durch die Ausweisung von Arbeitsimmigranten bzw. die Erhebung einer Sondesteuer auf "die Beschäftigung von Ausländern" realisiert werden soll. Aber auch durch die Abschaffung von Sozialbeiträgen für die Kranken- oder Rentenversicherung, die stattdessen als Lohnbestandteil ausgezahlt werden sollen (womit aber das Krankheits-, Unfall- oder Altersrisiko auf den einzelnen Lohnempfänger abgewälzt würde).

Auf beinahe karikaturhafte Weise auf den Punkt gebracht wird der Kerngedanke dieser Programmatik jedoch in einem Zitat des damaligen FN-Jungpolitikers Samuel Maréchal (Fußnote 6). In einem Beitrag für die, mittlerweile eingegangene, rechte Tageszeitung Le Quotidien de Paris vom 13. Mai 1996 schrieb er: "Es gibt keinen Widerspruch dazwischen, die Gewerkschafter und französischen Arbeiter zu verteidigen und zugleich die unternehmerische Freiheit der Unternehmenschefs. Stellen Sie sich vor, daß morgen früh der Chef von Renault sich zu Entlassungen gezwungen sieht. Dagegen erklären die Gewerkschaften sich bereit, die Arbeitsplätze zu verteidigen. Eh bien, wir werden dem Vorstand von Renault antworten: Ja, Sie können entlassen - und den Gewerkschaftern: Wir werden die Arbeitsplätze verteidigen. Also gibt es einen Widerspruch? Nein. Wir werden dem Vorstand von Renault sagen: Entlassen Sie mit Vorzug die ausländischen Arbeiter. Und den Gewerkschaftern: Wir haben die französischen Arbeiter verteidigt. Wir sind für die préférence nationale (Bevorzugung der Mitglieder unserer Nation) beim Einstellen, und für die Bevorzugung der Ausländer beim Entlassen." 

Deutlich wird, daß diese Konzeption nicht ohne jenen Kerngedanken verstanden werden kann, der in FN-Programm und -diskurs im Ausdruck préférence nationale zusammengefaßt wird. Dieser Begriff steht im Mittelpunkt der Logik, die der gesamten Programmatik des FN zugrunde liegt. Der Wortschöpfer Jean-Yves Le Gallou, der den Begriff 1985 einführte (Fußnote 7), sollte einige Jahre später erklären: "Die préférence nationale ist der Atomkern unseres Programms", was bedeutet, daß alles andere darum herumkreist. (Fußnote 8)

Daher sollte man in einer Analyse des Front National nicht so sehr darauf abstellen, was die Partei ihren Anhängern und Wählern "positiv" verspricht. Denn in ihrer Logik stellt vielmehr das "negative" Element im Vordergrund: Wichtig ist, wem das Versprochene zuvor weggenommen werden soll! Alle Maßnahmen stehen nämlich unter dem Realisierungsvorbehalt, daß den "Eigenen" gegeben werden soll, was den Anderen oder Fremden vorher weggenommen wird. Das Sozialprogramm ebenso wie die wirtschaftlichen Vorstellungen des FN sind daran aufgehängt, daß die beiden Hauptbedrohungen, "die Immigration" und "die Globalisierung" (bzw. das capital apatride, das vaterslandslose Finanzkapital in Abgrenzung vom "guten" nationalen Kapital) bekämpft werden sollen. Durch die Wiederaufrichtung (vermeintlich) undurchlässiger Grenzen, ökonomischen Protektionismus und, vor allem, die Reservierung von Sozialleistungen und Arbeitsplätzen für gebürtige Franzosen sollen nationales Kapital und nationale Arbeit gleichermaßen ihr Auskommen finden. Das ist natürlich eine Illusion, aber auf die Idee einer gegen äußere Feinde kämpfenden, "natürlichen" Schicksalsgemeinschaft aufgebaut. Insofern ist die Charakterisierung des FN-Diskurses als rassistisch (und, eher im realen Diskurs denn im verschriftlichten Programm, oftmals auch als antisemitisch) mindestens ebenso zutreffend und von höherer Bedeutung, als das Element des nach allen Seiten hin Versprechungen verheißenden Populismus.

Andere Charaktermerkmale des Front National hingegen sind überhaupt nicht mit dem Begriff des Populismus zu erfassen. Denn unter der Oberfläche, die von der genannten Programmatik gebildet wird, koexistieren mehrere ideologische Strömungen, die auf eine über mehrere Jahrzehnte hinweg verfestigte Kontinuität und eigenständige Existenz zurückblicken können. Teilweise stehen deren ideologische Kernsätze in direktem Widerspruch zueinander. Beispielsweise setzt der Parteiflügel der katholischen Fundamentalisten, der in der FN-Führungsspitze mit Bernard Antony vertreten ist (bzw. war, da die Person beim Parteichef Le Pen in Ungnade gefallen zu sein scheint) weitgehend ungebrochen die Traditionslinie der katholischen Konterrevolution fort, die historisch in der Opposition gegen die bürgerliche Revolution von 1789 wurzelt und die französische Geschichte durchzieht. Ihnen zufolge gehört der katholische Charakter Frankreichs natürlich zum, als ewig begriffenen, "Wesen" der französischen Nation hinzu. In scharfem Gegensatz zu wesentlichen Elementen ihrer Ideologie aber steht jene Strömung, die aus der (intellektuell geprägten) Nouvelle Droite der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts stammt. Sie speist sich aus den Ursprüngen des rassebiologischen Determinismus im vorausgehenden 19. Jahrhundert, die zu einer Ablehnung des Christentums als "außerhalb der europäischen Zivilisation stehenden Fremdkörpers semitischer Herkunft" geführt hatten. Innerhalb der Nouvelle Droite war dieser Gedanke aufgegriffen und von Rassebiologisten wie Pierre Vial zu einem Neuheidentum fortentwickelt worden. Dieses lehnt das Christentum und die übrigen Monotheismen auch deswegen ab, weil sie die verderbliche Idee von einer Gleichheit aller Menschen vor Gott in das europäische Kulturerbe importiert hätten. (Fußnote 9)

Dennoch schafft es die französische extreme Rechte, und der Front National als ihre mit Abstand wichtigste Organisation (die kleine Konkurrenzpartei, die aus einer Abspaltung unter Bruno Mégret hervorging, nähert sich dem Zustand des klinischen Todes), diese so unterschiedlichen Grundorientierungen in einem gemeinsamen Rahmen zusammenzufassen. Denn zumindest über einige essentielle Kernpunkte sind sich diese Strömungen oder ideologischen "Familien" dann doch einig: In erster Linie darüber, daß es Menschen gebe, die mehr oder weniger wert seien. Oder zumindest, die dem Parteigänger "von Natur aus" näher oder ferner zu stehen hätten. Wie man dann aber das "Eigene", wie man diese natürliche Gemeinschaft definiert und was ihre Essenz ausmacht. Darüber herrscht ideologischer Streit, der bis in¹s Grundsätzliche geht: Gehört bspw. das Christentum zu dieser "Essenz" mit dazu, oder nicht?

Diese ideologischen Definitionen aber, um die sich - teilweise über lange historische Zeiträume hinweg existierende - Strömungen herumgruppieren, haben nichts mit Populismus zu tun. Sie bilden den politischen harten Kern der extremen Rechten Frankreichs, auch wenn dieser wiederum in sich mehrfach fraktioniert ist.

Auch noch in anderer Hinsicht versagt die Populismus-Definition, geht es darum, den Front National oder das Verhalten seines Chefs zu beschreiben. Denn im Hinblick auf aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse positioniert der FN bzw. Jean-Marie Le Pen sich zwar oftmals in populistischer Weise, d.h. so, daß er möglichst einen verbreiteten Unmut mit (tatsächlichen oder vermeintlichen) Mißständen und Ungerechtigkeiten aufgreifen und auf seine Mühlen lenken kann. Diese Maxime trifft aber keineswegs beständig zu, d.h. die Suche nach möglichst taktisch geschickter und Zuspruch verheißender Positionierung charakterisiert die Politik Le Pens keinswegs immer.

Als Beispiel seien die Positionen des Parteichefs während der beiden Kriege der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak, im Januar-Februar 1991 und im März-April 2003 , herangezogen. Bei beiden Malen ergriff Le Pen offensiv Partei für den damaligen irakischen Präsidenten, Saddam Hussein. Zumindest während des Konflikts Anfang 1991, an dem Frankreich auch militärisch teilnahm, war diese Position aber im Publikum allgemein, aber auch in der eigenen Wählerschaft des FN im Besonderen durchaus nicht populär.

Im Zweiten Golfkrieg von 1991 unterstützte eine Mehrheit von rund 70 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen, jedenfalls nach Beginn der kriegerischen Handlungen, die militärischen Operationen. Angesichts der Beteiligung ihres eigenen Landes schlossen sie mehrheitlich, nachdem die Kampfhandlungen einmal ausgebrochen waren, die Reihen hinter dem damaligen Präsidenten François Mitterrand. Und selbst unter den Wählern und Wählerinnen von Jean-Marie Le Pen (als Vergleichsgröße war der Zuspruch für ihn bei der Präsidentschaftswahl vom April 1988 herangezogen worden) meinten nur 48 Prozent, die aktuellen Positionen des FN-Politikers nutzten "dem nationalen Interesse".

Etwas verändert lagen die Dinge im Dritten Golfkrieg von 2003: Dieses Mal lehnte eine Drei-Viertel-Mehrheit der französischen Bevölkerung den erneuten Einsatz militärischer Gewalt gegen den Golfstaat ab, und Frankreich war nicht an den militärischen Handlungen im Mittleren Osten beteiligt. Doch auch die Positionen Le Pens, der (anders als die anderen politischen Kräfte in Frankreich, die zum überwiegenden Teil ebenfalls das kriegerische Projekt der US-Administration ablehnten) explizit die irakische Diktatur unterstützt hatte, blieben unpopulär. Und das vor allem in den Reihen seines eigenen Publikums. Denn die FN-Wählerschaft unterstützte mehrheitlich den Krieg George W. Bushs, deutlich stärker als andere Teile des französischen Publikums. Sei es, dass gerade diese Wählerschaft eine prinzipielle Nähe zur Faszination gegenüber militärischer Gewalt aufweist, oder sei es, dass ihr anti-arabischer Rassismus dabei eine erhebliche Rolle spielte. Nach Kriegsausbruch stieg der Anteil der Befürworter unter den FN-Smpathisanten und Wählern auf 53 Prozent, während generell in Frankreich die Ablehnung dominierte und Werte um die 80 Prozent erreichte. (Fußnote 10)

Insofern läßt sich festhalten, dass Populismus (vor allem in dem banalen Sinne, den die Alltagssprache ihm verleiht, im Sinne von "dem Volk nach dem Munde reden) den Front National jedenfalls nicht hinreichend charakterisiert.

Nun ist die Frage aufzuwerfen, ob eine andere Bezeichnung die Partei der extremen Rechten treffender beschreibt. Der Begriff des "Extremismus" ist dabei wohl nicht sehr vielversprechend, denn über die bloße Standortbeschreibung - auf der äußersten Rechten des politischen Spektrums - hinaus bietet er auch nicht viel Erklärungsstoff. In diesem Sinne jedenfalls wird der französische Begriff der extrême droite benutzt; er beschreibt ebenso wie jener der extrême gauche auf der Linken zunächst einmal nur den Standort als am weitesten auf der Rechten oder auf der Linken stehende Kraft. Ihm wohnt ursprünglich nicht der Sinngehalt inne, der ihm im Deutschen gegeben wurde und der auf der (in der Sache vollkommen falschen) Parallelisierung von "Links- und Rechtsextremismus" als angeblich "gleichermaßen antidemokratischen" Bewegungen beruht. Diese "Extremismus"-Definition beruht vor allem auf dem in Deutschland besonders vehementen Antimarxismus, aber nicht auf einer inhaltlichen Analyse.

Ferner wäre die Frage aufwerfen, ob der Begriff des Faschismus oder Neofaschismus auf eine Partei wie den FN anwenden läßt. Das setzt zunächst einmal voraus, daß der Begriff nicht (wie mitunter im politischen Schlagabtausch üblich) als bloße Schimpfvokabel ohne analytischen Hintergrund benutzt wird, unter die sich alle erdenklichen politischen Phänomene fassen lassen.

Daher soll der Front National im folgenden zuerst in einen europäischen Vergleich der unterschiedlichen Parteien auf der (populistischen oder extremen...) Rechten "jenseits der bürgerlichen Parteien" eingebettet und darin verortet werden, bevor im Anschluss weiter über seine Charakterisierung zu diskutieren ist.

Der Front National im europäischen Vergleich

Eine Reihe politischer Gruppierungen sind in den letzten Jahren in vielen EU-Ländern auf der Rechten emporgekommen, ob man die österrische FPÖ unter Jörg Haider denkt oder die schweizerische SVP unter Christoph Blocher, die bereits erwähnte niederländische Liste Pim Fortuyn...

Der französische Front National erlebte seinen Durchbruch als Massenpartei relativ früh, im Vergleich zur Mehrzahl der Kräfte, die man an dieser Stelle auflisten könnte. Ab 1983/84 erzielte er eine nicht wirklich unterbrochene Kette von Wahlerfolgen. Lediglich die skandinavischen rechten "Fortschrittsparteien" kamen noch früher auf die parlamentarische Bühne, sieht man vom Sonderfall Italien ab, wo der (neofaschistische) MSI seit 1947 einen beständigen Platz innehatte. Dagegen erlebte die österreichische FPÖ ihre stramme Rechtswende unter Jörg Haider im Herbst 1986. Die westdeutschen "Republikaner" erhielten erstmals im Herbst 1986 in Bayern ein Landtagswahl-Ergebnis, das nicht im Promille-Bereich lag (3 Prozent), und ihre ersten wirklichen Wahlerfolge bei der (West)Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl im Januar 1989 sowie der Europaparlamentswahl im Juni 1989. Spätere Ereignisse wie die staatliche deutsche Wiedervereinigung und der "Asylkompromiss" der etablierten Parteien 1992/93 sorgten freilich dafür, dass CDU/CSU (und SPD) was Wählerpotenzial der REPs überwiegend wieder einsammeln konnten.

Zunächst einmal lassen diese Kräfte und Formationen sich grob nach Strukturmerkmalen ordnen. Unter ihnen finden sich eher lose zusammengewürfelte Dilettantenhaufen wie die niederländische LPF; reine Wahlparteien mit (außerhalb von Parlamentswahlen) eher geringer gesellschaftlicher Verankerung; straff organisierte Aktivistenparteien oder auch, am äußersten Rande des Spektrums, militante Kaderorganisationen.

Neben diesen inneren Strukturmerkmalen gibt es aber auch inhaltliche Scheidelinien, entlang derer sich die unterschiedlichen Parteien einteilen lassen. Dabei kann man, grob gesprochen, jene politischen Kräfte, die seit den achtziger oder neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts rechts von den liberal-konservativen Parteien aufsteigen, zwei gegensätzlichen Polen zuordnen. 

Auf der einen Seite findet man Parteien, die eine Ein-Punkt-Programmatik bzw. (häufiger) ein aus zwei zentralen Punkten bestehendes Agitationsprogramm vertreten : gegen Immigranten sowie gegen Steuern und sozialstaatliche Kosten. Man kann sie als eine Art von verschärfendem Korrektiv zu den Konservativen und Liberalen betrachten.

Dieser Typus rechter Parteien läßt sich wiederum in zwei Untervarianten einteilen. Auf der einen Seite stünden demnach die außerhalb des bisherigen politischen Bürgerblocks stehenden, neuen politischen Kräfte, wie dies etwa auf die niederländische LPF zutrifft. Auf der anderern Seite hat man es aber auch oft mit "umgewandelten" bürgerlichen Parteien zu tun, die einfach einen vakant gebliebenen Platz auf der extremen rechten Seite des politischen Spektrums besetzen. So konnten die schwedischen Liberalen, indem sie einen vor allem gegen Immigranten und (besonders) gegen Einwanderer aus muslimischen Ländern gerichteten Diskurs übernahmen, bei den Wahlen im September 2002 ihren Stimmenanteil von davor circa 4 auf über 13 Prozent der Stimmen steigern. Zugleich läßt sich die betreffende Partei an zahlreichen politischen Fragen weiterhin als eine klassische, bürgerliche Interessenpartei einordnen.

Dabei verfolgen solche Kräfte im Wesentlichen das Ziel, in der bürgerlichen Gesellschaft bestehende soziale Hierarchien noch zu vertiefen und gegen jene zu treten, die in ihr am weitesten unten stehen. Dieser Standort ("unten") wird aber nicht, wie bei sonstigen Liberalen, hauptsächlich über den Geldbeutel und dessen Inhalt definiert, sondern durch "natürliche" bzw. biologisierte Faktoren wie den Geburtsort oder die Herkunft der Vorfahren. Dadurch schaffen solche Parteien es mitunter auch, einen nicht völlig unbedeutenden Teil von Lohnabhängigen (oder jedenfalls sozial eher schlecht gestellten Personen) auf ihre Seite zu ziehen, die der festen Ansicht sind, eigentlich, ja "eigentlich" müsste es ihnen aufgrund ihrer "natürlichen Qualitäten" doch zustehen, in der Hierarchie der Konkurrenzgesellschaft einen Standort deutlich weiter oben einzunehmen.

Die vorherrschende "ethnische" Segmentierung des Arbeitsmarkts (auf dem die Arbeitsimmigration in der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zur Rezession von 1974) dazu diente, die am geringsten geschätzten Positionen aufzufüllen) hat zu einem solchen Zustand des Bewußtseins mit beigetragen. Ebenso die doppelte Erfahrung, daß, einerseits, der in den kapitalistischen Metropolenländern einmal erreichte Lebensstandard weit höher liegt als in der übrigen Welt; andererseits aber, daß dieser Standard für die subalternen Klassen bereits wieder im Abbau begriffen ist (wobei es freilich das "heimische" Kapital ist, das diesen Abbau in Wirklichkeit vorantreibt.) Für manche Individuen folgt aus dieser Situation der unbedingte Wille, den einmal erreichten Reichtum gegen "das Elend der Welt" zu sichern, notfalls durch Ausgrenzung oder Gewalt.

Solche politischen Kräfte sind in der Regel fundamental "pro-westlich" eingestellt und sehen den Feind in der Einwanderung, in der so genannten Dritten Welt und in der "Einkreisung" der reichen Metropolen. Dabei dient "der Islam", als die von ihnen ausgemalte globale Gefahr Nummer Eins, als wichtigste ideologische Chiffre. Diese vermag es, den Abscheu vor der "Barbarei" der armen (regelmäßig in einer vorherigen Phase vom Kolonialismus ausgeplünderten und/ oder durch die weltwirtschaftlichen Strukturen benachteiligten oder abgehängten) Länder mit jenem gegen die Anwesenheit von Immigranten auf dem europäischen Boden zu verbinden. Das beinhaltet regelmäßig eine eher pro-amerikanische, und in der Mehrzahl der Fälle auch eine pro-israelische Ausrichtung (Fußnote 11); und sei es nur, um auf diesem Wege jeden Vergleich des eigenen Auftretens mit Faschisten und den Nazis abschmettern zu können. Man denke etwa an den seit Jahren vorbereiteten Israelbesuch von Gianfranco Fini; auf solchem Wege sucht man sich eine moralisch blütenweiße Weste als "erwiesener Nichtfaschist" zu verschaffen.

Eine spezifische Ausformung dieser, gewissermaßen, Metropolen-Rechten bildet die niederländische LPF. Deren Gründer Pim Fortuyn nahm bedeutende Versatzstücke der "niederländischen Liberalität" in seinen rassistischen Diskurs auf. Er kehrte die Verteidigung individueller, bürgerlicher Freiheitsrechte (wie sie in den höher entwickelten kapitalistischen Metropolen, mit hohem Lebensstandard und relativ gesicherter bürgerlicher Demokratie, im Laufe der Jahrzehnte durchgesetzt werden konnten) einfach gegen die Gesellschaft muslimischer Länder als angeblich "tiefer stehender Kultur". Deren "an sich", also "von Natur aus", freiheitsfeindlicher Charakter bedrohe jetzt angeblich den erreichten Standard individueller Rechte in Europa. Darüber spannte Fortuyn den Bogen zur, abzulehnenden, Anwesenheit von Einwanderern in den Niederlanden. Da der Hochschullehrer nicht nur Exzentriker, sondern auch bekennender Homosexueller war, wirkte dieses Bekenntnis zur "niederländischen Liberalität" glaubhaft genug. Nicht alle Rechtsparteien aber integrieren diese Verteidigung der individuellen Rechte gleichermaßen in ihren Diskurs, denn bei vielen hat jene des "christlichen Abendlands" Vorrang, die selbst oftmals gegen die Rechte von Homosexuellen und anderen Minderheiten gerichtet ist.

Am entgegengesetzten "Pol" finden wir hingegen Parteien und Bewegungen, die auf der Erscheinungsebene eher als "revolutionäre Rechte", im Sinne des israelischen Historikers und Faschismus-Spezialisten Zeev Sternhell (Fußnote 12), betrachtet werden können oder wollen. Diese Kräfte reden nicht nur einer etwas verschärften Gangart gegen jene, die ohnehin sozial "unten" stehen, das Wort. Sie wettern auch gegen die dominiernden gesellschaftlichen Eliten, oder jedenfalls einen Teil von ihnen. Allerdings tun sie dies unter Zuhilfenahmen der gleichen argumentativen Grundform, die auch den vorher beschriebenen Rassismus und Sozialdarwinismus prägt, nämlich auf der Basis biologisierter Kriterien wie Abstammung, "Rasse", Geburt. Dadurch wollen sie die Nation (oder Europa) nicht nur gegen "unten" und gegen "außen" abgrenzen - wie die Vertreter der oben genannten politischen Kräfte -, sondern nach allen Seiten hin hermetisch dicht machen.

Der Antisemitismus und verschwörungstheoretische Zugaben, gegen finstere konspirative "Lobbys" etwa, erlauben, was das Ein-Punkt-Programm des Diskurses gegen die Immigranten allein (das mit konservativer Politik und Hegemonie noch grundsätzlich vereinbar bleibt) nicht vermag. Es ermöglicht, eine alle möglichen gesellschaftlichen Aspekte umfassende, in sich geschlossene Gesellschaftstheorie und eine vermeintliche "revolutionäre Alternative" zu stiften. Wenn es darum geht, die Nation nach allen Seiten hin gegen äußere ebenso wie innere "Feinde" abzuriegeln, dann richtet sich dies auch bürgerlich-demokratische Teile der Eliten, und gegen die Keime der "Subversion" innerhalb der herrschenden Gesellschaftsordnung selbst. Oftmals läßt sich die Quelle solcher drohenden "Zersetzung" benennen: Es handelt sich um das, was Jean-Marie Le Pen seit langen Jahren, in jüngerer Zeit allerdings abgeschwächt, als "die Lobbies" angreift. Also die Vertreter von Geheimgesellschaften (dabei spielen in den Vorstellungen der französischen extremen Rechten bis heute die Freimaurer eine wichtige Rolle) und auch Juden. (Fußnote 13)

Auf dieser Grundlage kann man noch weit effektiver um die Verlierer der Gesellschaft werben und eine auf Dauer von den bürgerlich-konservativen Parteien autonom auftretende, "gehärtete" politische Kraft aufbauen. Solche politischen Kräfte schmücken sich oftmals auch mit anti-westlichen ideologischen Versatzstücken und erklären sich die bestehende internationale Hierarchie auf verschwörungstheoretische Weise. Ihr Masseneinfluß wächst oftmals vor dem Hintergrund einer ideologischen Krise oder eines Niedergangs der Linken. 

Diese Form der "nicht-bürgerlichen" Rechten ist es, die dem historischen Modell faschistischer Bewegungen am nächsten kommt. Das besondere Charaktermerkmal der französischen und italienischen Vorläuferbewegungen des Faschismus war es, Elemente aus der bisherigen politischen Linken und der Bewegungen sozialen Fortschritts herausgebrochen und für eine (in ihrem Kern autoritäre, hierarchische und insofern reaktionäre) Gegenbewegung erfolgreich eingebaut zu haben. Von der Form her modern, konnte diese auf soziale Massenbewegung und -mobilisierung setzen, zugleich aber antidemokratische Parteiformen oder Regime errichten. Diese Janusköpfigkeit erlaubte es ihnen, gleichzeitig als Kampfpartei und als Partei der Ordnung, als Schützer der Besitzenden und Rächer der Verarmten aufzutreten und so ein Bündnis von Anhängern aus unterschiedlichen, ja eigentlich einander feindlich gegenüber stehenden Klassen zu schweißen.

Beispiele für das erstgenannte "Modell" bietet etwa die Mehrheitsströmung der italienischen "Postfaschisten" der Alleanza Nazionale, die mit dem Wirtschaftsliberalen Silvio Berlusconi liiert ist. Hingegen gehören Kräfte wie die NPD eindeutig zur zweiteren Variante. Wo aber steht der französische Front National? Die richtige Antwort müßte lauten: auf beiden Polen, betrachtet man seine historische Entwicklung.

Die Variationsfähigkeit einer rechtsextremen Partei - am Fallbeispiel des FN

Denn in aufeinander folgenden Phasen hat die Partei beide Diskurse erfolgreicht angewandt: Der FN der 80er Jahre war eher national-konservativ ausgerichtet und zog den rechten Rand der konservativen Wählerschaft an. Hingegen gelang ihm es in den 90er Jahre, unter Arbeitern und Erwerblosen Anziehungskraft zu entwickeln und seine Wahlergebnisse in diesen Schichten deutlich zu steigern. Heute kann Le Pen auf wahlpolitischer Ebene auf beide Erfolgsgrundlagen gleichzeitig bauen. Allerdings bleibt der Erfolg zum jetzigen Zeitpunkt prekär.

Der Gründer des, im Oktober 1972 aus den Resten von Hardlinergruppen aus dem Algerienkrieg, Vichy-Veteranen und rechtsextremem Studentenmilieu gegründeten FN hat in seiner Biographie tatsächlich unterschiedliche weltpolitische Orientierungen abwechselnd vertreten. 1956 als jüngster Abgeordneter (für eine kleinbürgerliche Anti-Steuer-Partei, die so genannten "Poujadisten" ) ins Parlament gewählt, nahm er im selben Jahr freiwillig, als Unteroffizier der Fremdenlegion, am französisch-britisch-israelischen Überfall auf Ägypten teil, nachdem dessen Präsident Gamal Abdul Nasser zuvor den Suezkanal nationalisiert hatte. Ein Jahr später, 1957, folterte er im Algerienkrieg. Aus dieser Zeit hatte Le Pen lange Zeit außenpolitisch motivierte Sympathien für Israel, das damals Frankreichs enger Verbündeter in der Nahost-Region war, bewahrt. Das bedeutet nicht, daß er kein Antisemit gewesen wäre; das war er wahrscheinlich auch schon damals, nur war er einerseits fest von einer großen internationalen Macht "der Juden" überzeugt, mit denen man sich besser gut stelle. Und andererseits hielt er den Staat Israel für eine gute Möglichkeit, die jüdische Bevölkerung aus Europa dort anzusiedeln und so "loszuwerden". Bis Ende der 80er Jahre jedenfalls hielt er in der internationalen Politik einen eher pro-israelischen, ebenso wie unzweideutig US-freundlichen, Kurs.

Die gesellschaftliche Basis der FN-Wahlerfolge wechselte im Laufe der Jahre. Während der ersten Hälfte der 80er Jahre beruhte der Durchbruch des Front National als Wahlpartei (erstmalig bei den Kommunalwahlen 1983 und den Europaparlamentswahlen 1984) vor allem auf traditionell konservativ orientierten Schichten, die den bürgerlichen Parteien den Rücken kehrten. Ursache dafür war der Niedergang eines bedeutenden Teils der traditionellen Mittelschichten (Kleinunternehmer, Handwerker, Freiberufler, selbständige Landwirte), die in Frankreich länger erhalten geblieben waren als etwa in der benachbarten BRD; u.a. weil die Großbourgeoisie seit dem 19. Jahrhundert lange Zeit auf sie Rücksicht genommen hatte, um sie als soziales Bollwerk gegen die Arbeiterbewegung und die "Revolutionsgefahr" zu erhalten.

Doch mit der zunehmenden europäischen Integration der Ökonomien kamen diese Schichten ab den späten 70er Jahren unter die Räder. Die bürgerlichen Parteien verloren an Integrationskraft. In einem verzweifelten Aufbäumen demonstrierten viele, politisch reaktionäre, Angehörige dieser traditionellen Mittelschichten in den frühen 80er Jahren. (Zu näheren Angaben siehe Alain Bihr: "Pour en finir avec le Front national".)

Das ideologisch sinnstiftende Band gab dabei die Mobilisierung für den Erhalt der katholischen Privatschulen in den Jahren 1983/84 ab. In jener Zeit konnte der Front National diese konservativ-rückwärts gewandte Mobilisierung ausnutzen, und rechts von den Konservativen politisch Fuß fassen. Damals bezog er sich vor allem positiv auf die katholische Kirche, auf US-Präsident Ronald Reagan (Le Pen ließ sich für den Präsidentschaftswahlkampf 1988 zusammen mit Reagan fotographieren, da er auf einen Parteitag der US-Republikaner eingeladen worden war) und seinen "Kreuzzug gegen den Kommunismus", und malte als Gefahr vor allem "den Islam" bzw. "die muslimische Invasion aus der Dritten Welt" an die Wand.

Das Profil einer autoritären, aber klar pro-westlichen Rechten wurde in den späten 80er aber brüchig, als Le Pen sich in einem Fernsehinterview im September 1987 (vielleicht zu unbedacht) zu den Thesen der Geschichtsrevisionisten bekannt hatte. Prompt wurde sein Israel-Besuch annulliert, den er vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 1988 absolvieren wollte ; zuvor hatten seine anti-muslimischen Tiraden auf der israelischen Rechten noch Widerhall gefunden, wo ihn im Februar 1987 einige Vertreter mit Ariel Sharon verglichen hatten, nachdem Le Pen mit Vertretern der Herut-Partei (dem Vorläufer des Likud-Blocks) zusammengetroffen war. Auch eine Teilnahme Le Pens am Parteitag der britischen Konservativen unter Margeret Thatcher, Anfang Oktober 1987, welche bereits vereinbart worden war, musste infolge von Le Pens Skandal-Äußerungen abgesagt werden.

In der Folgezeit wechselte Le Pen seinen Diskurs. Von da ab hielt er sich einige Jahre lang mit derben antisemitischen Aussprüchen nicht zurück, die oftmals an den Ausdruck von Verschwörungstheorien gekoppelt waren. So verbreitete Le Pen ab 1988 das Gerücht, die konservativ-liberale Rechte wolle sich nur deswegen nicht mit ihm verbünden, weil ein <<Big brother>> von der US-amerikanischen <<Ostküste>> ihr dies verboten habe. Mehrfach nannte Le Pen seit den späten 80er Jahren in diesem Zusammenhang die jüdische US-Wohltätigkeitsorganisation B¹nai Brith, nachdem diese sich in Schriften und Besuchen besorgt über das Anwachsen der extremen Rechten in Frankreich geäußert hatte. Le Pen zeigte sich bemüht, die Organisation vor diesem Hintergrund als internationale "Strippenzieherin" darzustellen.

Mit Beginn der Golfkrise im Zusammenhang mit dem irakischen Einmarsch in Kuwait, im August 1990, überraschte Le Pen selbst alte Kämpfer seiner Partei, von denen einige (besonders ehemalige Algerienkrieger wie der frühere Angehörige der pro-kolonialen Terrororganisation OAS, Pierre Sergent, der damals im Politischen Büro als oberster Führungsinstanz des FN saß) hinter den Kulissen protestierten, indem er nicht für die US-geführte Kriegsallianz Partei ergriff, sondern für Saddam Hussein. Doch dieser Positionswechsel war Teil einer Strategie, die darauf abzielte, sich den nach dem Mauerfall erwachenden ethnischen Nationalismen und Identitätsbewegungen, besonders auch im östlichen Europa, als Alliierter anzubieten. In dieser Hinsicht war Le Pen übrigens stets ökumenisch veranlagt: Er verstand es beispielsweise, zu FN-Kongressen sowohl kroatische Ultranationalisten (von der HSP des Doboslav Paraga) als auch serbische, von der "Radikalen Partei" SRS, des Vojslav Seselj, gleichzeitig einzuladen. Auf theoretische Kohärenz ist man in solchen Kreisen ja weniger bedacht; wichtig ist nur, dass die jeweiligen Gegenüber autoritär auftreten- und die "Identitätssuche" als politisches Hauptanliegen betreiben.

Auch das soziale Publikum des FN änderte sich, als die Partei in den frühen 90er Jahren die Sozialdemagogie in ihrer Programmatik stärker entwickelte. Die Hauptgründe dafür waren zweierlei: erstens die Tatsache, dass der Platz neben der konservativen Rechten eng zu werden drohte. Diese hatten in Sachen Einwanderungspolitik und autoritären Konzepten zur "Inneren Sicherheit" viele Versatzstücke aus dem Diskurs des FN kaum verhüllt übernommen, forderte ihn aber andererseits ultimativ auf, sich entweder domestizieren zu lassen oder als "bündnis-unfähig" in die Ecke zu stehen. Andererseits aber setzten die Vordenker und Strategen der extremen Rechten, damals vor allem in der Umgebung des Parteiideologen Bruno Mégret, darauf, dass durch den Zusammenbruchs des "real existierenden Sozialismus" (der im französischen KP-Milieu bis 1989 eine positive Referenz geblieben war) und durch die Bekehrung der französischen Sozialdemokratie zu Marktwirtschaft und "wirtschaftspolitischem Realismus" ein Platz freigeräumt werde. Nämlich jener der "Fundamentalopposition gegen das System", während beide großen Linksparteien nicht mehr Träger der sozialen Veränderungswünsche erscheinen könnten. Der Parteikongress in Nizza im März 1990 widmete sich deswegen thematisch erstmals nicht mehr vorrangig der Immigrations- und Sicherheitspolitik, sondern den Themenfeldern "Soziales" und "Ökologie".

Diese Phase fand ihren Höhe- und bisherigen Schlußpunkt in den Jahren 1996/97, als die rechtsextreme Partei sich um die Gründung eigener Pseudo-Gewerkschaften und gesellschaftlicher Satellitenorganisationen, wie Arbeitslosenfronten und Mietervereinigungen im sozialen Wohnungsbau, bemühte. Sogar eine FN-eigene Suppenküche für Obdachlose wurde, von einigem Medienspektakel begleitet, zum Jahresende 1996 vor dem Pariser Saint Lazare-Bahnhof eingerichtet. Den rechtsextremen "Gewerkschaften" wurde diese Qualität jedoch 1997/98 durch mehrere Gerichtsurteile aberkannt.

Gleichzeitig machte sich aber dennoch ab circa 1995 unter den führenden Parteikadern rund um Bruno Mégret eine politische Panik breit: Die Strategie der "großen Alternative", mit welcher der FN als angeblich alleiniger Herausforderer des bürgerlichen Establishments erscheinen sollte, ging nicht auf; jedenfalls soweit an ein Szenario ähnlich dem des Aufstiegs der NSDAP zu Anfang der 30er Jahre gedacht war. Jean-Marie Le Pen erhielt als Präsidentschaftskandidat im April 1995 ein Wahlergebnis von 15 Prozent der Stimmen. Das war zwar beachtlich, aber wies kaum über jene 14,4 Prozent hinaus, die derselbe Kandidat bereits sieben Jahre zuvor erzielt hatte. Der FN hatte sich neue Wählerschichten, etwa unter Arbeitern und Arbeitslosen, erschlossen - zugleich aber andere, bürgerliche Wählerkreise eher verloren.

Daher schien es den strategisch denkenden Köpfen in der Partei vordringlich, eine Bündnispolitik gegenüber konservativen Kräften zu entwickeln, die sich ab 1994 teilweise an der Entwicklung der italienischen "Postfaschisten" (die in jenem Jahr der ersten Koalitions-Regierung unter Silvio Berlusconi beigetreten waren, die sieben Monate überdauerte) zu orientieren begann. Anlässlich der Neuwahl der Regionalparlamente im März 1998 praktizierte der Parteikader entsprechende Bündnisangebote an konservative Regionalfürsten, von denen einige (wie Charles Millon in Lyon und Jacques Blanc in Montpellier) auch wirklich darauf eingingen. Der Apparat hatte dabei aber an Jean-Marie Le Pen vorbei, bzw. über dessen Kopf hinweg agiert. Das sollte sich bitterlich rächen.

In der Folgezeit begann die Phase der Parteispaltung, zwischen den Gefolgsleuten des damaligen Chefideologen Bruno Mégret und dem auf alleinige Herrschaft über die Organisation bedachten Le Pen, sowie der Kampf um den Apparat. Die Basisaktivitäten kamen dadurch tendenziell zum Erliegen. In den Jahren 1999 bis 2002 "lebte" der Rest-FN politisch weitgehend von der persönlichen Aura des alternden Jean-Marie Le Pen. Dieser konnte aber die Sympathien der "einfachen" Anhänger weitgehend auf seiner Seite behalten, während der Kaderapparat (der anfänglich größerenteils Mégret gefolgt war) bei der Prüfung durch das Wählerpublikum klar abgeschlagen wurde. Das bedeutete eine erhebliche politische Schwächung der extremen Rechten insgesamt. Allem Anschein nach konnte Le Pen dadurch aber, umgekehrt, vielen WählerInnen als "weniger gefährlich" erscheinen, zumal er im Wahlkampf des Frühjahrs 2002 den beruhigend wirkenden Faktor "Altersweisheit" auszuspielen suchte. In Verbindung mit anderen Faktoren, wie dem ideologischen Fall-out der spektakulären Attentate vom 11. September 2001 und der rassistisch aufgeladenen Terrorangst, erlaubte dies dem FN-Präsidentschaftskandidaten, seinen vergangenen Einfluss zu konsolidieren und sogar noch ein wenig auszubauen.

Allerdings blieb der Erfolg in dieser Höhe nicht von Dauer. Denn bereits die Parlamentswahlen vom 9. und 16. Juni 2002 markierten einen Rückschlag. Hatte Jean-Marie Le Pen bei der Präsidentenwahl sechs Wochen zuvor allein 17 Prozent (und zusammen mit seinem rechtsextremen Rivalen Mégret knapp 20 Prozent) der abgegebenen Stimmen erzielt, so blieben nunmehr nur noch 11 Prozent für den FN übrig. Die Wahlenthaltung lag bei beiden Malen hoch, mit je rund 30 Prozent.

Daran zeigt sich die Prekarität des jüngsten und größten, wahlpolitischen Erfolgs von Jean-Marie Le Pen. So merkt die französische Politikforscherin Nonna Mayer ein Jahr später an: "Zwischen 1988 und 1998 ging die Dynamik der FN-Wahlpolitik zu einem Großteil darauf zurück, dass Bruno Mégret einen funktionierenden Aktivistenstamm geschaffen hatte. Allmählich hatten die Ergebnisse (der Person) Le Pens bei Präsidentschafts- und jene der Partei bei Parlamentswahlen das gleiche Niveau erreicht. 1997 erhielt der FN bei den Parlamentswahlen exakt das gleiche Ergebnis wie Le Pen bei der Präsidentschaftswahl (zwei Jahre zuvor), mit genau 15 Prozent. Das war im Jahr 2002 nicht der Fall. Dieses Mal erklärten nur 40 Prozent der Wähler Le Pens im ersten Wahlgang, sie fühlten sich der Partei nahe - aber von jenen, die es taten, stimmten über 80 Prozent im Juni für einen der FN-Kandidaten." (Fußnote 14)

Wichtige Merkmale, die es erlauben würden, mit einiger Berechtigung von (Neo- oder modernisiertem) Faschismus zu sprechen, fehlen deswegen dem FN derzeit. Zwar versuchte die Organisation in den 90er Jahren, sich verstärkt im gesellschaftlichen Leben als eine Art "sozialer Bewegung" zu verankern und nicht nur an Wahltagen auf dem Stimmzettel präsent zu sein. Sie bemühte sich um außerinstitutionelle Aktivitäten, mit deren Hilfe die soziale Unzufriedenheit kanalisiert und mobilisiert werden könnte. Insofern konnte man sie als wirkliche Keimzelle einer faschistischen Bewegung bezeichnen, auch wenn gerade der "Bewegungs"charakter (angesichts der vergleichsweise geringen Mitgliederzahlen in den rechtsextremen Pseudo-Gewerkschaften oder Arbeitslosenfronten, verglichen mit "echten" sozialen Organisationen) noch keineswegs ausgereift war. An eine Kontrolle der Straße, oder der Betriebe, durch eine rechte und autoritäre Massenbewegung, die es erlauben würde, von "marschierendem Faschismus" zu sprechen, war damals noch nicht zu denken. Aber die Zustimmung auf der Ebene von Wahlen, gekoppelt an diese ersten Ansätze einer Bewegung außerhalb bürgerlicher Institutionen, hatte ein bedenkliches Niveau erreicht.

Im Jahr 2003 hat die jetzige FN-Spitze ziemliche Mühe, als Träger einer solchen Orientierung zu erscheinen. Vor allem kann sie kaum für sich beanspruchen, einen adäquaten Ausdruck der sozialen Unzufriedenheit anzubieten. Dies legt der Vergleich des Verhaltens der extremen Rechten während zweier breiter Streikbewegungen nahe. Im November/ Dezember 1995, während des mehrwöchigen Streiks (fast) aller öffentlichen Dienste, hatte Jean-Marie Le Pen zwar zunächst den Ausstand mit klassisch reaktionären Argumenten verurteilt - während in der FN-Presse zu lesen war, daß die eigene Anhängerschaft in ihrer Haltung gespalten sei, da eine gute Hälfte von ihr den Streik gegen den Abbau sozialer Errungenschaften unterstütze. (Fußnote 15) Doch sein Chefideologie Bruno Mégret korrigierte damals den Eindruck, den Le Pens anfängliche Haltung hervorrief. In einem aufsehenerregenden Interview mit der renommiertesten landesweiten Tageszeitung ließ er wissen, die rechtsextreme Partei verstehe sich als "Unterstützung der sozialen Bewegungen", denen er jedoch eine "alternative Methode" zu jenen der Gewerkschaften und Marxisten anbiete.(Fußnote 16)

Hingegen blieb Le Pën im Frühjahr 2003 unwidersprochen, wenn er gegen den Ausstand nahezu aller Gewerkschaften, der die Verteidigung der bestehenden Renten bezweckte und auch dieses Mal durch eine Mehrheit der Franzosen und Französinnen unterstützt wurde, wetterte. So legte Le Pen in einem Interview mit derselben Tageszeitung dar, es sei ein Fehler, das Recht auf einen Renteneintritt mit 60 Jahren (der derzeit unter Bedingungen möglich ist) zu verteidigen. Stattdessen müsse man das Rentenalter gleich - "schrittweise" - auf 70 anheben (Fußnote 17). In seiner jährlichen Rede zum 1. Mai 2003 betonte er, die einzige Lösung bestehe darin, "in Frankreich mehr und länger zu arbeiten" - und "französische Kinder zu machen". Solche Aussichten dürften nicht alle sozial Unzufriedenen unwidersprochen toll finden.

Allerdings war sechs Monate später bereits wieder von einer Ausrichtung des kommenden Wahlkampfs, zu den Regionalparlamentswahlen im März 2004, auf einen Ausdruck der sozialen Unzufriedenheit die Rede. Anfang Oktober 03 verkündete die FN-Führung, dass der Wahlkampf zu Anfang des nunmehrigen neuen Jahres stark unter dem Zeichen der "sozialen Unsicherheit" stehen werde. Dennoch ist das "Wirtschaftsprogramm", das der FN-Europaparlamentarier (und Steuerrechts-Professor) Jean-Claude Martinez dann ankündigungsgemäß am 7. Dezember 2003 anlässlich einer Kadertagung in Paris präsentierte, wieder sehr stark auf die Mittelschichten und das Kleinbürgertum ausgerichtet. Es steht vor allem im Zeichen der Anti-Steuer-Agitation.

Das Hauptaugenmerk in der französischen Öffentlichkeit zog Le Pen seit dem Sommer 2002 in jedem Falle dadurch auf sich, dass er versucht, eine Erbfolge dynastischer Art an der Spitze des Front National einzuleiten, nämlich seine jüngste Tochter Marine zur wahrscheinlichen Nachfolgerin aufzubauen. Die ehemalige Anwältin wiederum ist vorrangig darum bemüht, dem FN durch Medienauftritten ein moderneres Image zu verleihen. Sie selbst soll dabei eine gewisse Öffnung zur gesellschaftlichen Realität personifizieren, denn die Le Pen-Tochter ist ( zum starken Missfallen des Parteiflügels der katholischen Fundamentalisten!) nicht nur dreifache Mutter, sondern auch geschieden und wiederverheiratet. Ansonsten wirbt sie vor allem mit Gesprächen in Wirtschaftskreisen um Akzeptanz.

Erklärtermaßen sollen die von ihr verkörperten Lockerungsübungen der Partei dazu dienen, diese regierungs- oder politikfähig zu machen. Anläßlich der Sommerschulung für die Parteifunktionäre, im August 2002, hatte Jean-Marie Le Pen eine selbstkritische Erklärung abgegeben: Falls er im Frühjahr 02 je zum Präsidenten gewählt worden wäre, dann hätte er enorme Probleme gehabt, eine Regierung zu bilden. Nunmehr plädierte er für eine "Humanisierung des Images" der rechtsextremen Partei. Im April 2003 wurde der zwölfte FN-Parteitag in Nizza dann vorwiegend von den Querelen um die Entscheidung Le Pens überschattet, seine eigene Tochter als seine Vizepräsidentin einzusetzen, was der FN-Chef dann auch tatsächlich (gegen Widerstände der "alten Garde" der Partei) durchsetzte.

So sieht keine fundamentaloppositionelle Kampfpartei aus, weder im Sinne der "revolutionären Rechten" (nach Sternhell) noch der ewigen Konterrevolution (im Sinne der katholischen Fundamentalisten). Hier handelt es sich vor allem um das Überleben einer politischen Formation, die sich in hohem Maße auf eine Personen- und Wahlpartei reduziert hat. Der von Nizza 1990 nach Nizza 2003 zurückgelegte Weg ist jener einer Verengung und eines Abbaus an politischer Dynamik.

Allerdings bleiben die Ansätze zu Anderem innerhalb des FN vorhanden. Der jetzige FN-Generalsekretär Carl Lang gehörte zu den Vordenkern der "Hinwendung zum Sozialen", welche die extreme Rechte in den 90er Jahren praktizierte. Und die sogenannte alte Garde der Partei widersetzte sich auf dem Nizzaer Parteitag 2003 Le Pens Personalisierungs- und Modernisierungsbestrebungen sichtbar (etwa in Gestalt des Bürgermeisters von Orange, Jacques Bompard, der seitdem ebenfalls bei Le Pen in Ungnade steht). Allerdings wird man keine zukunftsfähige Bewegung schaffen mit Altkadern, die größerenteils seit der Gründung des Front National vor 31 Jahren dabei, und oftmals seit den Kolonialkriegen der fünfziger Jahre politisch aktiv sind.

Als abschließende Bewertung könnte man festhalten, daß der französische FN in den zurückliegenden fünf Jahren viele faschistische "Bewegungen" kennzeichnende Merkmale eingebüßt hat, oder daß diese sich zumindest zurückentwickelten. Doch es wäre falsch, daraus eine bürgerliche Anpassung oder "Mäßigung" abzuleiten, im Sinne eines Übergangs zu dem oben geschilderten, eher rechtsbürgerlichen Modell. Motiv für diesen Rückbau ist (bisher jedenfalls) eindeutig nicht der Wunsch nach Eintritt in eine Allianz mit bürgerlichen Kräften und dem Übergang zu einer Formation national-konservativer Natur. Denn Jean-Marie Le Pen hat auch im Jahr 2003 nicht seine verbalen Provokationen und oft unappetitlichen Wortspiele eingestellt, die dafür sorgen, dass sich bürgerliche Politiker von ihm abwenden; und sein gemeinsamer Auftritt im Oktober 03 mit dem Auschwitzleugner David Irving auf einer rechtsextremen Kundgebung in Budapest fördert auch nicht eben seine "Salonfähigkeit". Mit 75 Jahren, die Jean-Marie Le Pen im Juni 2003 erreichte, sind die Motivationen wohl auf beiden Seiten gering, ihm auf seine alten Tage noch den Weg in ein Regierungsbündnis zu bahnen.

Stattdessen hat lediglich eine (wohl nicht bewusst gewollte, aber durch den Parteigründer Le Pen doch in Kauf genommene) Austrocknung der politischen Organisation des Front National stattgefunden. Was in den 90er Jahren eine potentielle Keimzelle einer faschistischen Organisation darstellte, ist von einigen seiner Entwicklungsmöglichkeiten abgeschnitten worden, bedingt durch den Wunsch Jean-Marie Le Pens nach totaler persönlicher Kontrolle über die von ihm gegründete Partei. Die autoritäre Struktur des FN, kombiniert mit bestimmten Charaktereigenschaften seines Chefs und wohl einem reichlich Maß an beginnender Altersstarrköpfigkeit, haben dem FN mehr Schaden zugefügt als äußere Faktoren.

Seine künftige Entwicklung kann kaum präzise vorhergesagt werden. Mit seinem raschen Verschwinden aus der französischen Politik ist wirklich nicht zu rechnen; eher dürfte er bei den Regionalparlamentswahlen im März 2004 erneut ein hohes Ergebnis erhalten, und wahrscheinlich sogar an Prozenten gegenüber der vorigen Regionalwahl (von 1998) noch zulegen. Aber auch eine baldige Integration in Regierungsverantwortung ist, nach langen Jahren der relativen Isolierung und auch Ächtung der Parte durch andere politische Formationeni, derzeit nur sehr schwer vorstellbar.

Alles weitere wird vor allem abhängen, wieviel Platz ihm die anderen politischen und gesellschaftlichen Kräfte, durch ihre eigenen Fehler und/oder die Abwesenheit einer völlig anderen Alternative zum triumphierenden Liberalismus, überlassen werden.

FUSSNOTEN :

(1) Stellvertretend für viele Stimmen seien zitiert: In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Juni 2002 berichtet der österreichische sozialistische Europaparlamentarier Herbert Bösch unter dem Titel "Rechtspopulismus: Die EU macht es Stimmenfängern leicht" über ein "neues Gespenst", das umgehe "in Europa" - jenes des "rechten bis rechtsextremen Populismus". Dabei nennt er den Franzosen an erster Stelle: "Ob sie nun Le Pen (Frankreich), Bossi (Italien), Haider (Österreich), Fortuyn (Niederlande) heißen..." Das im September 2002 im Ueberreuter-Verlag erschienene Buch von Hans-Henning Scharsach, "Rückwerts nach rechts - Europas Populisten", zieren auf der Titelseite fünf Gesichter, wobei Jean-Marie Le Pen nach Jörg Haider an zweiter Stelle kommt, gefolgt von Silvio Berlusconi, Umberto Bossi und Jürgen Möllemann.

(2) Auch hier stellvertretend für weitere Stimmen: In der Schriftenreihe der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte (Nummer 21/ 2002), ist in Bezug auf Italien, aber auch Norwegen und Dänemark von "Rechtspopulisten" die Rede, während es mit Blick auf Frankreich heißt: "Und selbst eine eindeutig rechtsextrem ausgerichtete Partei wie der Front National konnte (...) stabile Wähleranteile in einer vergleichbaren Größenordnung verbuchen." Und auf einer Homepage der PDS ist zum Thema "Rechtspopulismus in Europa"  www.pds-schwerin.de/rechtspopulismus.htm  von Michael Strähnz zu lesen: "Damit", mit der Ausnutzung anti-muslimischer Stimmungen nach den Attentaten vom 11. September 2001, "waren denn auch die Gemeinsamkeiten von rechtspopulistischen und neofaschistischen Parteien zu Ende, denn der Wahlerfolg (des) Faschisten Le Pen war den etablierten rechtspopulistischen Parteien zu viel. Keine dieser Parteien gratulierte Le Pen (...)"

(3) Zwar hat es in der Vergangenheit zeitweise Phasen gegeben, in denen der FN an Bündnisfähigkeit zu gewinnen schien, namentlich auf der Ebene der Regionalparlamente nach deren Neuwahl im März 1998. Dabei handelte es sich allerdings nicht so sehr um ein klares und explizites Bündnis zwischen politischen Kräften, sondern eher um den Versuch abgehalfterter konservativer Regionalbarone, auch mit zweifelhaften Mitteln ihr eigenes politisches Überleben bzw. Amt zu sichern. Die damals seitens führender FN-Kader verfolgte, geschickte Politik verstand es, diese Bresche für sich auszunutzen und Zwietracht bis tief in¹s Innere der bürgerlichen Parteien zu tragen, deren Spitzenvertreter solche (unerklärten) Bündnisse desavouiert hatten. Dieselben FN-Funktionäre sollten jedoch wenige Monate später durch einen (eifersüchtig auf seine alleinige Kontrolle über die Partei bedachten und argwöhnisch wachenden) übermächtigen Le Pen ausgeschlossen oder hinausgedrängt werden, womit diese Phase abgeschlossen war.

(4) Als hervorstechendes Negativbeispiel für hohle Phrasendrescherei sei in diesem Zusammenhang auf den französischen Politologen Guy Hermet verwiesen, der in der Sonderbeilage der Pariser Abendzeitung Le Monde zum Thema Populismes d¹Europe (19./20. Mai 2002) unter anderem folgendes zum besten gibt: "Jean-Marie Le Pen würde ich als charakterlich eigentümlichen Populisten definieren, aufgrund seines extremen, ich sage nicht rechtsextremen, Temparaments, das zugleich erklärt, warum er sich nicht ebenso durchsetzen wie andere europäische Populisten (...) und warum er kein besseres Ergebnis im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl erzielt hat." Dieses inhaltsleeren Gerede, dem allenfalls geschmäcklerische Erwägungen zugrundeliegen, erklärt schlicht gar nichts bezüglich der politischen oder gesellschaftlichen Natur der Partei bzw. "Bewegung" von Jean-Marie Le Pen.

(5) Yves Mény: Au secours, le "peuple" revient, :in: Populismes d¹Europe (a.a.O.) Hingegen erscheinen mir die, einige Seiten weiter zu findenden, Äußerungen des Politologen Guy Herment nicht als intellektuell ernstzunehmen: "Für mich ist der Populismus vor allem ein politischer Stil (...) Für mich ist der Populismus mit jedweder politischen Orientierung, mit jedwedem politischen Regime vereinbar." Warum dann lange über einen Begriff reden, wenn er angeblich ohnehin nichts, oder jedenfalls nicht viel, bedeutet?

(6) Der (mit einer der drei Töchter von Jean-Marie Le Pen verheiratete) Schwiegersohn war um 1995 der aufsteigende Hoffnungsträger in den Augen des Parteichefs. Damals stand er dem Jugendverband FNJ vor. Doch 1999 erlitt er einen jähen Karriereknick. Damals hatte er sich, aus taktischen Gründungen, für eine "Modernisierung" der Partei in Gestalt einer Lockerung ihrer Position gegenüber Einwanderern ausgesprochen. Dadurch geriet er in das Schußfeld der "alten Garde" der Partei; vor allem der Bürgermeister von Orange, Jacques Bompard, und FN-Generalsekretär Carl Lang wetterten heftig gegen seine Neupositionierung. Seitdem ist es in der Partei um Samuel Maréchal ziemlich still geworden. Die damalige, kurzlebige, Debatte war Ausdruck der Orientierungskrise der Partei, die im Jahr ihrer Spaltung ausgebrochen war. Näheres dazu in einem Artikel vom Verfasser dieser Zeilen, von Dezember 1999:  http://www.antifaschistische-nachrichten.de/1999/24/026.htm  Im Vorfeld der Regionalparlamentswahlen im März 2004 hat Jean-Marie Le Pen seinen Schwiegersohn allerdings erneut in politische Funktionen eingesetzt; so hat er ihn zum Spitzenkandidaten in der Region "Untere Loire" erhoben. In dieser Region hat der FN eher Nachholbedarf, was seine Wahlergebnisse betrifft; d.h. es handelt sich um keine Hochburg.

(7) Mit seinem Buchtitel La préférence nationale: réponse à l¹immigration (Die nationale Bevorzugung: Antwort auf die Einwanderung). Jean-Yves Le Gallou war damals einer der Köpfe des rechs-intellektuellen Club de l¹Horloge und Führungsmitglied einer der Komponenten im christdemokratisch-liberalen Parteienbündnis UDF. Im Herbst 1985 trat Le Gallou zum Front National über. Ihn verließ er im Zuge der Abspaltung unter Bruno Mégret, zum Jahreswechsel 1998/99; in der Folgezeit wurde Le Gallou zur "Nummer Zwei" in der von Mégret angeführten neuen Partei, die seit Herbst 1999 nunmehr MNR (Mouvement National Républicain) heißt. Die anhaltende Erfolglosigkeit des Spaltprodukts MNR veranlasste ihn drei Jahre später, alle innerparteilichen Ämter niederzulegen. Seit Jahresende 2002 ist Le Gallou nunmehr Vorsitzender einer Stiftung unter dem Namen Polemia, die sich die ideenmäßige Erneuerung im Rechtsaußenspektrum zum Ziel gesetzt hat. Vgl. unter www.polemia.com ...

(8) Interview in der Parteizeitung National Hebdo (NH) vom 10. April 1997, das nach dem X. Kongress des Front National zu dessen Ergebnissen erschien. Nach einigen Jahren, in denen die ideologische Arbeit mit dem Begriff vernachlässigt worden war, kommt ihm seit einiger Zeit wieder verstärkte Bedeutung zu, vor allem nach dem XII. Kongress vom April 2003. Anlässlich seiner traditionellen Rede vor den Parteigängern am 1. Mai, auf dem Vorplatz der Pariser Oper, stellte Jean-Marie Le Pen am 1.5.2003 die Forderung nach Einführung der préférence nationale in den Mittelpunkt. Siehe dazu auch die Ausgabe der Wochenzeitung NH vom 8. Mai 2003, unter der Titelschlagzeile Jean-Marie Le Pen: Préférence nationale !

(9) Zu den unterschiedlichen ideologischen Strömungen, welche die französische extreme Rechte zusammensetzen, siehe ausführlich: Bernhard Schmid, Die Rechten in Frankreich, Berlin 1998, besonders S. 142 ff. und die dort angegebenen Quellen.

(10) Nähere Details in: Libération vom 15. April 2003 ; die zitierte Umfrage war am 11. und 12. April 03, also zwei Tage nach der Einnahme Bagdads durch die US-Truppen, durchgeführt worden. Eventuell hätten bei anderem Kriegsverlauf die Zahlen anders ausgesehen. Allerdings befürworteten bereits vor Beginn der Kampfhandlungen 35 Prozent der FN-Wähler einen Angriff auf den Irak auch ohne UN-Mandat, was ( neben den Sympathisanten der wirtschaftsliberalen Partei Démocatie Libérale, DL unter Alain Madelin) - der höchste Anteil unter den WählerInnen irgend einer französischen Partei war. - Allgemein zu den Hintergründen der Positionen des Front National im zweiten und dritten Golfkrieg, vgl. http://www.trend.partisan.net/trd0503/t090503.html 

(11) Einen Sonderfall in Europa stellen dabei freilich die Parteien des deutschsprachigen Raums (BRD, Österreich und Nordschweiz) dar. Denn bei ihnen spielt der Drang zur "Normalisierung" der Nation, den die Erinnerung an die NS-Vergangenheit (oder in der Schweiz an den Bankenskandal, die Bereicherung mit dem dort deponierten Gold von NS-Opfern während des Zweiten Weltkriegs) blockiere, oftmals eine Schlüsselrolle. Darin ist regelmäßig zumindest sog. sekundärer Antisemitismus, der sich gegen die "Erinnerungskultur" richtet, präsent.

(12) Zeev Sternhell: La droite révolutionnaire. Les origines françaises du fascisme 1885 - 1914, Paris 1978. Vgl. für eine knappe Zusammenfassung und Diskussion der wichtigsten Ergebnisse Sternhells, die kurze Serie in der Berliner Wochenzeitung Jungle World, Ausgabe 52/1999 bis 04/2000 (die Archive sind im Internet kostenlos zugänglich).

(13) Die entsprechende Paranoia geht im Le Pen¹schen Diskurs so weit, da er beispielsweise im Januar 1993 auch in der modernen Kunst die Keimzellen der Subversion angreifen wollte: "Die moderne Kunst ist ein Komplott, das darauf abzielt, das Inviduum vom Wahren, vom Guten und vom Schönen abzugrenzen und es dadurch zum manipulierbaren Roboter zu machen. Brechen wir mit diesem Komplott." (Le Monde vom 20. Januar 1993) Selbstverständlich spielen in den Augen dieser (Variante der) extremen Rechten jüdische Künstler und Intellektuelle eine besondere Rolle als Agenten der "Zersetzung", auch wenn sie nicht allein sind. Vermutet man hinter ihnen doch den Ursprung des Kommunismus - festgemacht an der Herkunft von Karl Marx oder Leo Trotzki - ebenso wie des "vaterlandslosen Finanzkapitalismus".

(14) Interview mit Nonna Mayer, in: Libération vom 21. April 2003.

(15) Vgl. insbesondere National Hebdo vom 14. Dezember1995.

(16) Bruno Mégret, Interview in Le Monde vom 13. Februar 1996 unter der Überschrift: Le FN entend soutenir les mouvements sociaux dans une démarche rénovée.

(17) Jean-Marie Le Pen, Interview in Le Monde vom 19. April 2003: Le parti le plus dangereux pour la France, ça peut être la droite raffarinesque. 

Editorische Anmerkungen 

Der Artikel wurde uns vom Autor  in der vorliegenden Fassung am 2.1.2004 zur Veröffentlichung überlassen. 

Der Autor unterrichtet Jura an einer Universität im Großraum Paris. 

Bernard Schmid veröffentlichte im trend u.a. folgende Artikel: