Mobbing im Strafvollzug? 
Ein bislang unbeachtetes Phänomen?

von Thomas Meyer-Falk

01/04
      
trend onlinezeitung

Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin

Dieser Beitrag soll sich mit der Frage beschäftigen, ob es so etwas wie Mobbing auch im Strafvollzug gibt. Dabei werde ich zuerst kurz erläutern, wie sich Mobbing definiert (A.), den konkreten Fall des Gefangenen L. darstellen (B.), um sodann mit einem Resümee zu schließen  (C.)

A.) Was ist Mobbing?

Es handelt sich bei dem Begriff „Mobbing" nicht um einen juristischen Tatbestand, sondern um einen Sammelbegriff für Verhaltensweisen, die je nach Sachlage für die Betroffenen rechtliche, gesundheitliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben können und mit wachsender Zunahme im gesellschaftlichen Leben auch soziologische Folgen nach sich ziehen.

Nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte (vgl. Thüringer Landesarbeitsgericht, Az: 5 Sa 102/2000 – Urteil vom 15.02.2001) gilt folgendes: ob ein für die Annahme von Mobbing erforderliches systematisches Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren vorliegt, hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist eine Abgrenzung zu dem im gesellschaftlichen Umgang im allgemeinen üblichen oder rechtlich erlaubten und deshalb hinzunehmenden Verhalten erforderlich. Es muß ein systematisches Verhalten festgestellt werden.

Mit dem Begriff des ‘Mobbings’ müssen danach fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen erfaßt werden, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen.

Nach dem erwähnten Urteil des Landesarbeitsgerichts kann Mobbing bei den Betroffenen zu schweren Schädigungen der Persönlichkeit und der Identität bis hin zu einer Gefährdung der physischen Existenz führen.

B.) Der Gefangene L.

a.) Herr L. verbüßt in der JVA Bruchsal eine lebenslange Freiheitsstrafe; die Mindestverbüßungsdauer wurde auf 25 Jahre festgelegt, so daß er frühestens 2014 mit einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung wird rechnen können. Es handelt sich um einen eloquenten Strafgefangenen, der – im Gegensatz zu vielen anderen Insassen – durchaus bereit ist, seine Rechte ggf. vor Gericht durchzusetzen. Er war seit vielen Jahren als sogenannter „Einkaufshelfer" eingesetzt, d.h. ihm oblag es, zusammen mit anderen Gefangenen, die Regale im Verkaufsraum des Anstaltskaufmanns zu füllen und an den zweimal monatlich stattfindenden Einkaufstagen die Einkäufe abzuwickeln.

2001 bewilligte ihm die Anstalt im Rahmen der Vollzugsplanung zwei sogenannte „Ausführungen" pro Jahr; dabei darf ein Gefangener in Begleitung von – meist – zwei Vollzugsbeamten in Zivil die Anstalt für einige Stunden verlassen.

b.) Seine Einkünfte und seinen Job als Einkaufshelfer verlor Herr L. 2002! Was war geschehen: es wurde seitens der Anstalt behauptet, Herr L. habe den Anstaltskaufmann gedrängt, Kartoffeln mit zum Verkauf zu bringen. Diese Episode bezeichnete seine Anwältin als „Kartoffel-Affäre" und sie ist vor Gericht anhängig, da Herr L. sich gegen die Entfernung von diesem Arbeitsplatz wehrt.

c.) Im vergangenen Jahr ging sodann die schier endlos erscheinende Auseinandersetzung um die oben erwähnten Ausführungen los. Frohen Mutes beantragte er im Februar 2003, im Mai 2003 zu seinen Eltern ausgeführt zu werden!

(1.) Da die JVA den Antrag vorerst nicht bearbeiten wollte, da gerade ein Verfahren anhängig war, in welchem darüber entschieden werden sollte, wie hoch bei Herrn L. die „Mindestverbüßungsdauer" sein würde, wandte er sich an das Gericht. [zur Erläuterung: bei lebenslanger Freiheitsstrafe muß ein Gericht nach Ablauf von 14-15 Jahren festlegen, wie viele Jahre angesichts der Schuldschwere mindestens zu verbüßen sind, bevor eine Entlassung in Frage kommt]. Das Landgericht Karlsruhe sah durch dieses Verhalten der JVA die Rechte des Herrn L. verletzt und verpflichtete sie, unverzüglich zu entscheiden über den Antrag auf Ausführung. Dem kam die JVA nach, allerdings erst, als das von Herrn L. gewünschte Datum für die Ausführung längst verstrichen war. Sie lehnte Ausführungen nunmehr prinzipiell ab, da eine Mißbrauchsgefahr vorliege; sie widerrief auch ihre Entscheidung von 2001, wonach Herr L. pro Jahr zwei Ausführungen gewährt würden.

(2.) Das Landgericht Karlsruhe wurde erneut von Herrn L. um Rechtsschutz gebeten, und im August 2003 entschied dieses, daß die Anstalt rechtsfehlerhaft gehandelt habe und neu entscheiden müsse. Erneut lehnte daraufhin die JVA Ausführungen strikt ab.

(3.) Nunmehr reichte es dem Gericht, als der Gefangene erneut vorstellig wurde, und es verpflichtete die JVA ausdrücklich, noch im Jahr 2003 Herrn L. endlich zu seinen Eltern auszuführen. Bekam Herr L. nun seine Ausführung, wo doch die Verwaltung laut Grundgesetz an Recht und Gesetz gebunden ist? Nein! Denn in der Zwischenzeit kam es zu einem „Vorfall", den ich unter Punkt d. kurz darstellen werde und den die JVA zum Anlaß nahm, ihm trotz der richterlichen Anordnung seine Ausführung zu verweigern.

(4.) Mit Beschluß vom 29.12.03, denn Herr L. hatte wiederum das Gericht eingeschaltet, ordnete selbiges erneut an, ihm unverzüglich die Ausführung zu seinen Eltern zu gewähren, da der o.g. „Vorfall" nicht geeignet sei, eine Flucht- oder Mißbrauchsgefahr zu begründen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Anstalt nun verhalten wird.

d.) Der „Vorfall" wurde von mir schon an anderer Stelle erwähnt http://www.de.indymedia.org/2003/12/70912.shtml . Ein Gefangener hatte sich erhängt und Herr L. und Herr G., beide gewählte Mitglieder der Gefangenenvertretung, schrieben einen Brandbrief an Gerichte, Abgeordnete und die Justizministerien. Herr L. wurde, ebenso wie Herr G., sodann vom Leiter der Anstalt, Thomas Müller, zu 3 Tagen Arrest diszipliniert und aus der Gefangenenvertretung entfernt.

Mit Beschluß vom 10.12.03 hob das von Herrn L. angerufene Gericht diese Anordnungen auf, es läge nämlich keineswegs eine schwere Verfehlung vor. Zwar hätte Herr L. vor Versendung der Briefe Rücksprache mit der JVA nehmen sollen, um so zu verhindern, daß mögliche Falschinformationen verbreitet würden, auch sei das Aushängen des Briefes in Schaukästen der Anstalt geeignet gewesen, die Stimmung unter den Gefangenen „anzuheizen". All dies erfülle jedoch nicht den Tatbestand der schweren Verfehlung.

e.) Herr L. wurde noch im Oktober 2003 von jenem Hafthaus, in welchem er seit Jahren seine Zelle hatte, in ein anderes Hafthaus der gleichen Anstalt verlegt, weil es gelte, ein – Zitat der JVA – „unheilvolles Zusammenwirken" mit Herrn G., welches sich in der Versendung des erwähnten Brandbriefes manifestiert habe, für die Zukunft zu unterbinden. Auf diese Weise wurde Herr L. aus seinem bekannten und vertrauten Umfeld von Gefangenen und Bediensteten herausgerissen und in ein neues soziales Gefüge verlegt. Gerade für Langzeitgefangene ist derartiges regelmäßig sehr belastend.

f.) Die unter b-e geschilderten Vorfälle sind für Herrn L. psychisch nicht leicht zu verkraften, zumal es nicht die einzigen sind (so wurde ihm bspw. erst nach Anrufung des Gerichts ermöglicht, seine elektrische Zahnbürste reparieren zu lassen und hierfür von ihm selbst erarbeitetes und angespartes „Überbrückungsgeld" zu verwenden; Bilderrahmen, welche er in der JVA vor Jahren erwarb, wurden ihm abgenommen, da sie nun verboten wären, usw.)

Das eingangs erwähnte Thüringische Landesarbeitsgericht stellte gut nachvollziehbar dar, welche Folgen Mobbing hat und wie sodann ein Teufelskreis entsteht, daß nämlich der Betroffene in trauma-kompensatorischem Bemühen besonders mißtrauisch wird, eine Hypersensitivität gegenüber Unrecht entwickelt, eine zunehmend wahrnehmbare „querulatorische" Komponente behauptet wird z.B. seitens der Justiz, und infolgedessen zu einer Ursache und Wirkung verwechselnden Stigmatisierung des Betroffenen führt.

Ob der konkrete Umgang mit Herrn L. seitens der Anstaltsleitung tatsächlich Mobbing im engeren Sinne darstellt, mag jedeR für sich entscheiden. Herr L. jedenfalls fühlt sich gemobbt.

C.) Resümee

Wer denkt, ich hätte hier nur einen bedauerlichen Ausnahmefall dargestellt, mag sich beispielsweise mit meinen Texten über die „Oberregierungsrätin X" [vgl. für viele http://www.de.indymedia.org/2003/09/60778.shtml beschäftigen oder mit den diversen Gefängniszeitungen deutscher Haftanstalten, in welchen regelmäßig über ähnliche und in vielen Fällen noch gravierendere Praktiken berichtet wird http://www.knast.de .

Heutzutage finden in deutschen Gefängnissen nur (noch) selten physische Übegriffe seitens des Personals auf Gefangene statt. Dafür sehen sich die InsassInnen Beamten in den Anstalten gegenüber, die ihre Machtfülle in einer Art und Weise gebrauchen, die die Insassen als Mobbing erleben. Solche Mißstände publik zu machen, ist für sie nicht nur deshalb besonders schwierig, weil ihnen vielfach die Kontakte nach „draußen" oder die Fähigkeiten fehlen, sich deutlich auszudrücken, bzw. weil sich die bürgerliche Öffentlichkeit mit Strafgefangenen nicht beschäftigen möchte, sondern auch und gerade deshalb, weil Mobbing immer noch unterschätzt und vielfach nicht wahrgenommen und ernstgenommen wird, außer von denen, die davon betroffen sind.

Herrn L. werden seine Bilderrahmen weggenommen! „Na und?!", denkt sich da vielleicht manch eineR. Ist diese Maßnahme aber eingebettet in ein ganzes Bündel solcher Vorfälle, können auch solche Vorgänge eine existenzielle Bedeutung erlangen und das sich dagegen wehren vor Gericht ist keine Querulanz, sondern Selbstverteidigung und der Versuch, Menschenwürde zu bewahren.

Editorische Anmerkungen 

Der Autor schickte uns am 19. Jan 2004 seinen Artikel zur Veröffentlichung. 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal, Germany