Frankreich:
Abbruchkommission für das Arbeitrecht legt ihre Demontagevorschläge vor

von Bernhard Schmid (Paris)

01/04       trend onlinezeitung

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Am Donnerstag, den 15. Januar legte die Regierungskommission zur
"Vereinfachung des Arbeitsgesetzbuchs" ihren Abschlussbericht vor, der eine
Serie von insgesamt 50 (bedeutenden und weniger bedeutenden) Vorschlägen
enthält. Die Kommission unter Vorsitz von Mirchel de Virville, seines
Zeichens Personaldirektor der Automobilwerke Renault, hatte am 7. Oktober 03
ihre Arbeit aufgenommen.

Neuer Zeitvertrag: "Projektvertrag"

Unter den "Reformvorschlägen" mit Abstand die größte Beachtung erfuhr jener
zur Einrichtung eines neuen Typs von Zeitvertrag. Bisher kennt das
französische Arbeitsgesetzbuch (der Code du travail) unbefristete
Arbeitsverträge, CDI genannt, und als CDD bezeichnete befristete Verträge.
Letztere dürfen nur aus bestimmten Gründen abgeschlossen werden (u.a.
Vertretung eines erkrankten Beschäftigten, kurzfristiger
Produktionsüberhang, für Saison-Arbeitsplätze) und sind "normalerweise" auf
eine Höchstdauer von 18 Monaten begrenzt. Dabei gibt es Ausnahmen: Bestimmte
Gründe rechtfertigen eine Ausdehnung bis auf maximal 24 Monate (etwa wenn
der Arbeitsplatz, nachdem der CDD zu Ende geht, abgebaut wird). Ferner
unterliegen die CDD im Falle krankheitsbedingter Vertretung keiner vorab
festzulegenden Befristung, sondern der Arbeitsvertrag ist so lange gültig,
bis der/die zu vertretende (kranke) Beschäftigte zurück am Arbeitsplatz ist.

Seit langem lautete eine zentrale Forderung der Arbeitgeberverbände und der
Wirtschaftsliberalen, dass zwischen beiden Vertragsdauern ­ unbefristet
einerseits, höchstens 18/24 Monate andererseits ­ eine neue Vertragsform
"mittlerer Länge" einzuführen sei. Im Sinne verstärkter Flexibilität
eingefordert wurde eine Vertragsform mit einer vorgesehenen Dauer von rund 5
Jahren. Damit wäre allerdings der Abschluss von unbefristeten Verträgen
(CDI) in vielen Fällen sinn- und gegenstandslos. Denn welches Unternehmen
plant heute schon über mehr als 5 Jahre hinaus? Die Frage wäre dann nur
noch, welche Rechtfertigungsgründe den Abschluss eines solches Vertrages
erlauben.

Im Kern ist dieser alte Wunsch der Arbeitgebern nun durch die Kommission
erfüllt worden. Denn letztere schlägt vor, für die höheren und leitenden
Angestellten (cadres genannt) sowie "für qualifiziertes Personal, etwa für
Experten" einen so genannten contrat de mission einzuführen. Eine mission
bezeichnet hier einen Auftrag. - Das wäre ein Arbeitsvertrag, dessen frei zu
vereinbarende Länge sich völlig nach dem Projekt, an dem die Angestellten-
oder Fachkraft jeweils arbeitet, ausrichtet. Sobald das Projekt zu Ende
ginge, wäre auch der Arbeitsvertrag ausgelaufen.

Dabei sieht die Kommission keinerlei Höchstdauer für diesen "Projektvertrag"
vor. Lediglich eine, dem Beschäftigten garantierte
Mindestbeschäftigungsdauer soll dabei festgeschrieben werden. Ansonsten
sollen die Vertragsparteien frei schalten und walten können, was ihre
Vereinbarungen bezüglich der zeitlichen Dauer des Arbeitsvertrags betrifft.

Einzige Bedingung: Der betreffende Sektor soll vorher einen
Branchen-Kollektivvertrag abgeschlossen haben, in dem die näheren
Bedingungen für den Abschluss solcher Verträge definiert werden. Der
Gesetzgeber soll lediglich - neben der garantierten Mindestdauer - noch die
betroffenen Beschäftigtenkategorien sowie die Natur der betroffenen
"Projekte" festlegen.

Reaktionen auf den "Projektvertrag"

Die öffentliche Debatte um die Vorschläge der Virville-Kommision hat sich
weitgehend auf die Einrichtung des neuen Zeitvertrags fokussiert. Im
politischen Bereich sprachen sich die Sozialdemokraten vom Parti Socialiste
(PS) und die Parteikommunisten vom PCF, neben der radikalen Linken, gegen
den "Projektvertrag" aus. Beim PS sprach man von einer "Granate in¹s
Arbeitsgesetzbuch" und beim PCF (durch den Mund seiner Parteichefin
Marie-George Buffet) von einer "totalen Prekarisierung der Beschäftigten".
Der blasse sozialdemokratische Parteisekretär (also -vorsitzende) François
Hollande regte sogar ­ für kurze Zeit ­ eine "soziale Mobilisierung" gegen
den Vorstoß an. Was allerdings auch damit zu tun haben könnte, dass der PS
sich zur Zeit im Wahlkampf befindet (im März werden sämtliche französischen
Regionalparlamente gewählt) und man bisher noch nicht viel von ihm gehört
hat.

Bei den Gewerkschaften protestierte die CGT, die davon sprach, dass
"Virville den (Arbeitgeberverband) Medef bedient" ­ was allerdings niemand
verwundert, da Virville leitender Manager eines Unternehmens ist. Auch die
Gewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten, die CFE-CGC, wandte
sich scharf gegen das Vorhaben. Es handele sich um ein "Gesetz gegen die
cadres", erklärte ihr Generalsekretär Jean-Luc Cazettes. Die CFE-CGC steht
historisch der bürgerlichen Rechten nahe, kann jedoch zwischendurch auch
sehr radikale Töne anschlagen, wenn es um die Verteidigung der spezifischen
Interessen ihrer Klientel geht. Und da diese ganz besonders im Visier steht,
wenn bürgerliche Politiker und Arbeitgeber nach maximaler "Flexibilität"
rufen, gibt es da schon Reibungspunkte.

Seitens der sozialliberalen CFDT hörte sich der Tonfall hingegen anders an.
Ihr Generalsekretär François Chérèque brüllte wie ein Löwe, dass es nicht in
Frage komme, ein solches Vorhaben per Gesetz durchzusetzen ­ sondern "es nur
Gegenstand der Verhandlung zwischen Sozialpartnern sein kann" (laut einem
Interview in Le Parisien). Das trifft sich gut: Es sei an das Abkommen zur
"Reform" der Arbeitslosenkasse UNEDIC erinnert, das im Sommer 2000
insbesondere durch die CFDT und die Arbeitgeberverbände unterzeichnet wurde.
(Die CFDT verwaltet die in paritätischer Hand befindliche Kasse UNEDIC.)
Dessen Text sieht bereits vor, dass "die Sozialpartner" künftig über die
Einrichtung von "Projektverträgen" verhandeln könnten, deren Modalitäten
bezüglich der Arbeitslosenversicherung dann zu regeln seien. Steht da jemand
schon in den Startlöchern?

Die Arbeitgeberverbände zeigten sich zunächst hoch zufrieden. Da es aber
einerseits taktisch unklug ist, das allzu offen zu zeigen, man aber
andererseits ohnehin den Hals nie voll genug kriegen kann, krittelte der
Medef dann doch noch an dem Vorhaben herum. Warum es denn künftig
Branchen-Kollektivverträge für den "Projektvertrag" brauche, beschwerte er
sich. Ferner forderte er, dieser solle gleich auf alle Beschäftigten
ausgedehnt werden, und nicht nur auf cadres und Fachkräfte. Na, was nicht
ist, kommt vielleicht bald.

Die anderen Vorschläge der Kommission

In geringerem Maße Gegenstand öffentlicher Diskussion waren die anderen
Vorschläge der Kommission. Dazu gehören unter anderem die folgenden.

Künftig soll das Günstigkeitsprinzip (das ohnehin durch die Reform der
Kollektivverhandlungen, welche Arbeitsminister François Fillon kurz vor
Weihnachten 2003 auf den Weg brachte, stark angeknackst ist) noch einen
weiteren Dämpfer erhalten. Es sieht vor, dass dort, wo ein Gegenstand sowohl
durch das Gesetz (Arbeitsgesetzbuch) als auch einen Kollektivvertrag
geregelt wird, jeweils derjenige Text Anwendung findet, der aus Sicht der
Lohnabhängigen "günstiger" ist. Das nennt man principe de faveur. Es soll
nunmehr nicht mehr so gelten. Falls ein Kollektivvertrag oder eine
Kollektivvereinbarung abgeschlossen wird, dann soll die Vereinbarung künftig
gelten ­ auch dann noch, wenn später der Gesetzgeber eingreift und der
geänderte Gesetzestext nunmehr "günstiger" ausfällt. Damit werden
"sozialpartnerschaftliche" Vereinbarungen festgeschrieben, auch wenn sie
hinter spätere gesetzliche Regelungen zurückfallen und die Rechte der
Beschäftigten vermindern.

Ferner soll der Richter, der einen Kollektivvertrag oder eine
Kollektivvereinbarung auszulegen hat, künftig obligatorisch die so genannten
"Sozialpartner" einschalten müssen. Letztere sollen damit das letzte Wort
haben. Bisher konnte der Richter immer noch die Rechte der Beschäftigten
sichern, indem er notfalls etwa ein vom Gesetz abweichendes Abkommen zur
Seite schob oder es anders auslegte. Berücksichtigt man die Entwicklung,
welche die Kollektivverhandlungen in jüngster Zeit nehmen (mit der
Entwicklung der CFDT, und der Instrumentalisierung von Kollektivverträgen
als Mittel der "Flexibilisierung"), dann ist klar, dass es sich in der
Mehrzahl der Fälle nicht um einen Gefallen für die Lohnabhängigen handeln
wird. Es kann natürlich auch mal anders herum sein.

Was die Interessenvertretung der Beschäftigten betrifft, so schlägt die
Kommission eine radikale "Vereinfachung" vor. In den mittleren Betrieben,
von 50 bis 250 Beschäftigten, sollen alle Institutionen der
Interessenvertretung in einer einzigen zusammengefasst werden können. Das
bedeutet, dass per Vereinbarung die Gewerkschaftsvertretung im Betrieb (die
délégués syndicaux, die in gewissen Grenzen freigestellt sind), die
gewählten betrieblichen Vertrauensleute (délégués du personnel) und die
bisherige französische Entsprechung zum deutschen Betriebsrat (der comité
d¹établissement, oder "Betriebs-Ausschuss") in einer einzigen Instanz
zusammengefasst werden. Diese soll künftig Conseil d¹entreprise heißen, was
eine wörtliche Übersetzung des deutschen Worts "Betriebsrat" ist.

Dieser neue Conseil soll der Verhandlungspartner des Arbeitgebers beim
Abschluss von betrieblichen Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen
sein. Das war bisher den Gewerkschafts-Delegierten (délégués syndicaux)
vorbehalten. Dagegen konnte der "Betriebs-Ausschuss" bisher nicht
verhandeln, zumal im französischen Modell der Arbeitgeber (oder einer seiner
Vertreter) den Vorsitz im Comité d¹établissement innehat. Bisher wurde im
französischen Recht klar getrennt zwischen der Gewerkschaft als "echter"
Interessenvertretung, die im Namen der Beschäftigten verhandeln kann,
einerseits und den betrieblichen Vertretungsorganen andererseits. Letztere,
besonders der "Betriebs-Ausschuss", musste in bestimmten Dingen (etwa beim
Personalabbau, um nur ein Beispiel zu nehmen) vom Arbeitgeber unterrichtet
und in Beratungen einbezogen werden. Letztere Regel war eine Garantie für
den Informationsfluss und zudem eine Verfahrensregelung, die es im
Streitfall dem Richter erlaubte, die Argumente des Arbeitgebers zu
überprüfen ­ dafür konnte die vorherige Debatte im Comité d¹établissement
herangezogen werden. Diese Grenze zwischen Interessenvertretung und bloßer
betrieblicher Vertretung soll nunmehr zunehmend eingerissen werden.
Natürlich deswegen, weil man möglichst viele betriebliche Vereinbarungen
unterzeichnet sehen will, die auf Betriebsebene "im Sinne der Wahrung von
Arbeitsplätzen" ungünstiger ausfallen können.

Ein weiterer Vorschlag läuft darauf hinaus, dass in allen Betrieben die
Vertretungsorgane (seien es Gewerkschafts- oder betriebliche Vertreter) nur
noch alle vier statt bisher alle zwei Jahre neu gewählt werden. Das bedeutet
für die Unternehmen, Geld zu sparen (weniger Wahlen!), und für die
Beschäftigten weniger Einfluss auf ihre Vertreter.

In Sachen Arbeitszeit schlägt die Kommission vor, keine größeren
Veränderungen am bestehenden System vorzunehmen, trotz 35-Stunden-Woche.
Immerhin ist das bestehende System flexibel und voll von Ausnahmen genug.
Allerdings soll die Pauschal-Arbeitszeitregelung, die nach geltendem Recht
auf Führungskräfte Anwendung findet (ihr zufolge werden diesen nicht mehr
die Stunden, sondern nur noch die Arbeitstage abgerechnet) auch auf
"wanderndes Personl" ausgedehnt werden. Das sind all diejenigen
Beschäftigten, die bei wechselnden Kunden zum Einsatz kommen ­ etwa als
Informatiker, um mal hier und mal dort die Computer-Einrichtungen zu
reparieren.

Dagegen hat die Kommission keine Vorschläge zum Thema der betriebsbedingten
Entlassungen vorgelegt. Ursprünglich hatte sie auch in dieser Richtung
gearbeitet. Beispielsweise wollte sie den Anwendungsbereich der Regelung,
die Sozialpläne auszuarbeiten vorschreibt, einschränken. (Statt ab 10
betriebsbedingten Kündigungen pro Monat sollte es einen Sozialplan künftig
erst ab 20 geben müssen.) Doch zu diesem Thema verhandeln die
"Sozialpartner" ohnehin - nachdem die Regierung einige bisherige gesetzliche
Regelungen zum Thema betriebsbedingte Kündigungen eingefroren und ihre
Neuverhandlung den "Sozialpartnern" überantwortet hat. Daher brauchte die
Kommission sich an dem Punkt gar nicht die Hände schmutzig zu machen.

Editorische Anmerkungen 

Der Artikel wurde uns vom Autor  in der vorliegenden Fassung am 19.1.2004 zur Veröffentlichung überlassen. 

Der Autor unterrichtet Jura an einer Universität im Großraum Paris. 

Bernard Schmid veröffentlichte im trend u.a. folgende Artikel: