Das LIDL-Imperium

von Marktanalyst

01/05

trend

onlinezeitung

Auf dem Discountermarkt tobt ein Konkurrenzkampf der Giganten, der seines gleichen derzeit sucht. Ein "raise to the bottom" beim Preis, ob dieser nun fiktiv sei oder real. Darunter leidet nicht zuletzt die Belegschaft, wie viele Quellen belegen.

Ich bin letztens zufällig auf einen Bericht über Lidl gestoßen, dass es da jetzt ein Schwarzbuch gäbe. Ich mich also auf die Suche gemacht. Einiges gefunden, mit gedacht: is auch gut für indymedia, interessiert dort vielleicht auch. ein bißchen was zusammengeschrieben. tschuldigung, aber ordnung hats keine große, aber ein paar infos sind drin. ich möchte betonen, dass es sich hier um keine erschöpfende darstellung handelt. insbesondere die kritik an der produktqualität (gen-food etc) kommt in diesem artikel leider so gut wie gar nicht vor. vielleicht findet sich ja jemand, der da mehr weiß als ich... lg

Lidl (2305 Filialen in Dtld.) ist der Zweitplatzierte unter den deutschen Discounterketten und liefert sich einen erbitterten Preiskampf. Im Oktober 1983, also vor etwa 20 Jahren, enschied Aldi (3791 Filialen, Zahlen vgl. http://www.manager-magazin.de) den ersten Platz für sich. Auch damals war es eine Rabattschlacht gewesen. Der Gesetzgeber sah sich damals " andere Zeiten " beinahe genötigt, gesetzgeberisch tätig zu werden, als die Größen der Discounter-Ketten vor den Kanzleramtschef Wolfgang Kartte zum Krisengipfel geladen wurden. Die Albrecht-Brüder, welche mit Aldi zu den reichsten Menschen der Erde wurden, traten hervor und erklärten die Rabattschlacht für beendet. Was jeder wusste, hier wurde es manifest: Aldi hatte die Schlacht am aggressivsten geführt und konnte es sich nun leisten sie für beendet zu erklären.

Einem anderen, der auch zugegen war, gefiel das Ergebnis gar nicht: Dieter Schwarz. In seinen Überlegungen hätte er noch einiges gewinnen können in der Rabattschlacht Anfang der Achtziger: Die Vorherrschaft über die Infrastruktur der Grundversorgung, weit mehr Wert als ein privatisiertes Verkehrsnetz.

Seine Chance sah Lidl in der perfekten Kopie des Originals plus "fragwürdigen Tricks" (Vgl.http://www.manager-magazin.de). Die historische Chance stellte die Wende dar und eine komplette Gesellschaft welche infrastrukturell vollkommen neu erfasst werden musste. 1990 gab es ca. 7.700 Discounter, 2003 ca. 14.000. Im Ausland hat Lidl Aldi schon überholt. Über diese Schiene wird nun der deutsche Wettbewerb quersubenvtioniert. Und was die aktuellen Zahlen angeht, so hatte Lidl Schätzungen nach 16 % Wachstum, während Aldi zwischen 5.5 % und 10 % Wachstum erzielte. Herbert Kuhn, ein Kenner der Materie, äußerte sich der SZ gegenüber so: "Es ist schwer, zwei Universen zu vergleichen. Aber dass Lidl mittlerweile stärker wächst als Aldi, ist unbestritten. Lidl ist ohnehin der Einzige, der Aldi Paroli bietet. Es ist aber nicht so, dass das eine wirkliche Bedrohung darstellt. Aldi ist in Deutschland mit 25 Milliarden Umsatz immer noch fast dreimal so groß wie Lidl mit 9,5 Milliarden" (http://www.sueddeutsche.de)

Wie derzeit eine Rabattschlacht im Discounterbereich aussieht zeigt ein Beispiel aus dem Frühjahr 2003: Aldi kündigt an künftig auch Frischfleisch anzubieten. Solche Ankündigungen verbinden sich in der Branche automatisch mit einer neuen preislichen Tiefmarke. Als erster zieht Lidl nach und senkt die Preise. Edeka senkte seine Preise fürs Hack in der Nähe von Aldi-Filialen. Alle die konnten zogen nach. Es ist ähnlich wie bei den Tankstellen nur in die andere Richtung. Eine weitere Preisschlacht vermeldete die FTD am 11. 6. (http://www.ftd.de)

Am 30. Oktober 2004 bekam die Lidl-Stiftung, welche die Zentralinstitution des Lidl-Systems darstellt, den Big Brother Award im Bereich "Arbeitswelt" verliehen. Auf Grundlage massiver Menschenrechtsverstöße gegenüber seinen Angestellten könne Lidl seine aggressive Expansionspolitik betreiben (Vgl.http://www.manager-magazin.de). Das von ver.di veröffentlichte "Schwarzbuch LIDL" (10. Dezember 2004, http://www.verdi.de) zeigt, das Lidl systematisch grundlegendes Arbeitsrecht verwehrt. Unbezahlte Überstunden sind nicht die Ausnahme sondern die Regel. Eine Halbtagsstelle kann schon mal von morgens bis abends dauern.

Beide Quellen sprechen von Nötigungen. Menschen wurden nicht nach Hause gelassen bis die Arbeit getan war. Ein Student, welcher bei Lidl eine Aushilfsstelle hatte, die Polizei. In Hannover ermittelte der Staatsanwalt gegen zwei Lidl-Bezirksleiter. " 4. März 2004, der Lidl-Markt in der Wülfelstraße 78 in Hannover-Bemerode. Die Verkäuferin Gabriele Rehse sagt, sie sei zunächst von Bezirksleiter Alexander H. aufgefordert worden, in den Pausenraum zu kommen. Dort habe bereits Bernhard B. gewartet, ebenfalls Bezirksleiter bei Lidl. 'Daraufhin sagten mir die Herren, dass ich eine Flasche Brause geklaut haben soll', so Gabriele Rehse, 'Ich habe den beiden Herren mitgeteilt, dass ich die Flasche regulär bezahlt habe.' Es gebe dazu einen Kassenbon mit der Unterschrift der Kassiererin, versichert die ehemalige Lidl-Verkäuferin. 'Aber die Herren waren der Meinung, das stimmt nicht', erinnert sie sich. Laut Gabriele Rehse behaupteten beide Männer, es gäbe Zeugen. Man werde ihr wegen Diebstahl fristlos kündigen - es sei denn, sie unterschreibe sofort eine Erklärung. Gabriele Rehse beschreibt die Situation: 'Ich hatte niemanden an meiner Seite. Ich durfte auch nicht mit meinem Mann sprechen. Und irgendwann war ich dann soweit, dass ich diesen Zettel unterschrieben habe.' Mit der Unterschrift auf dem Zettel willigte Gabriele Rehse ein, dass ihr Arbeitsvertrag aufgehoben wird." (http://www.wdr.de)

"Der Richter urteilte [am 11.10.2004] allerdings, dass es keine Nötigung war (AZ 216-239/04). Gabriele Rehse sei nicht verpflichtet gewesen, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Sie habe die Möglichkeit gehabt, den Pausenraum zu verlassen, so der Richter in seiner Begründung." (ebd.)

Das war kein schöner Herbst für den Herrn von Lidl: Dieter Schwarz. Er mag es leise und verschwiegen, auch wenn einen seine Produkte unentwegt anschreien, sie seien jetzt "Noch billiger". Dieter Schwarz ist einer der erfolgreichsten Manager der vergangenen Jahre. Von ihm existiert ein Bild (http://www.manager-magazin.de), er ist "der geheimnisvollste Unternehmer Deutschlands" (http://www.sueddeutsche.de). Sein Konzern (99%) " ein unentwirrbares Geflecht aus mehreren Hundert GmbHs (Die SZ spricht von 600, es gibt aber unterschiedliche Angaben, die allerdings alle, soweit ich das sehen kann, im dreistelligen Bereich liegen" http://www.sueddeutsche.de)  erwirtschaftet 32 Mrd. Mark. Es gibt keine Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Die FAZ nannte Lidl & Schwarz "Eines der verschwiegensten Unternehmen der Handelsbranche" (http://www.ftd.de). Er reagierte und am 14. Oktober vermeldete die "Lebensmittelzeitung" dann, dass noch Zeichen und Wunder geschähen denn die Schwarzgruppe hätte nun endlich eine PR-Agentur engagiert. Doch auch die LZ musste feststellen, dass es wohl dadurch nicht zu einem mehr an Transparenz kommen würde. Der Artikel verdient länger zitiert zu werden: 'Ohne die defensive Grundhaltung in Medienfragen aufzugeben', suche Lidl Rat in der Beurteilung des manchmal zu Unrecht negativen Medienechos und der Bewertung kommunikativer Risiken. 'Was steckt hinter einer Journalistenfrage" Wie kann man sich auf die Medienresonanz im Fall eines Produktskandals vorbereiten" Wie reagiert man im Ernstfall" Wie kommt man in der modernen Medienwelt der Unternehmensbedeutung entsprechend rüber"', seien nur einige Fragen, die den Discountzweiten beschäftigen" ("Lidl ist sein Medienecho nicht mehr Schnuppe", in: "Lebensmittelzeitung", 15. Oktober 2004, S. 45., zit. nach: http://www.engel-zimmermann.de)

Dieter Schwarz und Lidl bereiteten sich vor. Zuerst der Staatsanwalt, zum Glück gescheitert, dann Big Brother, zum Glück unbedeutend, doch auch ver.dis Schwarzbuch würden auch noch anstehen. Dazu, wer weiß: ein Produktskandal, kann bei den (Preis-)Konditionen immer mal passieren.

Engel+Zimmermann gelten dabei als konservativ. Loben eine ständige PR welche Krisen besser abfedern lässt. Engel+Zimmermann sind eine der erfolgreichsten PR-Agenturen Deutschlands und erwirtschafteten 2003 einen Honorarumsatz von 2,3 Mio Euro. Im Ranking der Zeitschrift W&V kommen sie dabei auf Platz 30 (http://www.wuv.de). Auf ihrer Homepage (http://www.engel-zimmermann.de/) sagen Sie selbst, dass Sie für mittelständische Unternehmen als "externe Pressestelle" dienten. Man bediene Kunden, welche einen Umsatz von bis zu zwei Milliarden Euro hätten. Mit dem Auftrag von Lidl&Schwarz dürfte sich dies nun faktisch geändert haben. Wie das in der PR-Branche so üblich ist, ist das größte Kapital, über welches Engel&Zimmermann verfügen informelle Kontakte: "Das Vertrauen, das Engel & Zimmermann bei Journalisten genießt, öffnet unseren Kunden den Zugang zu wichtigen Medien. Zu vielen Journalisten unterhalten wir langjährige ausgezeichnete persönliche Kontakte." (http://www.engel-zimmermann.de). Engel und Zimmermann hatten früher als Journalisten gearbeitet.
Dieses informelle Netzwerk aus Bekanntschaften zeichnet auch Public-Affairs-Agenturen aus, welche hier wohl von den PR-Agenturen inspiriert worden sind, welche einen neuartigen Zugang wirtschaftlicher Interessen zu politischen Entscheidungsträgern darstellen. Immer mehr altgediente Politiker haben in den 90ern angefangen, solche Agenturen zu gründen, bzw. ihnen beratend zur Seite zu stehen. (http://www.zeit.de) Nur mal so als Exkurs)

Das Wirken von Engel&Zimmermann ist schwer festzuhalten, da Lidl die "defensive Grundhaltung in Medienfragen" (s.o.) ja nicht aufgeben werde. Engel&Zimmermann wirken beratend, was auch immer das heißen mag.

Offensichtlich ist allerdings, dass Lidl sich auf eine verstärkte Medienpräsenz einrichtet, die nicht von ihnen gesteuert wird, denn man selbst hat ja eine "defensive Grundhaltung". Die Befürchtungen fanden ihre Nahrung in den Vorbereitungen zum "Schwarzbuch", welche Lidl mit Sicherheit mitbekommen hat. Das ganze fällt auf einen Boden, in welchem viele kleine Gruppen Lidl immer stärker in den Fokus nehmen und sich in direkten Aktionen gegen Lidl wenden. "Gemeinsam einkaufen in Henningsdorf" Seite scheint nicht mehr zu existieren) fand am 11.12.2004 statt, am 10.12.2004 kam es zu einem Farbbeutelanschlag. In Bernau besuchten am 17. April 2004 einige Demonstranten Lidl um gegen Gentech zu protestieren (was eine weitere Schiene aufmacht, durch die Lidl unter Beschuss steht. Vor allem Gruppierungen um die Anti-Hartz IV/Agenda2010-Bewegung haben sich auf Lidl eingeschossen.

Doch nicht nur zivilgesellschaftlicher Widerstand lässt den Riesen sich bewegen. Lidl steht auch von wirtschaftlicher Seite her unter Beschuss. Während jeder seine Bilanzen offenlegt, weigerte Lidl sich strikt. Als das Gesetz verschärft wurde zergliederte sich Lidl entsprechend um nicht unter die Offenlegungspflicht zu fallen. Aldi hatte sich der Verschärfung gebeugt. Zwei Dinge bewogen Lidl sich zu weigern. Mit der Offenlegung würde offenkundig, dass Lidl Betriebsräte installieren muss. Deshalb ist ver.di so hinter der Offenlegung her und versuchte diese vor Gericht zu erlangen (http://www.ftd.de). Doch auch Aldi und die Konkurrenz auf dem Discountermarkt ist sehr an einer Offenlegung interessiert. Wie kalkuliert Lidl auf dem Markt der nur äußerst wenig Margen zulässt" Wie bekommen die nur so kleine Preise hin" Vielleicht auf illegalem Wege" Und die Zulieferer sind auch daran interessiert zu erfahren, was Lidl eigentlich macht, denn das würde ihre Verhandlungsposition stärken, denn dort verhält es sich nach einem Bericht des manager-magazins derzeit wie folgt:"Während die streng katholischen Aldi-Brüder nur bei Qualitätsmängeln unangenehm werden, ansonsten aber fair mit ihren Handelspartnern umgehen, üben die Lidl-Einkäufer enormen Druck aus. Preissenkungen versuchen sie grundsätzlich den Lieferanten aufzubürden. Wer nicht mitmacht, wird ausgelistet." (http://www.manager-magazin.de) Diese gewaltige Interessenkonglomerat, welches mehr Transparenz und Offenheit fordert, natürlich immer bereitwillig durch die Medien unterstützt, deren Interesse es ja auch ist, endlich mal etwas zu sehen, veranlasste Lidl schließlich " und hier würde ich vermuten, dass hängt ebenfalls mit der neuen Außenpolitik seit Engel&Zimmermann zusammen " erstmals die Zahlen zum Erlös preiszugeben (6.12.2004, http://www.ftd.de). "Eine erstaunliche Entwicklung. Denn bislang hat die Lidl & Schwarz-Gruppe über Geschäftszahlen beharrlich geschwiegen. Und nicht nur über die. Wer sich bei der Pressestelle in Neckarsulm nach dem Management erkundigte, erhielt keine Antwort. Selbst die Namen der Geschäftsführer wurden als Firmengeheimnis behandelt.", schreib die FAZ dazu (http://www.faz.net). Die FAZ weiter: "Jetzt sieht Geschäftsführer Klaus Gehrig den Konzern als Opfer einer 'Diffamierungskampagne':'"Auch nach Vorlage des Verdi-Buches können wir nicht erkennen, daß Lidl seine Mitarbeiter systematisch schlecht behandelt hat', sagt Gehrig öffentlich. Imageanzeigen und öffentliche Statements der Geschäftsführung - die Branche ist verblüfft von Lidls neuer Transparenz. 'Es ist der Versuch der Schadensbegrenzung', sagt Fred Otto, Einzelhandelsexperte bei AC Nielsen." (ebd.)

Lidl wehrt sich. Auf der einen Seite öffnet er sich dem Interessenskonglomerat, welcher um Einsichtnahme bittet, derer wie Lidl&Schwarz ja selbst zugeben man sich ab einer bestimmten Größe nicht mehr verwehren könne. Auf der anderen Seite wehrt man den Versuch von sozialen Gruppen mit der "Einzelfall"-These ab, welche das Schwarzbuch aber als falsche Thesen wiederlegt. Lidl versprach diese Einzelfälle abzustellen. Durchaus ist es denkbar, das Lidl, bei erhöhtem Druck und einer erhöhten Aufmerksamkeit, tatsächlich die Arbeitsbedingungen verbessert, ohne jemals öffentlich zu erklären, es stecke ein System dahinter. Die Frage ist allerdings die nach der Marge in Zeiten enger Margen. Wie weit kann Lidl im Konkurrenzkampf Arbeitsbedingungen verbessern.

Lidl schafft es derzeit, mit Hilfe z. T. illegaler Arbeitsbedingungen ein Mehr zu erwirtschaften, welches im Konkurrenzkampf als Vorteil eingesetzt werden kann. Lidl erwirtschaftet auch im Ausland ein Mehr (nebenbei, u.a. auch unter noch krasseren Umständen), was Lidl im Konkurrenzkampf zum Vorteil gedient. Fakt ist aber, dass im Discounterbereich jedes Mehr gebraucht wird. Öffentlicher Druck könnte diese Logik stoppen. In diesem Sinne.

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien bei Indymedia am 22.12.2004 und wurde von dort gespiegelt:
http://www.germany.indymedia.org/2004/12/102212.shtml