Linker oder bürgerlicher Antifaschismus

von Max Brym
01/05

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Im Jahr 2005 steht der sechzigste Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus bevor. Das „offizielle Deutschland“ wird den Tag auf seine Weise begehen. Der 8. Mai wird den bürgerlichen Demokraten erneut die Gelegenheit liefern unter Beweis zu stellen, dass der Rassenhaß und der Antisemitismus ihnen als großes Alibi dient. Die etablierten Kräfte werden sich ins Zeug legen um ihre prokapitalistische Politik mit philosemitischen Phrasen zu bemänteln. All das „Ungemach“ soll aus der deutschen Geschichte getilgt werden, es wird die Behauptung zu hören sein: „Wir haben aus der Geschichte gelernt“ und „die Lehre aus Auschwitz soll sein, ungehindert deutsches Militär weltweit einzusetzen.“ Gleichzeitig wird der braune Mob aus „Freien Kameradschaften“ und NPD versuchen ihre Version der Geschichte durchzudrücken. Gestärkt und gefördert werden die braunen Banden durch die Politik der bürgerlichen Mitte. Bürgerliche Politiker banalisieren und verharmlosen die Verbrechen des Hitlerfaschismus durch ihre „antitotalitären Diskurse“, durch eine Gedenkstättenkultur, welche die Verbrechen des Hitlerfaschismus mit der DDR in Verbindung bringt. Die Gleichsetzung Links ist gleich Rechts ist perfide, sie wirft Opfer und Täter in einen Topf. Wenn es nach dem bundesdeutschen Establishment geht, soll mit dem sechzigsten Jahrestag der alte bürgerliche Antifaschismus seine Pflicht und Schuldigkeit getan haben. Bereits jetzt wird in Presse, Buch und Film der „deutsche Michel“ zum wahren Opfer des zweiten Weltkrieges hochstilisiert. Bücher wie „Der Brand“ „Im Krebsgang“ oder das Buch „Die Kraft des Neubeginns“ von Hans Olaf Henkel (ehem. BDI-Chef), dienen diesem neuen Opferkult oder stellen sich wie im Buch des Industriellen Henkel geschehen das Ziel, die Geschichte komplett neu zu interpretieren. Allerdings wird das Produkt der konterrevolutionären Verzweiflung, der Nazismus, das Establishment nicht in Ruhe herumfuhrwerken lassen. Antifaschistische Mobilisierungen gegen die Nazis werden auch im Jahr 2005 notwendig sein. Bei all diesen Aktivitäten wird sich die Frage stellen, wie mit dem dort in seiner alten Maskerade auftretenden bürgerlichem Antifaschismus umgegangen werden muß. Hierzu einige grundsätzliche Gedanken.

Es gibt keinen nachhaltigen Antifaschismus ohne Antikapitalismus.

Die bürgerlichen und reformistischen Ideologen weigern sich, den historischen und aktuellen Faschismus mit den Erschütterungen und den Krisen des kapitalistischen Systems in Verbindung zu bringen. Sie versuchen, die Shoah und die Toten des zweiten Weltkrieges durch das Böse im Menschen zu erklären. Auch die aktuellen Verbrechen der Nazis erklären sie mit deren Geisteszustand. Dagegen helfen sollen Bildungsprogramme und Resozialisierungsmaßnahmen. Im Grunde behaupten seltsame Antifaschisten und Faschisten dasselbe: Die Gedanken, die Ideen, der Wille der Menschen und Gruppen bestimmen den Verlauf der historischen Entwicklung. All diese Ideologen verteidigen objektiv den Kapitalismus, indem sie alles auf den Kopf oder „die absolute Idee“ ( Hegel) reduzieren. In Wahrheit bestimmen jedoch die gesellschaftlichen Verhältnisse das Bewußtsein der Menschen. Wer den Kapitalismus aus der Verantwortung für das Handeln der Menschen nimmt und sich dem Kampf gegen „Ideenwelten“ verschrieben hat, hat nichts verstanden und kann nur negatives erreichen. In der Realität spiegelt faschistische Ideologie und Praxis nur die Raubtiermentalität des Kapitalismus wieder. Das wirtschaftliche Gesetz, wonach im Rahmen der normalen kapitalistischen Konkurrenz der Stärkere den Schwächeren frißt, wird von dem kleinbürgerlichen faschistischen Mob radikalisiert und verabsolutiert. Die Leiden der Menschheit führt der Faschist genauso wie unser seltsamer Antifaschist auf das Wirken von personifizierten Bösewichten zurück. Die Wissenschaft erklärt jedoch schlüssig, dass Elend, Unterdrückung, Krieg und die Zerstörung von menschlichem Leben zum „normalen"“ Prozeß des Kapitalismus gehören. Diese Frage gilt es jetzt zu vertiefen.

Die Realität

Der junge Marx warf im Jahr 1844 der bürgerlichen Ökonomie vor, die Habgier als dem Menschen angeboren zu betrachten, anstatt sie zu erklären und er zeigte, warum die Habgierigen habgierig sind. Marx schrieb: „Die Nachfrage nach Menschen regelt notwendig die Produktion der Menschen wie jeder anderen Ware. Ist die Zufuhr viel größer als die Nachfrage, so sinkt ein Teil der Arbeiter in den Bettelstand oder den Hungertod herab.“ Friedrich Engels schreibt: „Die Bevölkerung ist nur da zu groß, wo die Produktionskraft überhaupt zu groß ist“ und weiter „die Überbevölkerung hat uns gezeigt, wie in letzter Instanz das Privateigentum den Menschen zu einer Ware gemacht hat, deren Erzeugung und Vernichtung auch nur von der Nachfrage abhängt, wie das System der Konkurrenz dadurch Millionen von Menschen geschlachtet hat und täglich schlachtet.“ Gegenwärtig sinkt ein Teil der Arbeiter durch die fehlende Nachfrage in den Bettelstand hinab. Die bürgerliche Regierung hat die Meisten dieser Menschen als „industrielle Reservearmee“ abgeschrieben und schreibt mit Hartz IV Elend verbunden mit Zwangsarbeit (1- Euro Jobs) fest. Der organisierte Nazismus, das verwirrte kleinbürgerliche Gemüt reagiert neuerlich auf „altdeutsche Art“ auf das für sie undurchschaubare Krisenszenario. Der Faschismus benützt den extremen Sozialkahlschlag um sich mittels sozialer Demagogie aufzubauen. Die Vorlage dazu liefert die bürgerliche Mitte sowie die „undurchschaute“ kapitalistische Realität. Der Sündenbock ist für die von Abstiegsängsten oder Großmannssucht geprägten Kleinbürger und Lumpenproletarier der „Nichtarier“ im allgemeinen und der Jude im besonderen. Die Mystik und der kalte Egoismus der Rechtsradikalen baut auf die herrschende Ideologie und die Praktiken des bürgerlichen Staates. In jeder Talkshow wird der Arbeitslose, der Kranke, der Rentner nur noch als Kostenfaktor, aber nicht mehr als Mensch abgehandelt. Die Kosten müssen selbstverständlich reduziert werden. Eine solche Debatte führt logischerweise zu Euthanasiegedanken. Ausgangspunkt für solche Gedanken ist das Streben des Kapitals nach maximaler Verwertung. Wenn Menschen diesem Zweck nach Maximalprofit nicht mehr entsprechen, liegt die Idee der „Sonderbehandlung“ nahe. Die brutale Ökonomie des Kapitalismus, dem vorläufig ein starker Gegner abhanden gekommen ist, führt zur Bastardisierung des Denkens. Der Nazi ist der Superbastard, der sich abmüht die Barbarei des Kapitalismus auf die Spitze zu treiben. Diese Rolle will ihm die Bourgeoisie vorläufig nicht zugestehen, aber sie füttert das braune Raubtier hinlänglich. Der rassistische Diskurs „wie viele Ausländer braucht das Land ?“. Ein neues Zuwanderungsgesetz unter dem Motto-„Nur noch Spezialisten und Leute mit Knete“, ächtet den Asylbewerber und den einfachen Emigranten. Der nazistische Agitator knüpft hier an und sieht sich mit der „Mitte der Gesellschaft“ im Einklang. Selbstverständlich steht er auch in „Opposition“, denn der Faschist hat was gegen den „ausländischen“ Spezialisten. Der Rassismus ist keine Geistesverwirrung, er ist die kleinbürgerliche Reaktion auf den Druck des Großkapitals und die Ideelle Widerspiegelung der Bevölkerungspolitik der herrschenden Klasse. Die als unbegreifliches Phänomen wahrgenommene kapitalistische Krise macht bestimmte Menschen zu braunen Bastarden auf der Basis der kapitalistischen Ökonomie. Der Kapitalismus kennt keine Vernunft, er erzeugt arbeitslose Menschen, Hunger und Not, er führt zur moralischen Degeneration, indem er die Gesetze des Produktionsprozesses in die menschliche Gedankenwelt einführt. Dieses „jeder ist sich selbst der Nächste“ oder „nach unten treten und nach oben buckeln“ spiegeln die verabsolutierte Konkurrenz und die kapitalistische Fabrikdisziplin wieder. Der Faschist ist demzufolge in all seiner Widersprüchlichkeit nichts anderes als ein bestimmtes Abziehbild des Kapitalismus. Max Horkheimer hatte Recht indem er feststellte: „Wer über den Faschismus spricht und nicht über den Kapitalismus, der sollte besser Schweigen“.



Quellen: Karl Marx- Ökonomisch -philosophische Manuskripte
Engels: Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie
 

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 01.01.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.