Vor 25 Jahren:Rechte Baumschützer & gescheiterte Bewegungslinke gründen grüne Partei

Berichte, Dokumente & Statements aus der Roten Fahne vom 24.1.1980
01/05

trend

onlinezeitung

Zur Gründung der Grünen Partei (Rote Fahne S. 1 und 5)

Am 12./13. Januar versammelten sich in Karlsruhe 1004 Delegierte der Kreis und Landesverbände der 'SPV-Die Grünen' und etwa 259 Delegierte der alternativen und bunten Listen, um über die Gründung der Bundespartei 'Die Grünen' zu beraten und beschließen. Allerdings war von Anfang an absehbar, wie auch zuvor befürchtet, daß es keine Gleichberechtigung geben würde zwischen den grünen und den alternativ/bunten Delegierten. Der Versammlungsraum war schon für die grünen Delegierten eher zu klein, sodaß eine ganze Reihe von Delegierten nicht mehr an den Tischen sitzen konnte, sondern In Stuhlreihen im hintersten Teil des Raums Platz suchen mußte. Auf der Tribüne waren die Plätze für die Presse reserviert, und für die bunt/alternativen Delegierten stand nur ein extra Raum mit VideoÜbertragung zur Verfügung.

Gleichberechtigtes Rede und Stimmrecht für die Vertreter der Bunten und Alternativen Listen wurde abgelehnt

Gleich bei den ersten Abstimmungen zeigten sich die Mehrheitsverhältnisse. Ziemlich zu Beginn des Kongresses beantragte Dirk Schneider für die A L Westberlin das Rede und Stimmrecht für die Delegierten der alternativen und bunten Listen. Vonseiten der Grünen gab es jedoch in dieser Frage keinerlei Kompromisse, sondern eine geschlossene Abwehrfront von Haußleiter. Heidt über Hasenclever bis Gruhl und Springmann. Vor der Abstimmung erhielten mit knapper Mehrheit Vertreter der alternativen Listen das Wort zur Begründung ihrer Forderung auf gleichberechtigte Teilnahme. Es sprachen A.Schubart für die Grüne Liste Hessen, M. Wende für die AL Westberlin, H.Venske für die Bunte Liste Hamburg. A.Schubart pläduierte für eine gleichberechtigte Neugründung der Grünen Partei und gegen die Überführung der 'SPV in die Grüne Partei. H.Venske verwies auf seine Erfahrungen mit Berufsverboten, Mikrophonverboten und politischer Unterdrückung und dem Versuch ihrer Rechtfertigung durch Antikommunismus und verlangte, daß eine wirklich alternative Partei sich in diesen Fragen grundlegend von den bürgerlichen Parteien unterscheiden müsse. An dem Abstimmungsverhalten änderte sich durch diese Worte leider nicht viel. Gut ein Drittel der Delegierten (im wesentlichen linke Kräfte) votierte für die gleichberechtigte Teilnahme, über die Hälfte der Delegierten (knapp über 500 Stimmen) stimmten dagegen. Ausgerechnet Gruhl kommentierte, es hätten ja alle die Gelegenheit gehabt, in die Grünen einzutreten. Dazu ist einerseits zu sagen, daß dies nicht stimmt, da z.B. die Bremer Grünen es ablehnten, Mitglieder der AL Bremen aufzunehmen, und die Landesverbände Baden Württemberg und Bayern bereits vor dem Gründungskongreß Unvereinbarkeitsbeschlüsse praktizierten; andererseits  und das ist eigentlich gravierender: was wäre gewesen, wenn die Linken den Karlsruher Kongreß majorisiert hätten? Mit großer Sicherheit wäre dann eben die linke Mehrheit als Anlaß zur Spaltung genommen worden, Die tatsächlichen Differenzen lagen natürlich woanders. Auszusprechen wagte sie allerdings nur eine kleine Anzahl von Delegierten, allen voran Olaf Dinne aus Bremen (s.u.).

Nach der Ablehnung der Teilnahme der alternativ/bunten Delegierten setzte die AL Westberlin eine kurze Beratungspause durch, in der die schon seit längerer Zeit vorhandenen unterschiedlichen Vorstellungen über die Art des Vorgehens unter den linken Kräften sofort wieder aufbrachen. Insbesondere der KB (Mehrheitsfraktion) wollte einen strikten Konfrontationskurs durchsetzen; so bestand er auch diesmal darauf, wie schon in Frankfurt auf dem 'Beratungskongreß', daß die linken grünen Delegierten aus dem Kongreß ausziehen sollten, war jedoch dann zunächst bereit, den Verlauf der Diskussion um die Doppelmitgliedschaft abzuwarten.

Zur Beratung der Satzungspräambel

Der zweite Antrag der AL Westberlin, zunächst die Beratung des Programm» durchzuführen und dann erst die Beratung der Satzung, wurde ebenfalls abgelehnt. In der schriftlich vorgelegten Begründung der AL hatte es richtig geheißen :"Bis zum heutigen Tag gibt es fast keine Diskussion der verschiedenen Strömungen miteinander. (...)Umso mehr müssen wir uns um Gemeinsamkeit und Kennenlernen bemühen. Noch stehen so wichtige Strömungen der Opposition wie die AntiAKWBewegung, die Gewerkschaftsbewegung, demokratische Personen abseits. Andererseits gibt es bereits Versuche, vor der Programmdiskussion inhaltliche Ausschlußpunkte für Mitglieder zu formulieren, ohne daß sich die so Angegriffenen, (...) in der gleichen Weise wehren können. Dies kann nur durch eine öffentliche Programmdiskussion gemacht werden. (...) Wenn man inhaltliche Fragen der Satzungsdiskussion als erstes anheim gibt. werden sie bürokratisch geregelt. Daran kann niemand ein Interesse haben." Aber leider hatten doch sehr viele Delegierte ein Interesse daran. Der gesamte Gründungskongress diskutierte über zwei Tage ausschließlich über die Satzung, ausschlaggebend  dafür war, daß in dieser Frage die verschiedensten Interessen zusammenfielen. Der rechtsgrüne Teil der Delegierten wollte unter allen Umständen die Partei gründen und zwar mit einem klaren Beschluß über die Abgrenzung von organisierten Kommunisten. Er erhoffte damit zugleich, daß bei einem zweiten Programmkongreß der linke Teil der Delegierten erheblich geschwächt wäre und so kaum noch Einfluß nehmen könnte auf die Verabschiedung des Programms. E» ist ja bekannt, daß dieser Teil der Grünen bereits den vorliegenden Entwurf der Programmkommission als viel zu links empfindet. Ein sehr großer Teil der Delegierten lehnte die vorrangige Programmdiskussion aber auch deshalb ab, weil der Entwurf erst sehr spät veröffentlicht wurde und kaum Zeit gewesen war, ihn in den unteren Einheiten gründlich zu beraten. Gegen diese Vorbehalte konnte es letztlich kein überzeugendes Argument geben. Tatsächlich war es dann aber so, daß Programmfragen im Gewande der Satzungsdiskussion abgehandelt und entschieden wurden. Ausgesprochen überraschend fand sich in der ersten Abstimmung eine Mehrheit dafür, als Leitantrag für die Präambel keine von beiden Vorschlägen der Satzungskommission zu nehmen (weder die linke noch die der Mehrheit), sondern eine neu eingereichte Variante, die sich dadurch auszeichnete, daß sie durch inhaltliche Festlegungen von Anfang an sozialistische und kommunistische, aber auch radikaldemokratische Kräfte ausschloß. Dieser Präambelvorschlag entsprach inhaltlich in etwa den Vorstellungen der Vertreter des "Achberger Kreises" (W.Heidtz. B.), der 'sozialliberalen Mitte '(G.Otto, GLU Niedersachsen) und den Vorstellungen von Springmann. In diesem Vorschlag hieß es unter anderem:

"7. Nur durch die Bereitschaft für eine Evolution in diesem Sinne können Revolutionen, Kriege und Zerstörungen in Zukunft verhindert werden. Die Grüne Alternative ist der umfassende Ausdruck dieser Bereitschaft. Sie steht jenseits aller traditionellen Ideologien. Indem sie für den Schutz des Lebens und die Freiheit des Menschen kämpft. sind ihre Bemühungen ausschließlich auf das Wohl des sozialen Ganzen gerichtet."oder "3. Das Ziel der Grünen Alternative ist die Überwindung der totalitären Wachstumszwangssysteme westlicher und östlicher Prägung. "(Der Sinn der letzteren Aussage bestand nicht darin, den 'realen Sozialismus' zu kritisieren.)

Daß diese Präambelvariante am Anhieb die Mehrheit im Saal fand. kann wohl nur darauf zurückgeführt werden, daß, wie man hört. über Weihnachten ein Treffen zwischen den Vertretern des 'Dritten Wegs* und Springmann stattgefunden hat. Seit dieser Zeit gibt es die verschiedensten Vorstöße von diesen Kräften, den Ausschluß von Kommunisten, Sozialisten und Radikaldemokraten über inhaltliche Festlegungen zu erreichen (vgl. RF Nr. 1/80). In diesen Überlegungen wird sowohl jede Form von Klassenkampf abgelehnt ('von oben* = kapitalistisch, 'von unten' = kommunistisch) wie jede Vorstellung von einer gewaltsamen Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsverhälthisse zugunsten einer harmonischen, 'ganzheitlichen', 'organischen' Veränderung. Vollziehen soll sich diese Veränderung z.B. nach G.Otto durch die Abschaffung des Monopoleigentums an Kapital und Boden zugunsten des kleinen Privateigentums, ein Prozeß, der durch eine andere Wirtschafts und Finanzpolitik des Staates durchgesetzt werden soll. Solche Vorstellungen sind nicht ganz so neu, wie ihre heutigen Vertreter vielleicht denken. Solche rückschrittlich utopischen Ideen hat es gegeben, seit es den Kapitalismus gibt mit seinen menschenfeindlichen Auswirkungen. Allerdings brauchen die Marxisten sich heute auch nicht zu wundern, daß nach der Erfahrung mit dem menschenfeindlichen System des 'realen Sozialismus' diese Ideen wieder an Einfluß gewinnen. Denn scheinbar hat sich ja bewiesen, daß 'weder Kapitalismus noch Kommunismus' in der Lage sind ein menschenwürdiges Leben zu schaffen; jedenfalls ist der sogenannte reale Sozialismus dem Kapitalismus in keiner Hinsicht vorzuziehen. Letztlich wird hier theoretischer Streit allein nicht überzeugen (obwohl er sehr wichtig ist und endlich begonnen werden muß), sondern nur die Aktionen einer neu sich entfaltenden revolutionären ' deutschen Arbeiterbewegung.

In der Diskussion über diese Präambel versuchten die linken Kräfte Satz für Satz Festlegungen wieder herauszustimmen, die eine explizite Ablehnung von Revolution, Kommunismus und Klassenkampf beinhalteten. Das war ein mühsames Geschäft aber zumindest in einzelnen Fragen erfolgreich. So wurden mit 10 Stimmen Mehrheit (443 zu 433 Stimmen) ein Antrag von Reents verabschiedet, een Absatz 3 über die 'totalitären Wachstumszwangssysteme' durch die folgende Formulierung ersetze: "Das Ziel der grünen Alternative ist die Überwindung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen kurzfristiges Wachstumsdenken, das nur Teilen der Bevölkerung zugute kommt, Vorrang hat vor den ökologischen, sozialen und demokratischen Lebensbedürfnissen der Menschheit." Der ebenfalls gestellte Antrag von G.Otto, "weder faschistische noch kapitalistische noch kommunistische Systeme" anzustreben, wurde abgelehnt. Im 7.Punkt der Präambel wurde der Begriff Revolution gestrichen und damit die Aussage, daß man Revolutionen verhindern müsse genau wie Krieg und Zerstörung. Andererseits gelang es Heidt aus BadenWürttemberg  nach zweimaligem Anlauf  durchzusetzen, daß "die Arbeit der Grünen sich im Rahmen des Grundgesetzes" volzieht.

Da nützte auch der Protest des Genossen Kunzelmann nichts, der darauf hinwies, wieviel Unrecht im Namen der 'Verfassungsmäßigkeit' begangen wurde und wird. Dagegen wurde der Antrag, auch das Widerstands und Notwehrrecht in die Präambel aufzunehmen, abgelehnt. Dies ironischerweise u.a. mit dem Argument, man solle die Präambel der Satzung nicht mit inhaltlichen Festlegungen überfrachten.

Zur Debatte der Doppelmitgliedschaft

Bei dem Streit über das Verbot oder NichtVerbot der Doppelmitgliedschaft geht es von Anfang an um die Frage des Verhältnisses von der Grünen Partei zu Kommunisten. Bei den Grünen gibt es einen großen Teil von Leuten, die aus den verschiedensten Gründen am liebsten nichts mit Kommunisten zu tun haben möchten. Sei es aus konservativer Grundüberzeugung und der strikten Ablehnung von Klassenkampf und Revolution, sei es aus in erster Linie wahltaktischen Überlegungen, sei es aus der fälschlichen Identifikation des Marxismus und Kommunismus mit dem herrschenden System in der Sowjetunion und in der DDR. Solange über diese Fragen inhaltlich offen und ehrlich diskutiert wird, ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden, weil dann jeder weiß, mit wem er es zu tun hat und ob sich die gegenseitigen Auffassungen tatsächlich ausschließen. Wenn dies der Fall ist, dann geht man sicher besser getrennte Wege und über kurz oder lang wird »ich zeigen, wer Recht hat. Nur müssen diese Auffassungen offen vertreten werden, damit auch die verschiedenen fortschrittlichen Bewegungen wissen, mit wem sie es zu tun haben.

  • Wo steht die grüne Partei bei einem Streik der Arbeiter für die Einführung der 35StundenWoche bei vollem Lohnausgleich?
  • Auf wessen Seite steht sie, wenn die Anti-AKW-Bewegung einen Bauplatz besetzt und auch vor anrückender Polizei und Bundesgrenzschutz nicht zurückweicht?
  • Was tut sie dagegen, wenn solche Aktionen in der Presse und den Medien diffamiert werden?
  • Wird sie den Kampf gegen politische Unterdrückung, Gesinnungschnüffelei und staatlichen Terror für demokratische Rechte und Freiheiten bedingungslos unterstützen oder nicht?

Das sind die Fragen, die der Grünen Partei von allen fortschrittlichen Bewegungen gestellt werden. Und diese Fragen hängen in unserem Land seit eh und je sehr eng mit der Frage de» Verhältnisses zu Kommunisten zusammen. Denn die fortschrittlichen Kräfte bei uns haben sich die Einsicht hart erkämpft, daß unter dem Mantel des Kampfes gegen Kommunisten immer auch ihre Bewegungsfreiheit hart eingeschränkt worden ist und daß das antikommunistische Vorurteil in der Regel gegen jeden gewendet wird, der in radikale Opposition zu dem bestehenden System gerät. Im Grunde geht es ja jetzt den Grünen nicht anders. Sie werden unter Druck gesetzt von den bürgerlichen Parteien. Die Gefahr der kommunistischen Unterwanderung wird laufend an die Wand gemalt. Wenn die Grünen sich dadurch einschüchtern lassen und eilfertig ihre saubere Weste nachzuweisen versuchen, so haben sie sich bereits dem in der BRD üblichen Spiel angepaßt. Das registrieren alle fortschrittlichen Kräfte, und sie tragen sich, wo dieses Zurückweichen endet.

Über all diese Fragen wurde auf dem Gründungskongreß kaum diskutiert. Hier erschien der Streit als äußerst formal. Haußleiter versuchte, ihn auf der Ebene abzuhandeln, jede Partei sei ein Wahlapparat und deshalb eine konkurrierende Partei für die Grünen. Insofern sei das Verbot der Doppelmitgliedschaft nur logisch und habe gar nichts mit Unvereinbarkeitsbeschlüssen zu tun. Dagegen sprach Olaf Dinne so deutlich wie nur irgendmöglich: die Grünen seien erfolgsorientiert, sie wollten auf jeden Fall ins Parlament und da könne es nur schaden, wenn man Kommunisten in den. eigenen Reihen habe und sich sagen lassen müsse, man sei kommunistisch gesteuert. Zu Ehren sehr vieler grüner Delegierter muß man sagen, daß diese Ausführungen auf große Empörung gestoßen sind. Mehrere bezeichneten diese Rede von Dinne als unwürdig und als einen Skandal für eine Partei, die alternativ sein will. Aber es gab natürlich auch andere Stimmen, so erklärte ein Delegierte aus Bayern einer Genossin im Grundton der Überzeugung, die Tatsache, daß man Bahro erlaubt habe, auf dem Kongreß zu reden, koste unter Garantie mindestens 1 Mio Stimmen.

Die Stimmung während dieser Debatte war jedenfalls von allen Seiten äußerst gespannt. Zu Beginn der Debatte hatte Bahro öffentlich seinen Beitritt zu den Grünen erklärt und gleichzeitig dazu aufgerufen, die Zusammenarbeit verschiedener Strömungen nicht mit Ausgrenzungen zu beginnen, wenn er auch zugebe, daß er es lieber sähe, wenn sich die "zentralistischen kommunistischen Organisationen' auflosen würden. Damit hatte er sich zugunsten der Linken in den Grünen geäußert und den organisierten Kommunisten zugleich einen Dämpfer versetzt, was^ zumindest bei mir aufkommende Zustimmung in Grenzen hielt.

Die zum Teil sehr überzeugend vorgetragenen Argumente gegen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse, u.a. von Claus Offe (SB und grüner Delegierter aus Bielefeld) konnten aber keinen Stimmungsumschwung unter den Delegierten erreichen. Mit 548 zu 414 Stimmen wurde das Verbot der Doppelmitgliedschaft in einer anderen Partei beschlossen. In der Schlußabstimmung hatte dabei auf der Seite der Gegner des Verbots der Doppelmitgliedschaft bereits ein Kompromißantrag die Mehrheit gefunden (Autonomie der Landesverbände in dieser Frage), der besonders von den NRW-Delegierten befürwortet worden war, der jedoch nur für die Landesverbände NRW, Hamburg, Westberlin und Hessen überhaupt von Bedeutung sein konnte, weil es in den übrigen Landesverbänden ja bereits das Verbot der Doppelmitgliedschatt gibt. Daß der Genosse Carstensen, Mitglied unserer Partei (als einziger Vertreter einer kommunistischen Organisation auf der Rednerliste), sich sofort und hauptsächlich für den Kompromiß einsetzte halten wir für falsch und haben wir in einer Nachbesprechung kritisiert. Uwe Carstensen selbst sieht inzwischen auch, daß es seine Aufgabe gewesen wäre, nicht nur für unsere Partei, sondern auch für die anwesenden linken Kräfte in Karlsruhe insgesamt, offensiv dem massiven Antikommunismus einiger Delegierter  vor allem von Dinne  entgegenzutreten und selbstkritische Reflexionen nicht zum Hauptthema seiner knappen Redezeit zu machen.

Nach dem Verlauf der Diskussion über das Verbot der Doppelmitgliedschaft und der Abstimmungsniederlage war die Stimmung der linken Delegierten ziemlich auf dem Nullpunkt angelangt. Der erste Kongreßtag war zu Ende. Die Mitglieder unserer Partei, die als grüne Delegierte an dem Kongreß teilnahmen, verfaßten eine Erklärung, die sie am nächsten Morgen vortragen wollten, als ihnen das verwehrt wurde, haben sie die Erklärung gedruckt und verteilt.

Der 'Kompromiß' am 2. Kongreßtag

Am Sonntagfrüh gab es eine kurze Beratung zwischen den linken grünen und den autonomen bunt/alternativen Delegierten. Erneut ging es um die Frage, ob die grünen Delegierten der Linken nun den Gründungskongreß verlasen sollten oder nicht. Die KB-Mehrheitsfraktion und der Genosse Schuban von der GLH bestanden darauf, daß unter den Bedingungen des Verbots der Doppelmitgliedschaft die linken Delegierten nicht mehr bleiben könnten, weil ein weiteres Verbleiben auf dem Kongreß gleichbedeutend sei mit dem Verrat eines bunt/alternativen und linken Selbstverständnisses. Trotz der Enttäuschung über den Verlauf des ersten Tages teilten die linken grünen Delegierten (auch wir) diese Einschätzung nicht, sondern wollten weiter den Verlauf des Kongresses beeinflussen und eine Einschätzung des Ergebnisses erst nach Beendigung des Kongresses vornehmen.

Am Sonntag wurden in der weiteren Satzungsberatung noch einige basisdemokratische Beschlüsse gefaßt: so wurde beschIossen, dass Mandate im Bundes oder in Landesparlamenten unvereinbar seien mit Posten im Bundesvorstand der Partei. Für Gruhl (als Mitglied des Bundestags) wurde jedoch später noch eine Ausnahmeregelung beschlossen, sodaß eine Ubergangsregelung bis zum 1.1.81 möglich ist. Der Bundesvorstand soll nach einem rotierenden System besetzt werden, nach einem Jahr soll jeweils die Hälfte der Mitglieder (von 17) neu besetzt werden, insgesamt kann jeder nur einmal wiedergewählt werden. In allen Gremien sollen nach Empfehlung paritätisch Frauen vertreten sein. Die Satzungsdebatte verlief an diesem Tag eher unkonzentriert, da seit dem Morgen die linken Delegierten immer wieder über die weiteren Möglichkeiten berieten und verhandelten, eine Revidierung des Beschlusses vom Vortage zu erreichen. Es war ihnen inzwischen klar geworden, daß sie mit ihrem über 1/3 Stimmenanteil (ca 40%) bei der Abstimmung über die Überführung der 'SPVDie Grünen' in die Bundespartei 'Die Grünen' über eine Sperrminorität verfügten. Schließlich faßten sie den Beschluss vom Vortag dadurch Ausdruck zu geben, daß sie erklärten, unter diesen Bedingungen seien sie nicht bereit, der Überführung zuzustimmen (siehe nebenstehend abgedruckte Erklärung). Als diese Erklärung bekannt wurde, setzte einige Hektik und Gerangel hinter den Kulissen ein. Nachdem sich zeigte, daß der Block der linken Delegierten als Machtfaktor ernstzunehmen war, gab es die ersten Einlenkungsversuche. Den linken Delegierten kam es darauf an, die Debatte über den Paragraphen 2 wieder aufzunehmen und doch noch einen Kompromiß zu erzielen. Im Gespräch war die Formulierung des Verbots der Doppelmitgliedschaft in 'einer zur Wahl konkurrierenden Partei', eine Formulierung, die auch Bahro als möglichen Kompromiß erwähnt hatte. Dieses gelang nicht, sondern es wurde nur erreicht, daß im Zusammenhang mit dem Paragraphen 18 der Satzung über eine 'Übergangsregelung' verhandelt wurde, die in der Autonomie der Landesverbände liegen sollte. F.in Antrag, die Debatte über den Paragraphen 2 wieder aufzunehmen, wurde mit Mehrheit abgewiesen. Nach längerem heftigen Tauziehen, indem Hasenclever (Vorsitzender in BadenWürttemberg) mehrfach versuchte, die Übergangsregelung so einzuschränken, daß sie eine Anpassung der Landessatzungen an die Bundessatzung bedeuten müsse, standen sich schließlich ein entsprechender Antrag von Hasenclever und der von Haußleiter gegenüber, zu dessen Begründung letzterer sagte, daß er davon ausgehe, daß Basisdemokratie bedeute, daß die Landessatzungen auch in eine andere Richtung gehen könnten als in die der Bundessatzung. Mit einer Mehrheit von 478 gegen 397 Stimmen wurde dieser Antrag schließlich angenommen. Damit hat jede Seite einen Teil ihrer Forderung durchsetzen können, beide Paragraphen können nur mit 2/3 Mehrheit geändert werden. Auf die Dauer wird dieser Kompromiß nicht tragfähig sein, er kann auch von keiner Seite als Erfolg verbucht werden, zumal er nur auf Druck zustande kam und nicht aus Einsicht und Überzeugung. Die Auseinandersetzung darüber wird weitergehen, eine gemeinsame politische Arbeit ist damit noch nicht gesichert.

Über das Programm konnte nicht mehr diskutiert werden, deshalb konnte Gruhl durchsetzen, daß in der Zwischenzeit das Europawahlprogramm weiter gilt.

Was ist das Ergebnis, und wie geht es weiter?

Insgesamt war der Verlauf des Kongresses nicht positiv. Im Vordergrund stand der Abgrenzungszwang und die Abstimmungsmaschinerie und nicht die inhaltliche Diskussion und Überzeugung. Der Status Quo wurde zementiert  nicht mehr und nicht weniger. Der linke Flügel konnte nicht ausgeschlossen werden, akzeptiert ist er noch nicht.

Bei den Grünen wird es jetzt um die Fortsetzung der Programmdiskussion gehen. Die bunt/alternativen Listen und die Sozialisten und Kommunisten müssen jetzt gemeinsam sowohl über ihr Verhältnis zur grünen Bewegung und Partei diskutieren wie ihre Eigenständigkeit formulieren.

Wir begrüßen den Vorschlag von Rudolf Bahro zur Einberufung einer sozialistischen Konferenz, auf der u.a. auch solche Fragen diskutiert werden können. Wir werden auch an dem beschlossenen Kongreß der bunt/alternativen Listen in Münster teilnehmen; im Unterschied zum 'Arbeiterkampf' sind wir aber nicht der Meinung, daß sich die Wege der Grünen Partei und der alternativen Wahlbündnisse bereits weitgehend oder vollständig getrennt hätten. Unserer Ansicht nach müssen die Sozialisten und Kommunisten auch ihre organisatorische Selbständigkeit behalten oder erringen und gleichzeitige in der Grünen Partei arbeiten. Über längerfristige Perspektiven muß beraten und diskutiert werden, sie jetzt in die grüne Partei zu verlegen, scheint mir einem kommunistischen, und sozialistischen Selbstverständnis nicht angemessen.

Die nächste Aufgabe besteht in der Erarbeitung einer gemeinsamen Plattform zu den Aufgaben bei den Bundestagswahlen und über da» Verhältnis von Ökologie und Marxismus unter den linken Kräften, innerhalb wie außerhalb der Grünen. Ru

Editorische Anmerkungen

Der Bericht erschien in der ROTEN FAHNE, dem Zentralorgan der KPD, 10. Jhg./Nr.2 vom 24.1.1980

OCR-Scan by red. trend