Daß diese Präambelvariante am Anhieb die Mehrheit im Saal fand. kann wohl
nur darauf zurückgeführt werden, daß, wie man hört. über Weihnachten ein
Treffen zwischen den Vertretern des 'Dritten Wegs* und Springmann
stattgefunden hat. Seit dieser Zeit gibt es die verschiedensten Vorstöße von
diesen Kräften, den Ausschluß von Kommunisten, Sozialisten und
Radikaldemokraten über inhaltliche Festlegungen zu erreichen (vgl. RF Nr.
1/80). In diesen Überlegungen wird sowohl jede Form von Klassenkampf abgelehnt
('von oben* = kapitalistisch, 'von unten' = kommunistisch) wie jede
Vorstellung von einer gewaltsamen Umwälzung der bestehenden
Gesellschaftsverhälthisse zugunsten einer harmonischen,
'ganzheitlichen', 'organischen' Veränderung. Vollziehen soll sich diese
Veränderung z.B. nach G.Otto durch die Abschaffung des Monopoleigentums an
Kapital und Boden zugunsten des kleinen Privateigentums, ein Prozeß, der durch
eine andere Wirtschafts und Finanzpolitik des Staates durchgesetzt werden
soll. Solche Vorstellungen sind nicht ganz so neu, wie ihre heutigen Vertreter
vielleicht denken. Solche rückschrittlich utopischen Ideen hat es gegeben,
seit es den Kapitalismus gibt mit seinen menschenfeindlichen Auswirkungen.
Allerdings brauchen die Marxisten sich heute auch nicht zu wundern, daß nach
der Erfahrung mit dem menschenfeindlichen System des 'realen Sozialismus'
diese Ideen wieder an Einfluß gewinnen. Denn scheinbar hat sich ja bewiesen,
daß 'weder Kapitalismus noch Kommunismus' in der Lage sind ein
menschenwürdiges Leben zu schaffen; jedenfalls ist der sogenannte reale
Sozialismus dem Kapitalismus in keiner Hinsicht vorzuziehen. Letztlich wird
hier theoretischer Streit allein nicht überzeugen (obwohl er sehr wichtig ist
und endlich begonnen werden muß), sondern nur die Aktionen einer neu sich
entfaltenden revolutionären ' deutschen Arbeiterbewegung.
In der Diskussion über diese Präambel versuchten die linken Kräfte Satz für
Satz Festlegungen wieder herauszustimmen, die eine explizite
Ablehnung von Revolution, Kommunismus und Klassenkampf beinhalteten. Das war
ein mühsames Geschäft aber zumindest in einzelnen Fragen erfolgreich.
So wurden mit 10 Stimmen Mehrheit (443 zu 433 Stimmen) ein Antrag von Reents
verabschiedet, een Absatz 3 über die 'totalitären
Wachstumszwangssysteme' durch die folgende Formulierung ersetze: "Das Ziel der
grünen Alternative ist die Überwindung gesellschaftlicher Verhältnisse, in
denen kurzfristiges Wachstumsdenken, das nur Teilen der
Bevölkerung zugute kommt, Vorrang hat vor den ökologischen, sozialen und
demokratischen Lebensbedürfnissen der Menschheit." Der ebenfalls gestellte
Antrag von G.Otto, "weder faschistische noch kapitalistische noch
kommunistische Systeme" anzustreben, wurde abgelehnt. Im 7.Punkt der Präambel
wurde der Begriff Revolution gestrichen und damit die Aussage, daß man
Revolutionen verhindern müsse genau wie Krieg und Zerstörung. Andererseits
gelang es Heidt aus BadenWürttemberg nach zweimaligem Anlauf
durchzusetzen, daß "die Arbeit der Grünen sich im Rahmen des Grundgesetzes"
volzieht.
Da nützte auch der Protest des Genossen Kunzelmann
nichts, der darauf hinwies, wieviel Unrecht im Namen der
'Verfassungsmäßigkeit' begangen wurde und wird. Dagegen
wurde der Antrag, auch das Widerstands und Notwehrrecht
in die Präambel aufzunehmen, abgelehnt.
Dies ironischerweise u.a. mit dem Argument, man solle
die Präambel der Satzung nicht mit inhaltlichen Festlegungen überfrachten.
Zur Debatte der Doppelmitgliedschaft
Bei dem Streit über das Verbot oder NichtVerbot der Doppelmitgliedschaft
geht es von Anfang an um die Frage des Verhältnisses von der Grünen Partei zu
Kommunisten. Bei den Grünen gibt es einen großen Teil von Leuten, die aus den
verschiedensten Gründen am liebsten nichts mit Kommunisten zu tun haben
möchten. Sei es aus konservativer Grundüberzeugung und
der strikten Ablehnung von Klassenkampf und Revolution, sei es aus in erster
Linie wahltaktischen Überlegungen, sei es aus der fälschlichen Identifikation
des Marxismus und Kommunismus mit dem herrschenden System in der Sowjetunion
und in der DDR. Solange über diese Fragen inhaltlich offen und ehrlich
diskutiert wird, ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden, weil dann jeder
weiß, mit wem er es zu tun hat und ob sich die gegenseitigen Auffassungen
tatsächlich ausschließen. Wenn dies der Fall ist, dann geht man sicher besser
getrennte Wege und über kurz oder lang wird »ich zeigen, wer Recht hat. Nur
müssen diese Auffassungen offen vertreten werden, damit auch die verschiedenen
fortschrittlichen Bewegungen wissen, mit wem sie es zu tun haben.
- Wo steht die grüne Partei bei einem Streik der Arbeiter für die
Einführung der 35StundenWoche bei vollem Lohnausgleich?
- Auf wessen Seite steht sie, wenn die Anti-AKW-Bewegung
einen Bauplatz besetzt und auch vor anrückender Polizei und
Bundesgrenzschutz nicht zurückweicht?
- Was tut sie dagegen, wenn solche Aktionen in der Presse und den Medien
diffamiert werden?
- Wird sie den Kampf gegen politische
Unterdrückung, Gesinnungschnüffelei
und staatlichen Terror für demokratische Rechte und
Freiheiten bedingungslos unterstützen oder nicht?
Das sind die Fragen, die der Grünen Partei von allen fortschrittlichen
Bewegungen gestellt werden. Und diese Fragen hängen in unserem Land seit eh
und je sehr eng mit der Frage de» Verhältnisses zu Kommunisten zusammen. Denn
die fortschrittlichen Kräfte bei uns haben sich die Einsicht hart erkämpft,
daß unter dem Mantel des Kampfes gegen Kommunisten immer auch ihre
Bewegungsfreiheit hart eingeschränkt worden ist und daß das antikommunistische
Vorurteil in der Regel gegen jeden gewendet wird, der in radikale Opposition
zu dem bestehenden System gerät. Im Grunde geht es ja jetzt den Grünen nicht
anders. Sie werden unter Druck gesetzt von den bürgerlichen Parteien. Die
Gefahr der kommunistischen Unterwanderung wird laufend an die Wand gemalt.
Wenn die Grünen sich dadurch einschüchtern lassen und eilfertig ihre saubere
Weste nachzuweisen versuchen, so haben sie sich bereits dem in der BRD
üblichen Spiel angepaßt. Das registrieren alle fortschrittlichen Kräfte, und
sie tragen sich, wo dieses Zurückweichen endet.
Über all diese Fragen wurde auf dem Gründungskongreß kaum diskutiert. Hier
erschien der Streit als äußerst formal. Haußleiter versuchte, ihn auf der
Ebene abzuhandeln, jede Partei sei ein Wahlapparat und deshalb eine
konkurrierende Partei für die Grünen. Insofern sei das Verbot der
Doppelmitgliedschaft nur logisch und habe gar nichts mit
Unvereinbarkeitsbeschlüssen zu tun. Dagegen sprach Olaf Dinne so deutlich wie
nur irgendmöglich: die Grünen seien erfolgsorientiert,
sie wollten auf jeden Fall ins Parlament und da könne es nur schaden, wenn man
Kommunisten in den. eigenen Reihen habe und sich sagen lassen müsse, man sei
kommunistisch gesteuert. Zu Ehren sehr vieler grüner Delegierter muß man
sagen, daß diese Ausführungen auf große Empörung gestoßen sind. Mehrere
bezeichneten diese Rede von Dinne als unwürdig und als einen Skandal für eine
Partei, die alternativ sein will. Aber es gab natürlich auch andere Stimmen,
so erklärte ein Delegierte aus Bayern einer Genossin im Grundton der
Überzeugung, die Tatsache, daß man Bahro erlaubt habe, auf dem Kongreß zu
reden, koste unter Garantie mindestens 1 Mio Stimmen.
Die Stimmung während dieser Debatte war jedenfalls von allen Seiten äußerst
gespannt. Zu Beginn der Debatte hatte Bahro öffentlich seinen Beitritt zu den
Grünen erklärt und gleichzeitig dazu aufgerufen, die Zusammenarbeit
verschiedener Strömungen nicht mit Ausgrenzungen zu beginnen, wenn er auch
zugebe, daß er es lieber sähe, wenn sich die "zentralistischen kommunistischen
Organisationen' auflosen würden. Damit hatte er sich zugunsten der Linken in
den Grünen geäußert und den organisierten Kommunisten zugleich einen Dämpfer
versetzt, was^ zumindest bei mir aufkommende Zustimmung in Grenzen hielt.
Die zum Teil sehr überzeugend vorgetragenen Argumente gegen die
Unvereinbarkeitsbeschlüsse, u.a. von Claus Offe (SB und
grüner Delegierter aus Bielefeld) konnten aber keinen Stimmungsumschwung unter
den Delegierten erreichen. Mit 548 zu 414 Stimmen wurde das Verbot der
Doppelmitgliedschaft in einer anderen Partei beschlossen. In der
Schlußabstimmung hatte dabei auf der Seite der Gegner des Verbots der
Doppelmitgliedschaft bereits ein Kompromißantrag die Mehrheit gefunden
(Autonomie der Landesverbände in dieser Frage), der besonders von den NRW-Delegierten
befürwortet worden war, der jedoch nur für die Landesverbände NRW, Hamburg,
Westberlin und Hessen überhaupt von Bedeutung sein konnte, weil es in den
übrigen Landesverbänden ja bereits das Verbot der Doppelmitgliedschatt gibt.
Daß der Genosse Carstensen, Mitglied unserer Partei (als einziger Vertreter
einer kommunistischen Organisation auf der Rednerliste), sich sofort und
hauptsächlich für den Kompromiß einsetzte halten wir für falsch und haben wir
in einer Nachbesprechung kritisiert. Uwe Carstensen selbst sieht inzwischen
auch, daß es seine Aufgabe gewesen wäre, nicht nur für
unsere Partei, sondern auch für die anwesenden linken Kräfte in Karlsruhe
insgesamt, offensiv dem massiven Antikommunismus einiger Delegierter vor
allem von Dinne entgegenzutreten und selbstkritische Reflexionen nicht
zum Hauptthema seiner knappen Redezeit zu machen.
Nach dem Verlauf der Diskussion über das Verbot der Doppelmitgliedschaft
und der Abstimmungsniederlage war die Stimmung der linken Delegierten ziemlich
auf dem Nullpunkt angelangt. Der erste Kongreßtag war zu Ende. Die Mitglieder
unserer Partei, die als grüne Delegierte an dem Kongreß teilnahmen, verfaßten
eine Erklärung, die sie am nächsten Morgen vortragen wollten, als ihnen das
verwehrt wurde, haben sie die Erklärung gedruckt und verteilt.
Der 'Kompromiß' am 2. Kongreßtag
Am Sonntagfrüh gab es eine kurze Beratung zwischen den linken grünen und
den autonomen bunt/alternativen Delegierten. Erneut ging es um die Frage, ob
die grünen Delegierten der Linken nun den Gründungskongreß verlasen sollten
oder nicht. Die KB-Mehrheitsfraktion und der Genosse
Schuban von der GLH bestanden darauf, daß unter den Bedingungen des Verbots
der Doppelmitgliedschaft die linken Delegierten nicht mehr bleiben könnten,
weil ein weiteres Verbleiben auf dem Kongreß gleichbedeutend sei mit dem
Verrat eines bunt/alternativen und linken Selbstverständnisses. Trotz der
Enttäuschung über den Verlauf des ersten Tages teilten die linken grünen
Delegierten (auch wir) diese Einschätzung nicht, sondern wollten weiter den
Verlauf des Kongresses beeinflussen und eine Einschätzung des Ergebnisses erst
nach Beendigung des Kongresses vornehmen.
Am Sonntag wurden in der weiteren Satzungsberatung noch einige
basisdemokratische Beschlüsse gefaßt: so wurde beschIossen,
dass Mandate im Bundes oder in Landesparlamenten
unvereinbar seien mit Posten im Bundesvorstand der Partei. Für Gruhl (als
Mitglied des Bundestags) wurde jedoch später noch eine Ausnahmeregelung
beschlossen, sodaß eine Ubergangsregelung bis zum 1.1.81 möglich ist. Der
Bundesvorstand soll nach einem rotierenden System besetzt werden, nach einem
Jahr soll jeweils die Hälfte der Mitglieder (von 17) neu besetzt werden,
insgesamt kann jeder nur einmal wiedergewählt werden. In allen Gremien sollen
nach Empfehlung paritätisch Frauen vertreten sein. Die Satzungsdebatte verlief
an diesem Tag eher unkonzentriert, da seit dem Morgen die linken Delegierten
immer wieder über die weiteren Möglichkeiten berieten und verhandelten, eine
Revidierung des Beschlusses vom Vortage zu erreichen. Es war ihnen inzwischen
klar geworden, daß sie mit ihrem über 1/3 Stimmenanteil (ca 40%) bei der
Abstimmung über die Überführung der 'SPVDie Grünen' in die Bundespartei 'Die
Grünen' über eine Sperrminorität verfügten. Schließlich faßten sie den
Beschluss vom Vortag dadurch Ausdruck zu geben, daß sie
erklärten, unter diesen Bedingungen seien sie nicht bereit, der Überführung
zuzustimmen (siehe nebenstehend abgedruckte Erklärung). Als diese Erklärung
bekannt wurde, setzte einige Hektik und Gerangel hinter den Kulissen ein.
Nachdem sich zeigte, daß der Block der linken Delegierten als Machtfaktor
ernstzunehmen war, gab es die ersten Einlenkungsversuche.
Den linken Delegierten kam es darauf an, die Debatte über den Paragraphen 2
wieder aufzunehmen und doch noch einen Kompromiß zu erzielen. Im Gespräch war
die Formulierung des Verbots der Doppelmitgliedschaft in 'einer zur Wahl
konkurrierenden Partei', eine Formulierung, die auch Bahro als möglichen
Kompromiß erwähnt hatte. Dieses gelang nicht, sondern es wurde nur erreicht,
daß im Zusammenhang mit dem Paragraphen 18 der Satzung über eine 'Übergangsregelung'
verhandelt wurde, die in der Autonomie der Landesverbände liegen sollte. F.in
Antrag, die Debatte über den Paragraphen 2 wieder aufzunehmen, wurde mit
Mehrheit abgewiesen. Nach längerem heftigen Tauziehen, indem Hasenclever
(Vorsitzender in BadenWürttemberg) mehrfach versuchte, die Übergangsregelung
so einzuschränken, daß sie eine Anpassung der Landessatzungen an die
Bundessatzung bedeuten müsse, standen sich schließlich ein entsprechender
Antrag von Hasenclever und der von Haußleiter gegenüber, zu dessen Begründung
letzterer sagte, daß er davon ausgehe, daß Basisdemokratie bedeute, daß die
Landessatzungen auch in eine andere Richtung gehen könnten als in die der
Bundessatzung. Mit einer Mehrheit von 478 gegen 397 Stimmen wurde dieser
Antrag schließlich angenommen. Damit hat jede Seite einen Teil ihrer Forderung
durchsetzen können, beide Paragraphen können nur mit 2/3 Mehrheit geändert
werden. Auf die Dauer wird dieser Kompromiß nicht tragfähig sein, er kann auch
von keiner Seite als Erfolg verbucht werden, zumal er nur auf Druck zustande
kam und nicht aus Einsicht und Überzeugung. Die Auseinandersetzung darüber
wird weitergehen, eine gemeinsame politische Arbeit ist damit noch nicht
gesichert.
Über das Programm
konnte nicht mehr diskutiert werden, deshalb konnte Gruhl durchsetzen, daß in
der Zwischenzeit das Europawahlprogramm weiter gilt.
Was ist das Ergebnis, und wie geht es weiter?
Insgesamt war der Verlauf des Kongresses nicht positiv. Im Vordergrund
stand der Abgrenzungszwang und die Abstimmungsmaschinerie und nicht die
inhaltliche Diskussion und Überzeugung. Der Status Quo wurde zementiert
nicht mehr und nicht weniger. Der linke Flügel konnte nicht ausgeschlossen
werden, akzeptiert ist er noch nicht.
Bei den Grünen wird es jetzt um die Fortsetzung der Programmdiskussion
gehen. Die bunt/alternativen Listen und die Sozialisten und Kommunisten müssen
jetzt gemeinsam sowohl über ihr Verhältnis zur grünen Bewegung und Partei
diskutieren wie ihre Eigenständigkeit formulieren.
Wir begrüßen den Vorschlag von Rudolf Bahro zur Einberufung einer
sozialistischen Konferenz, auf der u.a. auch solche Fragen diskutiert werden
können. Wir werden auch an dem beschlossenen Kongreß der bunt/alternativen
Listen in Münster teilnehmen; im Unterschied zum 'Arbeiterkampf' sind wir aber
nicht der Meinung, daß sich die Wege der Grünen Partei und der alternativen
Wahlbündnisse bereits weitgehend oder vollständig getrennt hätten. Unserer
Ansicht nach müssen die Sozialisten und Kommunisten auch ihre organisatorische
Selbständigkeit behalten oder erringen und gleichzeitige in der Grünen Partei
arbeiten. Über längerfristige Perspektiven muß beraten und diskutiert werden,
sie jetzt in die grüne Partei zu verlegen, scheint mir einem kommunistischen,
und sozialistischen Selbstverständnis nicht angemessen.
Die nächste Aufgabe besteht in der Erarbeitung einer gemeinsamen Plattform
zu den Aufgaben bei den Bundestagswahlen und über da» Verhältnis von Ökologie
und Marxismus unter den linken Kräften, innerhalb wie außerhalb der Grünen.
Ru