Zur Reform des Beamtenrechts
Warum der Dienst nach Vorschrift jetzt auf einmal nicht mehr reicht und warum die Staatsdiener wie Lohnarbeiter behandelt werden sollen

von der Red. GegenStandpunkt
01/05

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Der Plan von Bundesinnenminister Schily, Beamtenbund und Gewerkschaft, "ein flexibles und leistungsgemäßes Beamten- und Besoldungsrecht zu schaffen" und in diesem Sinne auch "die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes neu zu gestalten", wird begeistert aufgenommen. Zugleich wird mangelnde Radikalität beklagt. Vor allem von den nicht Betroffenen. Die FAZ sieht einen "Durchbruch", die SZ hat "Appetit auf mehr", auch der taz ist das Vorhaben "zu wenig", dem Spiegel "entpuppt es sich als Reform-Placebo", der Chef von ver.di hält es für einen "Meilenstein", die Stammtische und deren Presseorgan Bild sind sich ebenfalls einig: "Endlich".

Den Unkündbaren an die Wolle zu gehen, das scheint den Kündbaren und ihren Vertretern nur gerecht. Werden den Lohnabhängigen nicht selber gerade mit der Drohung der Entlassung die Löhne runter- und die Leistung raufgeschraubt? Wenn so etwas nun auch die treffen soll, die bisher von dieser Erpressung ausgenommen sind, hilft das zwar nicht dem eigenen Geldbeutel, aber offenbar immens der Stimmung.

Damit liegt das Volk goldrichtig: Mit der Gerechtigkeitsoptik beim Opferbringen bezieht es sich auf sein eigenes Opfer schon mal nicht mehr ablehnend - Hartz IV ist fast schon durch - und bezeugt, dass die von oben angeleierte Hetze über besoldete Staatsdiener, die der Kanzler bei Gelegenheit "faule Säcke" nennt, von denen der Arbeitgeberpräsident Hundt ganz genau weiß, dass sie "uns alle zu viel kosten", unten wunschgemäß angekommen ist. Jetzt erscheint die geplante Umkrempelung des Beamtenwesens glatt als Dienstleistung des Staates am Gerechtigkeitssinn seiner lohnabhängigen Bevölkerung.

Dem obersten Dienstherrn geht es allerdings um banalere Anliegen: um die Effizienz und die Kosten seines Beamtenapparates. Durch eine "Modernisierung des Verwaltungsmanagements" soll sein Apparat fit gemacht werden für die "Herausforderungen der Zeit". Rückblickend bezichtigt sich der Staat, er habe sich einen ineffizienten, leistungsschwachen Moloch geschaffen und sei einem falschen, weil Kosten treibenden Prinzip gefolgt. Heute mag er überhaupt nicht mehr verstehen, wieso er über hundert Jahre lang die staatliche Verwaltung seines Kapitalismus nicht nach dessen Bezahlungsprinzip - viel Leistung für wenig Lohn - organisiert hat, sondern nach den althergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums.

Bis gestern hielt es der staatliche Dienstherr jedenfalls nicht für einen Fehler, seine Beamten ein Leben lang zu "alimentieren", d. h. für ihr Auskommen bis zu ihrem Ableben mehr oder weniger üppig zu sorgen. Die Tätigkeit seiner öffentlich bestallten Funktionäre war es ihm offenbar wert, sie von den üblichen Fährnissen eines Lohnabhängigen in der freien Wirtschaft freizustellen. Das hatte seinen Grund im Inhalt des Beamtenberufs. Der besteht nämlich im Ausüben von einem Stück Staatsgewalt, das der Beamte vom Staat übertragen bekommt. Mit seiner Amtsgewalt vollzieht er hoheitliche Aufgaben. Anträge abzulehnen oder zu genehmigen, Regungen der Bürger nach erlaubt und verboten zu sortieren, letztlich über jeden Willen der Privatpersonen zu entscheiden, ist der Dienst der Beamten.

Der politische Aufseher weiß um die Eigenart der Ökonomie, unter die er alle zwingt: Damit die Freiheit des Eigentums gilt, die Marktwirtschaft ihren Gang geht und im erwünschten und geforderten Maß nationalen Reichtum einspielt, muss die Staatsgewalt letztlich alle beaufsichtigen und alles regeln. Die berufsmäßigen Exekutoren dieser staatlichen Aufsicht sind ihrer Aufgabe entsprechend "Staatsdiener" und unterstehen einem "Dienstherrn". In diese dem feudalen Verhältnis entnommenen Vokabeln kleidet der Staat seine Ansprüche an seine verlängerten Arme. Er verlangt eine verantwortungsvolle und unparteiische Ausübung der Staatsgewalt. Der Beamte qualifiziert sich für diesen besonderen Beruf daher durch staatsbürgerliche Gesinnung und Treue zur Verfassung; ein untadeliger Lebenswandel wird selbst im Privatleben gefordert. Dafür bietet dieses spezielle Dienstverhältnis dann auch etwas: die Garantie der lebenslangen Versorgung. Gerade der ausdrückliche Verzicht auf die existenziellen Bedrohungen der freien Lohnarbeit ist das in der freien Marktwirtschaft in der Tat bestechende Angebot für die erwartete "besondere Treue". Bezahlt wird der Staatsdiener nicht für bestimmte erbrachte Leistungen, er wird für die Erfüllung seines "Amtes alimentiert".

Neben der Einrichtung einer Hierarchie der Laufbahngruppen, bei der sich der Staat selbstverständlich an seiner Klassengesellschaft orientiert, kennt die staatliche Fürsorgepflicht auch Kriterien, die in der freien Wirtschaft überhaupt nicht üblich sind: Mit Dienstaltersstufen beim Gehalt und Zulagen für den Familienstand berücksichtigt er glatt ein Stück weit die Lebenshaltungskosten seiner Diener. Das gilt neuerdings als eine für die öffentlichen Haushalte nicht mehr aushaltbare "Privilegiertheit" der Beamtenzunft, die wegreformiert gehört. Dabei verdanken sich die Eigentümlichkeiten der Beamtenbesoldung nicht einer besonderen Zuneigung des Staates zu seinen Funktionären, sondern der Besonderheit dieses Berufs: Der Beamte soll dadurch von privater und materieller Interessiertheit im Dienst freigesetzt werden und kann ganz nach seinen Vorschriften anderen welche machen.

Auf diesen speziell in Deutschland vergleichsweise ausgedehnten Sektor waren die politischen Organisatoren der Nation das letzte Jahrhundert ungemein stolz, hielten ihn für einen entscheidenden Pluspunkt ihres Gemeinwesens und empfahlen ihn aufstrebenden Entwicklungsländern. Heute hält der Staat das einfach nicht mehr aus.

"Doch geht es dabei kaum um Inhalte", leitartikelt die SZ vom 16. Dezember, "sondern um den Sparzwang. Allein die Pensionen sind für die Länder, die ja die meisten der 1,7 Millionen deutschen Staatsdiener beschäftigen, eine bedrückende Last."

Unzufrieden mit dem erwirtschafteten nationalen Reichtum geht es Bundes- und Länderregierungen dabei sehr grundsätzlich um die Kosten ihres Staatsapparats. Unter Anwendung "betriebswirtschaftlicher Methoden" soll für "Wirtschaftlichkeit und Qualität" gesorgt werden. Die ganze Verwaltung soll nach dem Muster der Geschäftswelt reformiert werden: aus einem Amt wird ein Arbeitsplatz, aus dem Dienst wird Arbeit, aus einem Verwaltungsakt ein Produkt und aus einer Gebühr der Preis für eine Dienstleistung.

Nun ist der Staat kein Betrieb, der Rentabilitätsrechnungen anstellt, um einen Überschuss über die Kosten, die er für seine Einrichtungen und sein Personal verausgabt, zu erwirtschaften. Seine Dienstkräfte arbeiten auch dann nicht wirtschaftlich im eigentlichen Sinn, wenn ein modernes Verwaltungsmanagement sie mit neuen Leistungsanforderungen und einem flexiblen Besoldungssystem bekannt macht. Sie erfüllen Staatsaufgaben, und die Finanzmittel, die dafür verausgabt werden, stellen, ökonomisch betrachtet, unrentable Kosten dar. Aber was den Umgang mit seinen Bediensteten angeht, ist der Staat offenbar zu der Auffassung gelangt, dass er von der privaten Wirtschaft noch einiges lernen kann. Er nimmt sich deren kostensenkende und leistungssteigernde Methoden zum Vorbild, um seinen Apparat auf Vordermann zu bringen.

Ihrer Kritik, das alte "System sehe nur eine unzureichende Verknüpfung des individuellen Einkommens mit der tatsächlich wahrgenommenen Funktion und der erzielten Leistung vor", lassen die Verantwortlichen Taten folgen. Mit dem Ziel der "Leistungs- und Kostenorientierung des öffentlichen Dienstes" stellen sie die gewünschte Verknüpfung zwischen Leistung und Bezahlung durch die Einführung einer "Leistungskomponente" her. Und wie immer geht es dabei nicht darum, dass Leistung bezahlt wird - worin sollte denn das auch seinen objektiven Maßstab haben? Es sollen vielmehr höhere Leistungsanforderungen definiert und Gehaltszahlungen von deren Über-Erfüllung abhängig gemacht werden.

Ein kostenbewusster Umgang mit den staatlichen Dienstleistern verbietet deren garantierte Alimentierung und erfordert die organisierte Konkurrenz um Lohn, also die Einführung von Einkommensunsicherheit. Deren Wirkung auf die "Motivation" zu unbezahlter Mehrarbeit ist die gar nicht verschwiegene Absicht bei der "Kopplung der Bezahlung an die Leistung". Im Eckpunktepapier stehen damit 20 % des Gehalts auf dem Spiel.

Dermaßen begeistert von dem erpresserischen Effekt dieser "betriebswirtschaftlichen Methode" auf "Wirtschaftlichkeit und Qualität" der Arbeit, macht das Papier gar kein Aufheben darum, dass in vielen Amtsstuben noch gar nicht ersichtlich ist, worin denn die geforderte Mehr-Leistung überhaupt bestehen und wie sie denn gemessen werden könnte. Das wird sich schon ergeben. Mit der vorgesehenen "Experimentierklausel zur Gestaltung laufbahnrechtlicher Regelungen in den Novellen der entsprechenden Beamtenrechtsgesetze" bekommen die Vorgesetzten einen "erweiterten Gestaltungsspielraum", um den gewollten "Wettbewerb" zu inszenieren.

Um die Loyalität des Staatspersonals machen sich die Reform-Protagonisten dabei keine Sorgen. Die halten sie heutzutage allein schon durch die Gehaltszahlung für einen Arbeitsplatz für umso mehr gegeben, je näher sie den öffentlichen Dienst am freien Arbeitsmarkt ausrichten. So organisieren sie zunehmend für das Staatspersonal eben die Bedrohungen, die dieser Markt für seine Teilnehmer bereithält.

Diejenigen, die diesen Bedrohungen immer schon ausgesetzt sind, dürfen sich über den Zuwachs aus dem Beamtenheer freuen. Worüber eigentlich? Was haben sie vom Abbau der "Privilegien" der Beamten? Davon also, dass diese künftig genauso von den "Risiken des Arbeitsmarkts" bedroht sind wie sie selbst immer schon? Sozialneid, so wird seit Jahr & Tag von oben gepredigt, gehört sich nicht. Wer es besser hat, wer mehr verdient, verdient das auch; wer das sozialneidisch bezweifelt, verrät eine gleichmacherische, leistungsfeindliche Gesinnung.

Es kommt eben ganz darauf an: Je weiter oben die Besserverdienenden in der gesellschaftlichen Hierarchie angesiedelt sind, desto mehr verbietet sich Sozialneid. Je näher aber die ein bisschen Bessergestellten der eigenen dürftigen sozialen Lage stehen, desto deutlicher handelt es sich dabei um unerträgliche "Privilegien". Wenn es dem Staat um die Schonung seiner Kassen geht, dann ist schon mal ein bisschen Gleichmacherei nach unten angesagt. Als Begleitmusik dazu wird der Sozialneid des Fußvolkes auf "die privilegierten, daher faulen Beamten" geschürt und bedient, wenn den "Sesselfurzern" "endlich" Feuer unterm Hintern gemacht wird.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text vom MSZ - Mailversand für sozialistische Zeitkritik msz-werderhof@gmx.net  zur weiteren Veröffentlichung. Er erschien zuerst im GegenStandpunkt aktuell, Ausgabe 01-05 vom 09.01.2005.