Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe

von
Max Beer

01/06

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III. KOMMUNISTISCHE PRAXIS IN SPARTA Zur Kapitelübersicht

1. Die Lykurgische Gesetzgebung.

Unter den Doriern erhielt sich der Gedanke der primitiven Gleichheit bei weitem kräftiger und länger als bei den Joniern. Die Ursache dieser Erscheinung dürfte darin zu suchen sein, daß die dorischen Niederlassungen ackerbaulichen Charakters waren und den Auflösungsprozeß der urgesellschaftlichen Zustände energischer aufzuhalten sich bemühten.

Der erste Gesetzgeber, dem die Überlieferung das Werk der kommunistischen Revolution zuschreibt, soll Lykurgus gewesen sein. Er ist eine sagenhafte Gestalt, wie etwa Moses bei den Hebräern. Plutarch (geboren 50 n. Chr.), dem sämtliche literarischen Quellen der griechischen und römischen Geschichte zugänglich waren und auf dessen Darstellung, wenn sie auch zweifellos dichterisch ausgeschmückt ist, wir angewiesen sind, erzählt: „Von dem Gesetzgeber Lykurgus läßt sich überhaupt gar nichts mit Bestimmtheit sagen, da die Geschichtsschreiber in bezug auf seine Herkunft, seine Reisen, seinen Tod und namentlich hinsichtlich der von ihm eingeführten Gesetze und Verfassung sehr voneinander abweichen; am wenigsten ist man über die Zeit, wann dieser Mann gelebt hat, einstimmig." Lykurgus lebte in der Erinnerung der Spartaner als ein weiser, sanftmütiger und selbstloser Gesetzgeber, der neben einer politischen Reform die ganze Wirtschaftsordnung umwälzte und die kommunistische fest begründete: „Die zweite und zugleich die gewagteste Einrichtung des Lykurgus", erzählt Plutarch, „war die Landverteilung. Es herrschte nämlich damals in Sparta eine außerordentliche Ungleichheit, eine Menge dürftiger und armer Leute fiel dem Staat zur Last, und dagegen strömten die Reichtümer in einige wenige Familien zusammen, woraus nichts als Übermut, Neid, Betrug und Schwelgerei entstand. Um diese und die noch weit größeren und wichtigeren Gebrechen des Staats, Reichtum und Armut, gänzlich zu verbannen, beredete er die Bürger, alle ihre Ländereien herzugeben, sie aufs neue verteilen zu lassen und in völliger Gleichheit und Gütergemeinschaft miteinander zu leben, so daß sie bloß in der Tugend den Vorzug suchten und unter ihnen keine andere Ungleichheit oder Verschiedenheit stattfände, als die das Lob guter und der Tadel schlechter Handlungen bestimmt." Daß die Besitzer einzig und allein durch Überredung des Lykurgus in die Hergabe der Ländereien eingewilligt haben, ist kaum glaublich. Viel wichtiger war die Tatsache, daß die Dürftigen und Armen eine Menge waren, während der Reichtum in wenigen Händen konzentriert war, und daß die Spartaner eben Spartaner waren und den Gebrauch der Waffen verstanden. Immerhin wurden die Reichen gezwungen, in die Errichtung des Kommunismus einzuwilligen. Man ging bald ans Werk und verteilte ganz Lakonien unter dessen Bewohner in 30000 und die zur Stadt Sparta gehörigen Fluren in 9000 gleiche Lose, denn so hoch belief sich die Zahl der Bürger. Man erzählt, daß Lykurgus einige Zeit nachher, als er während der Ernte durch das Land zog, und die völlig gleichen Getreidehaufen nebeneinander liegen sah, er zu den Umstehenden lächelnd gesagt habe, ganz Lakonien scheine ein Feld zu sein, das viele Brüder erst vor kurzem unter sich geteilt hätten. Sodann nahm er sich vor, das Handgerät ebenso zu verteilen und dadurch alle Ungleichheit vollends auszurotten. Aber mit diesem Vorschlag drang er nicht durch. Er schlug deshalb einen anderen Weg ein und suchte die Habsucht bei solchen
Dingen durch politische Maßregeln zu ersticken. Zuerst schaffte er alle Gold- und Silbermünzen ab und führte an deren Stelle den Gebrauch von eisernen Münzen ein, denen er trotz ihres schweren Gewichts und großen Umfangs einen so geringen Wert gab, daß schon eine Summe von zehn Minen (900 Mark) zum Aufbewahren im Hause eine besondere Kammer und zum Fortschaffen einen zweispännigen Wagen erforderte. Als diese Münze in Umlauf kam, verschwanden auf einmal eine Menge Verbrechen aus Lakonien, denn wer mochte nun wohl stehlen, betrügen, rauben oder sich bestechen lassen wegen einer Sache, die man nicht verbergen und mit der man nicht herumstolzieren konnte? Ebenso verwies Lykurgus aus Sparta alle Künste, die nicht zum Leben unbedingt nötig waren. Handel und Schiffahrt hörten auf. Die Mahlzeiten waren einfach und gemeinschaftlich; sie bestanden aus der berühmten schwarzen Suppe, Brot, Käse, Wein, Feigen und Gemüse, zuweilen aus Wildbret oder anderem Fleisch. Die gemeinschaftliche Speisung war die strenge Pflicht jedes Bürgers. Auch die Kinder wurden zu diesen Mahlzeiten zugelassen, um aus den Gesprächen der älteren Männer zu lernen. Auf die Erziehung wurde das Hauptgewicht gelegt. „Bei der Erziehung", erzählt Plutarch, „fing Lykurgus ganz von vorn an und richtete sein Augenmerk zuerst auf die Ehen und die Erzeugung der Kinder. Er suchte vor allem die Körper der Jungfrauen durch Laufen, Ringen und das Werfen der Wurfscheiben und Spieße abzuhärten. Um alle Weichlichkeit, Verzärtelung und andere weibliche Eigenschaften auszurotten, gewöhnte er die Mädchen wie die Knaben, den feierlichen Aufzügen nackt beizuwohnen. Übrigens hatte die Entblößung der Jungfrauen nichts Schändliches, da immer Schamhaftigkeit dabei obwaltete und alle Lüsternheit verbannt war; sie wurde vielmehr zu einer unschuldigen Gewohnheit, erzeugte eine Art Wetteifer hinsichtlich der guten Leibesbeschaffenheit und flößte auch dem weiblichen Geschlecht edle, erhabene Gesinnungen ein, da es, so gut wie das männliche, auf Tapferkeit und Ruhmbegierde Anspruch machen konnte ... Lykurgus führte zwar beim Ehestande Schamhaftigkeit
und strenge Ordnung ein, aber nichtsdestoweniger suchte er die eitle, weibische Eifersucht ganz davon zu verbannen. Er hielt es freilich für ratsam, daß der Freiheit und Ausschweifung in der Ehe gesteuert wurde, auf der ändern Seite aber fand er es dem Staate zuträglich, wenn unter würdigen Männern eine Gemeinschaft der Kinder und deren Erzeugung stattfände." Die gesunden Kinder wurden zur Aufbringung und Erziehung bestimmt, die kränklichen wurden beseitigt. Die Erziehung war hauptsächlich darauf gerichtet, dem Staat kräftige, gewandte und furchtlose Kämpfer zu geben, ihnen unerschütterlichen Gemeinsinn und Zusammenhalt zu verleihen, — kurz, Männer der Tat, aber keine Schwätzer zu erzeugen. „Überhaupt gewöhnte Lykurgus seine Bürger so, daß sie ein abgesondertes Privatleben weder kannten noch wünschten, sondern daß sie wie die Bienen immer der gemeinen Sache fest anhingen, um ihren König (Heerführer) sich zusammenhielten, aus Begeisterung und Ehrbegierde gleichsam selbstvergessen und nur allein für das Vaterland lebten." (Plutarch.)

Wie nun auch diese kommunistisch-militärische Verfassung im einzelnen ausgesehen haben mag, sie befähigte die Spartaner, die Oberherrschaft im Pelo-ponnes zu erhalten und schließlich auch die Athener zu schlagen (404 v. Chr.) und sie zur Kapitulation zu zwingen. Der spartanische Staat erschien auch den größten Geistern der Hellenen, wie Plato und An-tisthenes, als der feste Pol im hellenischen Staatenwirbel. Antisthenes, ein Schüler des Sokrates, meinte: „Sparta ist allen anderen Staaten weit überlegen und verhält sich zu Athen wie eine Männerversammlung zu dem Weibergerede im Frauengemach." Die Lykurgische Verfassung war überhaupt im ganzen Altertum, soweit der hellenische Kulturkreis reichte, rühmlichst bekannt. Sie ward zum Ideal vieler Denker und vielleicht auch der Führer der Sklavenaufstände im Römischen Reiche.

Aber wir, die wir doch heute unvergleichlich reichere Erfahrungen in politischen Fragen besitzen, müssen doch den Lykurgischen Staat für sehr einseitig halten. Er war aristokratisch und kriegerisch; er beruhte auf der produktiven Arbeit der Heloten, — wahrscheinlich die von den Spartanern unterjochte Urbevölkerung des Landes — einer Menge unfreier Menschen, die die eigentlichen Produktionsmittel bildeten und dem ganzen Staat als Gemeineigentum gehörten. Die Spartaner beraubten sich hierdurch eines der segensreichsten Elemente des menschlichen Wachstums: der produktiven Arbeit. Ihr Kommunismus war nur eine Gemeinschaft des Besitzes und des Genusses, aber nicht der Produktion. Er war, streng genommen, keine Erziehung, sondern eine Dressur zur Züchtung von Herrenmenschen und Kriegern. Der Mangel an Demokratie, die die Herrschenden hätte einigermaßen zügeln können, sowie die Vernachlässigung von Philosophie und Kunst, die das Geistesleben zu veredeln vermochten, schließlich die fortgesetzte Beschäftigung mit gymnischen und kriegerischen Übungen machte sie zu kriegs- und angriffslustigen Nachbarn und zu herzlosen Herrenmenschen gegenüber den produktiv schaffenden Heloten. Um sich vor Aufständen der Bedrückten und Ausgebeuteten zu schützen, wie sie im Jahre 464 ausbrachen, nahmen die Spartaner von Zeit zu Zeit Metzeleien unter den Heloten vor, die den Zweck hatten, die mutigsten und begabtesten unter ihnen hinwegzuräumen. Die Moral, die Lykurgus seinen Mitbürgern einprägte, war eine rein lokal-staatliche, aber keine persönliche und humanitäre. Es muß immerhin eine prächtige Rasse von Männern und Frauen gewesen sein, die diese Umstände hervorbrachten; und sie hätten auch geistig hochstehende Menschen erzeugt, wenn zur gymnischen auch eine intellektuelle und persönlich moralische Erziehung hinzugekommen wäre. Denn als manche adelige Spartaner im 3. Jahrhundert unter den Einfluß der jonischen Philosophie und der stoischen Sozialethik kamen, entfalteten sie sich auch geistig zu heroischen Charakteren. Ein Spartaner war der erste Märtyrer des Kommunismus in Europa.

2. Agis: der erste kommunistische Märtyrer.

Kriege und Beute untergruben im Laufe der Jahrhunderte den spartanischen Kommunismus. Die siegreiche Beteiligung Spartas an den Freiheitskriegen der Jonier gegen die Perser (492—479), sowie die vier Jahrzehnte später ausgebrochenen Kämpfe um die Vorherrschaft (Hegemonie) in Griechenland, die den Peloponnesischen Krieg (431—404) und die nachfolgenden Kriege bis zum Jahre 371 hervorriefen, brachten den Spartanern viel Ruhm, viel Gold und Silber, aber auch katastrophale Niederlagen und innere Zerrüttung, und fegten alle Einrichtungen hinweg, die an die Lykurgische Gesetzgebung geknüpft waren. Plutarch erzählt: „Der Anfang des Verfalles und der Entartung im Staate der Lakedämonier schrieb sich von jenen Zeiten her, wo sie die Herrschaft der Athener zerstört (404) und sich mit Gold und Silber bereichert hatten... Als die Gier nach Gold und Silber sich in Sparta eingeschlichen hatte, und dem Besitze des Reichtums Geiz und Habsucht, dem Gebrauch und Genuß aber Schwelgerei, Weichlichkeit und Prachtliebe nachgefolgt war, kam dieser Staat um die meisten seiner Vorzüge, und befand sich dann immer in einem verächtlichen Zustande, bis auf die Zeit, da Agis und Leonidas zu königlicher Würde gelangten", das heißt bis um die Mitte des 3. Jahrhunderts.

Im Laufe der Kriege war die Gleichheit geschwunden. „Die Reichen und Vornehmen", erzählt wieder Plutarch, „erwarben ohne Rücksicht eine Menge Güter, indem sie die Verwandten aus ihren Erbanteilen verdrängten. Auf diese Weise floß der Reichtum gar bald in wenige Familien zusammen; dagegen riß die Armut in die Stadt ein... Von den wirklichen Spartanern waren nicht mehr als 700 übrig und unter diesen befanden sich vielleicht nur 100, die noch Land und Erbe besaßen; der übrige Teil des Volkes saß neben jenen dürftig und verachtet in der Stadt, so daß er allen Mut und Eifer für auswärtige Kriege verlor und immer auf Gelegenheit zu einer (gewaltsamen) Revolution und Veränderung des jetzigen Zustandes wartete."

Agis war von königlichem Hause und gehörte einer der reichsten Familien Spartas an. Er war allem Anschein nach mit der stoischen Philosophie vertraut und zeichnete sich durch große Geistesgaben und edle Gesinnung aus. Obgleich er damals noch nicht zwanzig Jahre alt war und durch seine Mutter Agistrata und seine Großmutter Archidamia verzärtelt und in Üppigkeit erzogen worden war, entsagte er allem Genuß und kehrte zur alten spartanischen Einfachheit — oder wie die Stoiker sagten — zur Natur zurück. Agis erklärte auch, „es wäre ihm an der Königswürde nichts gelegen, wenn er nicht durch sie die alten Gesetze und die uralte Einrichtung wieder herstellen könnte". Die jungen Leute nahmen seine Ideen beifällig auf, während die älteren Männer und Frauen gegen ihn auftraten. Auch seine eigene Familie war gegen den Reformversuch, aber er gewann ihre Zustimmung, indem er seiner Mutter auseinandersetzte, daß der Plan durchführbar sei und zum Vorteile des Staates ausschlagen würde. „Hinsichtlich des Geldes", sagte er, „kann ich mich doch nicht mit den anderen Königen (des Orients) messen. Wenn ich mich hingegen durch Enthaltsamkeit, Einfachheit und edle Gesinnung über die Üppigkeit jener hinwegsetzte, wenn ich den Bürgern wieder zur Gleichheit und Gemeinschaft der Güter verhelfe, werde ich den Namen und den Ruhm eines wirklich großen Königs davontragen." Seine Mutter und Großmutter wurden für den Reformplan gewonnen. Agis schritt sodann zu dessen Verwirklichung. Nach der spartanischen Verfassung standen an der Spitze des Landes zwei Könige, die von fünf E p hören (Aufsichtsbeamten, gewählt von den vornehmsten Geschlechtern) kontrolliert wurden, welche im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Königen die Entscheidung hatten. Die Gesetzentwürfe wurden dem Senat vorgelegt, worauf sie der Volksversammlung zugingen, die über deren Schicksal entschied. Agis entwickelte vor dem Senat seinen Gesetzentwurf: Alle Schulden sollten den Schuldnern erlassen sein und das ganze Land aufs neue verteilt werden in zusammen 19500 gleiche Anteile; 4500 unter die eigentlichen Spartaner und Spartanerinnen; 15000 unter die Periöken (Nachkommen vordorischer Bevölkerung sowie verarmte Spartiaten) und Fremdlinge, die durch körperliche und geistige Fähigkeiten geeignet wären, dem spartanischen Staatswesen einverleibt zu werden. Alle sollten sie in Speisegenossenschaften geteilt werden und zur Lebensweise Altspartas zurückkehren.

Der Senat konnte sich über diesen Gesetzesvorschlag nicht einigen, worauf einer der Ephoren, der mit Agis übereinstimmte, die Angelegenheit vor die Volksversammlung brachte und gegen die unwilligen Senatoren sprach. Nach einer Diskussion trat Agis selber als Redner auf und erklärte den Volksvertretern, er wolle der Verfassung, die er einführen möchte, die wichtigsten Opfer darbringen. „Fürs erste lege ich mein ganzes Vermögen, das an Ackerland und Wiesen sehr beträchtlich ist, und außerdem 600 Talente (etwa 300000 Mark) an barem Gelde enthält, in die Mitte hin; ein gleiches tun meine Mutter und Großmutter, sowie alle meine Freunde und Verwandten, die unter den Spartanern die reichsten sind." Die Volksvertreter waren über die Hochherzigkeit Agis' erfreut, worauf sein Mitregent Leonidas gegen den Plan sprach, insbesondere gegen den Schuldenerlaß und gegen die Zulassung der Fremden. Agis erwiderte, worauf sich das Volk für seinen Gesetzentwurf erklärte, aber bei den Ephoren und im Senat war der Widerstand groß und sie fanden in Leonidas einen rücksichtslosen Führer, der aber auch seine Zeit abwarten konnte. Um sich vor Anschlägen zu sichern, suchte Agis Schutz und Zuflucht im Tempel des Neptun den er nur ab und zu verließ, um ins Bad zu gehen. Leonidas, der sich mit einem Haufen Soldaten umgab, organisierte den Anschlag auf Agis. Als dieser sich einmal unterwegs außerhalb des Tempels befand, traten drei Häscher an ihn heran, überwältigten ihn und brachten ihn ins Gefängnis. Sogleich erschien Leonidas mit einem Haufen Soldaten und besetzte das Gebäude. Die Ephoren und einige Senatoren betraten sodann das Gefängnisgebäude, bildeten einen Gerichtshof und versuchten mit verschiedenen Mitteln, Agis zum Widerruf seiner Reformpläne zu veranlassen. Da er aber versicherte, er empfände gar keine Reue und könnte nichts widerrufen, denn die Lykurgische Verfassung sei die beste, so verurteilten sie ihn zum Tode durch den Strang. Das Verlangen seiner Mutter und Großmutter, ihn vor ein ordentliches Gericht zu bringen und die Verhandlung öffentlich vorzunehmen, wurde von den Ephoren abgelehnt, da sie die Popularität des Gefangenen kannten. Aus demselben Grunde ließen sie die Hinrichtung beschleunigen. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung wurde Agis zum Strang geführt. Unterwegs bemerkte er einen der Diener, welcher weinte und klagte, zu diesem sprach er: „Höre auf zu weinen, mein Freund, denn ich sterbe auf eine ungerechte und gesetzwidrige Art und insofern bin ich besser daran als meine Henker." Mit diesen Worten streckte der erste europäische Märtyrer des Kommunismus den Hals dem Henker hin. Sodann wurden auch seine Großmutter und seine Mutter Agistrata hingerichtet. Als letztere beim Betreten des Hinrichtungsplatzes ihren Sohn auf der Erde und ihre Mutter tot am Stricke hängen sah, nahm sie selbst mit Hilfe des Dieners diese herab und legte sie neben Agis hin. Dann warf sie sich auf ihren Sohn und küßte sein Gesicht, indem sie sagte: „Deine gar zu große Sanftmut, mein Sohn, deine Milde und Menschenliebe hat dich und uns ins Unglück gestürzt!" Darauf stellte sie sich an den Galgen und rief: „Möge dies nur Sparta zum Heile gereichen!"

Das geschah 240 Jahre v. Chr.

3. Kleomenes' Reformversuche.

Fünf Jahre nach der Hinrichtung Agis' kam Kleomenes (235 bis 222), der Sohn des Leonidas zur Herrschaft. Er hatte die Witwe Agis' geheiratet und sich auch über die Reformpläne des letzteren genau unterrichtet und beschloß sodann, sie zur Durchführung zu bringen. Aber er war kriegerischer als Agis, — ein echter Spartaner, der in einer Heeresmacht, in Kriegen und Siegen das beste Mittel zu seinem Ziele erblickte. Nur als siegreicher Heerführer glaubte er, so viel Autorität im Staate erlangen zu können, um die Antikommunisten, die Ephoren und die Reichen hinwegräumen zu können. Er fand bald Gelegenheit, in Nachbarstaaten einzufallen und zu siegen, aber auch in eine Reihe von Kriegen verwickelt zu werden. Nach seinen ersten Siegen griff er in die spartanische Verfassung ein, schaffte die Ephorenämter ab; er verbannte sodann 80 reformfeindliche Bürger und veranstaltete eine allgemeine Volksversammlung, vor der er sein Verfahren rechtfertigte. Er klagte die Ephoren an, daß sie entgegen dem Geiste der Verfassung sich eine immer größere Gewalt anmaßten und unvermerkt einen eigenen Gerichtshof errichteten, daß sie ferner diejenigen Könige verbannten oder ungehört hinrichteten, die die trefflichen und schönen Einrichtungen des Lykurgus wiederhergestellt zu sehen wünschten. Deshalb sei es nötig gewesen, die Ephoren zu beseitigen. Nach dem Bericht des Plutarch rief dann Kleomenes aus: „Wäre ich imstande gewesen, ohne Blutvergießen die eingeschlichenen Seuchen und Gebrechen: Üppigkeit, Prachtliebe, Schulden und Wucher, und die noch weit erheblicheren Übel: Reichtum und Armut aus Lakedämon zu bannen, so hätte ich mich für den glücklichsten unter allen Königen gehalten... Ich habe jedoch von den Gewaltmitteln mit der größten Mäßigung Gebrauch gemacht, indem ich diejenigen, die der Wohlfahrt Lakedämons im Wege standen, bloß auf die Seite schaffte. Allen den übrigen aber werde ich nun sämtliche Ländereien gleich verteilen, die Schuldner von ihren Schulden befreien und unter den Fremden eine Auswahl halten, damit nur die bravsten zu Spartanern aufgenommen werden und die Stadt beschützen helfen, wir aber nicht mehr mit ansehen dürfen, daß Lakonika aus Mangel an Verteidigern den Ätoliern und Illyriern zur Beute wird." Hierauf stellte er sein Vermögen dem Volke zur Verfügung und seinem Beispiele folgten seine Verwandten und Freunde und dann alle die übrigen Bürger. Das Land wurde verteilt, auch für die verbannten Bürger wurde ein Anteil bestimmt und Kleomenes versprach, sie alle zurückkommen zu lassen, sobald der Staat wieder zur Ruhe gekommen wäre. Er stellte die alte spartanische Lebenseinfachheit her und ging selbst mit gutem Beispiele voran. Wäre die äußere Politik des Kleomenes hinfort eine friedliche gewesen, dann würde Sparta wieder zum Muster geworden sein, und die übrigen hellenischen Staaten veranlaßt haben, die spartanische Sozialreform einzuführen. Aber die Kriegspolitik, die er betrieb, machte ihm die Nachbarn zu Feinden. Anstatt Liebe, flößte das sozialreformerische Sparta Furcht ein. In ihrer Not riefen die Nachbarstaaten die Mazedonier herbei, um die spartanischen Angriffe abwehren zu können. Mehrere Jahre war der vereinsamte Kleomenes mit seinem treuen Heer imstande, die feindliche Koalition in Schach zu halten und sie zu schlagen, aber schließlich unterlag er. Plutarch berichtet über den Gang der Kriegsereignisse:

„Kleomenes flößte nicht nur seinen Bürgern Mut und Vertrauen ein, sondern galt selbst bei den Feinden für einen trefflichen General. Denn mit der Macht einer einzigen Stadt zugleich der Macht der Mazedonier sowie sämtlicher Peloponnesen zu widerstehen, und dabei nicht nur Lakonika gegen jeden Angriff zu schützen, sondern auch das Land der Feinde zu verheeren und so große Städte zu erobern, dies schien doch immer eine nicht gewöhnliche Geschicklichkeit und Geistesgröße zu verraten. Wer jedoch zuerst das Geld den Nerv aller Dinge in der Welt genannt hat, mag dies wohl hauptsächlich in Hinsicht auf den Krieg gesagt haben... Da die Mazedonier mit allen erforderlichen Hilfsmitteln, um den Krieg auf die Dauer auszuhalten, reichlich versehen waren, so mußten sie endlich den Sieg davontragen und den Kleomenes mürbe machen, der nur mit Mühe und Not imstande war, für seine Soldaten den Sold und für seine Bürger den Unterhalt zusammenzubringen."

Als Kleomenes endgültig geschlagen war (222 bei Sellasia), riet er den Bürgern Spartas, dem König der Mazedonier, Antigonus, die Tore zu öffnen. Dieser besetzte die Stadt, behandelte aber die Lazedämonier sehr milde und liebreich, gab ihnen, ohne Spartas Würde zu beschimpfen oder durch Hohn zu beleidigen, ihre Gesetze und Verfassung wieder, das heißt: die alten Gesetze, die vor Agis und Kleomenes geherrscht hatten, also: die nichtkommunistischen.

4. Kommunistische Siedlung in Lipara.

Wie der sizilische Schriftsteller Diodor (Geschichts-bibliothek, 5. Buch, 9. Kapitel) erzählt, beschlossen um das Jahr 580 mehrere Knidier und Rhodier ihre Heimat zu verlassen, da sie mit der drückenden Herrschaft der Lydischen Könige unzufrieden waren. Sie segelten nach dem Westen, und als sie bei Lipara (einer Insel bei Sizilien) landeten, wurden sie von den dortigen Einwohnern freundlich empfangen und ließen sich von ihnen überreden, mit ihnen ein Gemeinwesen zu bilden. Als später tyrrhenische Seeräuber sie bedrängten, erbauten sie sich eine Flotte und verteilten sich derart, daß ein Teil von ihnen die anderen Inseln als gemeinsames Eigentum bebauten, die anderen aber sie gegen die Seeräuber verteidigten.

Allen Besitz erklärten sie für gemeinsam und sie lebten auch in gemeinsamen Speisegenossenschaften (Syssitien). Das gemeinsame Leben dauerte eine Zeit hindurch; danach aber verteilten sie die Insel Lipara, auf welcher auch die Stadt lag, unter sich, und bebauten die anderen Inseln gemeinsam. Zuletzt verteilten sie sämtliche Inseln auf zwanzig Jahre, und sobald diese Zeit um war, so verlosten sie den Besitz immer aufs neue.
Die Einrichtung von Speisegenossenschaften bestand auch in Kreta. Sämtliche kretische Bürger wurden aus öffentlichen Mitteln gemeinschaftlich mit Mahlzeiten versehen. Plato glaubt, daß die Speisegenossenschaften mit dem Zwecke eingerichtet wurden, die Bürger kriegstüchtig zu erhalten oder sie vor irgendeiner Not zu schützen. Er hält sie für eine göttliche Notwendigkeit („Über die Gesetze", 6. Buch, 21. Kapitel) und für eine Einrichtung des Idealstaates („Politeia", 8. Buch).
 

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S. 43-54

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html