« Beispiellose Dereglementierung des
Arbeitsmarkts » übertitelt die Pariser Abendzeitung « Le
Monde » ihre innenpolitische Rubrik in der Dienstagsausgabe
dieser Woche (17. Januar). Unter dieser Überschrift stellt die
Zeitung die neuen Maßnahmen zur Arbeitsmarktpolitik vor, welche
Premierminister Dominique de Villepin (UMP) am Montag
verkündete. Es handelt
sich um „eine Salve von Maßnahmen, um die Beschäftigung von
Jugendlichen und Senioren zu ermutigen“, so fasst der (eher
wirtschaftsliberale) Journalist Christophe Jakubyszyn an jener
Stelle die Regierungsphilosophie zusammen. Tatsächlich nimmt die
Regierung für diese neue Flexibilisierungsphilosophie einerseits
die schlechte Arbeitsmarktlage für Jugendliche bzw. junge
Erwachsene zum Anlass oder Vorwand. Die Arbeitslosenquote bei
den 18- bis 25jährigen beträgt derzeit in Frankreich 22,8
Prozent; diese wird jedoch an der Anzahl der beruflich aktiven
Bevölkerung derselben Altersklasse gemessen, also unter
Ausschluss er Schüler/innen und Studierenden im gleichen Alter.
Schließt man die lernenden oder studierenden Jungerwachsenen in
die Rechnung ein, so ergibt sich eine Arbeitslosenrate von 8,1
Prozent in dieser Altersgruppe, die freilich im europäischen
Vergleich überdurchschnittlich bleibt (Deutschland: 5,5 % laut
Eurostat). Andererseits stützt die Regierung sich auf die
doppelte Tatsache, dass es (erstens) für die über 50jährigen
immer schwerer wird, noch eine (Wieder-)Beschäftigung zu finden,
und (zweitens) viele ältere Ex-Beschäftigte von ihrer Rente
allein nicht mehr leben können. Zum letztgenannten Tatbestand
haben freilich die Politiken der aufeinanderfolgenden
Regierungen durch ihre „Rentenreform“maßnahmen erheblich
beigetragen, etwa durch die Heraufsetzung der Anzahl der nötigen
Beitragsjahre, um eine Rente zum vollen Satz beziehen zu können.
Beide Beobachtungen, die jüngeren
Beschäftigten ebenso wie jene im Rentenalter betreffend, dienen
der Regierung nun zur Rechtfertigung neuer Weichenstellungen zur
„Flexibilisierung des Arbeitsmarkts“.
Neue Rückzüge des
Kündigungsschutzes
Der herausragende Beschluss
von Premierminister de Villepin betrifft die Schaffung eines
neuen Typus von Arbeitsvertrag für die jungen Erwachsenen unter
26 Jahren, den „Ersteinstellungsvertrag“ CPE (Contrat de
premierère embauche). Dessen wesentliche Bestimmungen kopieren
die zentralen Regeln des so genannten „Neueinstellungsvertrags“
CNE (Contrat de nouvelle embauche), den die Regierung im
Hochsommer durch ein Dekret vom 2. August 2005 eingeführt hat.
Damals ging es darum, durch den „Neueinstellungsvertrag“ CNE in
den kleinen und mittleren Betrieben bis zu 20 Beschäftigten den
Kündigungsschutz während der ersten beiden Jahre des
Arbeitsverhältnisses zu schleifen: Die per CNE eingestellten
Mitarbeiter/innen können in den ersten zwei Jahren ohne Angabe
näherer Rechtfertigungsgründe entlassen werden. Der
„Neueinstellungsvertrag“ für die unter 26jährigen (CPE) schafft
nunmehr seinerseits den Kündigungsschutz für diese
Beschäftigtenkategorie ab; diese Regelung ist wiederum während
der ersten beiden Jahre des Arbeitsverhältnisses wirksam. Es
handelt sich um eine Art stark verlängerter Probezeit, aber
juristisch wird sie nicht sie als Probezeit qualifiziert, da
unterschiedliche Beweggründe dahinter stehen. (Eine Probezeit
soll dem Arbeitgeber erlauben, die Kompetenzen des neuen
Mitarbeiters besser einschätzen zu können; bei der Aufhebung des
Kündigungsschutzes während der ersten zwei Jahre geht es dagegen
explizit um eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, die
angeblich eine die Beschäftigung fördernde Wirkung hat.)
Eine Handvoll
Zugeständnisse
Von der neuen
kündigungsschutzfreien Periode werden jedoch all die Zeiten
abgezogen, die der junge Beschäftigte vor Abschluss des CPE
bereits im Unternehmen verbracht hat, sei es als Praktikant oder
als Mitarbeiter unter befristetem Vertrag (CDD, Arbeitsvertrag
auf befristete Dauer). Dies soll verhindern, dass
unterschiedliche prekäre Perioden hintereinander geschaltet
werden – nichts hindert allerdings die Arbeitgeber daran, sich
all jener Beschäftigten unter CPE (kurz) vor Ablauf der zwei
Jahre zu entledigen und neue, unter 26jährige Mitarbeiter unter
Rückgriff auf dieselbe Vertragsform einzustellen.
Ferner wird dadurch seitens der
Regierung auch versucht, ein Stück weit auf die Forderungen der
PraktikantInnenbewegung vom Spätherbst vergangenen Jahres
einzugehen. Diese hatte eine Beendigung des „Missbrauchs“ von
Praktika durch Arbeitgeber (zu dem Zweck, über möglichst viele
prekäre und un- oder geringfügig bezahlte Arbeitskräfte zu
verfügen) zum Ziel - der dadurch ermöglicht wird, dass die
miserable Arbeitsmarktsituation für viele junge Erwachsene und
Studierende das Ableisten von Berufspraktika zwecks
„Aufbesserung“ ihres Lebenslaufs nötig macht. Am 1. November
sowie am 24. November hatte erstmals ein landesweiter
Praktikantenstreik stattgefunden, in Paris hatte es am 24. 11.
2005 eine kleine Kundgebung gegebenen. Nunmehr will
Premierminister de Villepin, wie er am Montag ebenfalls
verkündete, eine minimale Bezahlung solcher Praktika
durchsetzen; sie wird künftig obligatorisch gemacht, sofern das
Praktikum länger als drei Monate ausfällt. Wie hoch sie
ausfällt, bleibt dagegen noch offen, aber den Unternehmen wird
eine Befreiung von Sozialabgaben für einen Betrag in Höhe von
360 Euro gewährt. Damit deutet sich an, wie hoch die
Mindestentlohnung von PraktikantInnen in etwa ausfallen wird.
Ferner soll die Dauer der Berufspraktika auf die Betriebs- bzw.
Berufszugehörigkeit angerechnet werden, unter der Voraussetzung,
dass die betreffende Branche eine Kollektivvereinbarung dazu
abgeschlossen hat.
Der Abschluss eines
„Neueinstellungsvertrags“ (CPE) gibt das Recht auf Bezug von
Arbeitslosengeld – im Falle einer Entlassung, die während der
ersten beiden Jahre nicht durch besondere Gründe gerechtfertigt
werden muss – bereits nach 4 Monaten, statt 6 Monaten bei
sonstigen Arbeitsverträgen. Auch dies soll ein Zugeständnis
darstellen. Allerdings muss man ein Auge auf die Höhe das dann
zu erwartenden Arbeitslosengelds werfen, es beträgt in diesem
Falle 460 Euro während zweier Monate.
Den Arbeitgebern ihrerseits wird
ein anderes De facto-Geschenk gewährt: Bei sämtlichen
Arbeitsverträgen, die mit unter 26jährigen abgeschlossen werden
(ob es sich um einen normalen unbefristeten Arbeitsvertrag, um
einen „Neueinstellungsvertrag“ CNE oder um einen
„Ersteinstellungsvertrag“ CPE handele), sofern die betreffende
Person seit über 6 Monaten arbeitslos war, wird der Arbeitgebern
während drei Jahren von sämtlichen Sozialabgaben befreit.
„Seniorenverträge“
Bei den über 50jährigen stützt
die Regierung sich sowohl auf die Erfahrung, dass diese
zunehmende Schwierigkeiten beim Knüpfen eines neues
Arbeitsverhältnisses haben - als auch auf den Tatbestand, dass
viele verrentete Beschäftigte von ihrer Pension finanziell nicht
auskommen können. Dies nimmt Premierminister Dominique de
Villepin nun zum Anlass, um „die wichtige Grenze zwischen
Arbeitsleben und Rente zu verwischen“, wie der als Vordenker
gehandelte (und eher sozialliberale) CGT-Sekretär
Jean-Christophe Le Duigou in „Le Monde“ zitiert wird.
Schon heute können solche
Beschäftigte, die auch über das legale Rentenalter (von derzeit
60 Jahren; infolge der „Rentenreform“ ist geplant, dass es in
einigen Jahren 65 erreichen wird) und nach dem Erreichen von
derzeit 40 Beitragsjahren zur Rentenversicherung (zukünftig 42,5
aufgrund der „Rentenreform“) hinaus weiter arbeiten, dadurch
ihre Rente verbessern. Aufgrund des 2003 beschlossenen Gesetzes
zur „Rentenreform“, das zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten
ist, können sie derzeit pro Vierteljahr 0,75 Prozent oder pro
volles Jahr 3 Prozent zusätzliche Rentenprozente erreichen.
Diese Zusatzrente für abhängig Beschäftigte, die über das
„normale“ Rentenalter hinaus tätig bleiben, soll künftig
angehoben werden. Es wird allerdings faktisch schwieriger
werden, diese Möglichkeit einer Aufbesserung des eigenen
Rentensatzes zu erreichen, aufgrund der Hinausschiebung des
allgemeinen Renten-Eintrittsalters.
Zu den sonstigen Maßnahmen gehört
eine leichtere Vereinbarung von Rentenbezug und Einkommen aus
Arbeitstätigkeit: War die Summe aus beiden bisher rechtlich auf
das bisherige Arbeitsgehalt als Höchstsatz beschränkt, so soll
die Grenze nunmehr aufgehoben werden. D.h. dass ältere
Beschäftigte auch über den Beginn ihres Rentenbezugs hinaus
weiter arbeiten und, zählt man die Pension und den Arbeitslohn
zusammen, dabei mehr als das bisherige Arbeitsgehalt verdienen
„dürfen“. (Eine andere Frage ist, ob dies wirklich positive
Auswirkungen auf die Beschäftigung im allgemeinen hat…) Im Alter
ab 60 Jahren soll zudem ein Halbzeitmodell eingeführt, das es
Beschäftigten ermöglichen soll, während der halben Zeit
Arbeitende und während der anderen Hälfte der Zeit Rentner/innen
zu sein.
Ferner soll ein befristeter
Arbeitsvertrag für die über 57jährigen eingeführt werden. Der
Zeitvertrag soll für eine Dauer von 18 Monaten abgeschlossen,
und ein mal verlängert werden können.
Noch eine andere Maßnahmen
betreffend die prekären Vertragstypen wird nicht an das Alter
gebunden sein: Alle abhängig Beschäftigten (unabhängig von der
Altersgruppen, aber de facto werden überwiegend Angehörige des
weiblichen Geschlechtes betroffen sein), die in einem
Teilzeitarbeitsverhältnisses stecken und – trotz anderslautenden
Willens – nicht Vollzeit arbeiten können, „dürfen“ ihren
Teilzeitvertrag künftig mit einem Zeitarbeitsverhältnis bei
einer Zeitarbeitsagentur kombinieren. Ein schönes Puzzle.
Reaktionen
Alle ersten Reaktionen von
gewerkschaftlicher Seite und aus der Arbeiterbewegung, die am
Montag bekannt wurden, fielen kritisch bis negativ aus. Der
öffentliche Radiosender „France Info“ ließ den sozialliberalen
Gewerkschaftsbund CFDT zu Wort kommen (der eine „Ausweitung der
Prekarität“ kritisierte) und zitierte ein Kommuniqué der
trotzkistisch-undogmatischen LCR („De Villepin knallt das
unbefristete Normalarbeitsverhältnis ab“).
Von geplanten Protestmaßnahmen
wurde zunächst noch nichts bekannt. Am 2. Februar planen mehrere
Gewerkschaften ohnehin einen Aktionstag zum Thema der
Lohnverhandlungen im öffentlichen Dienst, wie ebenfalls am
Montag bekannt wurde. Möglicherweise eröffnet dies einen neuen
Protestzyklus, aber man sollte sich wohl nicht zu früh freuen.
Weitere Aussichten
Premierminister de Villepin hat
angekündigt bzw. angedroht, 2006 werde „ein nützliches Jahr“
sein. Damit hat er dem Eindruck vorgebeugt, aufgrund des heran
nahenden „Superwahljahrs“ 2007 (Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen) würden im begonnenen Jahr keine
wirtschaftsliberalen, in sozialer Hinsicht regressiven
„Reformen“ durchgezogen. Der Premierminister, der bisher nicht
offiziell Kandidat ist (im Gegensatz zu seinem
hyper-ambitionierten Innenminister und Parteichef der UMP,
Nicolas Sarkozy; allerdings möchte Amtsinhaber Chirac den
amtierenden Premier gegen Sarkozy zu seinem Nachfolger
aufbauen), sagt sich, er habe ohnehin persönlich bisher nichts
zu verlieren. Für den weiteren Lauf dieses Jahres hat Dominique
de Villepin bereits einen neuen Maßnahmenkatalog in Aussicht
gestellt, dessen nähere Konturen in Bälde definiert werden
sollen und der in ein paar Monaten vorgestellt werden wird.
De Villepin hat bereits
angekündigt, worum es gehen soll. Erstens soll „ein Nachdenken
über die allgemeine Entwicklung der Arbeitsverträge in unserem
Land“ stattfinden, das er vor dem Hintergrund „des Erfolgs des
Neueinstellungsvertrags (CNE)“ lanciert wissen will. Das
bedeutet konkret, dass über eine Ausdehnung der neuen
Prekarisierungsmechanismen auf alle, unbefristeten,
Arbeitsverhältnisse nachgedacht werden soll. Auf seiner
Pressekonferenz deutete de Villepin an, es würden bei den
„Konzertierungssitzungen“ mit den so genannten Sozialpartnern
sowohl die Idee eines Einheitsvertrags – einer Fusion aus
befristetem und unbefristetem zu einem einzigen, unter
Auflösungsbedigungen stehenden Vertragstypus – als auch „eine
Ausdehnung des Neueinstellungsvertrags CNE“ (über die kleinen
und mittleren Betriebe hinaus) auf den Tisch gelegt werden.
Letzteres bedeutet, die Schleifung des Kündigungsschutzes –
zumindest während der ersten beiden Jahre des
Arbeitsverhältnisses –auch auf die größeren Betriebe
auszuweiten.
Ferner soll „ein neues Regime für
den Bruch von Arbeitsverhältnissen auf dem Verhandlungswege“
ausgehandelt werden. Das bedeutet, dass die Vertragsparteien die
Anwendung des Kündigungsschutzes abbedingen können, indem sie
sich von vornherein auf pauschale Abfindungssummen einigen. Und
es soll, so Villepin am Montag, über eine „Erleichterung“ der
Sozialabgaben für Überstunden (was die Anordnung von Überstunden
durch den Arbeitgeber vereinfachen würde, letzterer würde dazu
ermutigt) beraten werden.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel wurde uns vom Autor am 17.1.2006
überlassen.
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