Freiheit für Mehmet Tarhan!
Ein Interview mit Dogan, einem türkischen Unterstützer des in Sivas inhaftierten Kriegdienstverweigerers

von Bernd Drücke  & Daniel Korth
01/06

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Mehmet Tarhan ist ein gewaltfreier, türkischer Anarchist, der schon 2001 öffentlich seinen Kriegsdienst verweigert hat und am 10. August 2005, nachdem er bereits seit April 2005 im Gefängnis gesessen hat, in der türkischen Stadt Sivas wegen seiner Verweigerung zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Wir haben mit Dogan, einem seiner Freunde, der auch den Prozess in Sivas beobachtet hat, ein Telefoninterview geführt.

indymedia: Dogan, kannst Du Dich bitte vorstellen?!

Dogan: Im Juli 2003 habe ich im Rahmen des NATO-Gipfels meine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Seit diesem Datum wurde nach mir auf Grund des Wehrdienstes nicht gefahndet. Ich habe nicht versucht in dieser Zeit das Land zu verlassen. Falls ich das versuchen würde, würde es aber höchst wahrscheinlich Probleme geben. Vom Alter her bin ich wehrpflichtig.

indymedia: Dein Freund Mehmet Tarhan hat in der Türkei öffentlich seine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Was waren seine Motive?

Dogan: Er ist gegen jede Art von Gewalt. Mehmet ist jemand der Befehle verweigert. Aus diesen Gründen hat er seine Verweigerung aus Gewissensgründen erklärt.

indymedia: Du engagierst dich politisch in einer antimilitaristischen Gruppe. Worin besteht Eure Arbeit, was macht ihr um Mehmet zu unterstützen und wie viele Leute seit ihr in der Gruppe?

Dogan: Wir machen oft Aktionen bezogen auf Mehmet, z.B. am 3. Septemberauf dem Platz von Taxim vor einem Militärgebäude. Bevor Mehmet in Haft genommen wurde, hat er sich auch an unseren Aktionen beteiligt. Wir fordern in erster Linie die Freilassung von Mehmet. Langfristig haben wir die Abschaffung von allen militärischen Anlagen als Ziel.

indymedia: Wie reagiert der Staat auf Eure Arbeit?

Dogan: Vor allem seit Juni, als die Öffentlichkeit über diesen Vorfall informiert war und sich verstärkt Menschen für Mehmet eingesetzt haben, wurde die Reaktion des Staates brutaler. Der Grund dafür ist, dass sich in der Türkei im allgemeinen die Intensität der Streitigkeiten erhöht hat.

indymedia: Habt ihr bei Eurer Arbeit auch Repression erfahren?

Dogan: Repression war immer an der Tagesordnung. Aber bei Mehmets Verhandlung im Juni wurden zehn Freunde von uns in Gewahrsam genommen. Fünf von ihnen sollten den Wehrdienst antreten. Die Repressionen sehen jetzt so aus, dass der Staat uns zum Wehrdienst zwingen will.

indymedia: Wie reagieren die Menschen in der Türkei? Z. B. wenn Ihr auf der Straße Aktionen für Mehmet macht, was gibt es da für Erfahrungen?

Dogan: In der Öffentlichkeit sind alle informiert über Mehmets Fall. Fast jeder unterstützt ihn. So sieht das aus. Aber es gibt auch eine faschistische Strömung in der Türkei. Vor allem aufgrund der Homosexualität von Mehmet gibt es eine Repression oder Reaktion seitens des Militärs als auch aus zivilen Kreisen. Aber im Allgemeinen gibt es sowohl in der kurdischen als auch in der zivilen türkischen Gesellschaft eine breite Unterstützung.

indymedia: Die Türkei wird stark vom Militär dominiert. Wie ergeht es im allgemeinen Menschen, die dort den Kriegsdienst verweigern. Ist diese hohe Haftstrafe normal?

Dogan: Der Staat versucht diese Leute zu übersehen. Menschen werden wie Mehmet in Haft genommen und sind einer Unterdrückung ausgesetzt, genauso wie Mehmet.

indymedia: Wie reagiert denn die Familie auf seine Kriegsdienstverweigerung?

Dogan: Es gibt eine Unterstützung von seiner Familie. In der Zeit, wo er jetzt in Haft ist, versucht die Familie ihn durch Besuche, aber auch von außen zu unterstützen und zur Seite zu stehen.

indymedia: Mehmet wurde zu einer Haftstrafe von 4 Jahren verurteilt. Das Gericht ist damit der Anklage des Militärstaatsanwalts gefolgt. Das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung erkennt der türkische Staat nicht an. Du hast den Prozess beobachtet, kannst Du Deine Eindrücke schildern?

Dogan: Mehmet sieht gesund und stabil aus, das ist seine Haltung. Aber seine Familie hat es sehr schwer. Wir, die UnterstützerInneninitiative, haben dieses Strafmaß nicht erwartet und wir waren erstaunt über die Höhe des Strafmaßes. Vor allem die Homosexualität von Mehmet wurde als Grund für die Schwere der Strafzumessung angesehen. Das hat uns sehr verwundert.

indymedia: Homophobie wird in der Türkei sozusagen in Gesetze gegossen. Wer schwul ist gilt offiziell als „krank“.

Dogan: Ja, aber Mehmet akzeptiert nicht, dass Homosexualität eine Krankheit ist.

indymedia: Mehmet ist stark in der Öffentlichkeit gewesen. Er hat auch gesagt, dass er gewaltfreier Anarchist ist und Schwuler. Wie ist es ihm dann im Gefängnis ergangen?

Dogan: Es ist sehr schwer im Gefängnis in so einer Situation. Er war mehrmals Angriffen ausgesetzt. Er steht unter einem großen Druck und einer Repression. Vor allem die Gefängnisleitung hat dafür Sorge getragen, dass die faschistischen Insassen auf ihn losgegangen sind.

indymedia: Ich wollte noch einmal auf die Homosexualität zurückkommen. Kannst Du erklären, was für eine Rolle die Homosexualität in der türkischen Gesellschaft spielt.

Dogan: Die Situation ist sehr schlecht. Es gibt eine große Unterdrückung.

indymedia: Gibt es eine organisierte Schwulen- und Lesbenszene in der Türkei?

Dogan: Ja, diese unterstützen Mehmet auch.

indymedia: Was können wir hier in Deutschland konkret tun um Mehmet zu unterstützen?

Dogan: Es gab schon Anfragen von EuropaparlamentarierInnen. Das war ein Weg. In England in Großbritannien als auch in Deutschland gab es vor den Vertretungen (der Türkei) Demonstrationen. Am 9.12. demonstrierten gleichzeitig Menschen in 13 Ländern für Mehmets Freilassung. Solche Aktionen nützen auch. Es gibt Leute, die Mehmet vom Ausland aus anschreiben. Das ist eine große Unterstützung, vor allen einen seelische Unterstützung für Mehmet.

indymedia: Also, es gibt hier in Münster auch die anarchistische Monatszeitung Graswurzelrevolution und die Deutsche Friedensgesellschaft, und wir haben eine Unterschriftenkampagne und Demo für Mehmet gemacht, Faxe an die Botschaften geschickt, auch in die Türkei selbst ins Gefängnis und an den Generalstab. Ich glaub schon, dass man vor Ort einiges machen kann.

Dogan: Wir bedanken uns von hier aus für diese breite Unterstützung.

indymedia: Und wir bedanken uns herzlich für das Interview und senden solidarische Grüße natürlich auch an Mehmet.


Das hier für indymedia transkribierte Radiointerview führten Daniel Korth und Bernd Drücke im Studio des Medienforum Münster. Übersetzung: Mustafa Aslan

Kontakt: Redaktion Graswurzelrevolution
Breul 43
D-48143 Münster
Tel.: 0251/48290-57
Fax: -32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
www.graswurzel.net

Weitere Infos zu Mehmet Tarhan:
http://www.Connection-eV.de

http://www.graswurzel.net/news/tarhan-pressespiegel.pdf
http://www.graswurzel.net/305/tarhan.shtml
http://www.graswurzel.net/302/mehmet.shtml

Mehmet freut sich über Post:
Mehmet Tarhan, 5. Piyade Editim Tungayi, Askeri Cezaevi, Temeltepe, Sivas, Türkei

 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am - 09.01.2006 bei Indymedia.