Bernard Schmid berichtet aus Frankreich  

Der Front National im Wahlkampf.
Streit um Symbole der « Modernisierung »

01/07

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Dezember 2006 : Es gibt mal wieder Streit in der Führungsspitze. Und einmal mehr finden einige « zu modernistisch », also « zu sehr dem Zeitgeist verpflichtet », was die Partei nach auben hin darstellen möchte. Ihnen missfällt, was Marine Le Pen – die Tochter des Vorsitzenden, eine mögliche Anwärterin auf seine Nachfolge – und ihre Umgebung da schon wieder ausgeheckt haben.

In Frankreich hat der Präsidentschaftswahlkampf begonnen : Am 22. April und 6. Mai dieses Jahres wird das künftige Staatsoberhaupt gewählt. Der rechtsextreme Front National (FN) hat seinen Wahlkampf offiziell im September 2006 in Valmy – wir berichteten - eröffnet. Mitte Dezember nun stellte die Partei eine Serie von sieben Wahlplakaten vor, mit denen sie ihre Kampagne in den kommenden Wochen bestreiten möchte.

Auf sechs der Plakate ist jeweils eine Person zu sehen, die mit ausgestrecktem Daumen nach unten zeigt und sich beschwert : « Die Linke und die Rechte – sie haben alles kaputt gemacht ! » Im französischen Politikverständnis zählt der FN nicht unter droite (Rechte), diese Bezeichnung ist den Konservativen und Liberalen vorbehalten, sondern gehört in eine eigenständige Kategorie extrême droite. Abgebildet ist etwa eine jung-dynamische Führungskraft vor der Tür des Arbeitsamts, die sich darüber beschwert, « sie » hätten etwa « die Leistung, die Unternehmen und die (markt)wirtschaftliche Freiheit » kaputt gemacht. Eine Oma mit Hundchen auf dem Arm beklagt sich darüber, dass die Renten, Gesundheitsvorsorge und die Solidarität unter den Franzosen kaputt gemacht worden seien. Aber dann gibt es auch noch die junge Frau mit den langen, krausen Haaren und dem dunklen Teint. Auch ihr Daumen zeigt nach unten, um anzuklagen, dass die üblichen Verdächtigen auch « die Staatsbürgerschaft, die Assimilation, die Aufstiegschancen » zerstört oder verdorben hätten. Auf dem letzten Plakat sieht man dann Jean-Marie Le Pen persönlich, begleitet von den sechs anderen Figuren, die er freilich in ihrer Mitte sichtbar überragt. Die Aufschrift des Plakats enthält eine Aufforderung : « Mit Le Pen : Richten wir unser Frankreich wieder auf ! »

Das finden nun aber einige in der Partei skandalös : Dass die dunkelhäutige junge Frau (in Wirklichkeit keine Einwanderin oder Immigrantentochter, sondern eine Antillenfranzösin, also französische Staatsbürgerin seit einer Reihe von Generationen) auch mit stolz auf « ihr » Frankreich sein soll, das gehe nicht an, monierten einige Führungsmitglieder. Deshalb sorgten sie bei einer Sitzung Anfang voriger Woche für Stunk. Der Front National zeige sonst ein Gesicht Frankreichs, wie man es nicht haben möchte. Die innerparteiliche Riege der  « Modernisierer », rund um Marine Le Pen, möchte dagegen genau diese Botschaft befördern : Der FN ist eine offene Partei, und wer zwar ausländischer Herkunft ist, aber sich in Frankreich « assimilieren » möchte – bitte schön, man sei nicht verklemmt.

Dass im Parteiprogramm etwa auch die Préférence nationale gefordert wird, also die systematische Bevorzugung gebürtiger Franzosen bei Arbeitsplätzen und Sozialleistungen sowie die Einrichtung getrennter Sozial- und Rentenkassen für Franzosen und Immigranten, soll nicht im Wege stehen. Oder wer liest schon Programme ? 

Abwehrkräfte gegen den FN haben abgenommen 

Diese Strategie steht in Frage. Im Moment scheint sie vom Publikum mit Erfolg gekrönt zu werden. Eine Umfrage, die die Pariser Abendzeitung Le Monde am vorigen Freitag publizierte hat am 15. 12. 2006 belegt, dass die bisherigen Abwehrkräfte in der Gesellschaft schwächer geworden sind – weil man die Partei weniger mit Extremismus in Zusammenhang bringt als früher. 28 Prozent der Befragten sehen demnach heute im FN eine Partei der « patriotischen und den traditionellen Werten verpflichteten Rechten », und 65 Prozent betrachten ihn weiterhin als Partei der « nationalistischen und ausländerfeindlichen extremen Rechten ». In einem nicht unbedeutenden Teil des Publikums ist er damit von der Kategorie extrême droite in die Rubrik droite, die der gemäbigten bis konservativen Rechten vorbehalten ist, übergewechselt.

Nur noch 34 Prozent bezeichnen « die Positionen von Jean-Marie Le Pen » als grundsätzlich « inakzeptabel », vor einem Jahrzehnt waren es noch 48 Prozent. Dagegen betrachten 47 Prozent sie inzwischen nur noch als « überzogen », ein Anteil, der deutlich gewachsen ist. 15 Prozent betrachten sie als « richtig ». Dabei ist die mit Abstand höchste Zustimmung, die auf diesen Themenfeldern ein Drittel erreicht, auf den Gebieten « Innere Sicherheit », « Polizei und Justiz » sowie beim Umgang mit den Banlieues zu verzeichnen. Deutlich geringere Werte erreichen die Positionen des FN zum Umgang mit Einwanderern. Aber anscheinend wird die Partei nicht mehr so stark wie früher mit diesem Thema identifiziert. Vielmehr wird sie eher als verschärfendes Korrektiv zur regierenden Rechten wahrgenommen, die ihrerseits in den letzten fünf Jahren ein Schwergewicht ihrer Politik auf die so genannte Innere Sicherheit gelegt hat. Damit glaubte sie dem FN das Wasser abzugraben, hat ihn aber allem Anschein nach eher glaubwürdig gemacht.

« Normalisierung » der Partei möglich ? 

Es sah nicht immer danach aus, als sei der Partei eine Erfolgswelle mit dem Modernisierungskurs von Marine Le Pen gegönnt. Jean-Marie Le Pen selbst hatte zu Anfang 2005 öffentlich geurteilt : « Ein lieber und netter FN, das interessiert niemanden ! », und dadurch dem Bemühen um ein gefälligeres Auftreten in den bürgerlichen Medien eine Absage erteilt. Durch einen der Skandal, die er in den letzten 20 Jahren periodisch durch seine Sprüche auslöste – dieses Mal bezeichnete er in Rivarol die deutsche Besatzung in Frankreich als « nicht so inhuman » - hatte Le Pen Vater damals dem FN zusätzliche Aufmerksamkeit beschert. Aber nicht so, wie die Modernisierer es sich gewünscht hätten. Bei den Regionalwahlen ein Jahr früher, im März 2004, hatte die Tochter zudem im Grobraum Paris (mit knapp 12 Prozent) eher schwach abgeschnitten. Dadurch war ihr innerparteiliches Gewicht erheblich geschwächt worden.

Tatsächlich ist die Frage bisher ungelöst, ob es dem FN eher nützlich oder eher schädlich ist, durch periodisches Schockieren von sich reden zu machen. Erfahrungsgemäb geht daraufhin die Zustimmung für die Partei vorübergehend zurück, aber nach ein paar Monaten wächst sie wieder, und in der Zwischenzeit hat sich der harte Kern ihrer Anhängerschaft in Abgrenzung von allen anderen Parteien stabilisiert.

 Das hat sich durchaus als probates Mittel erwiesen, um zu verhindern, dass das eigene Publikum auseinander driftet und zu den Konservativen überläuft, da die zu ihnen bestehende Kluft durch Le Pens Skandale immer wieder aufs Neue aufgerissen wurde.

Die Anhänger sollten sich infolge der turnusmäbig heraufbeschworenen öffentlichen Empörung und Verurteilung selbt mit « an den Pranger gestellt » fühlen. Weichliche Karrieristen, die bei nächster Gelegenheit – sobald sie einmal in einem Kommunalparlament sitzen – zu den Bürgerlichen übertreten würden, sollten dadurch ferngehalten werden. Aber das längerfristige Problem ist, dass dadurch auf Dauer keine Bündnisoptionen für die Partei entstehen, die aber allein nicht an der politischen Macht wird teilhaben können.  

Die Präsidentschaftswahl von 2002 zeigte die Grenzen dieser Strategie auf : In der ersten Runde holte Le Pen mit 17 Prozent ein beachtliches Wahlergebnis und qualifizierte sich, als Kandidat mit dem zweithöchsten Stimmenanteil, für die Stichwahl. Aber im zweiten Durchgang war Le Pen völlig isoliert, seine Partei stand allein gegen eine geschlossene Front sämtlicher anderen politischen Kräfte. Damit konnte sie auch keinerlei Stimmenreservoir mehr mobilisieren. Amtsinhaber Jacques Chirac konnte seinen offiziellen Herausforderer wie einen Sparringspartner besiegen. Kurz darauf begann die von Tochter Marine angestobene, innerparteiliche Strategiediskussion.  

Und doch konnte sie sich damit bis heute nicht klar durchsetzen. Für die Nachfolge des alternden Jean-Marie Le Pen, er wird im kommenden Juni schon 79, scheint im Moment die aktuelle « Nummer Zwei » in der Parteihierarchie besser qualifizert : Bruno Gollnisch. Er kann sich auf die katholischen Fundamentalisten und die Hardliner in der Partei, denen Marines Positionen etwa zur Abtreibung viel zu aufgeweicht sind, stützen. Ihm war es beim « Präsidentschaftskonvent » des FN am 12. November vorbehalten, Le Pen bei der zentralen Abschlussveranstaltung auf der Bühne einzuführen. Allerdings haben Marine Le Pen und ihre Umgebung ihrerseits einen nicht geringen Einfluss auf die momentane Strategie im Präsidentschaftswahlkampf. 

Wechselnde Strategie wird fortgesetzt 

Die strategische Ausrichtungsdebatte dürfte so schnell nicht abgeschlossen sein. Aber bereits heute trägt die Strategie der « Entdiabolisierung », an der Marine Le Pen und ihre Anhänger fleibig arbeiten, ihre Früchte. Und die Strategiedebatte geht eifrig weiter. Widersprüchliche Signale werden dabei gesetzt. So wird der ehemalige (im Oktober 2005 von Jean-Marie Le Pen abgesetzte und zugunsten eines engen Mitarbeiters seiner Tochter Marine, den damals 35jährigen Louis Aliot, ausgewechselte) FN-Generalsekretär Carl Lang in ‚Le Monde’ vom 23. 12. 2006 mit den Worten zitiert, er sei dafür, die Forderung nach getrennten Sozialkassen für Franzosen und Immigranten künftig aufzugeben. Diese Forderung (immerhin ein langjähriges Kernstück aller FN-Programme seit den 1990er Jahren, die um das Konzept der Préférence nationale, sinngemäß Inländer-Bevorzugung, herum aufgebaut waren) sei im Hinblick auf die Zukunft nicht mehr nötig, da dank des FN-Programms dann ja die Einwanderung nach Frankreich kontrolliert sei. Carl Lang ist nicht nur der frühere Generalsekretär der Partei von 1996 bis 2005, sondern auch einer ihrer langjährigen Vorgänger in Sachen national-sozialer Demagogie (Social parce que national). Parallel dazu zitiert dieselbe Ausgabe der Pariser Abendzeitung das künftige Parteiprogramm, das Ende Februar 2007 in Lille offiziell präsentiert werden soll: Ihm zufolge bekenne sich der FN dazu, dass man bestimmte (ausgewählte) Einwanderer in begrenzter Anzahl in Frankreich aufnehmen könne, « wenn dies im Interesse der französischen Ökonomie liegt ». De facto nähert das FN-Programm (sofern dies tatsächlich bestätigt wird) schon sehr der Konzeption des konservativen Innenministers Nicolas Sarkozy an, der zwischen der (durch Frankreich) « ausgewählten Einwanderung » einerseits und der (durch Frankreich) « erlittenen Einwanderung » -- immigration choisie und immigration subie – unterscheidet. Bislang hatte der FN verbal jegliche Einwanderung verurteilt. Auf symbolischer Ebene jedenfalls würde er sich damit an die von Marine Le Pen gewünschte « Regierungsfähigkeit » annähern. 

Und dann kommt schon gleich wieder der nächste Knaller, der nicht unbedingt Bündnisfähigkeit mit bürgerlichen Kräften widerspiegelt, sondern eher Jean-Marie Le Pens bisheriges Konzept, wonach der FN sich bisweilen eben auch durch Radau und verbale Skandale von den anderen Parteien abheben müsse, um (für die eigenen Anhänger) noch interessant und unterscheidbar zu sein. Am 21. Dezember 2006, eingeladen bei dem Radiosender BFM, fragte eine Journalist Jean-Marie Le Pen nach der Delegation seiner Partei, die am voraus gegangenen Montag (18. Dezember) am diesjährigen Abschlussspektakel des antisemitischen Theatermachers Dieudonné M’bala M’bala (bekannt unter seinem Vor- und Künstlernamen Dieudonné) im Pariser Konzertsaal Le Zénith teilgenommen hatte. Unter den Gästen waren so die momentane Nummer Zwei der Partei, Bruno Gollnisch, sowie die Gattin des Parteichefs – Jany Le Pen – und andere FN-Größen gewesen, die dort unter anderem auf den ex-linken Verschwörungstheoretiker Thierry Meyssan trafen (der sich dort öffentlich mit Gollnisch unterhielt, aber in einem Leserbrief an ‚Le Monde’ dementierte, er habe sich deswegen an den FN angenähert). Ob es der Antisemitismus Dieudonnés sei, den die rechtsextremen Parteikader so amüsant fänden, fragte die Journalistin nach. Ja, antwortete Jean-Marie Le Pen daraufhin rundheraus (und durch die Journalist eher unerwartet, die ungläubig nachfragte), « denn man muss über alle Themen lachen können. Am meisten Witze über die Juden machen (schließlich) die Juden selbst. »  

Solcherlei unverfrorene Antworten klingen nun wiederum nicht nach dem Wunsch, Ecken und Kanten im Profil der rechtsextremen Partei abzuschleifen. Die Tochter Marine Le Pen war daraufhin « für Auskünfte oder einen Kommentar gegenüber Journalisten nicht zu erreichen », präzisiert ‚Le Monde’ vom 23. Dezember. Bereits nach dem Vorstoß des alternden Parteichefs (und Papas) vom Januar 2005 hinsichtlich der « nicht so inhumanen » deutschen Okkupation in Frankreich hatte sie sich -- damals für Wochen, ja Monate – aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und unerreichbar geblieben. Allem Anschein nach wackelt das strategische Profil der Partei also tatsächlich hin und her, ohne dass alle Beteiligten mit diesem Wechselkurs sehr zufrieden wären. 

Auch Minderheiten vertreten  

Neben der (tendenziell « entdämonisierenden », bei gelegentlichen Rückfällen…) Positionierung des FN in der öffentlichen Meinung trägt zu einem solchen Abbau der « Dämonisierung » auch noch ein anderer Faktor bei. Nämlich die Tatsache, dass es ihm in jüngerer Zeit noch stärker als ohnehin schon in der Vergangenheit gelungen ist, auch die gewissermaßen rechten Ränder unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen anzuziehen. Damit verfügt die Partei über ihre « Kronzeugen » auch innerhalb von Minderheiten, um Vorwürfe des Rassismus oder Antisemitismus abwehren zu können. 

Am « Präsidentschaftskonvent » in der Pariser Vorstadt Le Bourget vom 10., 11. und 12. November etwa nahm auch der schwarze Antisemit Dieudonné, der vor zehn Jahren noch – im Namen des Antirassismus – zu den erklärten Feinden des FN gehörte, einen Nachmittag lang teil. In seinem Fall hängt die Annäherung an den FN eng mit dem sich radikalisierenden Antisemitismus des Theatermachers zusammen. Am selben Tag wie Dieudonné weilte aber auch der Vorsitzende der rechtsextremen « Jüdischen Verteidigungsliga » (LDJ), Anthony Attal, auf dem Wahlkampffest des Front National. Zu ihrem Glück begegneten sich die beiden aber nicht. Die Buchautorin Fiammetta Venner (« Extrême France », Paris 2006) spricht ihrerseits von einer communautarisation paradoxale, einem paradoxhaften Prozess der Zunahme von gruppenhafter Selbstbezogenheit.  

In sämtlichen Bevölkerungsgruppen gibt es Vertreter, die immer lauter die Auffassung vertreten, dass ihr je eigener Stamm zuerst drankommen müsse, mehr als alle anderen Opfer von Diskriminierung sei, oder die legitimste Angst vor der Zukunft habe. Manche Juden stimmen für den FN, konstatiert Venner, weil sie der Auffassung seien, dass es zu viele arabische Einwanderer in Frankreich gebe – und manche Araber, weil sie meinten, die Juden hätten zu viel Macht. Es handelt sich jeweils um Randphänomene. Aber wenn sich die Ränder auf einem gemeinsamen Terrain treffen, auch ohne sich ausdrücklich zu berühren, dann kann der FN sich über die gelungene « Entdämonisierung » freuen. Er sei schlieblich der Sachwalter der gesamten nationalen Gemeinschaft, bei der die Partikularinteressen aufgehoben seien, hinter die sie aber zurücktreten müssten – so lautet die neuste Begründung von Le Pen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor im Dezember 2006 zur Veröffentlichung überlassen. Die Fotos besorgte der Autor.