Die vergessenen Justizopfer des kalten Kriegs
Eine Veranstaltung der FSI Jura
01/07

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Am Dienstag, den 6. Mai 1998, fand im Heilig-Geist-Spital eine Veranstaltung statt, die von der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ), dem Deutschen Juristinnenbund (DJB), der Neuen Richtervereinigung (NRV), dem Republikanischen Anwaltsverein (RAV), der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) sowie von der FSI Jura organisiert wurde. Die Veranstaltung wurde anläßlich des 50. Jahrestages des Nürnberger Juristenprozesses durchgeführt und hatte die Rechtsprechung gegenüber KommunistInnen und anderen Linken in den 50er und 60er Jahren zum Thema.

Der Nürnberger Prozeß

Angeklagt wurden im Nürnberger Juristenprozeß dem Prototyp des staatstragenden Juristen entsprechende Exemplare, die sich besonders durch ihre konservative Grundhaltung auszeichneten. Hier kann gesagt werden, daß „der Dolch des Mörders unter der Robe des Richters verborgen war".

Es läßt sich feststellen, daß die Täter bald wieder freigelassen wurden und schnell wieder im Justizdienst Fuß fassen und erneut KommunistInnen und andere Linke verurteilen konnten. Als ein Beispiel ist hier Hitlers Justizminister Schlegelberger zu nennen, der nach seiner Haftentlassung 160.000 DM Pensionsnachzahlung und eine monatliche Pension von 3000 DM erhielt und nach dem immer noch ein HGB-Kommentar benannt ist.

Auf dem Podium saßen der Bremer Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, Autor des Buches „Die vergessenen Justizopfer des kalten Kriegs", sowie die Zeitzeugin Gertrud Schröter, die wegen ihrer Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft „Frohe Ferien für alle Kinder" zu einem Jahr Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt wurde.

Dr. Rolf Gössner begann seinen Vortrag mit der Frage nach den Lehren, die in der BRD gezogen wurden bezüglich der Verfolgung von Oppositionellen während der ersten zwei Jahrzehnte seit Bestehen der Bundesrepublik. Seit dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung solle es Aufgabe sein, diese Zeit in das öffentliche Bewußtsein zu rücken. Allerdings bestehe ein gesellschaftlicher Konsens nur im Hinblick auf die Aufarbeitung der DDR. Bei dieser einseitigen Betrachtungsweise wird völlig außer Acht gelassen, daß es auch in der Bundesrepublik dunkle Kapitel gibt, die in der mangelnden Verarbeitung der NS-Vergangenheit sowie in der Entnazifizierung liegen.

Ein Staat sieht Rot

Dazu kommt noch die politische Verfolgung im „Namen der Freiheit" mit den Instrumenten des Haftrechts des Strafrechts und der Entrechtung an sich. Hierbei handelt es sich um eine politische Verfolgung großen Stils unter dem Tarnmantel des Rechts und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Von 1951 bis 1968 gab es zwischen 150.000 und 200.000 Ermittlungsverfahren, die sich fast ausschließlich gegen Personen richteten, die gewaltfreie linksoppositionelle Arbeit leisteten. Grundlage der so genannten Kontaktschuldverfahren waren Kontakte zur DDR, z.B. die Teilnahme an Sportwettkämpfen, sowie die Mitarbeit bei Ersatzorganisationen der 1956 verbotenen KPD. Letztendlich führte etwa jede 20. Ermittlung zu einer Verurteilung, so daß ca. 7.000 bis 10.000 Verurteilungen zu verzeichnen waren, die zum Teil mehrjährige Gefängnis- und Zuchthausstrafen und hohe Geldstrafen zur Folge hatten. Darüber hinaus brachten die Verfahren für viele Menschen existentielle Probleme, wie Rentenverlust, Paßentzug, Untersuchungshaft sowie den Verlust des Arbeitsplatzes und Berufsverbote mit sich.

Im Anschluß an Gössners Einleitung wurde der Film „Ein Staat sieht Rot" gezeigt, der das Ausmaß der Verfolgungen gegen Linke in der BRD anhand von Beispielen und Interviews mit Betroffenen deutlich macht. Diese Verurteilungen hatten gravierende Folgen nicht nur für die Betroffenen sondern auch für deren Angehörige und zogen oft noch jahrelange Überwachungen nach sich.

Auch standen die Angeklagten oft vor Richtern, die sich schon im Dritten Reich bei der Verurteilung von WiderstandskämpferInnen „verdient" gemacht hatten. Die Betroffenen wurden oft auch schon in der Nazidiktatur wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt und verurteilt.

Anschließend stellte Dr. Gössner die Frage, wie es zur Entstehung der umfassenden Kriminalisierung gegen Linke kam. Als Antwort sah der Referent die Schlüsselphase von 1945 bis 1949 für die spätere Entwicklung als entscheidend an. Diese Phase war von der gesellschaftlichen Restauration und von der Westbindung geprägt sowie durch den Aufbau der Westzonen zum „Bollwerk gegen den Osten" und der Idee der „Wehrhaften Demokratie".

Während in der sogenannten „Stunde Null" eine umfassende Entnazifizierung der Gesellschaft begann, wurde der Polizei untersagt, paramilitärische Formationen zu bilden und Personen zu bespitzeln. Diese Strategie wurde allerdings schon früh wieder geändert und ein auf einen Bürgerkrieg ausgerichteter Polizeiapparat gebildet. Die Polizeistrategie hatte die Aufstandsbekämpfung zum Ziel. In damaligen Lehrbüchern war von der „Verteidigung des Abendlandes gegen die Horden des Ostens" zu lesen. Mit dieser Entwicklung ging eine konsequente Renazifizierung des Staatsapparates einher. Meilensteine waren das 131er-Gesetz von 1951, das die Pflicht zur Wiedereinstellung zum Ziel hatte, und der „Adenauererlaß" von 1950, der die Verwaltung von KommunistInnen säubern sollte.

Gleichzeitig wurden die Geheimdienste mit ehemaligen Gestapo-Leuten aufgebaut. Schon 1953 befaßte sich der Verfassungsschutz mit dem Thema Linksextremismus.

Dagegen gab es nur als einzigen Versuch der Aufarbeitung den Nürnberger Juristenprozeß von 1947 gegen 16 führende Juristen des Dritten Reiches. Das Ergebnis läßt sich nach Dr. Gössner mit der Feststellung zusammenfassen: „§211a StGB: Der Justizmord ist straffrei". Ein Gesetz des alliierten Kontrollrates sah vor, daß alle NS-Juristen aus dem Staatsdienst verschwinden sollten. Hier war allerdings das Gegenteil der Fall. So kehrten fast alle NS-Richter wieder in den Staatsdienst zurück. Auch wurde die deutsche Justiz mit Hunderten von NS-Tätern wiederaufgebaut. Dadurch kam es zu einer Staatsfixiertheit, die die Freiheitsrechte der Bürger erneut einschränkte.

Entwicklung des politischen Strafrechts

Im Bereich der Legislative setzten die Alliierten mit als erstes alle politischen Gesetze außer Kraft. Dieser Trend sollte allerdings nur bis zum ersten Strafrechtsänderungsgesetz (1951) anhalten, das vor allem politische Strafnormen enthielt. Mit diesen sollte der Schutz des Staates weit vorgelagert werden durch deren generalklauselhafte Formulierung. Insgesamt handelte es sich beim politischen Strafrecht eher um ein Präventions-, statt um ein rechtsstaatliches Schuld- und Tatstrafrecht, so Dr. Gössner. Ebenfalls wurden wieder viele Teile des NS-Strafrechts in das bundesrepublikanische übernommen. Die Zuständigkeit für diese Strafverfahren lag bei bestimmten Strafkammern. Nach §74a GVG sollten dies Strafkammern mit geeigneten und erfahrenen Richtern mit besonderer Staatstreue sein. Das BKA wurde als ermittelnde Hilfspolizei eingesetzt. Dazu kam noch eine einheitliche Linie, die das System der politischen Justiz verfestigte. 1953 wurde das politische Strafrecht zum ersten mal verschärft. Infolgedessen wurden zum ersten Mal Organisationen verboten wie etwa die „Volksbefragung gegen Remilitarisierung". Der Höhepunkt war 1956 das Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht.

Diese exzessive KommunistInnenverfolgung fand 1968 ihr vorläufiges Ende mit einer Entschärfung des politischen Strafrechts durch die neue sozialliberale Koalition in Bonn.

Berufsverbote

In den 70er Jahren ging der Trend wieder in die andere Richtung. 1972 faßten die Ministerpräsidenten den „Extremistenbeschluß", der erneut Berufsverbote nach sich zog. 1992 allerdings erklärte der EuGH die Berufsverbote für rechtswidrig. Dieser Beschluß hatte eine Revidierung des damaligen Unrechts zur Folge und führt dazu, daß jetzt von Berufsverboten Betroffene von deutschen Gerichten rehabilitiert werden.

Nach dem Referat von Dr. Gössner war dann die Zeitzeugin Gertrud Schröter an der Reihe, die von der politischen Verfolgung selbst betroffen war.

Frau Schröter berichtete zuerst aus ihrer eigenen Familie: Ihr Vater verbrachte während der Nazidiktatur lange Jahre im Zuchthaus und im KZ. Insgesamt waren diese 12 Jahre eine fürchterliche Zeit, in der die Familie zerstört werden sollte. In dieser Zeit leistete sie bereits illegale Arbeit mit Jugendlichen. Dabei habe sie sich geschworen, alles zu tun, daß diese fürchterlichen Dinge nie mehr wieder geschehen. Als Ziel sah sie eine antifaschistische demokratische Gesellschaft. Frau Schröter beteiligte sich in einem Friedenskommitee, als es um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ging. Ebenfalls gründete sie den „Demokratischen Frauenbund" mit.

„Frohe Ferien für alle Kinder"

In dieser Zeit erhielt sie das Angebot, mit Kindern in die DDR zu fahren, um dort Ferien zu machen. Um dieses Angebot umzusetzen und die anfallende Arbeit zu bewältigen, rief Frau Schröter 1954 die Arbeitsgemeinschaft "Frohe Ferien für alle Kinder" ins Leben. Diese Aktion fand großen Anklang. Im ersten Jahr fuhren bereits 3.000 Kinder aus dem gesamten Bundesgebiet in die DDR. Für den Transport stellte sogar die Deutsche Bundesbahn Sonderzüge zur Verfügung. Die Arbeitsgemeinschaft arbeitete sieben Jahre reibungslos bis 1961. Im April 1961 kam es dann zur Anklage vor der 4. Sonderstrafkammer des LG Lüneburg. Die Anklageschrift umfaßte über 500 Seiten.

Die Gruppe wurde an dem Tag verboten, an dem die Kinder in die DDR abreisen wollten und sich bereits auf dem Bahnhof befanden. Das Verbot hatte eine sofortige Arbeitseinstellung zur Folge.

Frau Schröter war sehr erstaunt, wie emsig der Verfassungsschutz in dieser Sache gearbeitet hatte.

Als Staatsanwalt trat damals übrigens Karl-Heinz Ottersbeck auf, der bereits als Kriegsrichter in Polen tätig gewesen war und dort weitermachen konnte, wo er 1945 aufgehört hatte. Im September 1961 wurde der Prozeß eröffnet. Im November 1961 erging dann das Urteil. Frau Schröter wurde zu einem Jahr Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust (Verlust der Staatsbürgerrechte) verurteilt. Die anderen Urteile gegen Mitglieder der Gruppe lauteten auf zweimal 9 Monate auf Bewährung, womit die Angeklagten offenbar auseinanderdividiert werden sollten. Eine Revision vor dem BGH blieb ohne Erfolg, so daß Frau Schröter die volle Haftzeit, die sie 1963 antrat, absitzen mußte, unter anderem auch deshalb, weil „kein geordnetes Leben zu erwarten" war.

Frau Schröter erlebte während dieser Zeit eine enorme Solidarität aus der gesamten BRD und DDR. Rehabilitiert wurde Frau Schröter bis heute nicht, so daß sie immer noch als vorbestraft gilt. Heute arbeitet sie in der „Initiative zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Kriegs" mit.

Inzwischen ist sie Trägerin des Niedersächsischen Verdienstkreuzes wegen ihrer dreißigjährigen ehrenamtlichen Mitarbeit in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen.

In der anschließenden Diskussion wurde die Frage nach dem aktuellen Stand bezüglich einer Rehabilitierung der Opfer der Nachkriegsjustiz gestellt. Dr. Gössner wies auf einen entsprechenden Antrag der PDS-Bundestagsgruppe hin. Dieser werde zur Zeit aber nicht bearbeitet, wohl da er von der PDS komme.

Ein anderer Zuhörer wies auf aktuelle Verfahren gegen linke Gruppen und deren AnhängerInnen hin, zum Beispiel gegen die „Göttinger Autonome Antifa M" hin. Auch heute sei es Ziel solcher politischen Verfahren neben der Kriminalisierung an sich, die Betroffenen in ihrer menschlichen Existenz zu treffen.

 

Literaturhinweise:

Rolf Gössner, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs, Hamburg 1994

Maria von Krasecky, Alles, was vergessen wird geschieht - Die Lebensgeschichte der Gertrud Schröter, o.J.

Günter Gleising (Hg.), Willi Nowaks Knastnotizen, Bochum 1996

 

Editorische Anmerkungen

Bearbeitet von Roland Holder, zuletzt geändert am 26. Juni 1998

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