Verabschiedung des Pali-Tuchs
Zu den Irrtümern über ein Kleidungsstück (Eine Neujahrsglosse)

Von Gerhard Hanloser

01/08

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Jede Kritik ist ihrer Zeit verhaftet. Manchmal - gerade im Bestreben, nicht dem Zeitgeist zu folgen - liegt Kritik auch neben der Zeit, wird nostalgisch und romantisch. So auch meine launische Polemik "Verteidigung eines Kleidungsstücks", geschrieben zur Zeit der heißen Vorbereitungsphase des Irakkriegs 2003.[1] Die ungleichzeitigen Gedanken, die mich damals bewegten, diesen Stoffetzen zu verteidigen, folgten einer richtigen Intention: der Verteidigung linker Geschichte, sie erfolgten allerdings unter Zuhilfenahme mittlerweile überholter Argumente.

Um was gehts? Das Palituch war in den 70ern und 80ern ein Erkennungszeichen der Militanten, später dann der Friedensonkel und Friedenstanten. Gegen den hirnrissig-affirmativen Pro-Bellizismus der falschen und richtig falschen Amerika- und Israel-Freunde, die vollkommen unhistorisch das Tragen eines Palituchs als antisemitische Tat ahnden wollen, musste dieser (zugegebenermaßen: unästhetische) Stoffetzen und vor allem die Leute, die ihn damals trugen, verteidigt werden. Allerdings tat ich es in Erinnerung an die 80er: Militante aus (meist) bürgerlichem Elternhaus verlumpen sich selbst und verweigern sich der aalglatten Yuppiemaskerade - und sind (ja klar, so war das damals!) mehr antiimperialistisch gestimmt als pro-westlich. Im steineschmeissenden Pali-Kid wollen sie eine Schwester im Geiste und der Tat im weltweiten Riot gegen die globale Unterdrückungs- und Ausbeutungsmaschine sehen. "Boah, wie primitiv", denkt der heutige Yuppielinke und ist sich darin mit Springers Welt und Reemtsmas Kraushaar und der jungle World und anderen Konsens-Liberalen einig, ”- außerdem antisemitisch!” schnauzen die dümmsten von ihnen.

Die 80er sind lange her und 2003 war nicht auszumachen, was 2007 geschehen sollte. Mittlerweile wickelt sich das alte, längst verschwunden geglaubte Tuch um den Hals von 12jährigen Mädchen, die wir mit unserer linken bildungsbürgerlichen Mittelschichtgesinnung in den 80er Jahren als "angepasste Tussis" bezeichnet hätten (Auch unsere Freundinnen hätten es getan, der Sexismusvorwurf muss nicht aktiviert werden, auch hier: es ist eher eine Klassenfrage, denn meist waren wir die Bürgerkinder und die ”Tussis” die Kinder der Proles in der ”eindimensionalen Gesellschaft”, die damals alles, nur keine Palitücher getragen hätten).

Aber: Warum und wieso immer wieder und ausgerechnet jetzt das Palituch? Gibt es etwa ein Revival linker Geschichte? Weit gefehlt!

Mode, so erklärte mir eine gute Bekannte, die meint, es zu wissen, wäre vollkommen inhaltsleer und bedeutungslos. Walter Benjamin sagte dahingegen, dass Mode eine "Witterung für das Aktuelle" hat. Gehen wir dem nach: In den 80ern gings um Subversion. Das Tragen des Palituchs war der Wahrnehmung in der linken Szene geschuldet, dass die Palästinenser irgendwas mit Befreiung und Subversion am Hut haben. Dass diese Wahrnehmung in bestimmten Zeiten, in Bezug auf bestimmte Gruppen, Klassen und Fraktionen ”der Palästinenser” völlig falsch war, verheerend falsch, kann man sich über die Lektüre der selbstkritischen Texte der RZ erschließen; dass diese Wahrnehmung nicht völlig hirnrissig war, kann erkennen, wer sich mit den Einschätzungen des sozialrevolutionären Gehalts der Intifada 87/88 auseinandersetzt, die damals unter Radikalen zirkulierten.

Die heutige Zeit steht aber im Zeichen des Konformismus. Jeder ist gegen Bush, fast mehr als gegen Bin Laden, alle halten es für falsch, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist, doch Antimilitarismus ist von vorgestern. Tritt die Bundeswehr rekrutierend im Arbeitsamt auf, hört die deutsche Jugend brav und etwas bang zu, ob es womöglich Karrierechancen bei den Kameraden gibt. Auch mit Palituch. Die Stimmung ist indifferent gegenüber Antisemitismus und Kriegseinsätzen gleichermaßen, am liebsten will man seine Ruhe. Seine Träger heute wollen sich nicht mehr mit irgendwelchen als Sozialrebellen Wahrgenommenen identifizieren - und selbst rebellieren!, sondern ... ja was eigentlich?

Sollte man wirklich in schein-psychologischer Manier das Tuch als Kapitulationserklärung und Identifikation mit dem islamistischen Aggressor und seinem Hass auf den ”dekadenten Westen” interpretieren? Sind wir umgeben von Pro-Islamisten? Jeder Palituch-Träger ein Antisemit? Quatsch! Im Sommer 2008 steht wieder eine andere Mode an, die sicherlich peppiger sein , und damit in den Augen der Islamisten genau die "westliche Dekadenz" darstellen wird, die wir als Kritiker der kapitalistischen Produktionsweise und gleichzeitige Liebhaber einiger kapitalistischer Überbauphänomene so schätzen! Herrschaft, Unterdrückung, Ausbeutung, Kriege und kapitalistischer Alltag werden bleiben.

Noch eine Nachbemerkung für Antifaschisten: Im Gemeindeblatt ”Jüdisches Berlin” im Dezember 2007 findet sich ein begeisterter Bericht, dass "Jugendlichen, die solche Tücher in letzter Zeit sehr häufig als modisches Accessoire tragen, der Zutritt in das Informationszentrum (des Mahnmals für die ermordeten Juden, G.H.) verwehrt wird". Von "Feingefühl" und "politischem Engagement der Einrichtung" ist dann die Rede. Das ist dann doch ein schallendes Gelächter wert! Die unpolitisch-konformistischen heutigen Pali-Kids werden nicht mehr über den Holocaust informiert? Die staatlichen Antifa-Pädagogen machen das, was die ”antideutschen” Publizisten immer forderten: ”Raus mit den Pali-Kids!”? Wäre man nicht ohnehin skeptisch gegenüber dem pädagogisch-staatsverordneten Erinnerungs-Zinnober besonders rund um das Berliner Mahnmal, man müsste ein glattes pädagogisches Versagen konstatieren. Denn - Ironie der Geschichte - die 80er-Jahre Pali-Militanten wussten über den Faschismus, den Antisemitismus, Auschwitz und IG Farben ziemlich gut Bescheid. Geschichte konnte sich noch subversiv angeeignet werden, gerade weil der Geschichtsunterricht in der Institution Schule damals erbärmlich schlecht und faschismusblind war, die 2007er-Pali-Träger dahingegen hören beim moralinsauer-zerknirschten Gedenk-Geschichtsunterricht zum "Zweiten Weltkrieg", der meist immer noch erbärmlich schlecht, wenn auch anders ist, ohnehin weg. Und das war‘s. Ins Informationszentrum dürfen sie mit ihrer Schulklasse jetzt auch nicht - bleibt nur noch, in der ohnehin von Langeweile ausgefüllten Zeit ins Schaufenster zu glotzen.

Hoffentlich ändert sich die Mode bald. Und ”die Linke” auch. Der Kampf gegen Konformismus und für die Subversion findet nicht auf dem Marktplatz der Eitelkeiten statt.

Fußnoten:

[1] Warum coole Kids doch manchmal Palitücher tragen. Zur Verteidigung eines Kleidungsstückes http://www.trend.infopartisan.net/trd0203/t150203.html

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.