Es geht ohne den DGB
Peter Birke hat eine empfehlenswerte Geschichte der Wilden Streiks vorgelegt, die viel Stoff für aktuelle Debatten aufwirft

von Peter Nowak

01/08

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Der  Bahnstreik de Lokführergewerkschaft hat für Erstaunen und Verwirrung gesorgt. Dass eine Gewerkschaft, die nicht Teil des DGB ist, alle Räder stillstehen lässt, hat auch in der Linken für heftige Diskussionen gesorgt. Denn es ist weitgehend in Vergessenheit geraten, dass es häufig neben den offiziellen Gewerkschaften Arbeitskämpfe gibt. Der in Hamburg lebende und lehrende Historiker Peter  Birke hat jetzt ein Buch veröffentlicht, dass dieses weitgehend in Vergessenheit geratene Stück Arbeitergeschichte zum Thema hat . Birke hat die Geschichte der wilden Streiks in Deutschland und Dänemark von 1950 – 1974 untersucht. Als wilde Streiks gelten Arbeitskämpfe, die nicht oder zumindest nicht offiziell von den Gewerkschaften organisiert werden.

Birke hat die Spuren dieser vergessenen Arbeitskämpfe in den Berichten linker  Zeitungen sowie in Flugblättern und Flugschriften gesucht und ist fündig geworden. Die ersten wilden Streiks wurden in Westdeutschland gegen die Demontage von Industrieanlagen geführt. Dafür gab es   Zustimmung und Unterstützung auch von den Unternehmern  und großer Teile der Bevölkerung .  Streiks gegen die Wiedereinsetzung von ehemaligen Nazis in die Verwaltung eines Betriebes hingegen hatten wenig Unterstützung und wurden schnell als "kommunistisch gesteuert“ diffamiert. Diese Behauptung war  in der Adenauer-Ara ein ständiger Vorwurf und trug dazu bei, dass die Streiks isoliert blieben und die Teilnehmer häufig kriminalisiert wurden. Umgekehrt waren die Streikenden oft selber sehr bemüht darum, sich von allen kommunistischen Beeinflussungsversuchen zu distanzieren. Da wurde schon mal einen Journalisten vom DDR-Rundfunk mit Prügel gedroht, als er solidarisch von einem Streik berichten wollte.  

Streik wegen einer Bildschlagzeile

Selbst, wenn Arbeiter wegen der Bildzeitung in den Ausstand traten, muss es nicht immer emanzipatorische Gründe haben. So berichtet Birke von einem Streik Mitte der 60er Jahre, der entstanden war, nachdem das   Springerblatt in ihrer Schlagzeile meldete, dass nach einer Studie italienische Arbeiter fleißiger als deutsche sind. Da schlugen die nationalen Wogen hoch und die damals auch gerade erstarkende NPD versuchte diese Stimmung zu nutzen. Insgesamt war dieses Bemühen aber nicht erfolgreich. Es gab aber auch Anti-Bild-Aktionen von Streikenden, die an die linke Kampagne gegen das Springerblatt anknüpften. Sie waren wütend über die arbeiter- und gewerkschaftsfeindliche Artikel in der Bildzeitung. Da fragt man sich doch, ob es nicht an der Zeit wäre, wieder an der Anti-Springer-Kampagne anzuknüpfen. Schließlich verdammten nicht nur sämtliche Zeitungen des Springerkonzern den Mindestlohn. Als Teilhaber der PIN-AG betreibt der Konzern sogar eine regelrechten Wirtschaftskrieg gegen den Mindestlohn..  

Birke skizziert die unterschiedlichen Reaktionen des DGB auf  wilde Streiks. Manchmal wurde der Arbeitskampf von den DGB-Gewerkschaften schnell unterstützt und zur Erreichung von Lohnforderungen genutzt. Doch besonders,  wenn der Streik stark von jüngeren Arbeitern,  Frauen oder von Arbeitsmigranten getragen wurde, war es mit der Solidarität des DGB oft nicht weit her. So stellte sich die Wolfsburger IG-Metallzeitung   hinter die Geschäftsleitung, als bei VW  1959 nach einem Kurzstreik 90 Bandarbeiter entlassen worden. „Das war also ein sogenannter Wilder Streik. Jedem Gewerkschaftler ist klar, dass derart ungezügelte Ereignisse keinem Arbeitnehmer einen Vorteil einbringen können, dass sie vielmehr nur Schaden anrichten. Insofern können wir nicht mit guten Gewissen gegen die Konsequenzen Stellung beziehen, die die Geschäftsleitung gezogen hat.“ Interessant wäre sicher zu erfahren, ob sich knapp 15 Jahre nach Ende der NS-Herrschaft in diesen Zeilen aus der ehemaligen NS-Gründung Wolfsburg nicht noch die alte Volksgemeinschaftsideologie ausdrückte. 

Die Prekären treten in den Streik 

Aber auch der in großen Teilen von türkischen Arbeitsmigranten getragenen  Streiks in Köln im Jahre 1973 wurden in der Öffentlichkeit aber auch in Teilen der Gewerkschaften als „Türken-Terror“ diffamiert. Zu dieser Zeit solidarisierten sich allerdings linke Gruppen aus der außerparlamentarischen  Bewegung mit den Streikenden. Birke macht allerdings auch deutlich dass die sozialen Bewegungen, die neue Linke und die Arbeitskämpfe in Westdeutschland und Dänemark oft nebeneinander abliefen.

Das Buch ist mehr als ein Geschichtsbuch. Schließlich zeigt Birke auf, dass wilde Streiks oft von ungelernten Lohnabhängigen getragen wurden. Heute würde man von Prekären sprechen und die nehmen ja bekanntlich stark zu.   So bietet das Buch über wilde Streiks,  dass leider schon Anfang der 70er Jahre endet, viel Stoff für aktuelle Diskussionen.  Sind angesichts des Einflussverlustes   der DGB-Gewerkschaften wilde Streiks in Zukunft häufiger zu erwarten? Ist  die weitverbreitete Meinung, dass sich prekär Beschäftigte schwer organisieren lassen, überhaupt haltbar, wenn doch gerade diese Gruppe Träger der wilden Streiks war?  Birke liefert auch einen Überblick über die Positionen des DGB. So erinnerte er an die längst vergessene Ford-Aktion, mit der Anfang der 60er Jahre lGewerkschafter um den damaligen linken IG-Metall-Bildungssekretär und späteren SPD-Bundesminister Hans Matthöfer den gewerkschaftlichen Einfluss in den Kölner Fordwerken verstärken wollten. Mittels von Arbeiterbefragungen, die später von Operaisten als militante Untersuchungen bekannt machten, wurden die Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen befragt. Gleichzeitig machte sich damals  Günther Wallraff erstmals  mit seinen Industriereportagen über den Alltag am Fließband von sich reden. Damals schreib er wohl noch selber.  So wurde die Eintönigkeit dieser Arbeit erstmals in einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Die Ford-Aktion wurde vom DGB bald abgebrochen. Doch mit dieser Aktion wurde eine Spur gelegt, die sich bis zum Fordstreik 1973 zieht. Birke zeigt, dass es häufiger ein faktisches Zusammenwirken von Teilen der Gewerkschaften und unorganisierten Arbeitern gab.  

Zwei Kritikpunkte müssen doch noch angemerkt werden: Birke erwähnt Wilde Streiks in Westberlin nur ganz sporadisch, obwohl er in der Literaturliste sogar Bücher angibt, in denen  sich Material dazu findet. Wollte der Autor damit  die Unabhängigkeit Westberlins von der BRD unterstreichen? Das wäre ja noch ein politisches Argument.    

Leider wird auch auf die offensive Lohnstrategie des Gewerkschaftslinken Victor Agartz nicht eingegangen.. Weil der gegen die Restauration der alten Machtverhältnisse und auch gegen den Anpassungskurs  führender Gewerkschafter  eintrat, wurde Agartz mittels einer Geheimdienstintrige der Kontakte mit der DDR beschuldigt, verhaftet und angeklagt. Er wurde später zwar freigesprochen, doch seine Gegner in Politik und Gewerkschaften hatten ihr Ziel heraus. Agartz war politisch ausgeschaltet und ist bis heute im DGB eine Persona non grata. Birke sollte diesen Fall bei einer Neuauflage unbedingt mit einarbeiten. Denn er gehört ebenfalls zu der  weitgehenden vergessenen Geschichte von Arbeiterwiderstand im Nachkriegsdeutschland. 


 

Peter Birke
Wilde Streiks im Wirtschaftswunder
Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark

Campus Forschung - Band: 927
376 Seiten
EAN 9783593384443
Euro 39,90

Am 8.2.2008  um 19 Uhr  wird Peter Birke im BAIZ, Christinenstr. 1 sein Buch „Wilde Streiks im Wirtschaftswunder „ vor- und zur Diskussion stellen.

Am Samstag, den 9. Februar 2008 findet  von  14.30 Uhr – 19 Uhr im Berliner Haus der Demokratie in der Greifswalder Str. 3  ein Workshop zur Diskussion und Vernetzung    unter dem Arbeitstitel:  Neue Klassenkämpfe? Betriebliche Bewegungen und Perspektiven antikapitalistischer Intervention“ statt.

Die beiden Veranstaltungen werden von den Internationalen KommunistInnen und der AG Soziale Kämpfe vorbereitet und finden im Rahmen der vom Euro-Mayday-Bündnis organisierten Veranstaltungsreihe  Prekarität – Solidarität – Widerstand“ statt

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.