Nach Bhuttos Ermordung: Wohin geht Pakistan?

Stellungnahme der Liga für die Fünfte Internationale

01/08

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Die Ermordung von Benasir Bhutto in Rawalpindi am 27.12.2007 hat Pakistan in eine noch tiefere Krise gestürzt als jene seit dem 9.3.2007, als Präsident Perves Musharraf den obersten Richter des Landes, Iftikhar Muhammad Chaudhry, entließ. Trotz Behauptung von Seiten der Militärregierung, dass es Beweise gebe für die Urheberschaft von islamistischen Gruppen mit Verbindung zu Al Kaida an diesem Attentat, hat sich der um sich greifende Zorn der Bevölkerung zur Hauptsache gegen Muscharraf sowie Armee und Polizei gerichtet. 

Revolutionäre verurteilen auf schärfste Akte von individuellem Terrorismus wie den Mord an Benasir Bhutto und fühlen mit den aufgebrachten Massen, die dies korrekt als Anschlag auf ihre eigenen demokratischen Bestrebungen erkennen, als einen Versuch, das diktatorische Militärregime zu verlängern oder gar zu verschlimmern. 

Die Ermordung kam gerade zwölf Tage vor den allgemeinen Wahlen, deren Ausgang wahrscheinlich zu Gunsten von Muscharraf und seiner gefolgstreuen Partei PML-Q gefälscht worden wäre. Wenn sie wie geplant stattgefunden hätten nach dem Mord an der Führerin jener Partei (Pakistanische Volkspartei = PVP), die mit dem höchsten Stimmenanteil hätte rechnen können, wäre dies um so lächerlicher gewesen. Doch eine solche Wahl wird weiterhin unkritisch unterstützt von den Vereinigten Staaten von Amerika und Britannien, den beiden imperialistischen Mächten, die Pakistan beherrschen, das Jahrzehnte lang als Oberpolizist zunächst für Britannien und später die USA in Zentral- und Südasien gedient hat und das vom Imperialismus eine riesige Militärhilfe, besonders nach dem 11.9.2001, erhalten hat. 

Benasir Bhutto, deren Familie und Ehemann Millionäre und Teil von Pakistans korrupter Landbesitzerelite sind, wird als Märtyrerin für Demokratie von den westlichen Medien, aber auch von der Internationalen Marxistischen Tendenz (in Pakistan als linker Flügel ‚Der Kampf’ in der PVP) gefeiert. In Wahrheit hat sie jedoch stets die Interessen von Pakistans winziger reicher Oberschicht und die unterwürfige Haltung gegenüber den Imperialisten in London und Washington vor den demokratischen Kampf des pakistanischen Volkes gestellt. Die PVP war nie eine Partei der Arbeiterklasse, sondern von Anfang an eine bürgerlich-populistische Partei. 

Die PVP wurde zum Symbol für die demokratischen Bestrebungen großer Teile der Bevölkerung, weil sie durch einen Militärschlag oder Verfassungsmanipulation dreimal aus dem Amt geputscht wurde und mehrere Angehörige der Bhutto-Familie im Lauf der Geschichte ermordet wurden. Die Volkspartei entstand in einer Zeit des Massenwiderstands gegen das damalige Militärregime. Ihr Gründer, Benasirs Vater Sulfikar Ali Bhutto, führte 1971 bis 1977 einige soziale Reformen durch, wurde aber durch das Militär gestürzt und schließlich 1979 erhängt. Der von General Sia ul Haq (Präsident 1977-1988) geführte Putsch wurde in enger Absprache mit dem US-Imperialismus ins Werk gesetzt. Wie alle populistischen Parteien schart sich die PVP um eine herausragende Führungsfigur, die in Pakistan aus der Bhutto-Dynastie kommt. 

Allerdings wurde das radikalpopulistische Erbe von S. A. Bhuttos Tochter bereits längst abgestreift. Ihre Personalakte während zweier Präsidentschaften 1988-1990 und 1993-1996 ist durchaus nicht makellos, Sie enttäuschte die Hoffnungen der Massen auf tief greifende Reformen, unterstützte den US-Imperialismus und machte mit der Armee und den Islamisten gemeinsame Sache. Aber auch 2007, als sie im Oktober aus ihrem Exil in Dubai zurückkehrte, haben weder sie noch ihre Partei die Massenaktionen für die Wiederherstellung der Demokratie angeführt. Natürlich haben auch einzelne PVP-Aktivisten eine Rolle bei den Mobilisierungen gespielt, aber in brenzligen Situationen haben Bhutto und die PVP-Führung als Bremse für die Ausweitung und Durchschlagskraft der Kämpfe gewirkt und sie stattdessen daran gehindert, sie zum entscheidenden Schlag für Muscharrafs Sturz zu führen. 

Sie bewerkstelligten dies durch Verhandlungen mit dem Präsidenten, durch ihre schweigende Duldung der Säuberung der Richterschaft sowie durch ihr Liebäugeln mit dem Gedanken an eine Machtteilung mit dem Diktator. Die Krone setzte Bhutto allem auf, als sie die USA und die EU als glaubwürdige Gewährsleute für die Entwicklung Pakistans als Demokratie darstellte und ihre Bereitschaft bekundete, deren Krieg gegen den ‚Terrorismus’ in Pakistan und Afghanistan zu unterstützen. 

Benasir Bhutto war in der Tat die politische Figur, die Bush und sein schlauer Berater John Negroponte als Premierministerin für Pakistan vorgesehen hatten, allerdings unter strenger Kontrolle von Muscharraf als zivilem Präsidenten. Ihr Ziel war, eine sichere Hand über die pakistanische Armee zu wahren, so dass diese die USA in ihren Kriegsanstrengungen in Südafghanistan weiter unterstützen könnte, und zugleich das Regime mit einem größeren demokratischen Anstrich nach den Massenmobilisierungen im Sommer zu versehen. Dazu musste Muscharraf jedoch die Rechtsprechung, die unter dem Druck der von AnwältInnen und StudentInnen angeführten Massenbewegung unbotmäßig geworden war, daran hindern, seine Stellung für unrechtmäßig zu erklären. Unter schwerem Druck von Bush musste er Bhuttos Rückkehr und ihre Kandidatur für die am 8.1.2008 angesetzten Wahlen zulassen. In einem Versuch, die Kontrolle zu behalten, verhängte der Präsident den Ausnahmezustand, ließ die wirklich demokratische Opposition auf den Straßen niederknüppeln, Tausende verhaften und alle unabhängig gesinnten Richter des obersten Gerichts austauschen, deren Nachfolger dann ergeben seine Handlungen rechtfertigten. 

Bhutto sah sich schließlich auf Druck aus den eigenen Parteireihen, die wiederum unter dem Druck der Massen standen, genötigt, den Ausnahmezustand zu verurteilen und Gespräche zur Zusammenarbeit in einem Block von Oppositionsparteien zu beginnen und sich an die Spitze von Massendemonstrationen zu stellen. Muscharraf stellte sie prompt unter Hausarrest. Die imperialistischen Mächte sahen nun ihre sorgfältig ausgetüftelten Pläne für ein Herrschaftsgespann Bhutto-Muscharraf bedroht und drängten Muscharraf verzweifelt zur Aufhebung des Ausnahmezustands und zur Durchführung der Wahlen. Er willigte murrend ein, aber nur der Form halber. Die ersten Wahlversammlungen wurden durch terroristische Anschläge gesprengt. Auf der Kundgebung des früheren Premierministers Nawas Schariff wurden 4 Menschen erschossen und die Versammlung Bhuttos endete mit ihrer Ermordung. 

Aus all diesen Gründen und obwohl wir den Mord an Benasir Bhutto vorbehaltlos verurteilen und auch die demokratischen Hoffnungen, die Teile der Massen in sie hegten, würdigen wollen, beurteilen SozialistInnen ihre Ermordung nicht als ‚Mord an der Demokratie’ oder ihre Person nicht als ‚Märtyrerin für die Demokratie’. 

Es waren nicht nur Dschihad-Islamisten und/oder Al Kaida-Anhänger, die ein Interesse an Bhuttos Beseitigung hatten, obwohl sie vor kurzem den Krieg der USA gegen den ‚Terror’, den die pakistanische Armee in der Wasiristan- und Suat-Provinz mit führt, gut geheißen hat. Auch führende Kräfte in Muscharrafs PML-Q-Partei und der Geheimdienst stehen unter Verdacht. Berichten zufolge soll der Personenschutz durch Militär und Polizei sehr mangelhaft gewesen sein, und Bhutto selbst hatte Elemente von Militär und PML-Q ausgemacht, von denen sie annahm, dass sie sie umzubringen versuchten. Wie auch der genaue Ablauf der Ereignisse und wer die Drahtzieher gewesen sein mögen, zumal solche Attentate, die die gesamte Geschichte Pakistans begleitet haben, kaum je wirklich aufgeklärt worden sind - es gibt mächtige Kräfte im Militärregime und dessen Statthalterpartei, die von der Fortsetzung eines tatsächlichen Ausnahmezustands profitieren würden. 

Die Wahlen, wenn sie nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden, wären in jedem Fall eine völlig abgekartete Angelegenheit und nur dazu bestimmt, Muscharrafs Präsidentschaft zu legitimieren. Jede zivile Partei, die das Regierungskabinett übernehmen wollte, würde unweigerlich in den Augen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung jegliche Achtung verlieren. 

Was sollen die Arbeiterklasse und die fortschrittlichen Kräfte angesichts der gegenwärtigen Krise tun ? Zunächst einmal ist es notwendig, die Verhängung des Kriegsrechts oder eines neuen Ausnahmezustands abzuwehren. Die Massen von ArbeiterInnen, StudentInnen und Bauern sollten Selbstverteidigungsmilizen in  Wohngemeinden und an Arbeitsplätzen ins Leben rufen, um die zusammengebrochene Ordnung selbst wieder herzustellen. Gleichzeitig sollten sie Schritte unternehmen, den Zorn der Massen in Massenaktionen, Demonstrationen, Generalstreik sowie Besetzungen von Hochschulen münden zu lassen. Zur Organisierung dieser Kämpfe und für ihre von korrupten bürgerlichen Führern wie Nawas Schariff unabhängige Führung ist es wesentlich, dass sich die ArbeiterInnen, StudentInnen, AnwältInnen und Bauern in Aktionsausschüssen zusammenfinden. All diese Mobilisierungen sollten den sofortigen und bedingungslosen Rücktritt des Diktators und der Militärregierung zum Ziel haben. Die Scheinwahlen müssen Patz machen für einen Wahlvorgang zu einer souveränen Verfassung gebenden Versammlung. 

Diese Wahlen müssen unter Aufsicht der Massenorganisationen der Arbeiter in Stadt und Land, der städtischen Armut, der AnwältInnenbewegung, der Studierenden und der Jugend abgehalten werden. Die Beschäftigten in den Medien müssen gewährleisten, dass allen KandidatInnen fairer und gleicher Zugang offen steht und alle Versuche zur Bestechung und Anwendung von Zwang aufgedeckt werden. Nur mit diesen Mitteln kann eine demokratische Versammlung von jederzeit abwählbaren Abgeordneten, die fähig und willens sind zu revolutionären Maßnahmen im Interesse der ausgebeuteten und verarmten Massen, zustande kommen und ihre Pflicht erfüllen. 

Vor allem muss eine neue Arbeiterpartei um ein Programm herum formiert werden, nicht nur um volle demokratische Rechte zu gewinnen, und nicht nur, um jeglicher Kollaboration mit Bushs ‚Krieg gegen den Terrorismus’ ein Ende zu machen, sondern um die revolutionäre Enteignung von Großgrundbesitzern, einheimischen und ausländischen Kapitalisten durchzuführen, und um die Berufsarmee aufzulösen und in eine allgemeine Bewaffnung der Bevölkerung umzuwandeln. Dann wird es konkurrierenden Clans von Landbesitzern und Kapitalisten oder religiösen Fanatikern nicht mehr gelingen können, das Volk hinters Licht zu führen und die Massen vom Kampf um die eigene gesellschaftliche wie politische Befreiung abzulenken. 

Und schließlich steht die andauernde revolutionäre Lage in Pakistan nicht einzigartig in ganz Südasien da. In Nepal, Burma, Thailand, auf Sri Lanka und in Teilen Indiens haben größere Bewegungen für Demokratie und gegen Großgrundbesitz und Privatisierungen während der letzten Jahre stattgefunden. Dies ist selbst wiederum Teil eines weltumspannenden Gefüges, das auch Nahost und Lateinamerika einschließt. Diese Bewegungen werden verursacht durch die wachsende Krise des globalisierten Kapitalismus und des ‚Krieges gegen den Terrorismus’, in den die führenden imperialistischen Mächte verwickelt sind. Dieser Krieg dient in Wahrheit dem Zugriff auf Ölreserven und andere strategische Ressourcen, ein Krieg, der sich angesichts der zunehmenden Konkurrenz der Imperialisten untereinander zuspitzt. Nur eine internationale Organisation mit stärksten Verbindungen zu all diesen Kampfgebieten vermag diese Bewegungen so zu bündeln, dass sie eine geschichtliche Niederlage von Kapitalismus und Imperialismus bewirken. Dafür brauchen wir eine neue, die Fünfte Internationale.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von den AutorInnen zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe. Erstveröffentlicht wurde er auf der Website der Liga für die Fünfte Internationale