"Beugehaft" und "Schutzhaft" - Analogien aus der Geschichte
Erinnerung ist Gegenwart (nicht nur) zum 9. November 1938


Von Reinhold Schramm

01/08

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Modifizierter Faschismus gehört auch zum Wesen der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Rassentheorie und Rassen - Antisemitismus waren der unwissenschaftliche
Versuch, in Verbindung mit dem Antikommunismus, in barbarischer Praxis, die Unterdrückung, Ausraubung und Vernichtung bestimmter Bevölkerungsschichten, politischer Vereinigungen und ganzer Völker ideologisch zu rechtfertigen.

Rassentheorien, Rassenwahn und Antisemitismus, dienten und dienen, den jeweils gesellschaftlich herrschenden reaktionären Schichten und Klassen, zur geistigen Ablenkung, Kontrolle, Beherrschung und Instrumentalisierung der Bevölkerung.

Bei der Mehrheit der großen Privateigentümer der Deutschen Wirtschaft, deren Repräsentanten im Staat und in der Gesellschaft: im Industrie- und Bankwesen, in den Verbänden und Vereinigungen, in den bürgerlichen Parteien, gibt es keine Bereitschaft zur Überwindung rassistischer und antisemitischer Überzeugungen. Faschismus gehört zu einer Option der in Deutschland herrschenden Klasse.

Aktuelle Anmerkung: Die auch staatlich finanzierte Nachfolgeorganisation, die NPD, auch im Wahlbündnis mit der DVU, erhielt vorläufig 850. Tausend Wählerstimmen.

Zum Instrumentarium des deutschen Faschismus gehörte die staatliche Justiz, die Gesetzgebung, Verordnungen, Anordnungen, Weisungen und Befehle. Neben der Finanzierung und gesellschaftspolitischen Ausrichtung der NSDAP, als Herrschaftsinstrument von wirtschaftlich einflussreichen Schichten und Klassen, war für den deutschen Faschismus (an der Macht) entscheidend: die passive und aktive Teilnahme der Mehrheit der Bevölkerung!

Auszug aus den Anmerkungen zu: Victor Klemperer, Tagebücher 1933 - 1945.

Am 7.11.1938 erschoss ein junger polnischer Jude, Herschel Grynszpan, in der Deutschen Botschaft in Paris den Legationsrat Ernst vom Rath, um auf die Not jüdischer Menschen aufmerksam zu machen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion waren am 27.10.1938 18.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit, darunter auch die Verwandten Grynszpans, an die polnische Grenze gebracht und dort im Niemandsland ausgesetzt worden. Die NS-Führung nahm das Attentat zum Anlass für die Pogrome des 9. November 1938, die sogen. "Reichskristallnacht".

In der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 wurden in Deutschland 520 Synagogen in Brand gesetzt. Der Führer der SA-Gruppe Nordsee erteilte am 9.11.1938 den Befehl:  "Sämtliche jüdischen Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. Die Verwaltungsführer der SA stellen sämtliche Wertgegenstände einschließlich Geld sicher. Die Presse ist heranzuziehen. Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen von der Feuerwehr. Jüdische anliegende Wohnhäuser sind auch von der Feuerwehr zu schützen, allerdings müssen die Juden raus, da Arier in den nächsten Tagen dort einziehen werden. Die Polizei darf nicht eingreifen. Der Führer wünscht, dass die Polizei nicht eingreift."

Auszug aus den Anmerkungen:

Auf Weisung des Chefs der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, wurden in Deutschland in den tagen nach dem 9.11.1938 etwa 26.000 jüdische Bürger verhaftet und in Konzentrationslager, insbesondere nach Buchenwald, verschleppt.

"Verordnung über Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12. November 1938. Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt, erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne. Ich
bestimme daher auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans vom 18. Oktober 1936 (Reichsgesetzbl. I, S. 887) das Folgende: § 1. Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 1.000.000.000 Reichmark an das Deutsche Reich auferlegt. § 2. Die Durchführungsbestimmungen erlässt der Reichsminister der Finanzen im
Benehmen mit den beteiligten Reichsministern."

Ghettoisierung und "Judenbann" in Berlin - In der Anordnung des Polizeipräsidenten von Berlin vom 28.11.1938 heißt es u. a.:

"§ 1. Straßen, Plätze, Anlagen und Gebäude, über die der Judenbann verhängt wird, dürfen von allen Juden deutscher Staatsangehörigkeit und staatenlosen Juden nicht betreten oder befahren werden.

§ 2. Juden deutscher Staatsangehörigkeit und staatenlose Juden, die bei Inkrafttreten dieser Verordnung noch innerhalb eines Bezirkes wohnhaft sind, über den der Judenbann verhängt ist, benötigen zum Überschreiten der Banngrenze einen vom Polizeirevier des Wohnbezirks ausgestellten Erlaubnisschein. Mit Wirkung vom 1. Juli 1939 werden Erlaubnisscheine
für Bewohner innerhalb der Bannbezirke nicht mehr erteilt. (...)

§ 4. Der Judenbann erstreckt sich in Berlin auf

1. sämtliche Theater, Kinos, Kabaretts, öffentliche Konzert- und Vortragsräume, Museen, Rummelplätze, die Ausstellungshallen am Messedamm einschl. Ausstellungsgelände und Funkturm, die Deutschlandhalle und den Sportpalast, das Reichssportfeld, sämtliche Sportplätze einschließlich
der Eisbahnen;

2. sämtliche öffentliche und private Badeanstalten und Hallenbäder einschließlich Freibäder;

3. die Wilhelmstraße von der Leipziger Straße bis Unter den Linden
einschließlich Wilhelmplatz;

4. die Roßstraße von der Hermann-Göring-Straße bis zur Wilhelmstraße;

5. das Reichsehrenmal mit der nördlichen Gehbahn Unter den Linden von der Universität bis zum Zeughaus."

Quelle: Victor Klemperer. Tagebücher 1933 - 1945. Hier: 1937 - 1939. Seite 209/210 Aufbau Taschenbuch Verlag

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe. Er wurde am 02.04.2006, an die Bezirksgeschäftsstelle der "Linkspartei.PDS" - Tempelhof-Schöneberg, Berlin, für die Veröffentlichung in deren LUPE geschickt. Dies ist bis Heute nicht erfolgt!