Kritik des Anti-Faschismus der SED
von Harry Waibel01/08
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onlinezeitungDie SED hat einen Anti-Faschismus etabliert, der als gewichtige Legitimation für den Staat und die Gesellschaft der DDR anzusehen ist. Dieser Anti-Faschismus jedoch, und das ist der Ausgangspunkt für diese Kritik, war „blind“ gegenüber einem neo-faschistischen Phänomen, das sich in der DDR, aber nicht nur dort, zu einem immer größer werdenden Problem entwickelte. Neo-Faschismus ist Ausdruck einer komplexen Ideologie zur Propagierung und Durchsetzung inhumaner und undemokratischer Ziele und seine wesentlichen ideologischen Säulen sind Autoritarismus, Rassismus und Anti-Semitismus und er erschließt sich über einen historischen und theoretischen Rekurs auf die Entstehung und Entwicklung faschistischer Regimes, wie z. B. in Deutschland, Italien oder Spanien nach dem Ersten Weltkrieg. Die Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus war zugleich das Ende der führenden Organisation des deutschen Faschismus: der NSDAP und ihrer zahlreichen Unterorganisationen, die von Millionen deutscher Frauen und Männer getragen wurden. Hier waren die inhumanen und anti-demokratischen Potentiale Deutschlands zusammengefasst und zu tragenden politischen, militärischen und ideologischen Säulen des nationalsozialistischen Machtapparates geformt und eingesetzt worden. Seit der militärischen Zerschlagung des nationalsozialistischen Deutschlands durch die Anti-Hitler-Koalition, ist Neo-Faschismus, in latenter oder manifester Form, ein Teil der politischen und sozialen Realität in beiden deutschen Gesellschaften. Das Nachkriegsziel der deutschen Faschisten war die Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands: „Nur mit der Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands kann die Fesselung unseres Volkes an die ungerechten, unsozialen und unfreien Gesellschaftsordnungen beider Seiten gelöst werden. Im Prinzip ist es vollkommen gleich, ob diese Fesseln westlicher, großkapitalistischer oder östlicher, staatskapitalistischer Art sind … Die Übernahme dogmatischer sozialistischer oder kapitalistischer Normen und Modelle muß abgelehnt werden. Der nackte Materialismus, der sich im westlichen Kapitalismus und im östlichen Marxismus offenbart, gebiert zwangsweise undemokratische Machtzentren … Wir fordern eine klare deutsche Interessenvertretung unter Überwindung des Gezänks der Nutznießer der deutschen Spaltung“.[1] Diese, in Zirkeln rechter Intellektueller entwickelte Programmatik, konnte, unter den obwaltenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, nur in der Bundesrepublik und eben nicht in der DDR entstehen. Es handelte sich hier um einen Ausdruck der arbeitsteiligen Vorgehensweise, die von den alten Faschisten im geteilten Deutschland entwickelt worden war. Ihre intellektuellen und organisatorischen Aktivitäten hat R. Opitz in seiner aussagekräftigen Studie über den „Neofaschismus in der Bundesrepublik“ beschrieben. Detailliert (bis Mitte der 1980er Jahre) zeigt er auf, wie es den unbelehrbaren ehemaligen SS- und NS-Führer in West-Deutschland gelingen konnte, ihre politischen und organisatorischen Erfahrungen auf die folgende Generation zu übertragen. M. Kühnen (1955-1991) damals einer der bekanntesten deutschen Neo-Nazis, bei ihm vereinten sich Intellektualität und Engagement, war der Anführer der jungen Faschisten, die, nach dem Vorbild der paramilitärischen „Sturmabteilung“ (SA) der NSDAP, ihren Kampf auf die Straße verlagerten. Mit der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) und der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (ANS) verfügte die Neo-Faschisten, bis zum Tod von M. Kühnen 1991, über eine straffe organisierte Kaderorganisation, die einerseits Kontakte zu den alt gewordenen ehemaligen SS- oder NSDAP-Funktionären ermöglichten und mit der andererseits die vielfältigen internationalen Beziehungen koordiniert werden konnten. Neben den verschiedenen politischen Organisationen (z. B. NPD, DVU, FAP) arbeiten, meistens verbunden durch ideologische oder personale Überschneidungen, pseudowissenschaftliche und publizistische Verlage und Vereine, die das intellektuelle Geschäft der Neuen Rechten bis heute betreiben.[2] Dieses, in jahrzehntelangen Kämpfen durch gesetzte, offene Bekenntnis für eine faschistische Option hatte Folgen für das Selbstbewusstsein der neo-faschistischen Führer insgesamt und markiert die Stelle, an der sich west-deutsche Neo-Faschisten von ihren „Kameraden“ im Osten fundamental unterscheiden. Den Widerpart bilden die ost-deutschen Neo-Faschisten, die, geübt in jahrelanger Subversion, in paramilitärischen Organisationen (z. B. FDJ-Ordnungsgruppen, GST) zu disziplinierten Kämpfern ausgebildet worden sind. Alte, und besonders unbelehrbare Faschisten, die es zuhauf in der DDR gegeben hat, waren dort anderen, repressiveren Verhältnissen ausgesetzt, denen sie sich entweder anzupassen hatten und die sie für ihre Zwecke benutzen konnten. So boten ihnen die Militarisierung der Gesellschaft, der chauvinistische Nationalismus und die als Anti-Zionismus ausgegebenen anti-semitischen Ideologie, vielfältige, offene und untergründige Möglichkeiten der ideologischen Durchdringung der ost-deutschen Öffentlichkeit mit ihrem, auf die Aufhebung der Nachkriegsordnung gerichteten, subversiven Revisionismus.
Über Neo-Faschisten und deren mögliche Aktivitäten in der DDR gab es bis zum Zusammenbruch der SED-Herrschaft keine gesicherten Informationen, weil die SED beinahe lückenlos dafür gesorgt hat, dass Informationen über neo-faschistische Vorgänge nicht nur vor ihrer eigenen Bevölkerung, sondern eben auch vor ausländischen Beobachtern geheim gehalten wurden. Allein ostdeutsche Neo-Faschisten, die als politische Häftlinge von der Bundesregierung „freigekauft“ worden waren und die im Westen ihre bereits in der DDR entwickelte neo-faschistische Einstellungen sichtbar machten, ließen bereits ab Ende der 1960er Jahre darauf schließen, dass diese Problematik in der DDR existierte (z. B. W. A. Priem, Gebrüder Hübner, R. Sonntag, A. Heinzmann, u.v.a.m.).[3] Dazu kommen Aussagen von evangelischen Theologen wie Albrecht Schönherr und Ludwig Große, die beide (1978) öffentlich vor der neo-faschistischen Entwicklung in der DDR gewarnt hatten.[4] Entgegen der kolportierten Meinung, Neo-Faschismus habe es erst ab den 1980er Jahren gegeben, muss klar und deutlich gesagt werden, neo-faschistische Ereignisse hat es in der DDR von 1950 bis 1990 gegeben.[5] Dabei handelt es sich im Wesentlichen, in schriftlicher und mündlicher Form, um die propagandistische Verherrlichung des nationalsozialistischen Groß-Deutschlands und der faschistischen Partei-, SS- und Wehrmachtsführer. Die vorwiegend männlichen Akteure sind, entweder als individuelle Täter oder in lokalen Gruppen, auf allen gesellschaftlichen Ebenen, z. B. in den meisten Schulformen (Polytechnische Ober-, Erweiterte Ober-, Hoch-, Fach- und Berufsschulen) und in den bewaffneten Kräften zu finden. Betroffen davon sind Städte und Gemeinden in allen Bezirken des Landes. Zu diesen Neo-Faschisten gesellten sich ab Ende der 1970er Jahre neo-faschistische Skinheads und sie strukturierten, durch ihre in der Öffentlichkeit demonstrativ gezeigte Uniformierung (Glatze, Stiefel, usw.) die Szene. Zu ihnen stießen, ebenfalls ab Ende der 1970er Jahre gewaltbereite Fußball-Anhänger, so genannte Hooligans, die, zusammen mit den Skinheads, eine Kraft entwickelten hatten, dass sie sich mit Einheiten der Volkspolizei gewalttätige Straßenschlachten liefern konnten.
FUSSNOTEN
[1] Zit. nach Opitz, S. 419.
[2] Vgl. ID-Archiv im ISSG (HG).
[3] Vgl. ID-Archiv, S. 75 - 110.
[4] Die Zeit, 29.09.1978.
[5] Waibel, 1996, S. 25 - 157.
Editorische Anmerkungen
Bei dem Text handelt es sich um die Einleitung einer Untersuchung zum Thema Anti-Faschismus und SED. Wir erhielten ihn vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe. Der gesamte Text (53 Seiten) kann als PDF-Datei bei uns heruntergeladen werden:
Kritik des Anti-Faschismus der SED