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Denkwürdige Texte zum Rauchverbot?

Wie das Rauchverbot bei der Befreiung vom Kapitalismus helfen kann
Von Mandy Chris

01/08

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Ich war abtanzen..

Kurz aber intensiv - kein einziges Mal Pause beim Tanzen gemacht. Selbst auf Lieder abgetanzt, die mir sonst die Energie nicht wert gewesen wären. Und die Menschen um mich gespürt, gesehen, ihren Duft aufgenommen.

Und das ist mir die letzten Wochen schon mehrmals so intensiv passiert - ohne dass ich mich gefragt hätte, woher meine überdimensionale Energie kommen könnte. Bis ich etwas gemerkt habe: Ich kann richtig frei atmen! Lange, ausgedehnte Einatmer, tiefe, passionierte Ausatmer - ohne rauhes Schmirgeln im Hals. Ohne den Drang, nach vier Liedern Tanzen aus dem Raum ins Freie zu müssen oder unbedingt was zu Trinken in die aufgeschmirgelte Kehle zu bekommen.

Draußen sind jetzt die Raucher- und es ist viel mehr los, viel belebte Stimmung im Freien. Was ich schon allein deshalb schön finde, weil dann auch die mitfeiern können, die gerade kein Geld für den Eintritt haben oder neben lauter Musik mal ein ruhiges Gespräch suchen. Und ich bin ohne einen einzigen Drink durch den Abend gekommen - und auch ohne irgendwo eine Überlebens-Wasserflasche zu deponieren. Der Hahn im Klo hätte mir gereicht, wenn ich länger geblieben wäre. Ich konnte aus dem Haus ohne etwas mitzunehmen und nun zurück, hier sitzen und gleich schreiben, ohne vorher meine Klamotten zu wechseln. Sie sind zwar leicht verschwitzt, aber nicht so voller Rauch, dass ich sie erstmal mitsamt meinen Haaren und dem Rest von mir komplett durchwaschen müsste. Eine ganze Menge zivilisatorischer Überflüssigkeiten, die ich mir heute sparen kann, weil die Disco frei von Rauch ist. Beim Gedanken an die Diskussion über „Pro & Contra" Rauchverbot in KM 60 habe ich mir kurz überlegt, was denn in der Disco passieren würde, wenn sich jemand nicht daran hielte? Würde er sofort rausgejagt oder gar bestraft? Wie weit würde die Repression gehen? Ich bin schon relativ erstaunt, dass alle sich so bereitwillig daran halten. Frage mich, ob es das stupide Befolgen eines nun mal eben in Kraft getretenen Gesetzes ist und damit ein Beweis für die Gesetzeshörigkeit der deutschen Bürger? Oder ob das Gesetz wirklich die Nachhilfe für eine eigene innere Einsicht ausgelöst hat? Ich will hier keineswegs Hasspredigten gegen die Tabakindustrie und ihre schlimmen Arbeitsbedingungen, Umweltbelastungen und sonstigen Verbrechen schwingen - wenn ich das Rauchverbot als Hilfe bei der Befreiung vom Kapitalismus empfinde, dann liegt das vor allem daran, dass es vom Konsumzwang befreit. Wer bewusst rauchen will, raucht bewusst draußen, wer sich bewusst betrinken will, kann die Bar durch sein Geld bereichern - und wer sich einfach^ nur betanzen will, kann endlich mit freiem Atem aus voller Brust lq£ treten. Und dabei weniger gehetzt atmen und Stresshormone durch den Körper über den Achselschweiß ins T-Shirt ausdünsten, weil die Umgebung nicht mehr einen ständigen Kampf um die Atemluft erfordert.

Obwohl ich keineswegs ein Freund von Verboten bin, kann ich dieses neue freie Gefühl auch nicht verleugnen. Obwohl ich selbst gelegentlich und dann auch gerne rauche, fühlt es sich gut an, in einer rauchfreien Umgebung zu tanzen, Billiard zu spielen oder zu quatschen.

Die geniale Anarchistin Emma Goldmann hat mal gesagt: „Es ist nicht meine Revolution, wenn ich nicht dazu tanzen kann." Ich würde daran anknüpfend sagen: „Es ist nicht gegen meine Revolution, wenn ein Verbot mich vom Rauch befreit."

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien in der Printausgabe der Nr. 63 der "Kritische Masse", Zeitschrift für Umwelt und Politik der BUNDjugend, Dezember 2007