Notizen beim Schreiben des Beitrags „Restaurationsverschnitt“

Von Antonin Dick

01/08

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1.

Was auffällt bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte: Empirie und Theorie fallen völlig auseinander. Was sie trennt, ist nicht wissenschaftliches Unvermögen, sondern ein Gefühl:  Hass.

Hinweis
Der Artikel ist quasi eine Art weiterführendes und vertiefendes Begleitmaterial der Buchbesprechung

2.

Das von mir geleitete Arbeitertheater des Kabelwerkes Oberspree in Berlin mit den von mir gesetzten Schwerpunkten Antikriegsarbeit, Arbeiterdemokratie, antifaschistische Jugendarbeit, Demokratisierung der Beziehungen zwischen Theater und Publikum. Erinnern wir uns für einen Augenblick der konkreten gesellschaftlichen Situation in Berlin, Hauptstadt der DDR, im Jahre 1980 und in den folgenden Jahren hinsichtlich der Stellung zur Frage von Krieg und Frieden und ihrer politisch-psychologischen Ausprägung innerhalb des Ensembles des Arbeitertheaters des Kabelwerkes Oberspree. Und erinnern wir uns bitte differenziert. 

Die damalige Hypothese in politisch aufmerksamen Kreisen der Bevölkerung und speziell unter den Mitgliedern des Arbeitertheaters des KWO lautete: Den politischen Führungen in beiden Bündnissystemen diesseits und jenseits der Elbe droht,  die Richtlinienkompetenz zugunsten der Militärs zu entgleiten, zunehmend wird über das Ost-West-Verhältnis nur noch in militärischen Kategorien nachgedacht. Ratlosigkeit breitete sich aus. Über der Stadt lag es wie eine düstere und drückende Wolke, aber nicht fassbar: Gefühle der Starre und der Wehrlosigkeit und der Sprachlosigkeit. Verdünnt zu einem einzigen abstrakten Ausdruck war alles zusammengefasst, was damals ein einzelner Mensch überhaupt noch sprachlich zu fassen vermochte: unaufhaltsame Militarisierung des Lebens. Nach unserer Überzeugung damals ein sich in  b e i d e n  Bündnissystemen gleichermaßen ausbreitender Alp. Sein erstes Opfer: die Sprache, das Sprechen, das Gespräch. Wir fühlten es. Jede Veränderung im Zusammenleben der Menschen, im Gepräge der Stadt, in den offiziellen Verlautbarungen, in den betrieblichen Zusammenhängen und Diskussionen registrierten wir mit äußerster Wachsamkeit. Wir beobachteten den plötzlichen Bau von Bunkern, interviewten die nur zögerlich Auskunft gebenden Bauarbeiter, beobachteten auch den plötzlich angeordneten Umbau von Kellern zu Luftschutzkellern und die anderen nicht sofort als Sicherungsmaßnahmen erkennbaren Maßnahmen. Es häuften sich in der Stadt überdimensionierte Zivilschutzübungen. Was in den Kindergärten und Schulen geschah, diese schleichende Reduktion von Erziehung zu Frieden und Völkerverständigung auf Erziehung zum Argwohn gegenüber Menschen des Westens, wir beobachteten es mit Entsetzen. Kinder wurden mit der Erwartung des Tages X konfrontiert. Verschickung ins angeblich Sichere wurde ihnen versprochen, versprochen wurde ihnen, an diesem Tag mit Rucksäcken und Brottaschen ausgerüstete Gerettete zu sein, von ihren im Einsatz befindlichen Eltern lediglich zeitweise getrennt. Der Vater meiner damaligen Lebensgefährtin, Angehöriger der Flakhelfer-Generation und Parteisekretär eines bedeutenden Instituts der Akademie der Wissenschaften der DDR, sagte damals in einer Diskussion auf einer privaten Geburtstagsfeier zum Thema Krieg und Kriegsgefahr wortwörtlich: „Wenn wir untergehen müssen, dann müssen auch unsere Feinde mit uns untergehen.“ Männliche Mitglieder des Ensembles des Arbeitertheaters, die gerade ihren Dienst in  der Nationalen Volksarmee ableisteten, kamen mit erschreckenden Botschaften ins Ensemble. Immer wieder fiel dieser Satz ihrer Vorgesetzten: „Ihr habt im Ernstfall unsere militärische Stellung für einen Zeitraum von x plus 15 zu halten.“ Wir schauten uns nur an, fassungslos, sprachlos, gelähmt.  Junge Leute, die einen Aufnäher mit dem Spruch  „Schwerter zu Pflugscharen“ samt Abbildung an Jacke oder Mantel trugen, wurden, wenn sie sich damit in der Öffentlichkeit zeigten, zur sofortigen Abtrennung des Aufnähers aufgefordert, bei Weigerung  wurde er ihnen von der Kleidung gerissen. Das Aberwitzige dieser Vorkehrung: Dieser Aufnäher bezog sich auf eine berühmte Plastik, die vor dem Gebäude der Vereinten Nationen in New York steht:  ein Geschenk der Sowjetunion an die Vereinten Nationen aus Anlass ihrer Gründung im Jahre 1948, und das künstlerische Motiv dieser Plastik geht auf eine Friedensprophetie aus der  jüdischen Bibel zurück. Micha 4, 3: „Und er wird richten zwischen vielen Völkern und Recht sprechen für mächtige Nationen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Nie mehr wird Nation gegen Nation das Schwert erheben, und sie werden das Kriegführen nicht mehr lernen.“   Aber die Chronistenpflicht gebietet es unbedingt, auch folgenden Sachverhalt sorgfältig zu rekonstruieren:  Die Konfliktlinien in dieser uns alle beherrschenden  Krieg-Frieden-Frage verliefen nicht nur zwischen oben und unten, sondern im Gegenteil quer durch alle Schichten der DDR-Gesellschaft. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass plötzlich in der Zeitung, und zwar an bevorzugter Stelle, eine Stellungnahme des Politbüromitglieds Kurt Hager zur Krieg-Frieden-Frage abgedruckt war. Darin war  von der Notwendigkeit eines engen Bündnisses von Kommunisten und Pazifisten gegen Wettrüsten und Kriegsgefahr die Rede. Ich erinnere mich auch noch sehr genau daran, wie die Führung der DDR nach den gescheiterten Gesprächen zur Abrüstung und zur unmittelbar bevorstehenden  Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen in West und Ost zu einer ungewöhnlichen Maßnahme Zuflucht nahm, um ihr Bekenntnis für die Erhaltung des Friedens und ihre uneingeschränkte Übereinstimmung mit den berechtigten Sorgen der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen, nämlich zum kommentarlosen Abdruck einer Stellungnahme der Leitung der Evangelischen Kirchen in der DDR im „Neuen Deutschland“, in der die Absage an Geist und Buchstaben des militärischen Lagerdenkens und die Rückkehr zum Geist des friedlichen Koexistenz, über alle Gräben hinweg, mit eindringlichen Worten beschworen wurde, um die vollständige Zerstörung des ganzen Kontinents durch eine Kette selbstverschuldeter Atomschläge doch noch abzuwenden.  Ich erinnere mich auch sehr genau jenes kleinen und doch bedeutsamen Hoffungsschimmers, der  aufkam, als Erich Honecker plötzlich eine Abordnung der Grünen, bestehend aus den Politikern Petra Kelly, Horst Bastian und Otto Schily,  in seinem Amtssitz empfing. Ich sehe noch das Pressephoto vor mir, abgedruckt in einer DDR-Zeitung, das den Gang der drei westdeutschen Politiker zum Staatsratsgebäude festhält: in ihren Händen eine Miniaturausgabe eben jener sowjetischen Plastik „Schwerter zu Pflugscharen“, die sie als Gastgeschenk zu übergeben gedachten. 

Es gab allerdings neben dieser durch den Ost-West-Konflikt ausgelösten Militarisierung auch noch eine nicht weniger beängstigende Militarisierung von rechts, die im Rahmen dieser knappen Erzählung keineswegs vernachlässigt werden darf. Die meist jungen Mitglieder des Ensembles des Arbeitertheaters berichteten von neuartigen gesellschaftlichen Phänomenen eindeutig militaristischer Herkunft: Gruppen von Jugendlichen führten in Berliner Parks und Wäldern illegale Wehrsportübungen durch, luden die feierlichen Verabschiedungen von Abiturienten zum NVA-Wehrdienst im Rahmen von schulischen Veranstaltungen mit militaristischen Wertvorstellungen und Emotionen auf, hielten in den großräumigen Kellern von Neubausiedlungen geheime Führergeburtstagsfeiern ab, übten sich, offen oder versteckt,  in militärischem Drill und in militaristisch-nationalistischen Ritualen.

Im Ensemble des Arbeitertheaters des Kabelwerkes Oberspree wurden all diese auf uns einstürmenden Ereignisse und Bilder und Nachrichten und die sich daraus entwickelnden drängenden Fragen permanent diskutiert. An einem bestimmten neuralgischen Punkt der Debatte unterbreitete ich dem Ensemble schließlich den Vorschlag, mit den Mitteln des Theaters eine kollektive künstlerische Stellungnahme zur Atomkriegsgefahr zu erarbeiten und damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Ich unterbreitete dem Ensemble daraufhin den Zusatzvorschlag, nur eine solche künstlerische Stellungnahme zu erarbeiten und zu veröffentlichen, die auf Konsens ausnahmslos aller Mitglieder des Ensembles beruhen würde, kein Mitglied sollte per Mehrheitsbeschluss in irgendeiner Form übergangen werden, dazu war das Thema, um das es ging, zu existentiell. Dieser  Zusatzvorschlag wurde ebenfalls einstimmig angenommen. Tage, Wochen und Monate gemeinsamen Redens und Streitens vergingen, doch wir konnten uns auf kein künstlerisches Konzept einigen. Erst nach einem halben Jahr schließlich stand das Konzept: Es war ein von mir entwickeltes Szenarium, das selbstverständlich nichts anderes war und nichts anderes sein wollte als eine Verdichtung und Zusammenfassung aller bisher entwickelten Überlegungen,  Vorschläge und Forderungen der Arbeiter, Lehrlinge und Schüler,  die im Rahmen dieses kollektiv geführten Diskussionsprozesses dem Ensemble vorgelegt worden waren. Das Szenarium fand deshalb die einhellige Zustimmung aller Gruppenmitglieder, und es war, wie man sich vorstellen kann, ohne jeden Kompromiss in der Krieg-Frieden-Frage, und es wurde von ausnahmslos allen Ensemblemitgliedern schauspielerisch umgesetzt. Für die Einstudierung des Antikriegsstückes waren nur zwei Proben erforderlich:  auch dies ein Zeichen für die Intensität unseres kollektiven Arbeitsprozesses.  

3.  

Schon dieses Beispiel zeigt, dass die DDR eben nicht nach Art der Brownschen Molekularbewegung beschreibbar ist: Stahlbehälter, Moleküle, Druckschwankungen.  

4. 

Dass Thomas Klein diese wichtige Oppositions- und Friedensarbeit eines autonom arbeitenden Arbeitertheaters aus seinem als Standardwerk angelegten Buch über die unabhängige Friedensbewegung im Berlin der 80er Jahre ausgrenzt, obwohl ihm die von Torsten Hilse und Dieter Winkler im Band II der „Schubladentexten aus der DDR“ publizierte Dokumentation dieser antimilitaristischen Theaterarbeit seit Jahren vorliegt,  ist für den an Fragen der DDR-Geschichte Interessierten nicht nachvollziehbar. 

5.  

Die von mir im September 1987 mitbegründete „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“. Die Zahl der Untersuchungen zu Entstehung und Geschichte dieser Oppositionsgruppe ist inzwischen auf neun angewachsen: 

 

1.        Günter Jeschonnek: Ausreise – Das Dilemma des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauernstaates?, in: Ferdinand Kroh (Hrsg.): „Freiheit ist immer Freiheit ...“ Die Andersdenkenden in der DDR, Frankfurt/Main, Berlin 1988, Seite 234 bis 265

 

2.        John C. Torpey: Intellectuals, Socialism, and Dissent. The East German Opposition and its Legacy, Minneapolis / London 1995, p. 108-110, p. 113

3.        Ehrhart Neubert / Bundeszentrale für Politische Bildung: Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989, Bonn 1997, Seite 672 bis 673

 

4.        Jan Athmann: „Wir bleiben hier!“ Die Auseinandersetzung innerhalb der neueren DDR-Oppositionsbewegung um die „Ausreiser“. Magisterarbeit am Fachbereich Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin, Friedrich-Meinecke-Institut, Berlin 1997, Seite 1 bis 180

 

5.        Günter Jeschonnek: Arbeitsgruppe für Staatsbürgerschaftsrecht der DDR, in: Lexikon „Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur“, herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2000, Seite 49 bis 50

 

6.        Jan Athmann: Wir bleiben hier! Die Auseinandersetzung innerhalb der neueren DDR-Opposition um die „Ausreiser“, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staates, Heft 8/2000, Seite 102 bis 115

 

7.        Torsten Hilse und Dieter Winkler (Hrsg.): Schubladentexte aus der DDR, Band III, Berlin 2002, Seite 120 bis 139

 

8.        Wolfgang Mayer: Flucht und Ausreise, Berlin 2002,  Seite 138 bis 146

 

9.        Antonín Dick: Zum gegenwärtigen Stand der Erforschung der oppositionellen „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“, Berlin 2006 (Matthias-Domaschk-Archiv)  

Auf die Nutzung des Großteils dieser wissenschaftlichen und semiwissenschaftlichen Arbeiten zur „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“  verzichtet  Thomas Klein in seiner  Darstellung, wodurch er sich der Möglichkeit begibt, die unterschiedlichen,  zum Teil kontroversen Ansätze zur wissenschaftlichen Erschließung dieser Oppositionsgruppe vorzustellen und einander abwägend zu diskutieren. 

6.  

Betrachtet man das vorliegende Material zur  „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“, so zeichnen sich vier grundlegende Etappen ihrer Geschichte ab:  

1)       Etappe der Vorbereitung der Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ Zeit: Dezember 1986 bis September 1987 

2)       Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“  Zeit: 10. September 1987 bis  22. September 1987 

3)       Etappe des Aufbaus der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ Zeit: 23. September 1987 bis 10. Dezember 1987 

4)       Etappe der öffentlichkeitswirksamen Aktionen der „Arbeitsgruppe  Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ und ihrer Auflösung Zeit: 11. Dezember 1987 bis Januar 1988 

 Für die Forschung ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, von Einzeldarstellungen zu einer systematisch angelegten Gesamtdarstellung der Geschichte der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ überzugehen, die alle vier Etappen umfasst. Empirischer Ausgangspunkt: die Befragung aller relevanten Akteure dieser Oppositionsgruppe in allen vier Etappen.  

7. 

Etliche Forscher, so auch Thomas Klein, charakterisieren die „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ als bloße Ausreisegruppe. Der Historiker und Politikwissenschaftler Jan Athmann wendet sich unverstellten Blickes gegen diese Verkürzung und stellt klar: „Bereits in der Gründungserklärung der Arbeitsgruppe vom September 1987 … zeigten sich Selbstverständnis und Ziele der neuen Gruppe(n) … Der aus dem halbseitigen und lediglich mit ‚Information’ überschriebenen Gründungstext  zitierte Abschnitt … umschreibt das Anliegen der Gruppe. Bewusst wurde das Reizwort Ausreise überhaupt in dem Schreiben vermieden. Dies war ein deutliches Signal: Hinter der Gründung der AG Staatsbürgerschaftsrecht der DDR verbarg sich keineswegs eine bloße Ausreisegruppe. Vielmehr wollte man gezielt den vielschichtigen Zusammenhang des rechtlichen Gegenseitigkeitsverhältnisses zwischen Staat und  Bürgern  thematisieren.“  

8. 

Errichtung von Bretterzäunen zwischen den einzelnen Oppositionsgruppen.

Um sie nachträglich besser beherrschen zu können? Die Forschung hat sich daran gewöhnt, die Verzahnung von  Anliegen und Praxis der Initiatoren der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“  mit Anliegen und Praxis der anderen Berliner Oppositionsgruppen mit keinem Wort zu erwähnen. In der Entstehungsetappe waren  die Initiatoren der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ jedoch auf unterschiedlichen  Betätigungsfeldern der alternativen Gruppenarbeit aktiv tätig. So betätigte ich mich auf dem Gebiet der DDR-Umweltproblematik und kooperierte mit Initiatoren von Umweltgruppen. Im Sommer 1987 engagierte ich mich auf dem bürgerrechtlich relevanten Gebiet der unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, indem ich das von den DDR-Medien totgeschwiegene Gorbatschow-Gesetz „Über die Verordnung zur gerichtlichen Klage wegen rechtswidriger Handlungen von Amtspersonen, die die Bürgerrechte beeinträchtigen“, das in der „Prawda“ vom 2. Juli 1987 veröffentlicht wurde, aus dem Russischen ins Deutsche übersetzte und unter Andersdenkenden verteilte.   Im Sommer 1987 übergab ich dieses für die gesamte sozialistische Staatengemeinschaft so folgenreiche Gesetz zur erstmaligen Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen eines ausführlichen Gesprächs der Oppositionsgruppe „Initiative Frieden und Menschenrechte“. Auf Grund dieser Übersetzungsinitiative nahm diese Oppositionsgruppe die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in ihren politischen Forderungskatalog auf. In einer Erklärung anlässlich der Vorstellung der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ am 10. Dezember 1987 in der Gethsemanekirche im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg heißt es: „Rechtsstaatlichkeit ist nicht zu trennen von der Existenz unabhängiger Gerichte, von der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit ...“   Obwohl mit Band III der „Schubladentexte aus der DDR“ dieser Gesetzestext vollständig übersetzt der Forschung zur Verfügung steht, arbeitet sie nicht mit ihm und gelangt, was die Kooperation zwischen der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ und der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ anbetrifft, zu einer Leerstelle.

9. 

Exakte Analyse von Texten und Subtexten. 

Für Thomas Klein ist es offenbar nicht von Belang, den  Text des Gründungsdokuments der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ vom 22. 09. 1987 mit dem der Willenserklärung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ vom 10. 12. 1987 zu vergleichen. Doch allein schon dieser Textvergleich ergibt, dass der internationalistische Ansatz der Initiatoren  der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“  spätestens am 10. 12. 1987 eliminiert wurde: faktische nachträgliche Streichung des Engagements für die in der DDR lebenden Ausländer aus dem Septembertext und ausschließliche Konzentration auf die Anliegen von Deutschen im Dezembertext. 

10. 

Die erste Auffälligkeit beim Textvergleich ist, dass die „Erklärung“ der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ vom 10. Dezember 1987 mit den Worten beginnt: „Anlässlich des Tages der Menschenrechte am 10. Dezember 1987 …“  Obwohl dieser Tag als  I n t e r n a t i o n a l e r   Tag der Menschenrechte in den  politischen Kalender der Staatengemeinschaft eingegangen ist.

11.

Heute gibt es auf dem Gebiet der ehemaligen BRD sowie in Österreich etliche Arbeitsgruppen für Staatsbürgerschaftsrecht, um Einwanderern, Asylantragstellern, Flüchtlingen und Ausländern wirksamen rechtlichen Schutz und wirksame rechtliche Beratung zu geben. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gibt es keine solche Staatsbürgerschaftsrechtsgruppe. Die von mir im Jahre 1987  initiierte „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ hätte eine solide Grundlage für eine heute auf dem Gebiet der ehemaligen DDR dringend benötigte Gruppe mit vergleichbarer Aufgabenstellung sein können, auch als wirksamer Beitrag zur allenthalben erkannten Notwendigkeit der  Zurückdrängung von Feindseligkeiten gegenüber Nichtdeutschen  und von Neonazismus.  Die „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“  wurde jedoch im Januar 1988 auf dem Freiheitsaltar der   „nationalstaatlichen deutschen Identifikationen und Emotionen“ (Jan Athmann) und des völligen Verzichts auf „alternative politische Ideen“ (Jan Athmann) geopfert. 

12.

Thomas Mann: „ … das kerndeutsche Auseinanderfallen von  n a t i o n a l e m  Impuls und dem Ideal politischer   F r e i h e i t .“ 

13. 

Drei Postulate zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte:

Das Postulat A der Überlegenheit des gesellschaftlichen Systems der BRD gegenüber dem der DDR, das Postulat B der Überlegenheit des gesellschaftlichen Systems der DDR gegenüber dem der BRD und das Postulat C der Gleichberechtigung der beiden gesellschaftlichen Systeme. Die augenblickliche Aufarbeitung der Geschichte der DDR erfolgt fast nur nach dem Postulat A, oft noch unter der Zusatzvoraussetzung der Gleichsetzung von Hitlerfaschismus und Staatssozialismus, was bedeutet, die DDR zu dämonisieren und das Dritte Reich zu verharmlosen. Auch Thomas Klein wählt als Voraussetzung seiner Arbeit Postulat A, und dies unter Einbeziehung dieser Zusatzvoraussetzung. Nachdem er nämlich in der Einführung zu seiner Arbeit auf die NS-Widerstandsforschung zu sprechen kommt, trifft er die generalisierende Aussage: „Die vorliegende Arbeit will … auch dazu beitragen, in diesem Untersuchungsfeld gravierende Unterschiede beider Diktaturen ebenso wie Ähnlichkeiten auch begrifflich verdeutlichen zu helfen.“  Ich plädiere für Postulat C: „Wahrheitsgetreue Aufarbeitung kann es erst geben, wenn BRD und DDR gleichzeitig aufgearbeitet werden, denn beide Staaten entstanden gleichzeitig aus der militärischen Niederringung des Hitlerfaschismus. Republikanische Staatsverfassung auf der einen und kollektive Daseinssicherung für alle Gesellschaftsmitglieder auf der anderen Seite sind die beiden gleichberechtigten Pole eines jahrzehntelangen Widerstreits gewesen, der nun der Erklärung harrt.“  Und: Der Kern dieses Widerstreits öffnet sich nur dem kalten Blick des Naturforschers.  

14. 

Thomas Kleins Mühe, Begriffe wie „Widerspruch“, „Verweigerung“, „Dissidenz“, „Opposition“ und „Widerstand“ definitorisch zu isolieren. Doch der so bedeutende staatstheoretische Begriff der „Diktatur“, den er immer wieder benutzt und der der eigentliche Dreh- und Angelpunkt  seines gesamten Werkes ist, bleibt in seinem ganzen Werk durchgängig ohne Definition.  Aristoteles hat in seinem Standardwerk „Aufzeichnungen zur Staatstheorie (Politik)“ die Staatsformen von „Demokratie“, „Aristokratie“, „Oligarchie“, „Tyrannis“, „Politie“  usw. logisch widerspruchsfrei definiert.  Dies war für ihn die wesentliche Voraussetzung für die  Erforschung der gesellschaftlichen Übergangsprozesse wie Opposition, Widerstand, Revolution usw.  

15. 

Es fehlt die  Unschuld in den meisten Beschreibungen der DDR. 

16. 

Kafkas „Schloss“. 

Editorische Anmerkungen

Das Begleitmatetrial entstand in Berlin im  Dezember 2007 / Januar 2008 und wir erhielten es vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.