Welche Antwort auf die Krise?

von Stefan, Revo FU

01/09

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Die internationale Krise des kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystems greift weiter um sich. Nachdem in den letzten Monaten mehrere Banken und sogar ein ganzes Land (Island) bankrott gegangen sind, steht nun in den USA, in Japan und in Europa die Automobilwirtschaft vor dem Kollaps. Vor nicht einmal einem halben Jahr behaupteten die führenden VertreterInnen der internationalen Politik und Wirtschaft, dass das Ausmaß der angebrochenen Finanzkrise kaum der Rede wert sei. „Das System ist stabil“, „Staatliche Eingriffe sind unnötig“, „die Wirtschaft ist im Aufschwung“ – so oder ähnlich klangen die illusorischen Sicherheitsversprechen, die von den Ackermanns, Merkels, Greenspans und Paulsons dieser Welt reihenweise abgegeben wurden. Doch wie die obige Aufzählung zeigt, dienten diese Beschwichtigungen nur dazu, die riesigen Verwerfungen der Krise, die sich mitnichten nur auf den Finanzsektor beziehen, notdürftig zu verdecken. Banken, Auto- und Chemiekonzerne betteln inzwischen um staatliche Hilfspakete, die die Regierungen nur allzu bereitwillig verteilen. Passend dazu überbieten sich alle möglichen „ExpertInnen“ mit Vorschlägen zur Rettung des krisengeschüttelten Systems: sie reichen von Forderungen nach stärkerer Regulierung des internationalen Finanzsystems bis hin zu vorübergehenden Verstaatlichungen und groß angelegten Konjunkturprogrammen. Von Kapitalismus insgesamt ist dabei mal wieder keine Rede.

Spekulation im Kapitalismus

Bei näherem Hinsehen werden allerdings mehrere Dinge klar: Sicherlich besteht der Auslöser der jetzigen Krise in der massiven Spekulation mit US-amerikanischen Immobilienkrediten in vielerlei Formen. Aber die riesigen Summen, mit denen spekuliert wurde, kommen ja nicht – zumindest nicht komplett – aus dem Nichts. Diese Kapitalströme resultieren aus den jahrzehntelangen horrenden Profiten der Produktionsunternehmen, die in Zeiten fallender Profitraten im Produktionssektor irgendwohin fließen müssen. Beispielsweise ist der US-Autokonzern General Motors inzwischen auch eine der größten Banken der Welt. All das heißt also, dass ursprünglich gesehen nicht die Finanzkrise der Auslöser einer Krise der „Realwirtschaft“ ist, sondern dass umgekehrt ohne die massive Überakkumulation (Anhäufung) von Kapital, welches nicht mehr in den Produktionsbereich reinvestiert werden konnte, die Entwicklung von riesigen Spekulationsblasen wie auf dem US-Immobilienmarkt gar nicht möglich gewesen wäre.

Aber auch bei kleineren Unternehmen ist klar, dass diese vom Finanzmarkt beeinflusst sind. Denn die Aufnahme von Krediten für zukünftige Investitionen ist ein grundlegender Mechanismus wirtschaftlicher Expansion. Und somit stehen auch die kleinsten Unternehmen in ständiger Wechselbeziehung mit der Bewegung der Kapitalströme am Finanzmarkt. Überhaupt zeigt sich vor diesem Hintergrund, dass die Trennung von „Realwirtschaft“ und „Finanzwirtschaft“ nur eine Illusion ist. General Motors ist das beste Beispiel für die längst stattgefundene Verschmelzung. (Schon Lenin hat im Übrigen analysiert, dass im Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus das Industriekapital und das Bankkapital zum sog. Finanzkapital verschmelzen.) Außerdem ist es doch absurd, der Finanzwirtschaft Spekulation vorzuwerfen, wobei Spekulation doch das Grundprinzip des Kapitalismus darstellt: denn die Produktion von Gütern geschieht ja im Kapitalismus nicht auf der Basis von realen Bedürfnissen, sondern auf der Grundlage der Spekulation über zukünftig erzielbare Profite.

Welche Krise? Welcher Kapitalismus? Welche Lösungen?

Generell sind Krisen keine neue Erscheinung des „Casino-Kapitalismus“, wie dies von attac u.a. nur allzuoft dargestellt wird. Stattdessen sind sie Grundbestandteile des kapitalistischen Systems selbst. Denn der enorme Konkurrenzdruck zwischen den Unternehmen sorgt dafür, dass nur die profitabelsten unter ihnen überleben können. Die wichtigsten Mechanismen zur Steigerung des Profits sind der Aufbau von Lohndruck und die Steigerung der Produktivität. Folge davon sind kontinuierliche Angriffe auf die Situation der ArbeiterInnen, sowie die Überproduktion von Waren und die Überakkumulation von Kapital, in der Hoffnung, die Konkurrenten ausstechen zu können. Viele unprofitable Unternehmen gehen deshalb schon im kapitalistischen „Normalzustand“ pleite, in der Krise noch mehr. Damit einher gehen Kapitalvernichtung, Erwerbslosigkeit, Hunger und Elend vieler Menschen.

Weil die Krisenlösungsvorschläge von Regierung, Linkspartei, DGB, attac etc. den grundlegenden Zusammenhang zwischen Spekulation, Krisen und Kapitalismus nicht erkennen (wollen), verbleiben sie letztendlich immer auf der Ebene der Linderung von bestimmten Symptomen des Kapitalismus ohne seine Wurzeln anzugreifen. Ihre Konzepte lassen sich grob gesagt in drei Kategorien einteilen: eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte, vorübergehende Verstaatlichungen von durch die Krise betroffenen Unternehmen sowie staatlich finanzierte Konjunkturprogramme.

Regulierung der Finanzmärkte

Alle gesellschaftlichen Akteure von attac bis zu den führenden PolitikerInnen, alle Publikationen vom Spiegel bis zur taz, prangern momentan den „Casino-Kapitalismus“ an und reden einer stärkeren Regulierung der „bösen“ Finanzwirtschaft das Wort (wie absurd die Trennung von „Real-“ und „Finanzwirtschaft“ ist, haben wir schon gezeigt). Es hat bereits ein internationaler Krisengipfel stattgefunden, bei dem sich die Eliten der westlichen Welt das Versprechen gaben, bald stärkere Instrumente zur Kontrolle der Finanzmärkte zu entwickeln. Übersehen wird dabei aber der Zusammenhang zwischen Überakkumulation von Kapital und dem Zwang zur Reinvestition. Selbst wenn die aktuellen Finanz“produkte“ einer stärkeren Überwachung unterzogen würden, würden bald neue Mechanismen erfunden, die Kontrollen zu umgehen.

Weiterhin stellt sich die Frage, wie eine solche Überwachung überhaupt aussehen sollte. Warum sollten staatliche Einrichtungen die Finanzströme besser kontrollieren können als die bisher auf diese Aufgabe spezialisierten Rating-Agenturen? Schon jetzt war die Komplexität der Kreditpakete nicht mehr zu durchschauen, geschweige denn zu kontrollieren.

Hinzu kommen die Eigeninteressen der KontrolleurInnen (privat oder staatlich), die einer Kontrolle ebenfalls entgegenlaufen können. Es ist ein bürgerliches Märchen, dass der Staat ein neutraler Apparat ohne Eigeninteressen wäre: selbst wenn die Regierung wollte (was nicht der Fall ist), könnte sie sich bestimmten Zwängen nicht entziehen, die ihr nationale wie internationale Kapitalfraktionen auferlegen.

Die Rede von der Regulierung der Finanzmärkte besteht also im Grunde nur aus Wortfetzen für die Medien, denen – wie z.B. auch der immer wieder angekündigten Aufstockung der Entwicklungshilfe für Afrika – keine gravierenden Einschnitte folgen werden, oder überhaupt folgen können.

Vorübergehende Verstaatlichungen

Ein weiteres Modell, welches u.a. von Gordon Brown (Noch-Premierminister von Großbritannien), Nicolas Sarkozy (französischer Präsident), inzwischen aber auch der deutschen Bundesregierung und sogar der Linkspartei unterstützt wird, bezieht sich auf vorübergehende Verstaatlichungen: um die strauchelnden Konzerne (und damit vorgeblich viele Arbeitsplätze) zu retten, sollen sie viel Geld vom Staat bekommen und dafür kurzzeitig auch von staatlicher Hand verwaltet werden. Bisher ist dieses Konzept nur bei einigen Banken angewandt worden; es besteht aber kein Zweifel, dass demnächst weitere Branchen folgen werden, zum Beispiel die Automobilbranche, deren VertreterInnen momentan mit allen Mitteln nach staatlichen Beihilfen betteln.

Egal wen mensch nach seinem/ihrem Konzept von Verstaatlichung fragt: fast immer bestimmt aber das Attribut „vorrübergehend“ die Argumentation. Letztendlich heißt das nichts anderes als die Verstaatlichung der Verluste und die Reprivatisierung des aufgepeppelten Konzerns. Dass dies nur auf Kosten der Arbeitenden geschieht, die ja eigentlich „gerettet“ werden sollen, ist klar. Selbst die etablierten Gewerkschaften mit ihrer „Sozialpartnerschafts“-Ideologie üben daran keine Kritik, im Gegenteil: „Die Arbeitnehmer werden ihren Beitrag leisten“, sagte beispielsweise der Konzernbetriebsratschef von Opel, Klaus Franz. Im Klartext sind damit Lohnverzicht, Mehrarbeit und Entlassungen gemeint.

Davon zeugt unter anderem der Rausschmiss zehntausender Zeit- und LeiharbeiterInnen in vielen Betrieben, oder auch die mehrwöchige komplette (!) Einstellung der Produktion bei dem US-amerikanischen Konzern General Motors. Von einer Rettung der Arbeitsplätze kann also keineswegs die Rede sein.

Doch selbst wenn mensch gutgläubig davon ausgeht, dass den Verstaatlichungen keine Reprivatisierungen folgen sollten, bleibt die Feststellung, dass es sich bei den Staaten, die die betroffenen Konzerne übernehmen sollen, um kapitalistische Staaten handelt, die dementsprechend auch der Logik des Wettbewerbs folgen müssen und wollen. Eine arbeiterInnenfreundliche Perspektive bedeutet dies in Zeiten von Hartz IV und „Sachzwängen der Globalisierung“ jedenfalls nicht.

Staatliche Konjunkturprogramme

Das letzte große Rezept, welches die bürgerliche Politik gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise anbietet, ist die Durchführung diverser staatlicher Konjunkturprogramme. Die Vorschläge reichen von Konsumgutscheinen über die steuerliche Begünstigung von KleinhandwerkerInnen-Rechnungen bis hin zu Infrastrukturprojekten wie Straßen-, Flughafen- und Kraftwerksbauten, die der Wirtschaft „neue Impulse“ geben sollen. Die tatsächlich von der Regierung geplanten Ausgaben, nämlich 5 Mrd. € für das erste und 12 Mrd. € für das zweite Konjunkturprogramm sind aber reine Farce, wenn sie mit den bisher aufgelegten „Rettungspaketen“ in Höhe von 500 Mrd. € für Banken und Kreditwirtschaft verglichen werden.

Die Partei „Die Linke“ hat ihrerseits betont, dass sie als allererste für Konjunkturprogramme eingetreten sei. Ihr „Sofortprogramm“ umfasst die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, die Aufstockung der Hartz-IV-Sätze, ein Ganztagsschulprogramm usw. Generell plädiert sie für eine Erhöhung der staatlichen Investitionen ohne Rücksicht auf Neuverschuldung, da durch die folgende Ankurbelung der Wirtschaft die Schulden sowieso wieder zurückgezahlt werden könnten – also eine keynesianistische Wirtschaftspolitik, wie sie nach dem 2. Weltkrieg eingesetzt wurde. Es besteht aber kein Grund zur Annahme, dass die Ankurbelung des Konsums weitere Krisen verhindern könnte. Nur aus der immensen Zerstörung des 2. Weltkrieges ist das „Wirtschaftswunder“ der 50er und 60er erklärbar, das eine keynesianistische Wirtschaftspolitik ermöglichte. Heutzutage besteht kein annähernd so großer Markt wie vor 60 Jahren – dementsprechend kann allein eine neue Kriegspolitik und Zerstörung eine langfristig auf Keynesianismus aufbauende Wirtschaftsentwicklung ermöglichen. Das allerdings ist nicht einmal mehr im Ansatz links, sondern zutiefst reaktionär.

Auch sonst ist das Sofortprogramms der Linkspartei kritisierbar: Sicherlich ist es notwendig und richtig, einen Mindestlohn zu fordern und Sozialleistungen aufzustocken, und auch die Investitionen in Bildung und Gesundheit sind begrüßenswert. Aber konsequente Forderungen für die Sicherung von Arbeitsplätzen wie das Verbot von Entlassungen oder die Übernahme von insolventen Betrieben durch deren ArbeiterInnen gibt es bei der Partei „Die Linke“ nicht.

Revolutionäre Antwort

Das erste Gebot für eine marxistische Antwort auf die Krise besteht in der Ablehnung jeglicher Art von „Sozialpartnerschaft“, die letztendlich nur die Interessen der Unternehmen auf Kosten der ArbeiterInnen durchsetzen kann. Das bedeutet auch einen Bruch mit der bisherigen Politik der Gewerkschaften. Die Gewerkschaftsbasis muss Druck von unten auf die GewerkschaftsfunktionärInnen aufbauen, endlich ihre Interessen zu vertreten bzw. eben selbst aktiv werden. Eine klare marxistische Perspektive ist nötig, die anerkennt, dass eine krisenfreie wirtschaftliche Entwicklung nur in einer rätedemokratisch organisierten, an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten, geplanten Wirtschaft möglich ist. Die ArbeiterInnen dürfen sich nicht kampflos den Versuchen der Sozialisierung der Verluste ergeben. Dazu müssen sie politisch unabhängig agieren und dürfen sich nicht vom latenten Rassismus der bürgerlichen PolitikerInnen und GewerkschaftsfunktionärInnen anstecken lassen, die durch die Krise nur den „Standort Deutschland“ stärken wollen.

Unsere grundlegenden Forderungen sind:

  • ein Verbot von Entlassungen,

  • eine drastische Arbeitszeitverkürzung inklusive Lohnausgleich,

  • automatische Lohn- und Rentenanpassungen an die Inflation,

  • die Offenlegung aller Geschäftsbücher, was ein erster Schritt hin zu stärkeren Kontrollmöglichkeiten für die ArbeiterInnen der jew. Betriebe wäre,

  • Vetorechte der Belegschaften bis hin zu demokratischer Kontrolle der Betriebe durch rechenschaftspflichtige und jederzeit abwählbare Räte,

  • eine Verstaatlichung der Banken unter ArbeiterInnenkontrolle statt einer Sozialisierung der Verluste,

  • und letzten Endes eine rätedemokratische ArbeiterInnenregierung, die durch die Steuerung der Kreditvergabe und der Investitionen eine aktive Planung der Wirtschaft ermöglichen.

Diese Forderungen sind im Kapitalismus nicht umsetzbar, aber erste Zugeständnisse der Herrschenden an die kämpfenden Massen sind möglich. Diese Kämpfe weisen jedoch durch ihren Charakter über das kapitalistische System hinaus und können eine Dynamik erschaffen, durch die das System gestürzt werden kann.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von REVOLUTION - unabhängige Jugendorganisation mit Bitte um Verbreitung. Erstveröffentlicht wurde der Artikel in

REVOLUTION Nr. 33