Nach über
20-jähriger Mitgliedschaft hat der Kollege Harald Stubbe seine
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) verlassen. Dafür
gibt es in Frankfurt am Main jetzt eine IWW-Betriebsgruppe bei
EUREST. »Einfach so« ist er nicht gegangen. In dem 53-Jährigen
brodelt viel Kritik an dem Gewerkschaftsapparat. Als
engagierter Betriebsrat hat sich der Koch Harald Stubbe schon
mehrfach gegen seinen Arbeitgeber vor Gericht durchgesetzt.
Erst vor zwei
Jahren war der Caterer EUREST, der die Kantine in der
Frankfurter Commerzbank-Zentrale betreibt, vor dem
Arbeitsgericht mit dem Versuch gescheitert, Stubbe durch
Kündigung loszuwerden. Auch hohe Abfindungen hatte der
»klassenbewusste Arbeiter« (Stubbe über Stubbe) stets abgelehnt.
Vor wenigen Tagen sorgte nun sein Austritt aus der Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und sein Eintritt in die
Gewerkschaft IWW (Industrial Workers of the World) in
Gewerkschaftskreisen für Aufsehen.
Der Tropfen, der für Stubbe nach über 20 Jahren
NGG-Mitgliedschaft das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, war
die jüngste Tarifrunde, die den EUREST-Mitarbeitern, die noch
nie zu den »Besserverdienenden« gehört hatten, nur eine
bescheidene Lohnerhöhung von 2,7 Prozent brachte. Als
Befürworter eines einheitlichen Sockelbetrags für alle und
Mitglied der Tarifkommission hatte er miterlebt, wie alles
»hinter verschlossenen Türen« ausgehandelt wurde und
ehrenamtliche Funktionäre letztlich nur die weitere
Reallohnsenkung und eine Öffnungsklausel mit der Möglichkeit
einer Streichung des Weihnachtsgeldes abnicken sollten.
Seit den 90er Jahren habe es im Grunde immer nur reale
Absenkungen gegeben. Zudem, so Stubbe, müssten die
Kantinen-Beschäftigten, die früher noch vom übrig gebliebenen
Essen satt wurden, jetzt ein Essensgeld von 1,80 Euro
entrichten. »Das hätten wir kippen können«, ist sich Stubbe
sicher, doch der Wille dazu habe im Gewerkschaftsapparat
gefehlt.
Harald Stubbe hatte in der Commerzbank-Kantine vor Jahren die
Wahl eines Betriebsrates initiiert. Er forderte
Mitbestimmungsrechte ein, führte Betriebsvereinbarungen zum
Nutzen der Belegschaft herbei, lehnte Überstunden ab und sorgte
für die richtige tarifliche Eingruppierung der Beschäftigten. Da
nur wenige deutsche EUREST-Betriebe einen Betriebsrat haben, war
sein Einsatz dem Management ein Dorn im Auge. Schon bei seinem
spektakulären Kündigungsschutzprozess vor zwei Jahren habe er
mehr Solidarität von außerhalb als innerhalb der NGG erfahren,
erinnert sich Stubbe. Ansätze zu einer aktiven
Verteidigungskampagne seien im hauptamtlichen Apparat
ausgebremst worden, weiß er zu berichten. Dabei sei eine Firma
wie EUREST besonders auf ihren Ruf bedacht und somit für
öffentliche Kampagnen sensibel.
Harald Stubbe, der durch seinen Einsatz in mehreren Betrieben
einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von nahezu 100
Prozent erreicht hat, reflektiert (selbst-)kritisch über seine
»kleine Karriere« als Delegierter im Landesbezirk und Mitglied
im NGG-Regionsvorstand. »Es war in der NGG nicht erwünscht, sich
negativ über das Rauchen zu äußern«, sagt der 53-Jährige. »Denk
mal an die Arbeitsplätze in der Zigarettenindustrie«, habe man
jedem Sitzungsteilnehmer entgegnet, der in einem verqualmten
Raum gemahnt habe, das Rauchen ein wenig einzustellen. Ein
anderer Kollege habe dies sarkastisch kommentiert: »Zum Glück
vertritt die NGG nicht die Henker, denn sonst wären wir für die
Einführung der Todesstrafe.«
Ganzseitige Anzeigen der Tabakindustrie im NGG-Zentralorgan
hätten »sicher einen nicht geringen Einfluss« gehabt, so dass
die NGG strikt gegen ein Werbeverbot für Zigaretten gewesen sei.
»Natürlich ist man auch gegen eine Ampelkennzeichnung von
Lebensmitteln, denn die Süßwarenindustrie könnte darunter
leiden«, beklagt Stubbe. Mit der Ampelkennzeichnung können
Lebensmittel nach dem Anteil von Fett, Zucker und Salz mit einem
roten, gelben oder grünen Punkt versehen werden.
Dass die NGG von Arbeitgebern bezahlt werde, will Stubbe damit
nicht sagen. Der »Deal« laufe anders: »Die NGG erwartet von den
Arbeitgebern, dass diese die Betriebsräte in Ruhe lassen. Dafür
machen die Betriebsräte den Arbeitgebern das Leben nicht schwer.
In großen Unternehmen haben freigestellte Betriebsräte so ihre
Privilegien.« Die jährlichen Tarifverhandlungen seien nur noch
»ein Ritual, in dem beide Seiten öffentlichkeitswirksam mit den
Säbeln rasseln und danach moderate Abschlüsse tätigen«.
Kritischere Gewerkschaftssekretäre, die weitergehende Kämpfe
führen wollten, hätten als Angestellte des Geschäftsführenden
Hauptvorstandes »die Schere im Kopf«; nur wenige »trauen sich
mehr vor«. Es gebe kämpferische Aspekte, aber »der Schmusekurs
hat immer Vorrang vor dem Kämpfen«. Dabei zeigten einzelne
erfolgreiche Streiks, dass »Belegschaften zum Kampf bereit sind,
wenn die Sekretäre und Betriebsräte sie dazu mobilisieren«.
Mit dem Trend zum Co-Management einhergegangen sei eine
Entpolitisierung der Bildungsarbeit, beklagt Stubbe. Statt
Geschichte der Arbeiterbewegung würden zunehmend nur noch
Rhetorik- und Arbeitsrechtsseminare angeboten. Harald Stubbes
Kritik beschreibt nicht nur die NGG. »Da wird sich erst was
bewegen, wenn die Mitglieder die Vorstände zum Teufel jagen«,
sagt er.
Die Frage ist nur: Wird die Erreichung dieses Ziels durch Abkehr
der bewusstesten Arbeiter von den DGB-Gewerkschaften schneller
zu erreichen sein oder vielleicht sogar erschwert?
Editorische
Anmerkungen
Den Text
spiegelten wir bei Indymedia, wo er am 10.01.2009 erschien.
Die erste IWW-Betriebszeitung bei Eurest runterladen
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