Neuer Konflikt – alte Parolen

von Peter Nowak

01/09

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„Meine Eltern vernachlässigten alle ihre alltäglichen Verrichtungen, wenn sie vor ihrem geistigen Auge den Schrecken in den Augen von Kindern sahen; die Verzweiflung von Müttern, die ihre Kinder nicht beschützen konnten; den Moment, wenn eine riesige Explosion ein Haus über dessen Bewohnern zusammenstürzen ließ und eine intelligente Bombe ganze Familien auslöschte… Ihre eigene Geschichte brachte meine Eltern dazu, die lässige Art und Weise zu verachten, mit der Nachrichtensprecher über eine Ausgangssperre berichten. Was für ein Glück, dass sie nicht hier sind und die Massen im Kolosseum brüllen hören.“ - Die israelische Journalistin Amira Hass, die Tochter von Holocaust-Überlebenden ist.


"Der Palästinenserriese Goliath wurde vor ca. 3500 Jahren mit einer Hirtenschleuder von dem Juden David angegriffen und getötet. Das war Selbstverteidigung. Heute, um bei dem Bild zu bleiben, ist Israel der Riese und nun versuchen sich die unterlegenen Hamas-Palästinenser mit vielen kleinen Schleudern (Raketen) an der Revanche von damals. Das ist der Irrsinn, der archaische, denn damals war die Klugheit auf der Seite der Juden, die Kriegslist, aber heute ist nicht die Klugheit auf der Seite der Hamas. Man kann Israel nicht vorwerfen, dass es ein moderner Staat ist, ein Riese von einem David, sehr wohl aber der Hamas, dass sie sich auf einen Kampf, der einmal vor3500 Jahren stattgefunden hat, positiv bezieht und sich heute die Rolle des David anmaßt. Die Palästinenser müssen sich neu erfinden: der Goliath geht nicht mehr, der David sind sie nicht." - Antonin Dick, in englischer Emigration geborener Sohn von NS-Verfolgten

Spätestens nach der Bombardierung einer UN-Schule im Gazastreifen hat sich der Druck auf Israel weltweit verstärkt. Denn die Bilder von getöteten Kindern und weinenden Eltern, die weltweit über die Bildschirme der Fernsehen flimmern, sind genau die Bilder, die Israel am wenigsten brauchen kann.

Wie schnell eine durchaus ernst gemeinte Empörung in Ressentiments umschlagen kann, zeigte sich an den Parolen und Transparenten, mit denen Demonstranten in vielen Teilen der Welt gegen das israelische Vorgehen im Gaza protestierten. Da war es von der Parole „Kindermörder Israel“ zur alten, antisemitischen Mär von den jüdischen Kindermördern oft nur ein kurzer Schritt. Diese einfachen Weltbilder werden nicht nur von wütenden Demonstranten vertreten. Auch Venezuelas Staatspräsident, der sich schon in der Vergangenheit als Freund der palästinensischen Sache profiliert hat, ließ sich auch im jüngsten Konflikt wieder mit starken Worten vernehmen. Mit seiner Charakterisierung der israelischen Gaza-Intervention als palästinensischen Holocaust sorgte er in Israel für Empörung und mit der Ausweisung des israelischen Botschafters auch für diplomatische Verwicklungen. Chavez, der nicht nur in der lateinamerikanischen Welt viele Unterstützer hat, findet bei diesen Vergleichen auch bei großen Teilen der europäischen Linken Zustimmung. Auf Demonstrationen in London, Paris und anderen Städten wurden Israelfahnen verbrannt oder mit Hakenkreuzfahnen bemalt.

Eine Tasse Blut als Soliaktion?

Solche Vergleiche finden sich auch in einigen der Texte der Kampagne „Eine Tasse Blut für die Bundeskanzlerin“ Der ungewöhnliche Titel soll das Blut palästinensischer Kinder symbolisieren, dass Merkel nach Meinung der Kampagnenorganisatoren durch ihre einseitige Parteinahme für Israel in dem Konflikt vergießt. In dem auf der Kampagnenhomepage dokumentierten Texten finden sich Verbalinjurien wie „Konzentrationslager Gaza“, „zionistische Terrorbande“, „israelischer Kunststaat“ etc.
Solche Töne waren in den letzten Jahren in Deutschland selbst in erklärt antizionistischen Kreisen seltener geworden. Die fast Jahre lange Debatte über Israel, die vor allem in linken Kreisen sehr intensiv geführt worden war, hat hier ihre Spuren hinterlassen.

Diskursfeld Nahost

Die Gründe dafür hat der Leipziger Sozialwissenschafter Peter Ullrich in seiner kürzlich erschienenen vergleichenden Studie der Nahostdiskurse in der britischen und deutschen Linken erforscht und dabei gravierende Unterschiede festgestellt.

In Großbritannien ist der Nahostkonflikt eng mit den Diskursfeldern Kolonialismus und Rassismus verbunden. Dabei wird der israelischen Seite überwiegend die Rolle des Unterdrückers und die Palästinenser die Opferrolle zugewiesen.

Erst in der letzten Zeit hat sich mit dem Euston-Manifest eine Gruppe von Intellektuellen zu Wort gemeldet, die den Antizionismus als eine Form des Rassismus klassifizieren, für den die legitimen Rechte der Palästinenser ausgebeutet werden.

In Deutschland ist die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit eng mit der Nahostfrage verknüpft. Dieser Befund gilt nicht nur für die israelsolidarische Strömung. „Selbst viele antiimperialistisch positionierte Israelkritiker beachten, dass aktuelle und historisch bedingte Einflüsse wie die Shoah die Frage der Parteilichkeit im Nahostkonflikt zumindest erschweren“, betont Ullrich. Damit ist in der politischen Praxis eine Mäßigung oder zumindest eine moderate Verpackung der Israelkritik verbunden. Der Vulgär-Antizionismus der 70er und 80er Jahre wurde auch von den meisten israelkritischen Gesprächspartnern des Autors kritisiert.

Für Israel oder Gaza?

Ullrichs Thesen stehen jetzt auch auf Deutschlands Straßen auf dem Prüfstand. Denn, dass die Geschehnisse im Nahen Osten aktuell noch wenig Resonanz erfuhren, liegt auch an der traditionell politikfreien verlängerten Weihnachts- und Neujahrspause. Die aber ist am vergangenen Wochenende endgültig beendet. In Berlin sind auch israelsolidarische Gruppen auf die Straße gegangen. Zu einer Demonstration unter dem Motto „Stoppt den Terror der Hamas“ haben VertreterInnen aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gesprochen . Auch die palästinensische Gemeinde hatte für Samstagnachmittag eine Demonstration in Berlin mobilisiert. Dort wurde der Terror ausschließlich im Vorgehen der israelischen Armee gesehen. Für Zwischentöne scheint wieder einmal wenig Platz zu sein. Aufrufe, in denen der Beschuss israelischer Städte durch Hamas-Raketen ebenso verurteilt wird, wie das Vorgehen der israelischen Armee sind selten zu finden. Dabei würde die Genese des aktuellen Konflikts zu einer Differenzierung geradezu einladen. Schließlich war es die Hamas, die Ende Dezember den Waffenstillstand mit Israel aufgekündigt hat und auch aktuell betont, an einer längeren Waffenruhe nicht interessiert zu sein. Die Empörung über bombardierte Schulen und Kindergärten in Gaza ist nur zu verständlich. Aber sie wäre glaubwürdiger, wenn eben auch die von den Hamas-Raketen getroffenen Kindergärten in israelischen Städten nicht ausgeblendet würden. Auffällig ist auch, dass die Protestler nicht auch an Ägypten de Forderung richten, ihre Grenze zum Gaza öffnen. Würde allein die Erwähnung dessen Rolle das Feindbild Israel beschädigen?

Auch die israelsolidarischen Gruppen müssen sich fragen lassen, ob wahre Freunde sich nicht auch kritisieren können. Davon ist in dem Aufruf „Stoppt den Terror der Hamas“ nichts zu lesen. So wird dort geschrieben, die Hamas „ verstecke ihre Militärstützpunkte und Abschussvorrichtungen unter Verletzung der Genfer Konvention in dicht bevölkerten Gebieten, missbrauchen dadurch Menschen als Schutzschilde und machen damit zivile Opfer unvermeidlich.“ Dabei bleibt unerwähnt, dass das Territorium des Gazastreifens so klein ist, dass eine Trennung in Militär und Zivilbevölkerung gar nicht möglich ist.
Auch die Forderung nach Verbot islamistischer Gruppen in Deutschland muss in diesem Aufruf verwundern. Auch hier wird wieder – wie so oft – ein regionaler Konflikt um Land zu einem Weltkonflikt – hier zwischen Islamismus und so genannter freier Welt“ aufgebauscht. Dass sich PolitikerInnen wie der CDU-Rechtsaußen René Stadtkewitz, hinter solche Forderungen stellen, ist nicht verwunderlich. Aber, was bewegt beispielsweise den stellv. Vorsitzender des AStA der Universität Potsdam Tamás Blénessy sowie diverse Antifagruppen dazu, ihre Unterschrift für den Ausbau der deutschen Sicherheitsapparate herzugeben. Denn um nichts anderes handelt es sich, wenn hier Verbote von islamistischen Gruppen gefordert werden. Der Paragraph 129b steht schon dafür bereit. Es ist ein Missbrauch der Sorge und Empathie mit den Menschen in Israel, wenn hier solche Forderungen aufgenommen werden. Auch sehr nachdenklich muss folgender Satz machen: Wir erklären uns solidarisch mit den vom islamistischen Terror bedrohten Menschen in Israel, aber auch in Gaza, Libanon oder im Iran“

Keine Fahne

Nein, ich erkläre mich ausdrücklich solidarisch mit allen Menschen, in Israel, Gaza, Libanon und Iran, die von den Bomben der Hamas, anderer islamischer Gruppen aber auch der israelischen Armee bedroht werden. Denn, in den Augen des Kindes im Flüchtlingslager von Gaza ist derselbe Schreck wie in den Augen eines Kindes in Israel, wenn es das Zischen der Bomben hört. Eine wirkliche Empathie mit diesen Menschen verträgt sich nicht mit in Stein gemeißelten Schuldzuweisungen, mit markigen Rechtsstaatsforderungen und der Rhetorik des starken Staates.

Ich habe an den Beginn meines Textes zwei längere Zitate von Amira Hass und Antonin Dick gestellt, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben. Wenn man sie genauer liest, wird man erkennen, dass sie sich genau den schnellen Zuordnungen verweigern, dass sie nicht vorgeben, die ultimative Antwort zu haben, sondern die paradoxe Hoffnung äußern, es könnte doch dieser Konflikt endlich in anderen, in zivilisierteren Bahnen ausgetragen werden. Beide Autoren sind Kinder von NS-Verfolgten. Sie schwenken in diesem Konflikt keine Fahne, nicht die palästinensische und nicht die israelische, aber aus ihren Worten schreit der Wunsch, dass Morden möge aufhören, heute noch.
 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.