Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Protest von Gewerkschaften im Arbeitsministerium
Gegen Ernennung von Ausländerhatz-Antreiber zum Sozialminister

01/09

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Ehemaliger Minister „für nationale Identität“, Brice Hortefeux, wird Arbeits- und Sozialminister. „Monsieur Verräter“ Eric Besson wird neu für Einwanderung zuständig. Unterdessen stellt Hortefeux, zum Auftakt seiner neuen Ministertätigkeit, die französische Nationalität seiner Staatssekretärin Fadela Amara öffentlich in Abrede.

Am Donnerstag, 15. Januar 09 fand die erwartete Kabinettsumbildung unter den Fittichen von Frankreichs „starkem Mann“, Präsident Nicolas Sarkozy, statt. Nur wenige Minister wurden ausgewechselt. Hintergrund ist vor allem, dass der bisherige Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand sich zukünftig Parteiaufgaben bei der (regierenden, konservativ-wirtschaftsliberalen) UMP widmen wird, wo er nun den Vorsitz übernimmt.

An seiner statt zum Arbeits- und Sozialminister – mit, gegenüber seinem Amtsvorgänger, beträchtlich erweiterten Kompetenzen - ernannt wird dafür Brice Hortefeux, der bislang als „Minister für Einwanderung und nationale Identität“ zuständig war. Dieses letztgenannte Amt wurde nach Nicolas Sarkozys Sieg bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2007 neu geschaffen, auf einen Vorschlag Sarkozys im Wahlkampf – den er der Öffentlichkeit erstmals am 8. März 07 unterbreitete – zurückgehend. (Der genaue Titel lautet „Ministerium für Immigration, Integration, nationale Identität und Entwicklungszusammenarbeit“.) Damit rückt ein „Lieblingsfeind“ der Linken und progressiven Initiativen, der bis dato in den letzten anderthalb Jahren die Treibjagd auf „illegal“ in Frankreich lebende Zuwanderer an führender Stelle organisierte, zum „Minister für Soziales“ auf.

Zu allem Unglück wird Hortefeux als neuer Arbeits- und Sozialminister nunmehr auch für die Subventionen, von denen die im sozialen Sektor oder im Bereich des Antirassismus tätigen NGOs oder Associations (Bürgerinitiativen, Sozialvereine) zum Gutteil abhängen, zuständig werden. Das bedeutet, dass er für diejenigen bspw. Antirassistischen Vereinigungen, welche seine Politik als Immigrationsminister gestern noch bekämpft haben und die von ihm politisch bekämpft, ab jetzt persönlich am Geldhahn sitzen wird... Es handelt es sich in aller Regel um zweckgebundene Mittel, etwa für die Diskriminierungsbekämpfung, für die eine öffentliche Ausschreibung getätigt werden muss. Dennoch ist der Amtsinhaber in diesem Ministerium mit beträchtlichen Entscheidungsvollmachten darüber, wer oder was finanziert wird und was nicht, ausgestattet. Denn es gibt wesentlich mehr Antragsteller/innen als Subventionen...

Aus diesem Anlass zogen die französischen Medien am Mittwoch u. Donnerstag (14./15. Januar) eine Bilanz der anderthalb Amtsjahre Hortefeux’. Diese Bilanz fiel, aus humanistischer und progressiver Sicht, vernichtend aus. Nicht jedoch aus autoritär-rassistischer Sicht, denn Hortefeux zeigte sich selbst Mitte dieser Woche überrascht, dass er sein Plansoll bezüglich der Anzahl durchgeführter Abschiebungen übererfüllt habe. 25.000 im Jahr 2007 und dann 26.000 im abgelaufenen Jahr 2008 wollte er durchführen, doch knapp 30.000 für das abgelaufene Jahr seien es schlussendlich geworden. Dabei „mogelt“ das Ministerium freilich, mit Blick auf Stimmungen in Teilen der Wahlbevölkerung. Denn unter den Abgeschobenen sind auch mehrere Tausend StaatsbürgerInnen aus Rumänien und Bulgarien. Letztere genießen, da ihre Länder seit dem 1. Januar 2007 Mitglieder der Europäischen Union geworden sind, zwar, noch keine Niederlassungsfreiheit – der Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt, mit Ausnahme ausgewählter Berufe, ist ihnen während einer mehrjährigen „Übergangsperiode“ versperrt -, wohl aber Freizügigkeit. Also Reisefreiheit und das Recht zum Aufenthalt bis zu drei Monaten Dauer. Kurz, im Falle einer Abschiebung oder „freiwilligen Ausreise“ dürften rumänische und bulgarische StaatsbürgerInnen, die nicht in ihrer Ländern bleiben möchten – das betrifft vor allem Angehörige der Roma-Minderheit – alsbald wieder in Frankreich auftauchen. Und genau so passiert es auch.

Auch in der liberalen Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ übte Patrick Weil (selbst ein Technokrat der politischen Mitte, der in einem Untersuchungsbericht zur Einwanderungspolitik vom Sommer 1997 einen Konsens zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts zur „ausgewählten Zuwanderung“ predigte, vgl. unter FUSSNOTE 1 angegebene Quellen) unverhohlen Kritik an der Politik Hortefeux’. Auf einer Doppelseite in der Donnerstags-Ausgabe von ‚Le Monde’ liest man unter anderem: „Die Präfekten (Anm.: juristische Repräsentanten des Zentralstaats in den 100 französischen Départements) waren überrascht, Anfang 2008 einen führenden Vertreter des Ministerialbüros wagen zu hören: <Ich wäre nicht nachtragend, wenn Sie Anträge auf Familienzusammenführung nicht bearbeiten würden.> Im Außenministerium zeigte man sich schockiert darüber, den selben Verantwortlichen seinen Wunsch ausdrücken zu hören, dass man keine afrikanischen Stipendiums-Studierenden mehr aufnehmen solle – womit er eine quasi-offizielle Anordnung an die französischen Botschaften im Ausland bestätigte.“ (Vgl. ‚Politique d’immigration: le dessous des chiffres’, in ‚Le Monde’ vom 15. Januar 2009, SIEHE AUCH FUSSNOTE 2) „Legale“ Einwanderung sollte unter Sarkozy und seinem „Freund seit 30 Jahren“, Hortefeux, eine Angelegenheit für eine Elite darstellen. Und, ging es jedenfalls nach manchen Figuren in diesem Ministerium, möglichst für eine nicht-afrikanische Elite...

Ebenfalls zu neuen Aufgaben berufen wurde Eric Besson, alias „Monsieur Verräter“ (Monsieur Le traître). Besson ist derjenige berühmte Politiker, der es fertiggebracht hatte, den Wahlkampf im Winter 2006/07 als Berater – wirtschaftspolitischer Sprecher – der (rechts)sozialdemokratischen Präsidentschaftsbewerberin Ségolène Royal zu beginnen, und als Berater des konservativen Kandidaten Nicolas Sarkozy zu beenden. Daraufhin wurde er zum Staatssekretär „für vorausschauende Wirtschaftspolitik“ (pour la prospective économique), mit obskurer Aufgabendefinition, bestellt. Nunmehr wird er als Minister für „Zuwanderung und nationale Identität“ eingewechselt, also zum Nachfolger des Sarkozy-Intimus Brice Hortefeux bestellt. (Vgl. FUSSNOTE 3) Viele Medien sehen darin einen „macciavellistischen Schachzug“, da es dabei auch darum gehe, die Kritik der Sozialdemokratie an der teilweise „rechtspopulistisch“ geprägten Einwanderungspolitik auszuschalten. Bei der Sozialdemokratie allerdings betrachtet man Eric Besson, „Monsieur Verräter“, längst nicht mehr als einen der Ihren.

Gewerkschaftliche Kritik

Die Ernennung von Brice Hortefeux zum neuen Arbeits- und Sozialminister, die laut verbreiteter Darstellung eine Beförderung darstellt (zumal die Kompetenzen dieses Ministeriums im Zuge des Amtswechsel beträchtlich erweitert worden sind, u.a. erhält der neue Minister Hortefeux nun die Zuständigkeit für die Banlieues, die bislang beim Wohnungsbauministerium angesiedelt war) stößt seitens der Gewerkschaften auf Kritik.

Dies gilt auf nationaler Ebene, wo die Gewerkschaftsdachverbände und ihre Spitzen die Einsetzung des neuen Ministers eher mit Skepsis betrachtet haben. Vielleicht mit Ausnahme von CFDT-Generalsekretär François Chérèque, der zwar ausdrücklich an die bisherigen scharfen „Differenzen zur Einwanderungspolitik“ erinnerte. (Welche tatsächlich auch durch die CFDT kritisiert worden ist, wenngleich sie im Gegensatz zu CGT und SUD-Gewerkschaften keine oder kaum eine aktive Rolle beim Streik der „illegalisierten“ Einwanderer – Sans papiers – seit April 2008 innehatte.) Der aber am Mittwoch,, 14. Januar in ‚Le Monde’ hinzufügte, die „Unpopularität“ dieses Ministers trage vielleicht gerade „dazu bei, dass er sich künftig beliebt machen möchte“. Sprich, dass eventuell mit Geschenken von seiner Seite zu rechnen sei...? Welch trügerische Hoffnung...

Unterdessen übten die Gewerkschaften im Arbeits- und Sozialministerium selbst harsche Kritik an ihrem künftigen obersten Vorgesetzten. Am Donnerstag veröffentlichen die CGT, SUD und die der FSU (Gewerkschaft im Schul-, Bildungs- und Fortbildungssektor) angeschlossene Gewerkschaft der Ministerialbediensteten ein gemeinsames Pressekommuniqué. Darin wird vor einer unzulässigen „Vermengung der Rollen“ gewarnt, dergestalt, dass man sich weigere, zukünftig im Rahmen der Aufgaben des Arbeits- und Sozialministeriums Jagd auf abhängig beschäftigte „illegale Ausländer“ zu machen. Bereits in jüngerer Vergangenheit hatte es mehrfach Erklärungen und auch Streikbewegungen von Seiten der Gewerkschaften des Ministeriums – und der ihm unterstehenden Arbeitsinspektoren – gegeben, die sich weigerten, eine Rolle als Hilfspolizisten bei der Überprüfung von Aufenthaltstiteln lohnabhängiger Ausländer/innen zu übernehmen. Ihr Schutz müsse vielmehr allen Lohnabhängigen, unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem Aufenthaltsstatus’; gelten. (Vgl. http://www.labournet.de/ ) Nunmehr wird dadurch, dass der bisherige oberste Dienstherr der „Illegalen-Jäger“ jetzt zum Chef des Arbeits- und Sozialministeriums aufrückt, eine neue Offensive in dieser Richtung befürchtet. (Vgl. auch Erklärung anbei)

ZUSATZ : VOLL KRASS !

Als neuem Arbeits- und Sozialminister untersteht Hortefeux nunmehr auch das Staatssekretariat für die Banlieues, die sozialen Krisenzonen in den Trabantenstädten, unter Leitung von Fadela Amara. Dieses Staatssekretariat wurde dem Ministerium, dessen Kompetenzen anlässlich des Amtswechsel von Xavier Bertrand zu Brice Hortefeux beträchtlich erweitert worden sind, jetzt zusätzlich angegliedert. Bislang unterstand es dem Wohnungsbauministerium, das aktuell durch die Rechtskatholikin (mit sozialem Anstrich) Christine Boutin geleitet wird.

Am Donnerstag Nachmittag, bei der Vorstellung seiner künftigen StaatssekretärInnen, stellte Hortefeux die französische Staatsbürgerschaft seiner Untergebenen öffentlich in Frage. Auf seiner Pressekonferenz führte Hortefeux, als er Fadela Amara vorstellte, vor den versammelten JournalistInnen aus, diese sei „seine Landsmännin" (ma compatriote). Und fügte daraufhin hinzu: „Da dies nicht unbedingt/nicht gerade selbstverständlich ist, präzisiere ich es." Fadela Amara stellte ein verkrampftes Lächeln dazu zur Schau. Die demnächst 45jährige Fadela Amara ist eine in Clermont-Ferrand (Regionalmetropole der Auvergne) geborene Tochter algerischer Einwanderer.

Später am Tag erklärte sie, Hortefeux habe "dies nicht zum ersten Mal erklärt, auch in privatem Rahmen". Dennoch versuchte sie, zu entdramatisieren: „Aber sie nehme es ihl nicht übel.“ Und fügte hinzu, mit dem Ausdruck „Landsmännin" habe Hortefeux lediglich sagen wollen, dass sie beide aus der Auvergne kämen. Bei der Auvergne handelt es sich um Hortefeux' politisches Stammland und seine regionale Hochburg.

Fadela Amara war früher sozialdemokratische Kommunalparlamentarierin in Clermont-Ferrand, bevor sie an die Spitze des 2002/03 gegründeten Verbands ‚Ni Putes Ni Soumises’ (NPNS, Weder Nutten noch unterwürfig) rückten – eine Vereinigung, die die Lebenssituation von Frauen in Banlieues une Einwandererfamilien kritisiert, aber zugleich durch ihre unkritische Haltung gegenüber den „Idealen der Republik“ und ihren ungebrochen positiven Bezug auf die sog. liberale Mehrheitsgesellschaft hervorstach. Im Rahmen seiner „Politik der Öffnung“ (d.h. Abwerbung von prominenten Persönlichkeiten der sozialdemokratischen Parlamentsopposition), die er bei der Regierungsbildung 2007 einleitete, holte Präsident Nicolas Sarkozy sie ins Kabinett. Auch nach ihrem Wechsel in die Regierung versuchte Fadela Amara, die Kontrolle über „ihren“ früheren Verband, NPNS, an dessen Spitze sie eine Vertraute platzierte, aufrecht zu erhalten. Politisch ist Fadela Amara in erster Linie als Karrieristin einzustufen. (Vgl. im Original: http://www.lepoint.fr)

Dass Brice Hortefeux bisweilen Probleme hat, die französische Nationalität von seiner Auffassung nach „nicht ins Schema passenden“ Männern und Frauen anzuerkennen, ist übrigens auch ansonsten nicht völlig neu. Bereits im November 2007 enthüllte eine französische Wochenzeitung, wie Hortefeux selbst – bei einem Diner mit erlesenen Gästen – dazu eine Anekdote auspackte, die sich im selben Jahr auf einer Autobahnraststätte zutrug. Originalton Horteux: „In diesem Sommer treffe ich auf einer Autobahnraststätte fünf schwarze Personen. Da sie mich zu erkennen scheinen, gehe ich auf sie zu, um sie zu begrüßen, und frage sie: Wo kommen Sie her? (Antwort:) Aus Caen (Anm.: in der Normandie). Ja OK, frage ich nach, aber wo liegt Ihr Land? (Antwort:) Na ja... Es ist hier! – Zum Glück, fährt Hortefeux fort, habe ich rechtzeitig verstanden und nicht auf meine Frage insistiert. An dem Tag habe ich die ganze Tiefe meiner Aufgabe begriffen.“ Gemeint ist wohl: der Aufgabe als frischgebackener Minister für „nationale Identität.“ (Vgl. http://miltondassier.over-blog.com/article-14881013.html ) Sic!

FUSSNOTEN

ANMERKUNG 1: Vgl. dazu z. Bsp. http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/33/19a.htm  und http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/35/03c.htm , aber auch http://jungle-world.com/artikel/1999/05/31915.html  sowie http://www.labournet.de/internationales/fr/quoten.html respektive  http://www.trend.infopartisan.net/trd0605/t420605.html


ANMERKUNG 2: Siehe unter http://www.lemonde.fr . In dem Artikel liest man ferner unter anderem, einige ausgewählte Kostproben:

(a.) „Wenn die Einwanderungspolitik solche Ziele verfolgt (Anm.: wie das oben zitierte Aussortieren von afrikanischen Visumsbewerber/inne/n), ohne sich offen dazu bekennen zu können, dann vervielfacht man die bürokratischen Prozeduren, um die Anerkennung von Rechten für <unerwünschte> Ausländer verlangsamen, ja blockieren zu können. (...) Französische Sprachtests oder Tests über die Kenntnis der Werte der Republik (Anm.: für Visa beantragende Familienmitglieder von legal in Frankreich lebenden Ausländer/inne/n, im Rahmen der Familienzusammenführung) schon im Herkunftsland erlaubt es, die Erteilung von Visa noch zusätzlich zu verlangsamen und vielleicht Antragsteller zu entmutigen.“

(b.) „Die beispielhafteste Darstellung dieser Politik der <nationalen Identität> ist die derzeit laufende Reform des Einbürgerungsverfahrens. Bisher nahmen die Präfekturen (Anm.: Behörden, die den Zentralstaat in jedem der 100 Départements vertreten, u.a. als Ausländer- und Polizeibehörde) die Anträge entgegen, schätzten die französischen Sprachkenntnisse der Bewerber ein und gaben eine Einschätzung ab. Aber dabei wurden, um die bedeutenden Unterschiede in der Herangehensweise zwischen den einzelnen Präfekturen auszugleichen, die endgültigen Beschlüsse von einem zentralen und spezialisierten Amt nach einheitlichen Kriterien getroffen. Minister Hortefeux hat beschlossen, die Macht, über Einbürgerungen zu entscheiden, unmittelbar den Präfekten zu übergeben ; nur die abgelehnten Anträge werden (Anm.: im Widerspruchsfall) nunmehr auf nationaler Ebene entschieden. Die <erwünschten> Anträge werden so (Anm.: auf Bezirksebene) schneller bearbeitet.

Diese Übertragung der Entscheidungsmacht auf die Präfekten birgt naturgemäß das Risiko von Missbrauch und politischer Günstlingswirtschaft in sich (Anm.: da zuvor nach abstrakten und frankreichweit einheitlichen Kriterien entscheiden wurde, was nunmehr durch die Zentralisierung der Entscheidungsbefugnis aufgehoben wird). ... Die wichtigste Ungleichheit liegt in den Zeiträumen, mit denen heute die einzelnen Präfekturen die Anträge bearbeiten: weniger als sechs Monate in manchen Fällen, über zwei Jahre in anderen Fällen. Aber diese Frist läuft erst an, nachdem die Person bei zwei aufeinanderfolgenden Terminen erst ein Antragsformular erhalten und danach das ausgefüllte Formular abgegeben hat. Insgesamt kann diese Phase heute über fünf Jahre dauern. In einer Präfektur in Südostfrankreich ist einem Antragsteller im Juni 2008 ein Termin für die Abgabe seines Einbürgerungsantrags erst im November 2011 angeboten worden. Die Präfekten dehnen die Fristen für die Antragsteller, die in ihren Augen <unerwünscht> sind, hinaus. Dieses unterschiedliche Maß, mit dem bei der Einbürgerung gemessen wird, wird durch die Hortefeux-Reform noch begünstigt und ausgebaut.“

(c.) (Nachdem der Verfasser auf die Schwierigkeiten hingewiesen hat, unter denen die französischen Konsulate im Ausland Antragsteller/inne/n auf ein Visum zu ihrem Recht – etwa dem verbrieften Recht auf Nachzug des Ehegatten - verhelfen, wobei sie oft auch auf illegale Weise die bürokratischen Verfahren verschleppen:) „Gleichzeitig hat, laut Aussagen von Präfekten und Konsuln, noch nie eine Regierung so oft in Verfahren eingegriffen, um für einzelne Antragsteller die Erteilung eines Visums oder eines Aufenthaltstitels anzuordnen – entgegen der (Anm.: restriktiven) allgemeinen Anordnungen, die sie zuvor selbst gegeben hatte. .... Unter Nicolas Sarkozy wird die Einwanderungspolitik, auf staatlicher oder örtlicher Ebene, fast durchgängig zum staatlichen Willkür- oder Gnadenakt (im französischen Original: fait du prince). .... Der Staatspräsident schätzt den Rechtsstaat mit Rechtsansprüchen nicht; aber er schätzt es, ebenso wie Brice Hortefeux, in der Lage zu sein, persönlich eine individuelle Ungerechtigkeit auszugleichen oder ein Privileg erteilen zu können. Dies fördert persönliche Bindungen (Anm.: an den Politiker Srkozy oder Hortefeux), die Klientelbildung – und Schweigen vor den kollektiven Ungerechtigkeiten.“

IM ALLGEMEINEN ist der Artikel des Forschers Patrick Weil – der seit seiner Doktorarbeit von 1988 zur französischen Immigrationspolitik arbeitet – also durchaus in kritischem Tonfall gehalten. Im Allgemeinen attackiert er dabei, implizit oder explizit, die Einwanderungspolitik unter Sarkozy und Hortefeux als zu restriktiv. Aber Patrick Weils Kritik fundiert keineswegs (nur oder überwiegend) auf linkem oder liberalem Humanismus; erst recht nicht auf kritischem bis revolutionärem Denken, das auf das Recht für alle Menschen auf Freizügigkeit in planetarem Maßstab pocht.

An einzelnen Punkten übt er sogar Kritik von „rechts“ an Hortefeux’ Politik. Beispielsweise, wenn er die „Mogelpackung“ bezüglich der Abschiebezahlen – die durch die Erwähnung bspw. der Ausweisung von rumänischen und bulgarischen Staatsbürger/inne/n, die ohne Visum wieder einreisen können, künstlich erhöht werden – in den Vordergrund rückt. Erst recht, wenn er kritisiert, aufgrund der Fixierung der Sarkozy’schen und Hortefeux’schen Einwanderungspolitik auf Sollzahlen bei den Abschiebungen würden „die gefährlichsten Ausländer“ (O-Ton Hortefeux) gar nicht ausgewiesen. Straffällige ausländische Staatsbürger, so schreibt Weil in seinem Artikel, die in Haft sitzen oder unter Meldeauflagen stünden, würden so nicht ausgewiesen – denn „da die Anzahl der nicht straffälligen (Anm.: sich einfach nur <illegal> in Frankreich aufhaltenden) <Sans papiers> höher ist“, würde sich die Staatsgewalt nunmehr auf Letztere konzentrieren. Dies sei aber schädlich, moniert Weil, da die „gefährlichen Ausländer“ dadurch nicht schnell genug aus dem Land geschafft würden.

Der grundsätzliche Zielhorizont Patrick Weils kommt in dem ausführlichen Artikel (eine Doppelseite in ‚Le Monde’!) ebenfalls zum Vorschein. Er bleibt derselbe wie in seinem Untersuchungsbericht vom Juli 1997, in dem er einer Attraktivität Frankreichs für eine „Elite“-Einwanderung (im kulturellen, intellektuellen, wirtschaftlichen Bereich) das Wort redet – vgl. die Angaben zu deutschsprachigen Quellen oben unter FUSSNOTE 1. In seinem Artikel in ‚Le Monde’ vom 15. Januar 2009 schreibt Patrick Weil dazu: „Diese diskriminatorische Politik (Anm.: welche keine oder kaum noch Visa an afrikanische Stipendiums-Studierende verleihen möchte, vgl. oben im Artikel) lässt die afrikanische Elite in andere europäische Länder oder nach Amerika fliehen, dadurch senkt sie den Einfluss Frankreichs auf diesem Kontinent herab.“ Eine Sorge, die P. Weil in der Tat schon 1997 umtrieb. Und weiter: „Diese Politik, weil sie (bei der Erteilung von Visa) zu bürokratisch ist, zieht keine qualifizierten Fachkräfte an.“

FUSSNOTE 3 : Vgl. dazu folgende Interviews mit dem frischgebackenen Minister „für Zuwanderung und nationale Identität“ (wo er u.a. ausführt, dass „das Konzept der nationalen Identität mir keine Probleme bereitet“): http://ledauphine.com/  und http://www.lemonde.fr

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung