Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der französische Antisemit Dieudonné überschreitet neue Schwelle der Provokation

01/09

trend
onlinezeitung

Dieudonné, ein französischer Schwarzer und früherer Antirassist, hat sich in den letzten Jahren zum besessenen Antisemiten entwickelt. Zwischen Weihnachten und Neujahr überschritt er nun eine neue Schwelle der Provokation. An der letzten Aufführung seines Spektakels des Jahres 2008, <J’ai fait le con>, nahmen der (gerichts)notorische Holocaustleugner Robert Faurisson, aber auch Jean-Marie Le Pen und „Kémi Séba“ – der Anführer einer rassistischen Schwarzensekte – teil...

Dieses Mal wurde es sogar Jean-Marie Le Pen beinahe zu viel. Das Publikum ist zwar Einiges von ihm gewohnt, aber dieses Mal lavierte er vorsichtig und ging zeitweise auf Distanz zu seinen - alten oder neuen - Gesinnungskameraden. Der nunmehr 80jährige Chef des Front National (FN) drückte sich freilich ziemlich wolkig aus, indem er erklärte: „Ich schaue zu, ich urteile, ich fand es erstaunlich, vielleicht auch ein bisschen schockierend durch den Vergleich der Themen.“  

Was war passiert? Der 43jährige Komiker und Theaterbesitzer Dieudonné M’bala M’bala, ein Franzose „gemischter“ Herkunft - sein Vater ist Kameruner, seine Mutter Bretonin - hatte wie schon im Vorjahr in der Weihnachtszeit im Pariser Konzertsaal Le Zénith den Abschluss seiner Jahrestournée gefeiert. Am 26. Dezember konnte er dabei über 5.000 vorwiegend junge Menschen ziemlich unterschiedlicher Herkunft, die ein alles in allem relativ farbenfrohes Publikum bildeten, anziehen. Aber wie schon vor einem Jahr saßen auch in diesem Jahr Größen der französischen extremen Rechten im Publikum. 

 Im Dezember 2007 waren Jean-Marie Le Pens Ehegattin, Jany, und sein Vizevorsitzender Bruno Gollnisch erschienen. Der alternde Chef des FN selbst hatte sich damals nicht getraut, sich öffentlich beim Spektakel Dieudonnés blicken zu lassen, nachdem dieser aufgrund antisemitischer Äußerungen in breiten Teilen der Öffentlichkeit als anrüchig gilt. Dieses Mal war die extreme Rechte nun wesentlich breiter vertreten. Jean-Marie Le Pen hatte seine Vorbehalte abgelegt und war persönlich erschienen, neben einer seiner Töchter, Marie-Caroline, und mehreren Parteiprominenten aus der zweiten Reihe. Aber auch der Vordenker der intellektuellen „Neuen Rechten“ (Nouvelle Droite) Alain de Benoist, der üblicherweise die Niederungen der Realpolitik und die - aus seiner Sicht zu „theorielosen“ und „plebejischen“ - Anhänger des FN tunlichst vermeidet, hatte sich zu der Aufführung begeben. Im Saal saß aber auch Stellio Capochici alias „Kémi Séba“, der als charismatisch geltende Anführer einer rassistischen und antisemitischen Schwarzensekte namens Tribu Ka - die seit 2006 verboten und vor einem knappen Jahr durch eine von Kémi Séba geleitete „Bewegung der Verdammten des Imperialismus“ (MDI) ersetzt worden ist. Abgerundet wurde die Mischung durch Ginette Skandrani, die in den neunziger Jahren aufgrund den Holocaust bezweifelnder Äußerungen aus der französischen Partei der Grünen ausgeschlossen worden und sich danach für den ex-linken Holocaustleugner Roger Garaudy engagierte. 

 Ihnen allen gab Dieudonné - der Mann ist unter seinem Vornamen bekannt, der auch als sein Künstlername dient - ein Spektakel zum Besten, das er unter den Programmnamen J’ai fait le con (ungefähr: „Ich habe verrückt gespielt“ oder auch „Ich habe mich dumm gestellt“) aufführte. Der Titel bezieht sich auf Vorwürfe, die in der Vergangenheit gegen Dieudonné aufgrund antisemitischer Tendenzen und Auslassungen laut geworden sind. Der Künstler hatte etwa Anfang 2005, als er auf einer Pressekonferenz in Algier den Juden und den Überlebenden des Holocaust eine „Erinnerungspornographie“ vorwarf, die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.  

Doch wie noch jedes Mal hat Dieudonné, statt sich zu entschuldigen oder zu mäßigen, eine offensive Taktik der Flucht nach vorn gewählt. So auch beim diesjährigen Abschlussspektakel im Saal Zénith, dessen Höhepunkt ein Auftritt des „Papsts“ der Auschwitzleugner in Frankreich bildete: Robert Faurisson. Der  mehrfach verurteilte Negationist - so nennt man in Frankreich die Holocaustleugner -, der seit 1979 mehrfach durch Veröffentlichungen für Skandale sorgte und der Ende dieses Monats 80 wird, wurde von Dieudonné auf die Bühne gebeten. Dort trat ihm ein Assistent Dieudonnés entgegen, gekleidet in einen gestreiften Pyjama, der entfernte Ähnlichkeit zur Kleidung von KZ-Häftlingen aufweist - von Dieudonné freilich als „Lichtkleidung“ bezeichnet wurde. Der Assistent, der auch einen gelben Stern auf der Brust trug, überreichte Faurisson einen „Preis für Unberührbarkeit und Unverschämtheit“. Ihn wie auch sich selbst stellte Dieudonné als Verfolgten und Verfemten, als Opfer der Medienmacht und einer herrschenden Meinungsdiktatur dar.     

Daraufhin empörte sich nicht nur die große Mehrzahl der Medien. Auch die Staatsanwaltschaft in Paris -die ein Ermittlungsverfahren einleitete, um die strafrechtsrelevanten Vorwürfe der Leugnung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder der Volksverhetzung zu überprüfen - wurde aktiv. Ebenso mehrere antirassistische Vereinigungen wie LICRA und MRAP, die beide ihrerseits strafrechtliche Schritte ankündigten. Aber auch innerhalb der extremen Rechten, die sich im Augenblick im Zustand heftigsten Richtungs- und Postenkampfs befindet und innerhalb derer unterschiedliche strategische Orientierungen um die Hegemonie ringen, kam es zu Unmut. 

Die seit 2003 mit dem Anspruch einer „Modernisierung“ und „Entdiabolisierung“ des FN auf den Plan getretene Cheftochter Marine Le Pen etwa ließ ihrem Zorn darüber, dass ihre Strategie durch solcherlei Auftakte durchkreuzt werde,  freien Lauf. „Diese Inszenierung ist niederschmetternd. Diese Typen sind bescheuert!!!“ schrieb sie, mitsamt drei Ausrufungszeichen, in einem SMS an ihre engeren Mitarbeiter. Daraufhin wich ihr Herr Vater sogar seinerseits ein wenig zurück und relativierte seine anfänglichen positiven Kommentare. Ursprünglich hatte er die Inszenierung „interessant“ gefunden. Nun aber fügte er hinzu, Dieudonné habe „es vielleicht ein bisschen übertrieben“, und er habe sich „von der Show eines Chansonniers entfernt“, es habe „eine Einmischung der Politik“ gegeben - auch wenn dies letztendlich „die Angelegenheit von Herrn Dieudonné“ sei. 

Eine erstaunliche Verschiebung der Fronten, betrachtet man sich die handelnden Personen im Rückblick über ein Dutzend Jahre hinweg. 1997 war Dieudonné noch als Parlamentskandidat in Dreux - 80 Kilometer westlich von Paris -, der einstmaligen lokalen Hochburg des FN, gegen dessen Galionsfigur Marie-France Stirbois angetreten. Damals galt Dieudonné als Bannerträger des Antirassismus und Antifaschismus. Seine Talente bot er damals in einem Duo mit dem französisch-jüdischen Künstler Elie Semoun zum Besten. 

Seit nunmehr fünf, bald sechs Jahren aber hat Dieudonné sich zunehmend in einen hasserfüllten Feldzug gegen die Erinnerung an die Shoah und gegen die Juden hineingesteigert. Eines der Motive hierfür liegt in einer Form der „Opferkonkurrenz“, welche die so genannten ethnischen Minderheiten in den USA schon länger kennen. Dabei werfen etwa bestimmte Strömungen unter den Schwarzen den Juden vor, als historische Opfergruppe eine „privilegierte Stellung“ einzunehmen: Dadurch, dass man „viel zu viel“ über die Shoah und die antisemitischen Verfolgungen spreche, schweige man „über andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie den Sklavenhandel“. Dieudonné, und ähnlich wie er auch „Kémi Séba“, haben diese Opferkonkurrenz jedoch derart zugespitzt, dass sie in einer paranoiden Wendung jüdischen Protagonisten - oder, in einem historischen Anachronismus, „zionistischen Interessen“ - vorwerfen, diese hätten selbst den Sklavenhandel organisiert. In ihrem Buch „Die Wahrheit über Dieudonné“ referierte die französische Journalistin Anne-Sophie Mercier, Dieudonné sei überzeugt, Juden und nicht Christen seien für die Gräuel der Sklaverei verantwortlich. Und auf den Einwand, der Artikel 1 des Code Noir - des Gesetzbuchs, das den transatlantischen Sklavenhandel über 200 Jahre lang regelte - habe „die Beteiligung an diesem Geschäft“ den Juden strikt verboten, habe Dieudonné ihr erwidert: „Das war nur deshalb notwendig, weil die Juden zu grausam warfen, die Kinder von Sklaven über Bord warfen oder kastrierten. Ihre christlichen Kollegen mussten deswegen einschreiten.“ Dieudonné hat soeben eine Verleumdungsklage gegen Merciers Buch zurückgezogen. 

Zugleich näherte Dieudonné sich in den letzten Jahren an Teile der extremen Rechten an - nämlich an jene Fraktionen, die eine gewisse Annäherung an Franzosen migrantischer Herkunft akzeptieren, sofern diese ihrerseits die Forderung nach Vaterlandsverteidigung „in Zeiten der Auflösung der Nationen und der Globalisierung“ akzeptieren. Jene Fraktionen, welche die klassische pro-abendländische und kolonialnostalgische Ausrichtung des FN durch einen eher antiwestlichen Nationalismus ersetzen möchten. Traditionell koexistieren beide Tendenzen in der französischen extremen Rechten miteinander, die aus geschichtlichen Gründen in vielerlei Hinsicht ein sehr heterogenes Konglomerat bildet. Als Dieudonné erstmals bei einer Parteiveranstaltung des FN in Erscheinung trat - angeblich nur als neugieriger Besucher -, im November 2006 in der Pariser Vorstadt Le Bourget, weilte auf derselben Veranstaltung auch Anthony Attali. Er ist der Vorsitzende der rechtsextremen „Jüdischen Verteidigungsliga“ (LDJ), des französischen Ablegers der rassistischen Kach-Bewegung, die in Israel wegen Rechtsterrorismus verboten ist. Und am Wahlabend des FN bei der Präsidentschaftswahl im darauffolgenden April bezog Dieudonné beinahe Prügel von rechtsextremen Fußballfans, die ebenfalls dort weilten und für die er schlicht „der Neger“ war. Der Ordnerdienst der Partei zeigte sich aus diesem Anlass gespalten.  

Die Wandlung eines Dieudonné, vom „Herausforderer“ des Front National zum neuen Verbündeten von Teilen der extremen Rechten, belegt die aktuellen Probleme des Antirassismus. Innerhalb unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen bestehen jeweils Kräfte, die eine ethnozentristische, selbstbezogene Partikularinteressenpolitik betreiben - und in deren Augen dabei jeweils „der Feind meiner Feinde zum Freund wird“. Der neue Freund ist dabei jener, der einfach alle als „geringwertig“ betrachtet, die anderer Abstammung sind als er selbst, dabei freilich noch zu Abstufungen in der Lage ist. Wo und in welcher Richtung diese Abstufungen vorzunehmen ist, das macht dabei die „Theoriedebatte“ innerhalb der extremen Rechten aus. 

NACHTRAG: Seit Ende Dezember 2008 wurden Aufführungen seines Spektakels durch Dieudonné in mehreren französischen Städten durch Beschlüsse der örtlichen Rathausverwaltung verboten. So erhielt Dieudonné infolge seines gemeinsamen Auftritts mit dem Auschwitzleugner Robert Faurisson nun Bühnenverbot: im ostfranzösischen Besançon, in Montpellier in Südfrankreich sowie im Saal ‚Le Zénith d’Auvergne’ in der Nähe von Clermont-Ferrand (im Vorort Cournon d’Auvergne). Auch in der Hauptstadt Paris erteilte Bürgermeister Bertrand Delanoë ihm inzwischen, seit dem 12. Januar o9, Auftrittsverbot für alle in städtischer Hand befindlichen Theater. In der französischsprachigen Schweiz gab es ebenfalls eine Diskussion zum Thema: In Genf riefen der CICAD – eine Vereinigung, die gegen Antisemitismus kämpft – und der sozialistische Abgeordnete Christian Brunier das höchste Verwaltungsgericht (Conseil d’Etat) an, um die Annullierung einer Aufführung Dieudonnés zu erwirken. Die Richter scheinen aber eher dazu geneigt, den Verbotsantrag abzulehnen (vgl. http://www.romandie.com/i

Vgl. auch den rechtsextremen Denker und Provokateur Alain Soral, der sich in einem TV-Auftritt zum Thema auslieb: http://video.google.fr/videoplay?docid 

ANKÜNDIGUNG: Auf politischer Ebene gegen die jüngst stattgefundenen Massaker der israelischen Armee in Gaza zu opponieren, hat – den Fakt als solches genommen – schlichtweg NICHTS mit Antisemitismus zu tun. Es gilt freilich auch: Wer zuvor schon Antisemit war, wird diese politische Situation zu nutzen versuchen, um seine ohnehin gefassten Ressentiments (gegen Juden ALS SOLCHE) zu festigen und auch noch öffentlich zu verbreiten. Dies gilt beispielsweise auch, in den beiden ersten Januarwochen, für Dieudonné, der bei den Protestdemonstrationen zwar ausdrücklich nicht willkommen war, aber sich dennoch am 10. Januar für einen kurzen Moment selbst dorthin einlud (vgl. http://www.lexpress.fr/. Es gilt in ähnlicher Form auch für Teile der französischen extremen Rechten – während ein anderer Teil dieses politischen Lagers dem Vorgehen der israelischen Armee heftigen Applaus spendet. Die extreme Rechte Frankreichs ist entlang dieser Frage zutiefst gespalten. Unterdessen übt Jean-Marie Le Pen sich einmal mehr in Relativierungen des Holocaust, durch unangemessene Vergleiche zwischen der Lage in Gaza und den NS-Vernichtungslagern. Ausführlicheres dazu, zur Rolle von Dieudonné, Le Pen und anderen Gestalten in wenigen Tagen an dieser Stelle...
 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung

Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien am 8. Januar 09 unter dem Titel „Balla, M’bala!“ in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’ auf der Antifa-Seite.

Vgl. die Hauptszene dazu, auf Video aufgezeichnet, unter:
http://video.google.fr

(Bei Dailymotion ist ein vergleichbares Video inzwischen vom Betreiber aus dem Verkehr gezogen worden)