Thesen zu Klasse und Klassenstruktur

von Karl Mueller

01/10

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"Während also die entlaufenen Leibeignen nur ihre vorhandenen Existenzbedingungen frei entwickeln und zur Geltung bringen wollten und daher in letzter Instanz nur bis zur freien Arbeit kamen, müssen die Proletarier, um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigene bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben. Sie befinden sich daher auch im direkten Gegensatz zu der Form, in der die Individuen der Gesellschaft sich bisher einen Gesamtausdruck gaben, zum Staat, und müssen den Staat stürzen, um ihre Persönlichkeit durchzusetzen." MEW 3, S.77

In den letzten zwei Jahrzehnten wurden in der BRD die so genannten Normalarbeitsverhältnisse und die damit zusammenhängenden sozialstaatlichen Regulierungen sukzessive ausgedünnt. An deren Stelle traten prekäre Beschäftigungsverhältnisse, ‘zweite‘ und ‘dritte‘ Arbeitsmärkte. Hinzu gesellte sich eine seit Jahren gleich bleibende durchschnittliche Armutsquote von knapp 15 %. Schlussendlich entstand für die Linke durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II die Notwendigkeit, all diese gravierenden sozialen Veränderungen zu untersuchen und zu diskutieren. Losungen und Begriffe wie „Wiederkehr der Proletarität“, „Umbau der Klassengesellschaft“, „Zweidrittelgesellschaft“, „Prekariat“ oder „Entstehen eines neuen Proletariats“ bestimmten seitdem den Diskurs. Doch die Beschäftigung mit Klassenfragen, die sich angesichts dieser Entwicklungen nun aufgedrängt hatte, führte nur in Ansätzen zu einer Rückbesinnung auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie. Vielmehr verstand sich der Diskurs eher als ein Versuch, partei- und/oder interessenmäßig bestimmte Bündnisprojekte für Kampagnen theoretisch zu unterfüttern.

Die nachstehenden Thesen zu Klasse und Klassenstruktur verstehen sich im Gegensatz dazu als ein Beitrag, der schwerpunktmäßig auf die Methode und die erkenntnistheoretischen Zusammenhänge abstellt, welche nach Ansicht des Verfassers zu berücksichtigen sind, wenn es um die Analyse der Klassenverhältnisse im Hinblick auf Größe und Struktur des Proletariats unter spätkapitalistischen Bedingungen geht. Denn erst wenn der Gegenstand dem Wesen nach erfasst ist, wird es möglich sein, die konkrete Empirie der Verhältnisse zu begreifen und für eine Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise zu nutzen.

1.

Wer das Proletariat ist, kann nur aus der gesellschaft­lichen Organisation der Arbeit abgeleitet werden. Sie ist durch das Kapitalverhältnis bestimmt. D.h. im Kapitalismus verfügen die Besitzer der Produktionsmittel über die Arbeit, weil die Gegenstände die dazu gehören in ihrem Besitz sind. Und die Gegenstände sind mehr als nur die Fabrik, die Maschine und der Rohstoff. Es ist ganz umfassend die Organisation der Arbeit. Und von dieser Verfügungsgewalt ist die Mehrheit der Bevölkerung ausgeschlossen und - Ausnahmen aus­genommen - prinzipiell nicht in der Lage selber Produktionsmittelbesitzer zu werden und die Arbeitskraft zum Zwecke der Ausbeutung gegen Lohn zu mieten.

2.

Wenn die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit die Grundlage der Klassenbildung ist (und im vorliegenden Fall geht es ums Proletariat und nicht um die Kapitalisten und die Grundeigentümer), dann zählt dazu auch die Teilung der Arbeit, die Aufgliederung der Arbeitsk­raftverkäufer in Betriebshierarchien und die Spaltung der Arbeitskraftverkäufer in solche, deren Arbeits­kraft mietbar ist und in die, die arbeitslos bleiben (gemacht werden).

Der gesellschaftliche Reichtum, die Frucht der vergesellschafteten Arbeit, bleibt in der Verfügungs­gewalt derer, die über den Arbeitsprozess bestim­men, d.h. die ihn schaffenden Teile bleiben davon ausgeschlossen. Ihr Anteil daran scheint durch den Lohn als abgegolten. Und die, die zum Proletariat gehören und von der (Lohn-)Arbeit ausgeschlossen sind, erscheinen als unproduktive Nutznießer, die es mit zu ernähren gilt.

3.

Marx und Engels haben immer wieder betont, daß der Kapitalismus kein stationäres Ge­bilde ist, sondern eine Gesellschaft im historischen Fluss. Deswegen war es auch besonders das Anliegen von Marx, die Bewegungsgesetze dieses Fließens – sprich die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise - zu entdecken und unter Absehung bestimmter konkreter Umstände darzustellen. Daher erscheint unter dem Gesichtspunkt des reinen Kapitalverhältnisses das Proletariat nur mit dem Teil, der dem kapitalistischen Verwer­tungsprozess direkt unterworfen ist (in der Fabrik) und zwar als "variables Kapital".

Diese „polit-ökonomische“ Behandlung des Proletariats hat in der Folgezeit zu einer Reihe von Missverständnissen und Diskussionen Anlass gegeben, die in der Behaup­tung gipfeln, nur wer in der Fabrik für Lohn arbeitet ist Prolet. Tatsächlich aber bricht die Behandlung der Frage der Klasse bei Marx im Kapital an der Stelle ab, wo er versuchte, die Klasse als eine auf die Totalität der Gesellschaft bezogene Erscheinung zu behandeln. (52. Kapitel, III. Band des Kapitals). Deshalb muss die Frage der Klasse, so wie er sie angelegt hatte und durch Tod nicht mehr bearbeiten konnte, auch auf­geworfen werden, nämlich vom Standpunkt der Gesellschaft als Ganzes, deren innerer Kern die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten sind.

4.

Die kategoriale Rekonstruktion des Proletariats aus der Totalität der gesellschaftlichen Verfasstheit umfasst demnach alle die ihr Leben nur durch Verkauf ihres Arbeitsvermögens - selbst wenn sich dieser Verkauf nicht jederzeit realisieren lässt - reproduzieren können.

Das entscheidende Problem dabei ist jedoch die Durchdringung der Wirklichkeit unter dem erkenntnistheoretischen Anspruch der Dialektik von Begriff und realen Verhältnissen. Dieses Pro­blem kann nur überwunden werden, wenn die Frage nach der inneren Gliederung der proletarischen Klasse gestellt wird, wie sich diese durch die Bewegung des Kapitals strukturiert. Erst durch eine Beantwortung in diesem Sinne kann überhaupt das quantitative, d.h. das konkrete Ausmaß der Klasse heute bestimmt werden kann. Allein dieser Umstand verweist darauf, dass zahlenmäßige Aussagen zur Klassenstruktur nicht umstandslos aus dem Zahlenwerk der bürgerlichen Soziologie übernommen werden können.

5.

In der Entwicklung des Kapitalverhältnisses als das gesamtgesellschaftlich strukturierende Prinzip verallgemeinerten sich nahezu alle Arbeitsverhältnisse in ihrer Form nach zu Lohnarbeit - nicht nur in den Metropolen sondern nun auch weltweit. Hinter dieser formalen Gleichheit verschwinden die unterschiedlichen Beziehungen der Lohnarbeit zum Kapital. Ob der Lohn für Tätigkeiten in der Zirkulation, beim Staat oder in der unmittelbaren Mehrwertproduktion erfolgt, lässt die Klasse scheinbar zu einer empirisch nicht bestimmbaren Größe werden.

Für eine Herangehensweise im Marxschen Sinne der Kritik der politischen Ökonomie ist es daher unabdingbar zu versuchen, diese differierenden Beziehungen zum Kapital wieder aufzudröseln.

6.

Zur proletarischen Klasse gehören als allererstes die LohnarbeiterInnen, die Wert und Mehrwert produzieren, womit sie permanent als produktive Rekonstrukteure der Kapitalakkumulation fungieren. Sie unterscheiden sich zu allen anderen LohnarbeiterInnen gerade auch dadurch, dass sie unmittelbar den Fonds erzeugen, der zu ihrer eigenen Reproduktion dient.

Auf die Thematisierung der inneren Gliederung der Schicht der "produktiven" LohnarbeiterInnen wird hier verzichtet, weil diese Frage nur im Kontext politischer Interventionsstrategien bedeutsam ist.

Zur Aufrechterhaltung der Kapitalakkumulation auf der Ebene der Wert/Mehrwert-Produktion gehören aber auch die LohnarbeiterInnen, die durch ihre Tätigkeit ermöglichen, dass die produktive Konsumtion funktioniert. Vom Kapitalstandpunkt aus sind sie unproduktiv aber notwendig. Ihre Entlohnung ist zwar aus der Sicht des Kapitals ein Faktor des Produktionspreises bei der Formverwandlung von Kapital in Waren, aber realiter ein aus dem Geldfonds, den die produktiven" Arbeiter schufen, abgeleiteter Betrag.

7.

Für die Realisierung von Wert und Mehrwert ist die Zirkulationssphäre integraler Bestandteil. Ohne die dort tätigen LohnarbeiterInnen, wäre der Kreislauf des Kapitals unmöglich.

Doch hier fangen bereits die ersten Zuordnungsschwierigkeiten an. Zum einen hängt dies mit der Tatsache zusammen, dass in der Zirkulationssphäre selbständige Kapitale fungieren, die in verschiedenen Formen des kommerziellen Kapitals figurieren. Zum andern obliegen dem kommerziellen Kapital oftmals der Transport, die Bevorratung und Lagerhaltung, sodass die dort tätigen LohnarbeiterInnen im Sinne von Wert/Mehrwertproduktion schwer von denen zu unterscheiden sind, die in der Zirkulationssphäre unproduktive aber notwendige Tätigkeiten für das kommerzielle Kapital verrichten.

8.

Eine weitere Schwierigkeit bei der konkreten Bestimmung der Klasse bilden die staatlichen LohnarbeiterInnen. Aufgrund der konkreten historischen Entwicklung hat sich der Staat in der BRD -und nicht nur dort – sowohl mit Gewalt-, Unterdrückungs- und Zurichtungsfunktionen ausgestattet als auch darüber hinaus ganze Branchen dem unmittelbaren Kapitalverhältnis entzogen. Das heißt wir haben auf der einen Seite die Beschäftigten in den Bereichen Polizei/Militär, Justiz, Finanzen und Schul-/Hochschulwesen (sofern es wie in der BRD staatlich ist), sodann das politische Personal in Parlament und Regierung. Auf der anderen Seite jedoch die produktiven Arbeiter in den Bereichen Transport, Kommunikation, Energieversorgung usw.; zwischen diesen Polen gibt es das Heer der Beschäftigten, das (bürgerlich) begrifflich unter dem Schlagwort "Sozialstaatsfunktionen" (Erziehung, Fürsorge, Beratung, Betreuung und Versorgung) gefasst ist.

Durch die seit gut 20 Jahre laufende Privatisierung im Bereich der „Sozialstaatsfunktionen“, d.h. durch Rückführung ins direkte Kapitalverhältnis, und den Privatisierungen in bisherigen staatlichen Kernbereichen (z.B. Schul-/Hochschulwesen) müssen alle diese Bereiche der darin neukonstituierten Lohnarbeit in eine Untersuchung hinein genommen werden. Dadurch wird sich klären, ob die in diesen Bereichen Beschäftigten den Fonds ihrer eigenen Reproduktion erarbeiten, oder ob sie weiterhin ein abgeleitetes (Lohn-)Einkommen aus den drei Grundfonds (Profit, (Grund)-Rente, Lohn) erhalten.

9.

Ein besonderes methodologisches Augenmerk gilt auch denjenigen, die die nicht mehr oder vorübergehend nicht mehr zum Arbeitsprozess gehören. Bei der Behandlung dieser Frage muss nämlich berücksichtigt werden, dass die Bestimmung der Klasse immer auf zweierlei Ebenen zu erfolgen hat. Vom Standpunkt des Arbeits- und Wertschöpfungsprozesses handelt es sich bei diesen Schichten nicht um Teile der Klasse, weil sie dem Kapitalverhältnis weder real noch formell unterworfen sind. Vom Standpunkt der gesamtgesellschaftlichen Organisation der Arbeit, sind sie Teil der Klasse, denn ihre objektive Lage wird durch die lebensgeschichtliche Perspektive des Arbeitskraftverkaufs gegen Lohn konstituiert. Mit ihren sogenannten "unge­schützten" Arbeitsverhältnissen, ihren prekären Beschäftigungen als MAElerInnen oder mit ihrer Scheinselbständigkeit bilden sie einen wesentlichen Teil der Reservearmee für das Kapital. Es wäre müßig diesen Teil dahingehend zu untersuchen, aus welchen Fonds ihre nur temporäre Entlohnung erfolgt.

Politisch entscheidend für das Werden der „Klasse für sich“ bleibt freilich, inwieweit sich dieser überflüssig gemachte Teil des Proletariats als Teil der Klasse sieht bzw. umgekehrt, ob die in vorübergehend gesicherten Lohnarbeitsverhältnissen Tätigen die „Prekären“ auch als Teil des Proletariats ansehen.

10.

Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Klasse ergeben sich auch durch die dem jeweiligen Krisen- und Konkurrenzgeschehen geschuldeten Veränderungen des Arbeits- und Wertschöpfungsprozesses in der Sphäre der unmittelbaren Produktion. Stark vereinfacht passiert dort folgendes: Die organische Zusammensetzung des Kapitals erscheint ungünstig (für den Kapitalisten als zu hoher Produktionspreis bestimmt). Der Zwang zur Neuzusammensetzung des organischen Kapitals wird nun nicht mehr im Rahmen des bestehenden Eigentumsverhältnisses gelöst, sondern mithilfe von "Fremdfirmen" an deren Kapitalstruktur man beteiligt ist. Auf diesem Wege entstehen immer wieder neue Firmen (und gehen auch wieder zugrunde), die ein Kapitalverhältnis aufweisen, wo produktive Lohnarbeit im Gewand der Dienstleistung den Profit mehrt. In diesem Sektor gibt es aber auch Firmen, die nur aus "Eigentümern" bestehen, die sich selber ausbeuten, indem sie das geborgte Kapital (meistens Bankkredite) tilgen und so den Geldkapitalisten eine Akkumulation in der Nähe der Durchschnittsprofitrate ermöglichen.

D.h. in dieser Sphäre der Dienstleistungen existieren einerseits Firmen, die ausschließlich als kapitalistische Klein- und Mittelbetriebe mittels Ausbeutung von Lohnarbeit den stofflichen und technischen Erfordernissen der Großkapitalisten im Austausch gegen Geld zuarbeiten und andererseits bestehen Firmen nur aus Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen, die daher dem klassischen Kleinbürgertum zuzurechnen sind.

Die Frage nach der inneren Gliederung der Klasse wird noch zusätzlich überlagert durch die Interventionen des Staates in diesem Bereich; sei es durch direkte Beteiligung an den Löhnen und Gehältern, sei es durch finanzielle Beteiligung auf Seiten der Kapitalausstattung.

11.

Ebenso undurchsichtig sind die Tendenzen im Bereich der Verbände, Vereine sowie der Selbsthilfe- und Bürgerbeteiligungsgruppen, die dem "Dienstleistungssektor" zugerechnet werden.

Die klassischen Selbsthilfeorganisationen, wie sie von Arbeiterbewe­gung oder von den Religionsgemeinschaften hervorgebracht wurden, funktionieren ökonomisch allesamt nur noch, weil sie mit ihrem "gemeinnützigen" Firmenmantel am Kapital­verhältnis in der Zirkulation und auch in der Produktion teilhaben.

Je mehr im letzten Jahrzehnt die staatliche Alimentierung "sozialstaat­licher" Infrastrukturleistungen zurückgefahren wurde, desto verstärkter kam es dort zu "Privatisierungsprozessen", die den Widerspruch zwischen "Ge­meinnützigkeit" und Kapitalakku­mulation zugunsten des Profits gelöst haben.

Seit der Agenda 2010 sind vermittelt durch die neuen Aufgabenstellungen ( Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen, Personal Service Agenturen usw.) der Arbeitsagentur und ihrer Jobcenter zahllose kapitalistische Minifirmen entstanden, in denen Lohnarbeit verrichtet wird. Methodologisch gelten im Prinzip die selben Überlegungen wie für die "produktionsorientierten" Dienstleistungen (Punkt 10.).

12.

Der Kapitalismus hat die patriarchalischen Struk­turen bereits vorgefunden und wie alle sozialen Verhältnisse seinen Gesetzmäßigkeiten, d.h. den Warentauschbeziehungen, unterworfen, gestaltet und neue hinzu­gefügt. Deshalb behandeln wir die "Frauenfrage" im Kontext der Klas­senfrage, ohne dabei übersehen zu wollen, dass die Unterdrückung der Frau ein klassenübergreifender Zu­sammenhang ist, von dem wir meinen, das er nur mit der Auf­hebung der Lohnarbeit vollends beseitigt werden kann.

Bezogen auf die Struktur der proletarischen Klasse bilden die Frauen, deren Biografie nicht durch den Verkauf ihrer Ware Arbeitskraft bestimmt war und ist, eine soziale Gruppierung, deren Klassenzuge­hörigkeit nicht direkt aus der "Haus­frauentätigkeit" abgeleitet werden kann.

Zunächst ist einmal Fakt, dass die Zahl der Frauen, die im Haushalt der männlichen Proletarier leben ohne ein selbständiges Lohnarbeitsverhältnis einzugehen, ständig sinkt. Ebenso ist Fakt, daß die Lohnhöhe des Mannes größer ist, wenn formal eine Eheschließung vorliegt. Es zeigt sich dann, dass in dieser "Hausfrauentätigkeit" ein nicht formelles Lohnverhältnis enthalten ist, wenn die Eheleute getrennt leben und durch die bürgerliche Justiz der Ehegattenunterhalt mit 3/7 am männ­lichen (Netto-)Lohn festlegt wird. Da die Frauen aller Klassen in solch einem Fall vom bürgerlichen Staat "gleich" behandelt werden, sofern sie "Hausfrau" sind (bleiben wollen), hieße dies konsequenterweise, dass jede "Hausfrau" dem weiblichen Teil des Proletariats zuzurechnen wäre, weil dieser Unterhaltsberechnung ein nicht formelles Lohnarbeitsverhältnis zu Grunde liegt. Tatsächlich gelten aber nur die Frauen als Teil des Proletariats, die bei der Auflösung der Lebensgemeinschaft ihren Lebensunter­halt durch Arbeitskraftverkauf in einem Lohnarbeitsverhältnis bestreiten können. Sind Kinder vorhanden, wird durch Weggang des Mannes in aller Regel die Struktur der Familie nicht aufgelöst. Die Perspektive "Lohnarbeit" wird nun erst recht unausweichlich.

13.

Die Klassenlage von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden ist grundsätzlich bestimmt durch die Reproduktionsbedingungen der Lebensgemeinschaft zu der sie durch Abstammung und/oder sozial gehören. Mit der Loslösung aus dieser verändert sich nur in Ausnahmefällen die Zugehörigkeit zur (proletarischen) Klasse. In der Regel bleibt für Kinder aus proletarischen Verhältnissen nur die Perspektive Lohnarbeit. Zunächst als AzuBi und später in einen der oben beschriebenen Lohnarbeitsverhältnisse. Oder als StudentIn, welche sich mittels prekärer Lohnarbeitsverhältnisse ergänzend reproduzieren muss. Aber nicht nur die neben dem Studium geleistete Lohnarbeit prägt die studentische Klassenlage, sondern auch das Studium selber ist zunehmend den Verwertungsbedingungen des Kapitals unterworfen, so dass die Tendenz zur Strukturierung und Organisierung der wissenschaftlichen Arbeit in Sinne von Lohnarbeit beständig zunimmt.

14.

Das altersbedingte Ausscheiden aus der Arbeit oder die sogenannte Erwerbsunfähigkeit, (Zerstörung des Gebrauchswerts der Ware Arbeitskraft durch und im kapitalistischen Arbeitsprozess) verändern in keiner Weise die Zugehörigkeit zur Klasse. Was sich dagegen gravierend verändert, ist die Höhe der für die Reproduktion der Lebensverhältnisse zur Verfügung stehenden Geldsumme. Gemeinhin bildet sich für LohnarbeiterInnen diese Geldsumme aus den in die Sozialversicherung eingezahlten Beiträge, die zwangsweise dem ausgezahlten Lohn vorenthalten wurden. Da der Preis der Ware Arbeitskraft bestimmt wird durch die zur ihrer Reproduktion notwendigen Kosten, heißt das nun, dass durch die Regulation des ideellen Gesamtkapitalisten (Staat) der Preis erheblich unter ihren ursprünglichen Preises gedrückt wird.

In anderen kapitalistischen Staaten gibt es diese „Sozialversicherung“ nicht. Das Prinzip ist jedoch das gleiche. Um sich für „später“ abzusichern, sind die ProletarierInnen grundsätzlich gezwungen von ihrem Lohn „Geld für später“ beiseite zu legen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt.